1953
LaVern Baker

Soul On Fire

Mit SOUL ON FIRE trägt sich die 24jährige Sängerin LaVern Baker 1953 erstmals in die US Rhythm & Blues-Charts ein. Nur wenig später gehört sie zu den wichtigsten afroamerikanischen Acts ihrer Zeit und, weniger aus musikalischen Gründen als wegen ihrer Erfolge in den Popular Music Charts zwischen 1955 und 1958, zu den wenigen weiblichen Stars des Rock’n’Roll. Musikalisch ist der Song ein historisches Bindeglied zwischen Gospel und Rock’n’Roll und dokumentiert damit eine zentrale Traditionslinie US-amerikanischer Popmusik in den 1950er Jahren.

 

I. Entstehungsgeschichte

LaVern Baker hatte im Frühjahr 1953 einen Vertrag bei New Yorker Produktionsfirma Atlantic Records unterschrieben, einem der wichtigsten jungen, unabhängigen Labels für afroamerikanische Musik (gegründet 1947). Hier entstanden in einer Aufnahmesitzung am 19. Juni 1953 mit Baker und einer sechsköpfigen Band, die der Atlantic Records-Katalog als Gene Redd’s Orchestra aufführt, die Songs “You’ll Be Crying”, “How Can You Leave A Man Like This”, “Set My Soul On Fire” und “Real Gone Guy”. Redd war verantwortlich für die Arrangements, die als Nr. 1077-1080 im Atlantic-Katalog verzeichnet und daher aller Wahrscheinlichkeit nach auch in dieser Reihenfolge aufgenommen worden (Atlantic Records Discography 1953). Die Aufnahmeleitung hatten Ahmet Ertegun und Jerry Wexler. Die beiden mittleren Songs wurden anschließend für Bakers erste Single ausgewählt. Sie erschien am 29.08.1953 mit dem prägnanteren Titel SOUL ON FIRE auf der A-Seite als Atlantic Single 45-1004, sowohl im damals noch recht neuen 45rpm-Format als auch in einer 10“-Schellack-78rpm-Version. Bakers Vorname wird auf der Single in der Schreibweise LaVerne angegeben und Redds Band firmiert als namenloses ‘Orchestra’. Die in Chicago geborene LaVern Baker (auch: Delores LaVern Evans, 1929–1997) hatte sich 1951 zunächst Bea Baker genannt, als sie für Okeh Records Aufnahmen machte, 1952 firmierte sie dann unter dem Namen LaVern Baker und stand zusammen mit Todd Rhodes und seiner Band bei King Records unter Vertrag. Als Autoren/Komponisten von SOUL ON FIRE werden auf der Erstauflage Baker und ‘Jermet’ genannt, letzteres ist ein Pseudonym der beiden Produzenten, das auf ihre Vornamen anspielt. Beide Seiten der Single wurden 1957 auf Bakers Album Lavern Baker (Atlantic LP 8007) erneut veröffentlicht, während “You’ll Be Crying” bereits ein Jahr zuvor auf dem Album La Vern (Atlantic LP 8002) erschien. Der vierte Song blieb unveröffentlicht.

 

II. Kontext

Wie die meisten der mindestens zeitweilig unabhängig von den großen, marktbeherrschenden Unternehmen geführten Plattenfirmen, wurde Atlantic Records Ende der 1940er Jahre gegründet, als Studiozeit und Aufnahmetechnik zunehmend erschwinglich waren und sich der Musikmarkt zusehends diversifizierte. Im Gegensatz allerdings zu vielen kleinen Labels, die oft nur kurze Zeit existierten und mit wechselndem Erfolg auf schnelle Verkaufshits setzten, widmete sich Atlantic dem mittel- bis langfristigen Künstler*innenaufbau (Ward 1998: 21–25). Mitte der 1950er Jahre geführt von Jerry Wexler und den Brüdern Ertegun und geprägt vom Songwriter-Duo Leiber / Stoller sowie dem Toningenieur Tom Dowd und einer exzellenten Studioband, profilierte sich das Label mit Rhythm&Blues, Jazz und Doo-Wop-Aufnahmen, die stilprägenden Einfluss gewannen. 1953 standen neben der jungen Baker unter anderem die Rhythm&Blues-Stars Ruth Brown, Ray Charles, Joe Morris, Joe Turner und die erfolgreichen Doo-Wop-Gruppen The Cardinals, The Clovers, Clyde McPhatter & The Drifters und The Chords bei Atlantic (bzw. Sublabels) unter Vertrag. In Chicago hatte Baker ihre Laufbahn 17-jährig mit der Aufführungspersona einer in grobe Baumwolle gekleideten ‘Miss Sharecropper’ begonnen. Wie die meisten US-afroamerikanischen Show-Acts in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, verkörperte sie damit auf der Bühne eines der von rassistischen Untertönen begleiteten Stereotypen in der Tradition der Black Minstrelsy des 19. Jahrhunderts, die wenig über das tatsächliche Leben der ehemaligen Sklaven und ihrer Nachkommen verrieten, aber vieles über die Erwartungen und Sehnsüchte der US-amerikanischen Mehrheitsgesellschafts (Hähnel 2015). Bei Atlantic zielte Baker allerdings auf das euroamerikanische Teenager-Publikum und entwickelte dazu eine neue, elegant gekleidete und von erotischer Ausstrahlung umwehte Bühnenpersona. ‘The Tweedlee Dee Girl’, wie man Baker nach ihrem Hit von 1954 nannte, trat Mitte der 1950er Jahre regelmäßig im Fernsehen auf, spielte Filmrollen (Rock, Rock, Rock 1956, Mr. Rock and Roll, 1957) und war Teil verschiedener Rock’n’Roll-Packages mit afro- und euroamerikanischen Stars wie Fats Domino, Chuck Berry, Bill Haley und den Everly Brothers (Bielefeldt 2015: 396). Eine Ahnung von Bakers Bühnenpräsenz als überstrahlende Diva der Rock’n’Roll-Ära vermittelt Deffaa (1996: 181): “Even the way that she sometimes innocently yet coyly stuck a finger in her mouth at the conclusion of a song struck some fans as sensual. A tone Brooklyn theater appearance, one Baker fan was so excited by her performance that he jumped onto the stage, screaming, and bit her while she sang. She kept singing – with his teeth locked on her hand.”

 

III. Analyse

Wie viele R&B-Balladen der frühen 1950er Jahre, basiert SOUL ON FIRE auf einem vom nah am Mikrophon aufgenommenen, vom Hi-Hat dominierten ternären Puls, auf den sich Klavier, Gitarre und Bass mit ihren Figuren beziehen, sowie liegenden Harmonietönen in den beiden Saxophonen. Harmonisch spielen IV-II-V-I-Verbindungen (Intro, 2. Teil der Strophen), das Pendeln zwischen I. und IV. Stufe zu Beginn der Strophen und der Wechsel zwischen Es-Dur und der Paralleltonart C-Moll (mit F-Moll und G-Moll als IV. und V. Stufe) im Refrain eine bestimmende Rolle. Die 16-taktige Form ist ebenfalls stereotyp gebaut, nach einem viertaktigen Intro folgen drei Durchgänge der 12-taktigen Strophe mit jeweils anschließendem 4-taktigen Refrain. In der vokalen Stilistik Bakers deutet sich der Transfer aus dem Gospel stammender Gestaltungsmittel in R&B, Black Pop und Soul an, wie er von Baker und anderen Sänger*innen ab Mitte der 1950er Jahre praktiziert wurde. Baker arbeitet mit expressiven Steigerungen von Tonlage und Lautstärke, mit der sich auch die Rauheit ihres Timbres erhöht (z.B. “my soul on” im 1. Refrain, 0:54-55, wo starke Growls zu hören sind). Einzelne Worte (“really”, 1:01) oder Melodiewendungen mit Abwärtskontur am Phrasenende gestaltet Baker in Verbindung mit schnellen, melismatischen Ornamenten (“only one”, 0:21, “down”, 0:36, “won”, 0:51). Melismen werden von ihr gerne mit Silbeninterpolationen verbunden, die sie durch eingeschobene h’s erzeugt (“no-how”, 0:52, “fi-hi-re”, 0:57, “live”). Herausgehobene Töne, wie das rau ausgesungenen “all (by myself)” in der 2. Strophe (1:18), verziert sie mit Wechselnoten nach oben. Eine weitere charakteristische Eigenheit ihres Gesangs ist ein schnelles Vibrato mit geringerer Amplitude, das bei leiseren Tönen in tiefer Lage zu hören ist. Baker wechselt dabei zwischen mit starkem Vibrato gestaltetem Belting und obertonreichen, stärker behauchten Tönen hin und her, die mit kehligerem Stimmsitz erzeugt sind. Dem Höreindruck nach verkürzt Baker bei einigen Stellen die Distanz zum Mikrofon, wodurch auch leise Atemgeräusche und angedeutete Seufzer hörbar werden. Eine weitere Eigenheit von Bakers Gesang ist der Einsatz eines brechenden oder kurz wegbleibenden Stimmklangs (“forever”, 1:37). Insgesamt verorten all diese Elemente Baker in der Tradition des Gospelgesangs, den sie über ihre Pop-affinen R&B-Songs, nicht zuletzt aber auch ihre mediale Präsenz und Teilhabe an den Rock’n’Roll-Packages bis in den Black Pop um 1960 und die damals im Entstehen begriffene Soul Music transportiert.

 

IV. Rezeption

Obwohl er kein großer Verkaufserfolg war, ebnete SOUL ON FIRE Lavern Baker den Weg an die Spitze des zeitgenössischen R&B. Immerhin war der Song der Musikzeitschrift Billboard eine Kurzrezension wert. Bakers “blues-singing thrush does a fine job on a most attractive blues-ballad opus while the ork backs her with a strong beat and driving cymbals. Good wax this”, heißt es dort (zitiert bei Graham Read). 54 Jahre später war SOUL ON FIRE im ursprünglichen Soundtrack der Musik zum Film Angel Heart (1987) enthalten, wurde allerdings nicht in den Original Official Soundtrack aufgenommen. 1991 gab der Song einer retrospektiven Compilation von Baker den Namen (Soul On Fire – The Best Of LaVern Baker, Atlantic). Bei Spotify rangiert SOUL ON FIRE in der Liste der “50 Best Torch Songs Ever” (2014).

CHRISTIAN BIELEFELDT


Credits

Vocals: LaVern Baker
Tenor sax: Freddie Mitchell
Baritone sax: Ernest ‘Pinky’ Williams
Piano: Hank Jones
Guitar: Jimmy Lewis
Bass: Lloyd Trotman
Drums: Sylvester ‘Vess’ Payne
Authors: Jermett (Jerry Wexler, Ahmet Ertegun), LaVern Baker
Arrangement, musical direction: Gene Redd
Producers: Jerry Wexler, Ahmet Ertegun
Recorded: 19.06.1953 (New York City)
Released: 29.08.1953 (Atlantic Records Nr. 45-1004, Vinyl, 7”, 45 RPM, Single)
Length: 2:51 min.

Recordings

  • LaVerne Baker. “Soul On Fire / How Can You Leave A Man Like This?”, 1953, Atlantic Records 45-1004, USA. 7” Vinyl Single, 45 rpm.
  • LaVern Baker, “Tweedlee Dee / Tomorrow Night”. 1954, Atlantic Records 45-1047, USA, 7“ Vinyl Single, 45rpm.
  • LaVern Baker. “Soul On Fire”. On: LaVern Baker, 1956, Atlantic LP 8002, USA, LP.
  • LaVern Baker, “You’ll Be Crying”. On: LaVern Baker, 1956, Atlantic LP 8002, USA, LP.
  • LaVerne Baker and The Gliders, “Jim Dandy / Tra la la”. 1956, Atlantic Records Nr. 45-1116, USA, 7” Vinyl Single, 45rpm.
  • LaVern Baker. LaVern Baker Sings Bessie Smith, 1958, Atlantic SD 1281, USA, LP.
  • LaVern Baker. “Soul On Fire”. On: Soul On Fire. The Best Of LaVern Baker, 1991, Atlantic 7 82311-2, USA, CD.

References

  • Anon.: “Atlantic Records Discography 1953”. In: Jazzdisco.org. URL: https://www.jazzdisco.org/atlantic-records/discography-1953/ [13.03.2023]
  • Bielefeldt, Christian: ‘Bring It On Home to Me’. Anfänge des Soulgesangs. In: Stimme Kultur Identität. Vokaler Ausdruck in der populären Musik der USA, 1900-1960. Ed. by Martin Pfleiderer, Tilo Hähnel, Katrin Horn, Christian Bielefeldt. Bielefeld 2015, 371–424.
  • Deffaa, Chip: Blue rhythms: six lives in rhythm and blues. Urbana, IL, 1996.
  • Hähnel, Tilo: ‘Blues Falling Down Like Hail’. Vokaler Ausdruck in drei Spielarten des Blues. In: Stimme Kultur Identität. Vokaler Ausdruck in der populären Musik der USA, 1900-1960. Ed. by Martin Pfleiderer, Tilo Hähnel, Katrin Horn, Christian Bielefeldt. Bielefeld 2015, 233–270.
  • Pfleiderer, Martin: Say it loud – I’m black I’m proud. Soul und Funk zwischen plitischem Engagement und Cross-over. In: Populäre Musik. Geschichte – Kontexte – Forschungsperspektiven. Ed. by Ralf v. Appen, Nils Grosch, Martin Pfleiderer. Laaber 2014, 154–164.
  • Read, Graham: LaVern Baker – Soul On Fire (1953). On: Elsewhere. Wide angle reviews, interviews and opinion on music, travel and the arts by writer Graham Reid. URL: https://www.elsewhere.co.nz/fromthevaults/5192/lavern-baker-soul-on-fire-1953/
  • Ward, Brian: Just My Soul Responding. Rhythm and Blues, Black Consciousness, and Race Relations. Berkeley 1998.

Films

  • Rock, Rock, Rock. Regie: Will Price. DCA, USA, 1956.
  • Mr. Rock and Roll. Regie: Charles S. Dubin. Paramount Pictures, USA, 1957.
  • Angel Heart. Regie, Drehbuch: Alan Parker. Tri Star Pictures, 1987.

About the Author

Dr. Christian Bielefeldt works as a music teacher in Zurich.
All contributions by Christian Bielefeldt

Citation

Christian Bielefeldt: “Soul on Fire (LaVern Baker)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, https://www.songlexikon.de/songs/soul-on-fire, 03/2023.

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