1968
Aretha Franklin

Think

Viele Songs von Aretha Franklin und vor allem jene, die in den 1960er Jahren veröffentlicht worden sind, wurden zu musikalischen Symbolträgern der Bürgerrechtsbewegung der afroamerikanischen Bevölkerung. So auch der Song THINK, der im Mai 1968, einem Monat nach dem Tod Martin Luther Kings, erschien.

I. Entstehungsgeschichte

THINK wurde zunächst im Mai 1968 als Single veröffentlicht. Das zugehörige Album Aretha Now kam einen Monat später heraus. Die Studioarbeiten dazu hatten bereits im Dezember des Vorjahres begonnen und dauerten insgesamt etwa vier Monate, bis alle zehn Tracks dieses fünfzehnten Studio-Albums herausgabefertig waren.

Aretha Franklin schrieb THINK in Zusammenarbeit mit ihrem damaligen Ehemann und Manager Ted White. Für die Produktion war Jerry Wexler verantwortlich, welcher der Plattenfirma Atlantic Records angehörte. Diese nahm Franklin im Jahr 1967 unter Vertrag und war nicht unwesentlich daran beteiligt, als sie kurz darauf mit “I Never Loved a Man the Way I Love You” und schließlich mit “Respect” den endgültigen Durchbruch schaffte. Als THINK erschien, hatte sich Franklin schon als unumstrittene “Queen of Soul” etabliert, was mit diesem Song eindrücklich bestätigt wurde.

II. Kontext

Die 1960er Jahre stellten für die afroamerikanische Bevölkerung eine Dekade des Umbruches dar. Führungspersönlichkeiten wie Malcolm X oder Martin Luther King jr. erschienen auf der Bildfläche und schafften erste Voraussetzungen für einen landesweit organisierten Protest, in dem mehr Bürgerrechte für die schwarze Bevölkerung gefordert wurden. Eine Grundlage für diese Protestbewegung war die Stiftung eines Gemeinschaftsgefühls und einer gemeinsamen Identität. Dies funktionierte u. a. durch die Hervorhebung der gemeinsamen afrikanischen Wurzeln und der Revalorisierung der daraus entstandenen eigenen Kunst und Kultur. Soulinterpreten nahmen dabei eine besondere Stellung ein: Ihre Musik entstand in der direkten Nachfolge der Gospeltradition, also jener Musizierpraxis, die in den Kirchen der schwarzen Glaubensgemeinschaften als eigene Kulturform unter der weißen Hegemonie erhalten bleiben konnte. Somit wurde Soul (zunächst) als originär ‚schwarzes‘ Musikgenre verstanden. Dies führte unweigerlich dazu, dass Soulinterpreten ihre Musik hochgradig mit der Idee des Black Pride verbanden und sie so zum Sprachrohr der afroamerikanischen Bevölkerung wurden. Soulmusik wurde zum Ausdrucksmittel des neu gefundenen Selbstbewusstseins und Identitätsgefühls der Afroamerikaner (vgl. Maultsby 1983: 51-56).

Aretha Franklin nahm im Zusammenhang mit der Bürgerrechtsbewegung eine Schlüsselposition ein, da sich unter ihren zahlreichen Zuhörern und Fans auch viele Weiße befanden. Der Großteil ihrer Songtexte problematisierte die Benachteiligung und Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung. Somit wurden in ihren Konzerten und auch durch ihre Platten zentrale Botschaften der Black-Power-Bewegung auch nach außen, nicht zuletzt in die weiße Zuhörerschaft getragen. Hinzu kam die Tatsache, dass Franklin eine der wenigen erfolgreichen weiblichen Soulsängerinnen war. Dies führte dazu, dass viele ihrer Texte nicht nur im Hinblick auf den Gleichberechtigungskampf der Schwarzen, sondern auch auf jenen der Frauen interpretiert wurden (vgl. Rüscher 2011: 65-73).

Das Image der musikalischen Wortführerin der Bürgerrechtsbewegung wurde u. a. auch durch die nachweisliche Verbindung der Familie Franklin zu Martin Luther King jr. untermauert. Arethas Vater, der landesweit bekannte Baptistenpastor C. L. Franklin, arbeitete des Öfteren mit King zusammen und stand ihm in einem sichtbar freundschaftlichen Verhältnis gegenüber. Ebenso kam es zu mehreren Veranstaltungen, bei denen King und Aretha Franklin gemeinsam auf der Bühne standen. Als politisch bedeutend wurde v. a. jenes Konzert von Franklin in Detroit 1967 angesehen, in welchem King zuerst als Zuhörer im Publikum erschien und anschließend zu ihr auf die Bühne kam, um ihr die Auszeichnung der Southern Christian Leadership Conference zu überreichen (vgl. Guralnick 1986: 351; vgl. Rüscher 2011: 71).

Diese persönliche Verbindung spielte auch im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von THINK eine wesentliche Rolle: Martin Luther King wurde am 4. April 1968 ermordet, Aretha Franklin singt bei seiner Beisetzung “Prescious Lord” und veröffentlicht einen Monat danach ihre Single THINK. Obwohl das Veröffentlichungsdatum schon vor dem Attentat feststand und keinerlei Verbindung dazu beabsichtig war, kam es unweigerlich zur politischen Aufladung des Songs. Ähnlich wie schon zuvor “Respect” nahm auch THINK den Charakter einer Hymne des Gleichberechtigungskampfes der Afroamerikaner an (vgl. Hirshey 1994: 242; vgl. Castellini 2013: 79).

III. Analyse

Da sich die Soulmusik aus der afroamerikanischen Gospeltradition heraus entwickelt hat, weisen beide Genres zwangsläufig einige Parallelen auf. Beide erfüllen in ihren ursprünglichen Formen die Funktion der Identitätsstiftung und Gruppenbildung. Der emotionale Ausdruck steht dabei klar im Vordergrund, was auch dazu dient, die Zuhörerschaft zur unmittelbaren Reaktion zu animieren (vgl. Maultsby 1983: 55-59).

Bei der Soulnummer THINK lassen sich dementsprechend auf den Gospel zurückgehende Merkmale erkennen. Schon im als Klaviersolo gespielten Intro wird die im Gospel sehr häufig vorkommende plagale Akkordkombination aus IV. und I. Stufe verwendet. Danach setzt die restliche Band ein und die Lead-Stimme von Franklin tritt in den Vordergrund. Kurze Einwürfe der Background-Vocals erinnern hier stark an das Call-and-Response-Prinzip. Den Sologesang kennzeichnet in allen Teilen (Chorus, Verse 1, Chorus, Bridge A, Verse 2, Chorus, Verse 3, Chorus, Bridge B, Fade-Out) die impulsive Vortragsweise, die die emotionale Aussage des Songs ins Zentrum der Wahrnehmung rückt. Wie allgemein für den Soulgesang typisch schneidet Franklin auch in THINK häufig Töne von unten an, verschleift sie miteinander und schmückt gleiche Melodiephrasen bei ihrer Wiederkehr jedes Mal auf unterschiedliche Weise aus. Auch die Rhythmik der Stimme, die sich durch betontes Vorziehen und viele Synkopen auszeichnet, unterstreicht den kraftvollen Gestus.

Bei Betrachtung des Textes ergibt sich zunächst der Eindruck, dass sich ein weibliches Ich an das Gewissen eines männlichen Gegenübers richtet. Vor allem der Abschnitt “You need me / And I need you / Without each other / There ain’t nothin’ either can do” weist darauf hin, dass es sich um Forderungen nach Gleichberechtigung einer Frau gegenüber männlicher Bevormundung handelt. Diese Interpretation erfährt aber nach Veröffentlichung des Songs eine Umdeutung: Begünstigt durch das Erscheinungsdatum kurz nach Martin Luther Kings Tod wird THINK stark mit den Emanzipationsbestrebungen der Schwarzen in Verbindung gebracht. Vor allem die einprägsame Bridge, die textlich rein aus dem Schlagwort “Freedom” besteht, welches in aufsteigender Tonfolge insgesamt acht Mal wiederholt wird, unterstützt diese Deutungsweise. Somit spielen in THINK die beiden öffentlichen Bilder von Aretha Franklin – jenes der emanzipierten Frau und jenes der Bürgerrechtskämpferin – zusammen.

IV. Rezeption

THINK schaffte es auf Platz 7 der Billboard Hot 100 Single Charts und wurde somit zum siebten Top-10-Hit von Franklin in den USA. In den Billboard Rhythm & Blues Single Charts erlangte der Song sogar Platz 1. Außerhalb der USA belegte THINK eher mittelmäßige Platzierungen. Nur in Frankreich reichte es für den vierten Platz und in Kanada für den siebten. Obwohl dies den Eindruck erweckt, THINK zähle nicht zu den absoluten Top-Hits von Franklin, wurde der Song beispielsweise von Pitchfork Media zur Nummer 15 der 200 Greatest Songs of the 1960s und vom Time Out Magazine zur Nummer 71 der 100 Songs that changed history ernannt.

An Bekanntheit gewann der Song zusätzlich durch seine Wiederaufnahme 1980 im Film The Blues Brothers. In Franklins knapp fünfminütigem Auftritt spielt sie die Rolle der Mrs. Murphy, die gemeinsam mit ihrem Ehemann ein Imbiss-Lokal betreibt. Die Blues Brothers besuchen das Restaurant mit dem Bestreben, ihre alten Bandmitglieder wieder zusammenzuführen, zu denen auch Mr. Murphy zählt. Um ihren Ehemann davon zu überzeugen, nicht mit den Blues Brothers mitzugehen, singt Franklin eine erweiterte Version von THINK, was aber ohne Erfolg bleibt. In dieser Szene wird THINK vor allem zum Ausdrucksmittel einer Frau, deren Meinung gegenüber jener ihres Mannes nichts wert ist. Dies wird durch die Aussage von Mr. Murphy vor Beginn des Songs verdeutlicht: “I am the man and you are the woman and I’m making the decisions.” Die Verwendung von THINK in einem Film, der die wichtigsten Soulinterpreten und -songs innerhalb einer Rahmenhandlung präsentiert, zeigt, welch großen Stellenwert der Song innerhalb des Genres Soul einnimmt.

MAGDALENA FRAISS


Credits

Lead-Gesang, Klavier: Aretha Franklin
Background Vocals: “The Sweet Inspirations” – Cissy Drinkard, Myrna Smith, Estelle Brown, Sylvia Shernwell
Trompete: Wayne Johnson
Tenorsaxophon: Andrew Love, Charlie Chalmers
Baritonsax: Floyd Newman, Willie Bridges
Orgel: Spooner Oldham
E-Gitarre: Tommy Cogbill, Jimmy Johnson
E-Bass: Jerry Jemmott
Schlagzeug: Roger Hawkins
Autor: Aretha Franklin, Ted White
Produzent: Jerry Wexler
Label: Atlantic Records
Aufnahmedatum: 16. Dezember 1967 – 18. April 1968 (Album)
Veröffentlichung: 2. Mai 1968 (Single), 14. Juni 1969 (Album)
Spieldauer: 2:16

Recordings

  • Aretha Franklin. “Think / You Send Me”, 1968, Atlantic Records 2518, USA (Vinyl/Single).
  • Aretha Franklin. “Think”. On: Aretha Now, 1968, Atlantic Records, 8186, USA (Vinyl/Album).
  • Aretha Franklin. “Think”. On: Aretha’s Gold, 1969, Atlantic Records SD8227, USA (2xLP/Compilation).
  • The Blues Brothers feat. Aretha Franklin. “Think”. On: The Blues Brothers (Original Soundtrack Recording), 1980, Atlantic Records, SD 16017, USA (Vinyl/Album).
  • Aretha Franklin. “Think”. On: Queen of Soul: The Atlantic Recordings, 1992, Atlantic/Rhino Records, D217051/R2 71063, USA (4xCD/Compilation).
  • Aretha Franklin. “Think”. On: Greatest Hits, 1998, Warner.ESP, RADCD110, UK & Europe (2xCD/Compilation).

Covers

  • Lonnie Smith. “Think”. On: Think!, 1969, Blue Note Label, BST 84290, USA (Vinyl/Album).
  • Bossa 70. “Think”. On: Bossa 70, 1970, Philips Records, 6350-003, Brazil (Vinyl/Album).
  • Joan Osborne. “Think”. On: How Sweet It Is, 2002, Compendia, 9365, USA (CD/Album).
  • Katharine McPhee. “Think”. On: American Idol Season 5: Encores, 2006, RCA Records, 82876-85757-2, USA (CD/Compilation).
  • Lorena. “Think”. On: De Pelicula, 2008, Sony BMG, 886972886022, Spain (CD/Album).
  • Jack Vidgen. “Think”. On: Yes I Am, 2011, Sony Music, 0886979685321, Australia (CD/Album).

References

  • Castellini, Michael: Sit in, Stand up and Sing out!: Black Gospel Music and the Civil Rights Movement. Diss., Georgia State University 2013. URL: http://scholarworks.gsu.edu/history_theses/76 [12.11.15].
  • Guralnick, Peter: Sweet Soul Music. Rhythm and Blues and the Southern Dream of Freedom. New York: Harper Collins 1986.
  • Hirshey, Gerri: Nowhere to Run. The Story of Soul Music. New York: Da Capo Press 1994.
  • Landau, Jon: “Review: Aretha Franklin’s ‘Aretha Now’. In: Rolling Stone, 6 July 1968. URL: http://www.rollingstone.com/music/features/aretha-19680706 [12.11.15].
  • Maultsby, Portia K.: Soul Music. Its Sociological and Political Significance in American Popular Culture. In: Journal of Popular Culture 17 (1983), 51-60.
  • Rüscher, Jessica: Black Woman – Deep Blue. The Social and Political Impact of Female Blues Singers in the 1920s and 1960s: Bessie Smith, Ma Rainey and Aretha Franklin. Diplomarbeit, Universität Salzburg 2011.

Links

About the Author

Analysis written in a course of Prof. Dr. Nils Grosch at the University of Salzburg.
All contributions by Magdalena Fraiss

Citation

Magdalena Fraiß: “Think (Aretha Franklin)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/think, 04/2017.

Print