1978
Nina Hagen

Unbeschreiblich Weiblich

Mit seiner brachial-feministisch entfalteten Abtreibungsthematik (“Ich schaff‘ mir keine kleinen Kinder an”) nimmt UNBESCHREIBLICH WEIBLICH, dritter Song des Albums Nina Hagen Band (1978), wesentlich teil an der westdeutschen Image-Konstruktion Nina Hagens ein Jahr nach ihrer Ausreise aus der DDR. Obwohl in keiner Punk-Szene verankert und musikalisch keineswegs auf Punkrock festgelegt, schwingt sich das vormalige DDR-Schlagerstarlet zur Ikone widerborstig auf­trumpfen­der Punk-Weiblichkeit auf und wird damit wichtig für die Etablierung von Punk als Konzept in der westdeutschen Popkultur.

 

I. Entstehungsgeschichte

Nina Hagen konnte die DDR Ende Dezember 1976 verlassen, nur wenige Wochen nach Wolf Biermanns aufsehenerregender und auch in der DDR von vielen Kulturschaffenden kritisch aufgenommener Ausbürgerung. Mitte November war dem zeitweisen Lebensgefährten von Hagens Mutter Eva Maria nach Konzerten in Westdeutschland die Wiedereinreise verweigert worden. Wie Hagen berichtet, vermittelte ihr Biermann im folgenden Jahr den Kontakt zur Plattenfirma CBS Deutschland, bei der sie im November 1977 gemeinsam mit dem Keyboarder Reinhold Heil und drei Mitgliedern der ehemaligen Westberliner Politrock-Band Lokomotive Kreuzberg, Herwig Mitteregger (Drums, Vibraphone), Bernhard Potschka (Gitarre, Gesang) und Manfred Praeker (Bass, Gesang), schließlich einen Vertrag unterzeichnete. Nina Hagen Band, das erste gemeinsame Album, wurde in den folgenden Wochen in den Berliner Hansa Tonstudios aufgenommen. Toningenieur war Tom Müller, für die Arrangements war die Band selbst verantwortlich. Einige der Liedtexte waren allerdings schon in Ostdeutschland entstanden (Hagen/Feige 2003: 158–164).

 

II. Kontext

Nina Hagen verbrachte die ersten Wochen nach ihrer Ausreise aus der DDR in London, wo sie Anfang 1977 auch Einblick in die im Entstehen begriffene Londoner Punk-Szene hatte und im direkten Umfeld der Sex Pistols verkehrte. England steckte Ende der 1970er Jahre tief in der Rezession, die Arbeitslosigkeit war hoch und die Perspektiven für die Jugend aufgrund fehlender Ausbildungsangebote miserabel. In dieser Situation griffen Bands wie The Clash, The Damned und The Sex Pistols einen Trend aus New York auf, mit dem Auflehnung und Abweichung von akzeptierten Arten, sich öffentlich zu präsentieren, signalisiert werden konnten: zerfetzte und verwahrloste, dabei oft zugleich sorgfältig präparierte Kleidung, rasierte Schädel mit gefärbter Irokesentolle und simple, rohe Musik mit herausgeschrienen Texten (Hecken 2017). Die provozierenden Parolen des Punk verbreiteten sich vor allem von den Großstädten aus. Hagen lernte bei ihrem Londoner Aufenthalt u.a. Pistols-Mitglied Johnny Rotten und die 14jährige Deutsche Ari Up (Ariane Forster) persönlich kennen, Mitglied der Frauen-Punkband The Slits und später Co-Autorin von “Pank”, dem musikalisch betrachtet einzigen Punk-Song auf Nina Hagen Band (Baßler 2017). Nach ihrer Rückkehr grenzte sie sich gegenüber deutschen Medien jedoch mehrfach von Punk ab. “Punks würde ich rausschmeißen”, antwortet Hagen in einem Spiegel-Interview von 1978 auf die Frage nach ihrer Zugehörigkeit, in dem sie gleichzeitig The Slits als “unheimlich wichtig” einordnet (Rumler 1978). Künstlerisch integrierte Hagen die destruktive No-Future-Attitüde als Rolle in ihre auf Übertreibung und Ironisierung aufbauende Camp-Strategie. Schon das Anliegen der Londoner Punk-Szene um Johnny Lydon war es allerdings, die Rock-Ästhetik mit ihren Werten Authentizität, Realismus und der Verschmelzung von Kunst und Leben, sinn­bildlich gewährt in der mythischen Übereinstimmung von Star-Persona und Künstlerpersönlichkeit, zu destruieren. Künstlichkeit, Übertreibung und Manie­rismus waren dabei Kernstrategien, die eine Identifikation mit dem Sänger unmöglich machen sollten (Marcus 2011). Bei Johnny Rotten steht neben dem ungekünstelt rohen Gebrüll immer der Umschlag ins Künstliche (Laing 2005).

Als politischer Hintergrund von UNBESCHREIBLICH WEIBLICH darf der Streit um das Selbstbestimmungsrecht schwangerer Frauen gelten, der sich im Zuge einer kontroversen Abtreibungsdebatte in den 1970er Jahren in Deutschland erheblich zugespitzt hatte. 1974 war die sozial-liberale Regierung mit dem Versuch einer Modernisierung des Abtreibungsparagrafen 218, der noch aus dem 19. Jahrhundert stammte, gescheitert. Nachdem der Bundestag mit der Mehrheit von SPD und FDP beschlossen hatte, Straffreiheit für Schwangerschaftsabbrüche in den ersten drei Monaten zu gewähren, sofern Schwangere sich zuvor von einem Arzt hatten beraten lassen, kassierte der von CDU/CSU dominierte Bundesrat das Gesetz wieder ein (Budde 2015: 24–25).

 

III. Analyse

In UNBESCHREIBLICH WEIBLICH schlüpft Hagen in die Rolle des aggressiven, befreiten Girls, das sich nicht länger über Männerphantasien definieren lassen will. Dabei nennt der Text die Ikone des theoretischen Feminismus, Simone de Beauvoir (in pointierter Verbindung mit dem Reim “o Gott bewahr”), um auch die feministische Pose im nächsten Moment zu ironisieren. Musikalisch gehört der Song mit seinem bewegten Bass und den Gitarren-Slide-Figuren in den Hardrock. Obwohl die Grenzen fließender sind, als oft behauptet, heben sowohl die konventionelle Form mit Strophe, Refrain, Bridge und dem üblichen Soloteil, als auch die komplexen Akkordfolgen von Refrain (C/Eb/Bb/F/C/F/C/Bb/F/Eb/Ab/G/F) und Bridge (C/G/Bb/C/D) den Song deutlich von der minimalistischen Ästhetik früher Punk-Stücke ab. Auch mit der z.B. von Ari Up und den Slits praktizierten und wenig später von einflussreichen deutschen Bands wie Mittagspause übernommenen Do-It-Yourself-Attitüde früher Punk-Musik hat der Song nichts zu tun. Die Spielweise von Mitteregger und seinen Kollegen signalisiert vielmehr routinierte Rock-Professionalität, also genau das, was Punk-Musiker*innen häufig ablehnten bzw. kritisch dekonstruierten.

Stimmlich ist das gesamte Debut-Album Hagens von der hohen Reflexivität gezeichnet, mit der die Sängerin unterschiedliche Vokalstile und Singweisen miteinander verbin­det. Das gilt gerade auch für UNBESCHREIBLICH WEIBLICH, in dem es nicht nur zahlreiche überraschende, teils aberwitzig große Intervall­sprünge gibt, sondern auch eine Vielzahl von Timbre- und Stimmgebungs-Wechseln. Immer wieder schnellt Hagens Stimme am Ende eines Wortes aus der mittleren Brustimmen ins Kopfregister, kehrt innerhalb eines Wortes aus sehr hoher Lage in die mittlere zurück (z.B. “kotzen”, 0:32, “warum”), oder springt innerhalb eines Worts in die Höhe, um eine Silbe herauszuschreien und sofort wieder zum Ausgangston zurück­zukehren („überhaupt, Mann“, 0:39). Solche Satz- bzw. Wortmelodie übersteigernden oder auch konterkarie­renden (Register-)Sprünge erschei­nen vor allem ab der zweiten Strophe und in beiden Bridges. Ein Schlüsselwort wie “Pflicht” wird dagegen kräftig geshoutet oder, unter Einsatz stärkeren subglottischen Drucks und mehr Rauheit, hoch gekreischt. Einzelne Silben sind mit starkem Growling gestaltet (“ich war schwanger”, “ich hab‘ keine Pflicht”, “erst noch selbst befrei’n”), oder mit einem Weg­brechen des Stimm­klangs verbunden (“vorbei war”). Manche Töne in tiefer Lage sind dagegen mit plötzlich sehr dunklem Timbre und unter vorrangiger Nutzung kehliger Resonanzen gesungen (“und überhaupt, Mann”; “Simone de Beauvoir”, 1:40). Schlüssel­worte erscheinen oft in Verbindung mit Schreien oder schreinaher Stimmgebungen – die Attitüde der Verweigerung, das programma­tische “ich hab keine Lust” des Refrains, wird so gewissermaßen als Lust-Schrei gesanglich beglaubigt (Bielefeldt 2023).

 

IV. Rezeption

UNBESCHREIBLICH WEIBLICH und andere Nina Hagen Band-Songs wie “Pank” oder “TV-Glotzer”, ein Rock-Cover des Songs “White Punks on Dope” (1975) der US-Band The Tubes, schlugen Ende der 1970er Jahre in eine westdeutsche Popkultur ein, in der ihre offensive Sprache bis dahin unvorstellbar gewesen war. Das Album wurde zu einem großen kommerziellen Erfolg, erreichte mit über 250.000 verkauften Exemplaren Gold-Status und Platz 11 in den deutschen Album-Charts. Auch in anderen europäischen Ländern platzierte es sich erfolgreich. UNBESCHREIBLICH WEIBLCH wurde als eine von vier Singles aus dem Album ausgekoppelt. Inhaltlich sorgte der Song, weil er weibliche Selbstbestimmung einforderte und für den Schwangerschaftsabbruch eintrat, für heftige Diskussionen. Dabei stieß Hagen gerade auch in den deutschen Punk-Szenen mehrheitlich auf Ablehnung. Unter den Punks im Ratinger Hof in Düsseldorf, einem der wichtigsten Szene-Treffs, war Hagen verhasst, wie sich Thomas Schwebel erinnert, damals Mitglied der einflussreichen Punk-Bands Mittagspause und Fehlfarben. Als CBS-Projekt wurde das Album ebenso abgelehnt wie die Band, die man als Rockband verachtete (vgl. Teipel 2001: 137–38). Auch außerhalb der Popkultur ist der Titel UNBESCHREIBLICH WEIBLICH zum geflügelten Wort geworden, das eine kaum zu überblickende Fülle an Adaptionen nach sich gezogen hat, von Theateraufführungen und Kinderbüchern, Ratgebern und Songbooks über literarische und feministische Textsammlungen bis hin zu Ausstellungskatalogen oder akademischen Publikationen. Musikalisch lebt der Song im Netz in Gestalt zahlloser Tribute-Versionen fort, bei Youtube dokumentiert sind solche u.a. von Karin Bloemen & LaBloemen Band (1995), Ellen te Damme (2005), HEISS und 666 The Nightmare feat. Wicked Witch of the West (Monique de Bruin).

CHRISTIAN BIELEFELDT


Credits

Vocals: Nina Hagen
Bass: Manne Praeker
Drums, Vibraphone: Herwig Mitteregger
Guitar: Bernhard Potschka
Keyboards: Reinhold Heil
Lyrics, arrangements: Nina Hagen
Music: Manne Praeker
Producer: Nina Hagen Band, Ralph Nowy, Tom Müller
Label: CBS
Recorded: Winter 1977/78
Published: 11 February 1978
Length: 3:45

Recordings

  • Nina Hagen. “Unbeschreiblich Weiblich”. On: Nina Hagen Band, 1978, CBS 83136, Deutschland, Vinyl-LP, Album.
  • Nina Hagen. “Unbeschreiblich Weiblich”. 1979, CBS 7099, Deutschland, 7“ Single.
  • Nina Hagen. “Pank”. On: Nina Hagen Band, 1978, CBS 83136, Deutschland, Vinyl-LP, Album.
  • The Tubes. “White Punks on Dope”. 1976, A&M Records AMS 7323, USA, 12” Single.

References

  • Baßler, Moritz: ‘White punks on dope’ in Germany: Nina Hagen’s punk covers. In: Perspectives on German Popular Music. Ed. by Michael Ahlers, Christoph Jacke. New York 2017, 185–189.
  • Bielefeldt, Christian: Cold Sweat. Rufe und Schreie in Black Music, Punk und Heavy Metal (working title). In: Handbuch Popgesang. Ed. by Tilo Hähnel. Lilienthal 2023 (in progress).
  • Budde, Emma T.: Abtreibungspolitik in Deutschland. Ein Überblick. Wiesbaden 2015.
  • Hagen, Nina/Feige, Marcel: Nina Hagen: That’s why the lady is a punk. Berlin 2003.
  • Hecken, Thomas: Punk. In: Handbuch Popkultur. Ed. by Thomas Hecken, Marcus S. Kleiner. Stuttgart 2017, 72–77.
  • Laing, Dave: Listening To Punk. In: The Subcultures Reader. Ed. by Ken Gelder. 2nd Edition. London 2005 [1985], 448–459.
  • Marcus, Greil: Lipstick Traces. A Secret History of the Twentieth Century. London 2011.
  • Rumler, Fritz: “Augenblicklich unbeschreiblich weiblich”. In: DER SPIEGEL 41 (1978), 249–251.
  • Teipel, Jürgen: Verschwende deine Jugend. Ein Doku-Roman über den deutschen Punk und New Wave. Frankfurt a.M. 2001.

About the Author

Dr. Christian Bielefeldt works as a music teacher in Zurich.
All contributions by Christian Bielefeldt

Citation

Christian Bielefeldt: “Unbeschreiblich weiblich (Nina Hagen)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, https://www.songlexikon.de/songs/unbeschreiblich-weiblich, 03/2023.

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