THESE BOOTS ARE MADE FOR WALKIN’ ist einer der größten Hits von Nancy Sinatra und markierte ihren Durchbruch als Popstar.
I. Entstehungsgeschichte
Der Song THESE BOOTS ARE MADE FOR WALKIN’ wurde von Barton Lee Hazlewood geschrieben und von Nancy Sinatra 1965 (Single) bzw. 1966 (Album) veröffentlicht. Nancy Sinatra war seit 1961 bei dem Label ihres Vaters Frank Sinatra unter Vertrag, konnte bis dahin aber noch keinen nennenswerten Hit landen, obschon sie bereits 15 Singles auf den Markt gebracht hatte. Dies sollte sich mit THESE BOOTS ARE MADE FOR WALKIN’ ändern. Ursprünglich war ein männlicher Songinterpret vorgesehen, doch Nancy drängte – letztlich erfolgreich – darauf, ihn selbst singen zu dürfen. Ein Garant für den späteren Songerfolg war sicher die Tatsache, dass das Stück bei der Aufnahme in den Western Recorders Tonstudios (Arrangement: Billy Strange) von überaus namhaften Studio- und Sessionmusikern, der legendären Wrecking-Crew, eingespielt wurde.
Zwischen 1966 und 1968 schaffte es Nancy Sinatra dann sowohl als Solointerpretin wie auch als Duo-Partnerin (u. a. mit ihrem Vater Frank Sinatra, s. “Something Stupid”) zehnmal in die US-amerikanischen Top 40.
II. Kontext
Ein weiterer wichtiger Erfolgsfaktor war der historische und gesellschaftspolitische Kontext, in welchem der Song der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Bereits in den 1950er-Jahren gab es emanzipatorische Entwicklungen, bei denen Frauen die gleichen Rechte wie Männer einforderten. In den 1960er-Jahren entstand daraus eine regelrechte Bewegung. Frauen wie Betty Friedan (Der Weiblichkeitswahn, 1963) und Simone de Beauvoir (Das andere Geschlecht, 1949) rechneten in ihren Büchern mit der typischen Frauenrolle ab und gaben den Frauen ein neues Selbstbewusstsein. Die BH-Verbrennung in Atlantic City im Jahre 1968 ist wohl eine der bekanntesten Protestaktionen jener Zeit.
Doch nicht nur für die Emanzipation der Frauen waren die 1960er-Jahre ein prägendes Jahrzehnt. Die gesamte Jugendkultur unterlag in dieser Zeit einem Wandel. Aufgrund des Vietnamkrieges trieb es viele, vor allem junge Menschen auf die Straßen, um gegen selbigen zu demonstrieren. Man traute sich zunehmend, sich von den durch Eltern vorgelebten Zwängen zu lösen und ein freieres, selbstbestimmteres Leben anzustreben. Zusätzlich legte die Bürgerrechtsbewegung Missstände hinsichtlich der rechtlichen und sozialen Situation der afroamerikanischen Bevölkerung offen. All diese gesellschaftlichen Strömungen fanden Ausdruck in Musik, Kunst und Mode der 1960er-Jahre. Die Hippie-Kultur/counterculture ist wohl eine der bekanntesten Ausprägungen jener Zeit. Allgemein gesprochen waren Protest, Freiheitbestrebung und der Wunsch nach mehr Selbstbestimmung die Grundmotive, aus denen sich die Handlungsdynamiken der jungen Menschen speisten.
So ist auch der Song THESE BOOTS ARE MADE FOR WALKIN’ ein Protestsong, welcher die Ungleichheiten zwischen Mann und Frau anprangert und keinen Zweifel daran lässt, dass die Protagonistin unabhängig ist und sich nicht mehr von Männern dominieren lassen will. Nancy Sinatra prangerte die prüden Moralvorstellungen an und provozierte bei (TV-)Auftritten mit ihren knapp gewählten Outfits und Performances.
III. Analyse
In struktureller Hinsicht fällt auf, dass THESE BOOTS ARE MADE FOR WALKIN’ dem konventionellen Bauprinzip von Popsongs entspricht: Achttaktige Strophen wechseln sich dreimal mit viertaktigen Refrains ab. Eher untypisch im Vergleich zu anderen Popsongs ist das offene bzw. ausgefadete Ende des Songs.
Das Instrumentalarrangement besteht aus einem Schlagzeug in Kombination mit einem Schellenring, einem gezupften Kontrabass, einem E-Bass, einer akustischen Gitarre und einer Brass-Section (Tenorsaxofon, Posaune, Trompete). Ausgehend von der Grundtonart E-Dur, beinhaltet der Song die Akkorde E, E7, A, G, Em, wobei schon im E-Dur-Intro ein instabiler Schwebezustand zwischen E-Dur und e-Moll hörbar wird. In der Strophe erfolgt nach vier Takten der Wechsel von der Tonika zur Subdominante A-Dur und wieder zurück, im 4-taktigen Refrain wechselt die Mediante G-Dur halbtaktig zur Mollparallelen bzw. Molltonika e-Moll, wodurch das harmonische Wechseltempo beschleunigt wird.
Beim genauen Hören wird deutlich, dass die formale Struktur und das Instrumentalarrangement akkurat auf die Textaussage bzw. Songdramaturgie abgestimmt sind: So beginnt das Stück mit einem viertaktigen Intro, welches durch seinen markanten, chromatisch absteigenden, mit zwei Achteln pro Zählzeit gespielten Basslauf besticht. Dieser wird nur von der akustischen Gitarre begleitet, die sich aber eher im Hintergrund hält. Im dritten Takt setzt ein Schellenkranz ein, dessen Off-Beat-Rhythmus die Gleichförmigkeit der zuvor gespielten Figur aufbricht (der Bass spielt nun in Vierteln auf den Zählzeiten 1 und 3 den Grundton E). Die nun folgende achttaktige Strophe wird von einem kurzen Schlagzeug-Fill-In eingeleitet. Nach den Strophen folgt stets ein viertaktiger Refrain, der wiederum in ein viertaktiges Interlude mündet, das identisch ist mit dem Songintro. In diesen Überleitungsteilen pausiert das – ohnehin eher verhalten spielende – Schlagzeug, so dass mit dem Rhythmus des Schellenkranzes eine Zäsur markiert und zugleich die nachfolgende Strophe dramaturgisch vorbereitet wird.
Durch die bereits erwähnten halbtaktigen Akkordwechsel wirkt der Chorus deutlich lebendiger. Auch der Bass tritt hier wieder mehr in den Vordergrund, er leitet den Refrain (und die folgenden Strophen) mit einer absteigenden chromatischen Tonfolge ein, wobei die Tonhöhen durch Bending verfremdet sind, im Refrain selbst wechselt er zwischen den Grundtönen von G-Dur und e-moll. Im vierten Takt des Chorus stoppen dann alle Instrumente beim Break und Nancy Sinatra singt a capella: “… are gonna walk all over you”. Offensichtlich soll dadurch das Augenmerk auf ebendiese Textstelle gerichtet werden (vollständig: “one of these days these boots are gonna walk all over you”). Eine im Song direkt angesprochene (männliche) Person wird mit ebendiesen Stiefeln, die für das lyrische Ich perfekt zum Laufen und Tanzen gemacht sind, förmlich überrannt und – zumindest in Gedanken – erniedrigt. Und die Zentralaussage des Songtextes, gleichsam die Verurteilung der angesprochenen Person, wird text- und musikdramaturgisch stringent vorbereitet, indem das angeklagte “You” in jeder Strophenzeile mit neuen Anschuldigungen konfrontiert wird und seine Unehrlichkeit wie sein Fehlverhalten entlarvt werden. Das betrogene und verletzte lyrische Ich hegt erkennbare Rachegefühle, ist entschlossen, seinem Ex-Freund/-Liebhaber mit den Stiefelabsätzen eine schmerzhafte Lehre zu erteilen und wirkt dennoch außerordentlich gefasst. Passend dazu ist die Gesangstimme gleichförmig strukturiert, beinahe monoton und in der vokalen Interpretation fast unterkühlt. Es gibt kaum große Intervallsprünge in der Vokalmelodie und der Ambitus geht nicht über eine Oktave hinaus: keine emotionalen Ausbrüche, keine hysterischen Racheschwüre, weder textlich noch musikalisch. Wie in einem Gerichtsverfahren werden die Verfehlungen des Angeklagten zunächst emotionslos verkündet, bis das Vorhaben des lyrischen Ichs, sich eines Tages zu rächen, immer evidenter wird und schließlich in der Aufforderung gipfelt: “Are you ready boots? Start walkin’!” Die dramatische Steigerung bis zum Songfinale wird musikalisch besonders von der Bläser-Sektion akzentuiert: Sind es in der zweiten Strophe zunächst mehrstimmige, dezent intonierte Liegetöne, spielen Tenorsaxofon, Trompete und Posaune in der dritten Strophe sowie im nachfolgenden Chorus rhythmisch prägnante Fills und treten im instrumentalen Outro deutlich in den Vordergrund. Damit werden der Tatendrang und die bevorstehende Tat der Protagonistin bzw. der “walking boots” gleichsam musikalisch symbolisiert, bevor der Song ebenso überraschend wie erzählerisch offen mit einem Fade-out endet.
Ein im Songtext häufig verwendetes Wort ist “keep”: “You keep lying …”, “You keep playing …”, “You keep losing …”. Denn das, was die verletzte Protagonistin nüchtern beklagt, ist kein einmaliger Fauxpas, sondern ein Dauerzustand, ein zwanghaftes Verhalten, das das “You” nicht unterlassen kann (“You keep playin’ where you shouldn’t be playin'”). Damit werden auch die Rachegefühle des lyrischen Ichs legitimiert. Ebenfalls zum Ausdruck kommt im Songtext eine emanzipierte Haltung, die von farbigen US-Blues- und Soulsängerinnen zwar schon viel früher selbstbewusst artikuliert wurde, im Mainstream-Pop Mitte der 1960er-Jahre aber keineswegs selbstverständlich war. Dieses emanzipatorische Moment wird ebenso im Musikvideo, genauer gesagt im Scopitone-Film (1966, Color-Sonics; vgl. zum Scopitone Hörner 2015), von Nancy Sinatra visuell dargestellt: Eingerahmt von jungen, attraktiven Tänzerinnen, die zeittypisch kurze Miniröcke und Stiefel mit hohen Stiletto-Absätzen tragen, demonstriert die Interpretin mit ihrem Outfit, ihren Bewegungen und ihren teils provokanten Gesten weibliche Erotik ebenso wie Selbstbewusstsein, Coolness und Kalkül.
IV. Rezeption
Die Single erreichte bei Charteintritt am 26. Februar 1966 direkt den ersten Platz der US-amerikanischen Charts. Hier konnte sie sich jedoch nur eine Woche behaupten. Im März, also nur einen Monat nach Veröffentlichung, erhielt die Single die Goldene Schallplatte. Schon acht Wochen nach dem Release hatte sie sich eine Million Mal verkauft. Doch auch in anderen Ländern konnte der Song Erfolge feiern. So wurden in Großbritannien über 250.000 und in Deutschland mehr als 400.000 Platten verkauft. Weltweit wurde sie ca. 4 Millionen Mal verkauft, in sieben weiteren Ländern konnte sie den ersten Platz der Charts erreichen.
Im Jahr 2006 wurde der Song in der “Pitchfork Medias Liste” der besten 1960er-Hits auf Platz 114 gewählt. Der Titel diente weiterhin als Anspielung auf einen Bahnarbeiter-Streik, war in einigen Kinofilmen Bestandteil des Soundtracks (z. B. Full Metal Jacket, 1987) und wird international immer wieder im Radio gespielt, beispielsweise bei Features über die 1960er-Jahre.
HEIDI WALRAVEN
Credits
Text & Music: Barton Lee Hazlewood
Vocals: Nancy Sinatra
Arrangement: Billy Strange
Year: 1966 (Album), 1965 (Single)
Label: Reprise Records
Recordings
- Nancy Sinatra. “These Boots Are Made for Walkin'”. On: These Boots Are Made for Walkin’, 1965, Reprise Records, 0432, US (Vinyl/Single).
- Nancy Sinatra. Boots, 1966, Reprise Records, RS-6202, US (Vinyl/Album).
References
- Anon.: “Zieh dich aus”. In: Der Spiegel 24 (1967). URL: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46251996.html [22.05.2018].
- Hörner, Fernand: “Le scopitone. Une (r)évolution audiovisuelle?”. In: Das französische Chanson im Spiegel seiner medialen (R)evolutionen. La chanson française à la lumière des (r)évolutions médiatiques. Ed. by Fernand Hörner and Ursula Mathis-Moser. Würzburg: Königshausen & Neumann 2015, 191–207.
- Hutzinger, Birgit: “Die Counterculture. Jugendkultur in den 60’ern”. In: aurora-magazin.at (1997). URL: http://www.aurora-magazin.at/wissenschaft/hutzinger.htm [22.05.2018].
- Schmidtke, Michael: Der Aufbruch der jungen Intelligenz. Die 68er Jahre in der Bundesrepublik und den USA. Frankfurt a. M.: Campus 2003.
Links
- http://www.laut.de/Nancy-Sinatra [22.05.2018].
- http://www.songfacts.com/detail.php?id=2630 [22.05.2018].
- http://everything.explained.today/These_Boots_Are_Made_for_Walkin’/ [22.05.2018].
- http://www.allmusic.com/song/these-boots-are-made-for-walkin-mt0033961939 [22.05.2018].
About the Author
Citation
Heidi Walraven: “These Boots Are Made for Walkin’ (Nancy Sinatra)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/these-boots-are-made-for-walkin, 12/2020.
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