1991
R.E.M.

Shiny Happy People

Neben „Losing My Religion“ ist SHINY HAPPY PEOPLE einer der bekanntesten Songs von R.E.M.s Durchbruchalbum Out of Time. Populär wurde er vor allem wegen des überschwänglichen Optimismus, der darin zum Ausdruck kommt. Dieser wurde aber nicht von allen Rezipient:innen gleichermaßen verstanden oder aufgenommen.

 

I. Entstehungsgeschichte

Nach der erfolgreichen Welttournee zu ihrem 1988 erschienenen Album Green, die in Atlanta 1989 endete, pausierte die Band ihre größeren Touren. Dies entsprach nicht dem damaligen Standard der Musikindustrie und hätte den weiteren Aufstieg der Band verhindern können (s. Hale 2020: 281). Eine Pause von Live-Auftritten bedeutete für die Band aber nicht eine Pause vom Komponieren. Peter Buck sagt über diese Zeit im Interview mit Peter Hogan: „After the ‘Green’-tour, we were not even supposed to talk to each other in 1990 until the end of March/beginning of April. Basically we’d been together for two years straight, with the record, rehearsals, then touring. So we said ‚Let’s get away, we need to get some time apart.‘ And we ended up rehearsing on January 6. […] Bill, Mike and I turned out about ten new songs in two weeks“ (Hogan 1995: 63). Bis in das Jahr 1995, in dem die Band mit ihrem neunten Album Monster erneut auf Welttournee ging, komponierte sie ihre beiden erfolgreichsten Alben Automatic for the People (1992) und Out of Time (1991). SHINY HAPPY PEOPLE ist der sechste Song des letztgenannten Albums und damit der erste Song der B-Seite der Schallplatte. Die Band nannte diese Seite „Memory Side“, während die A-Seite „Time Side“ getauft wurde. Dass auf der CD-Version diese Unterscheidung hinfällig ist, bedauerte Buck: „That’s what the record is about, […] but now there aren’t records any more. […] We kind of preferred to let the listener pick which side that they want to listen to first“ (Rosen 1997: 106). Unabhängig davon, mit welcher Schallplattenseite oder CD-Hälfte die Hörer:innen beginnen, sind bei den folgenden Songs nicht nur Mitglieder von R.E.M zu hören. Bei „Radio Song“ hört man zusätzlich den Rapper KRS-One und als Kontrast dazu bei SHINY HAPPY PEOPLE die Backing Vocals von Kate Pierson.

Die Band kannte Pierson aus ihrer gemeinsamen Heimatstadt Athens im US-Bundesstaat Georgia. Athens ist der Sitz der University of Georgia und damit die Heimat vieler Student:innen, die die Kultur einer alternativen Musikszene prägen. Im Jahr 2020 erschien die Monografie Cool Town. How Athens, Georgia, Launched Alternative Music and Changed American Culture von Grace Elisabeth Hale, das vom Entstehen dieser Szene und ihrem Einfluss auf die amerikanische Musik handelt. Hale beschreibt u. a. den Aufstieg der Band The B-52’s mit Pierson als Frontsängerin. Diese Band brachte noch vor R.E.M.s Erfolg der Stadt Athens große Popularität. In dem Erfolg von The B-52’s sieht Stefan Nink den Grund für die frühe vertragliche Bindung von R.E.M. an ein Plattenlabel. Talentscouts wussten, „dass eine Szene, die eine Band wie die B-52’s hervorbringt, wahrscheinlich mehr zu bieten hat“ (Nink 1995: 108). Auch wenn R.E.M. jede Verbindung zu der befreundeten Band The B-52’s herunterspielte (s. Gray 1992: 245), wurde sie gerade von R.E.M.-Sänger Michael Stipe geschätzt. Er sagte in einem Interview mit Matt Wilkinson, The B-52’s sei „this incredibly overlooked band in terms of their impact on contemporary music and post-punk music“ (Christie 2021).

Das Album Out of Time wurde in den John Keane Studios in Athens, den Bearsville Studios in Woodstock, New York und den Soundscape Studios in Atlanta, Georgia aufgenommen. Es ist nachträglich nicht mehr vollständig nachvollziehbar, welche Teile des Songs in welchem Studio aufgenommen worden sind. Laut einem Interview mit Devon Ivie wurde der Gesang von Pierson in einem Take aufgenommen und sie wurde gebeten, das zu tun, worauf sie Lust hätte. Es gab für sie keine Vorgaben oder Wünsche seitens der Bandmitglieder (s. Ivie 2021). Deshalb begann sie zusätzlich zu den Backing Vocals von Bassist Mike Mills über den Gesang von Stipe zu singen, so dass die titelgebende Zeile „Shiny happy people holding hands“ dreimal gesungen wird.

Für Werbezwecke wurde 1991 der Promotionsfilm Time Piece auf MTV gesendet, der inhaltlich ein Making-of in den John Keane Studios zu Out of Time darstellt. Zu sehen sind die Aufnahmen der Songs sowie Interviews mit den Bandmitgliedern, in denen sie über die Entstehung der Songs sprechen. SHINY HAPPY PEOPLE ist in diesem Film durch die Aufzeichnung des eben genannten Gesangs von Mills, Stipe und Pierson vertreten sowie durch eine akustische Version des Songs ohne Backing Vocals von Pierson.

Am 6. Mai 1991 erschien SHINY HAPPY PEOPLE als Single im Vereinigten Königreich und erreichte im September als vierte und letzte Single der Band die Top Ten der US-Billboard-Charts. Aufgrund des Erfolgs entschloss sich die Band ein Musikvideo zu drehen, welches noch im selben Jahr veröffentlicht wurde. Das Video wurde im Georgia Theater in Athens gedreht. Den Hintergrund, auf dem buntgekleidete Menschen und bunte Gebäude zu sehen sind, hatte die damalige fünfte Klasse der Oglethorpe Ave. Elementary School gemalt. Neben den Kindern dieser Klasse sind viele Freunde der Band aus Athens in der tanzenden Gruppe dabei, die ab der zweiten Hälfte im Video auftritt. Regie führte Katherine Dieckmann, die die Band bereits bei dem Musikvideo zu dem Song „Stand“ unterstützte (s. Rosen 1997: 113).

Am 13. April 1991 trat R.E.M. mit „Losing my Religion“ und SHINY HAPPY PEOPLE bei der US-amerikanischen Late-Night-Show Saturday Night Live auf (s. Gray 1992: 479). Bei letzterem kam Pierson hinzu, um sie zu begleiten. Bei späteren Live-Auftritten konnte Pierson nicht dabei sein und ihr Teil des Gesangs wurde weggelassen. Ebenso konnte die Band nicht immer auf ein Streicherensemble zurückgreifen. Deshalb wurden die Streicher am Anfang des Songs durch eine E-Orgel ersetzt. Diese Version ist vergleichbar mit der Demoversion des Songs, welcher auf dem Jubiläumsalbum Out of Time (25th Anniversay Edition) den Titel „Shiny Happy People 2 – Demo“ trägt. Das Jubiläumsalbum erschien im Jahr 2016 und enthält auf der ersten CD alle Songs des ursprünglichen Albums. Auf der zweiten CD befinden sich Demoversionen zu allen Songs außer „Endgame“ und „Half A World Away“.

 

II. Kontext

Die Band hatte Schwierigkeiten, einen geeigneten Titel für das Album zu finden. Zur Diskussion standen unter anderem Imitation Crabmeat, Last Train to Disneyworld, Love and Squalor oder The Return of Mumbles. Out of Time wurde schließlich gewählt, da das Album die Themen Liebe, Erinnerung und Zeit verarbeitet und die alternativ überlegten Titel Out of Memory und Out of Love wenig Sinn ergeben hätten (s. Rosen 1997: 106). Der Titel passt nicht nur inhaltlich zum Album, sondern auch in den damaligen musikhistorischen Kontext. Verglichen mit erfolgreichen Alben aus dem Jahr 1991 wie Metallica der gleichnamigen Band, Nevermind der Band Nirvana und Ten der Band Pearl Jam, fällt Out of Time wortwörtlich aus der Zeit. In den amerikanischen Subkulturen wurde der Grunge populär (mehr zu dieser Subkultur aus einer soziologischen Perspektive s. Grossmar 1996: 32–35), der sich als Gegenkultur zu den gängigen Rockströmungen entwickelte. SHINY HAPPY PEOPLE, das im Gegensatz zu „Losing my Religion“ mit einer klassischen Rockbandbesetzung mit Schlagzeug, E-Gitarre und E-Bass auskommt, bietet den direkten Gegensatz zu dieser Subkultur. Auch thematisch bildet der Grunge eine Anti-Ästhetik, die die eigentliche Verdorbenheit der Welt darstellen will. SHINY HAPPY PEOPLE kontert diese Thematik mit überschwänglichem Optimismus.

Denkbar ist jedoch, dass die ausgelassene Freude von SHINY HAPPY PEOPLE nicht das einzige Thema des Songs ist. In Frage kommt auch eine ironische Deutung des Textes, sodass der Song eine zynische Satire darstellen könnte. Zaleski schreibt: „R.E.M. certainly has songs that are cynical about government (‚Ignoreland‘), critical of politics (‚Exhuming McCarthy‘) or generally defiant (‚Second Guessing‘) […]“ (Zaleski 2021). Es wäre also durchaus denkbar, dass sich auch in SHINY HAPPY PEOPLE ein Kommentar zur politischen Situation der frühen 1990er Jahre findet. In einem Artikel beschriebt Joe Taysom, dass Stipe den Titel von einem chinesischen Propagandaplakat mit dem gleichnamigen Untertitel übernommen habe, welches auf die studentischen Proteste am Tian’anmen-Platz reagiert (s. Taysom 2020). Der Song wäre also zynisch-ironisch zu verstehen. Diese Deutung als eigentliche Aussage des Textes ergibt im Kontext des Musikvideos Sinn. Zu sehen ist ein älterer Mann, der auf eine Art Standfahrrad steigt und zu fahren beginnt. Dadurch wird eine Abrollvorrichtung in Gang gesetzt, auf die eine Rolle gespannt ist, die die gemalte Kulisse einer bunten Stadt mit bunt gekleideten Leuten zeigt. Vor dieser Kulisse fangen Stipe und Pierson an zu tanzen. Im Laufe des Videos schließen sich ihnen zusätzliche Tänzer:innen an. Die Fröhlichkeit der Menschen und die Musik wären demnach nur ein Schein, der erhalten werden muss, damit niemand die eigentlich wahre, grausame Realität erfährt. Diese Wahrung des Scheins hängt stark mit der Musik zusammen. Die anderen Bandmitglieder spielen alle auf Instrumenten, die im Song gar nicht zu hören sind. Mills spielt auf einem Kontrabass, obwohl auf der Aufnahme ein E-Bass zu hören ist. Berry spielt auf einer großen Trommel und Buck auf einer Mandoline, möglicherweise derselben, die in „Losing my Religion“ erklingt.

Leider lässt sich diese These nicht bestätigen. Weder in Interviews mit Stipe zu SHINY HAPPY PEOPLE noch in der veröffentlichten Literatur zur Band finden sich Hinweise auf diese ironische Metaebene. Stipe bezeichnet ihn als „kind of silly song“, der nicht anders verstanden werden soll. Der Song reagiere aber durchaus auf das politische Weltgeschehen, da er Hoffnung auf eine bessere Zeit machen soll: „It’s not a distraction from the world at large, but it is a sign of hope, and I say that with no irony. […] With anything that’s going on a global level right now, a song that will make people happy, and lift them out of the general melée of the world, is not a bad thing“ (Hogan 1995: 69–70).

 

III. Analyse

Die Analyse folgt einer Höranalyse des Songs sowie einem Arrangement für Klavier, Gitarre und Gesang der Band, das auf der Seite musicnotes.com veröffentlicht wurde. Zu der vierköpfigen Besetzung von R.E.M. treten auf instrumentaler Ebene hohe Streicher und auf vokaler Pierson hinzu. Pierson ist auch bei den Songs „Country Feedback“ und „Me in Honey“ desselben Albums zu hören. Die Struktur des Songs, der auf dem originalen Album wie auf der 25th Anniversary Edition 3:45 min lang ist, lässt sich durch folgende Strukturskizze beschreiben: Intro – Chorus – Verse 1 – Pre-Chorus – Chorus – Verse 2 – Pre-Chorus – Chorus – Bridge (Intro) – 5x Chorus. Das Intro ist acht Takte lang, kann aber nicht in zweimal vier Takte symmetrisch geteilt werden, da der letzte Takt der zweiten Taktgruppe bereits zur Tonart des folgenden Chorus moduliert. Es wird folglich nicht zu einem Verse, sondern zu einem Chorus übergeleitet. Dass nach dem Intro ein Chorus folgt, ist bei Popsongs für eine Veröffentlichung im Radio nicht unüblich (s. Appen Doehring 2014: 228) und zeigt, dass der Song an dieser Stelle bereits auf das Gitarrenriff als Wiedererkennungsmerkmal aufmerksam machen will. Der Chorus umfasst ebenso acht Takte, die symmetrische Teilung bleibt aber weiterhin bei diesem ersten Chorus aus, da das Gitarrenriff im letzten Takt des Chorus zum folgenden Verse überleitet. Verse 1 und Verse 2 sind mit 16 Takten jeweils doppelt so lang wie Intro und Chorus und setzen sich aus viermal vier Takten zusammen. Zum Chorus leitet nun der Pre-Chorus über, der im Verhältnis zu den anderen Teilen der kürzeste mit vier Takten ist. Die Länge der einzelnen Teile bleibt durch den gesamten Song gleich und nur der letzte Chorus wird, bis das Fade-Out beginnt, viermal wiederholt. Kurz bevor der Song endet, erklingt die fünfte und letzte Wiederholung, von der allerdings nur noch der Anfang zu hören ist. Dem Song liegt also eine einfache periodische Struktur zugrunde. Eine Analyse der Melodik, Harmonik und Rhythmik zeigt, dass die gleichmäßig wirkenden Teile einander kontrastieren, wodurch sich die Popularität des Songs erklären lässt.

Das Intro beginnt mit einer Streichermelodie, die sich harmonisch ohne eindeutige Kadenzierung zwischen e-Moll und G-Dur bewegt. Rhythmisch befindet sich die Melodie in einem langsamen 6/8-Takt. Am Ende der ersten viertaktigen Gruppe kündigt sich bereits die Überleitung zum Chorus an. Die beiden C-Dur-Akkorde sind durch die Streicher um die große Sexte a erweitert, wodurch die Harmonie auch als a-Moll mit Terz im Bass gedeutet werden kann und die harmonische Zweideutigkeit fortgesetzt wird. Im letzten Takt des Intros bewegen sich die Streicher von c nach g abwärts und der E-Bass in Sprüngen von c nach c aufwärts.

Im Chorus wechselt das Taktmaß zu einem fast doppelt so schnellen 4/4-Takt. Die Tonalität bleibt weiterhin unklar. Für die Tonart A-Dur spricht die häufige harmonische Verbindung der Akkorde E-Dur und A-Dur. Die letzte Verbindung ist eine Kadenz und wird im letzten Refrain fünfmal wiederholt. Für die Tonart E-Dur spricht das Prinzip des Endens auf der vierten Stufe, das sich im Intro andeutete und im Chorus fortgesetzt wird. Ebenso ist das Gitarrenriff um den Ton e zentriert, jedoch nutzt es mit den Tönen fis, e, h und cis Material, das sowohl der A-Dur-Pentatonik als auch der E-Dur-Pentatonik inhärent ist. In jedem Fall verstärkt das Gitarrenriff den Kontrast zum Intro. Die Melodie der Streicher, die im Intro immer auf der schweren Zählzeit beginnt und dadurch das walzerhafte Gefühl verstärkt, wird durch eine elektrische Gitarre als neues Melodieinstrument abgelöst. Diese neue Melodie beginnt eine Achtel nach der schweren Zählzeit. Unter dieser Melodie setzt eine akustische Gitarre die drei Akkorde H-Dur, E-Dur und A-Dur. Der Verse besteht ebenso aus nur drei Akkorden, aus fis-Moll, A-Dur und E-Dur.

Im Pre-Chorus ergeben sich kleinere harmonische Besonderheiten. Nach dem letzten E-Dur des Verse erklingt auf einmal ein G-Dur-Akkord. Der Bass steigt in der zweiten Takthälfte von g zu fis ab hin zum e und weiter zum d, bevor er zum e zurückkehrt.

Besonders ist auch das nochmalige Erklingen des Intros in Form der Bridge nach dem dritten Chorus. Es kommt mit einer kurzen Vorbereitung durch ein Ritardando. Dadurch wird noch einmal der Kontrast des Intros hervorgehoben und es ergibt sich, wie am Anfang des Songs, die Möglichkeit, das Gitarrenriff durch den Übergang hervorzuheben.

Die Stimmen von Pierson, Mills und Stipe liegen in normaler Lautstärke über den Instrumenten. Die Melodie von Stipes steigt im Verse von fis zu cis auf und fällt dann um eine Terz. Pierson singt bei den Worten mit, die sich wiederholen (bspw. „happy“ oder „people“). Im Chorus überlappen sich die Gesangsstimmen der beiden Sänger und der Sängerin. Sobald Mills mit dem Wort „hands“ beginnt, steigt Pierson kurz darauf mit dem Chorus ein und Stipe folgt ihr, ebenso auf dem Wort „hands“.

Der gesungene Text lässt für sich genommen keine tiefgehende Analyse zu. Das lyrische Sprechsubjekt fordert eine Person oder eine größere Menge an Personen auf, unterschiedliche Dinge zu tun: „Meet me in the crowd“ oder: „Everyone around, love them, love them“. Im Chorus kann das „Shiny happy people holding hands“ bzw. das „Shiny happy people laughing“ als Ergebnis der Aufforderungen aus dem Verse verstanden werden.

SHINY HAPPY PEOPLE zeigt eine gewisse Nähe zu dem Song „Losing my Religion“ auf demselben Album Out of Time. Oberflächlich betrachtet könnten beiden Songs jedoch nicht unterschiedlicher sein. Gerade auf inhaltlicher Ebene zeigt sich der enorme Kontrast zwischen einem lyrischen Ich in „Losing my Religion“, das trotz großer Unsicherheit versucht, etwas Wichtiges zu sagen („Oh no I’ve said too much, I haven’t said enough“), und einem anderen lyrischen Ich in SHINY HAPPY PEOPLE, das eine große Menschenmenge dazu auffordert, fröhlich zu sein. Musikalische Parallelen finden sich aber in den beiden Riffs, wobei jenes in „Losing my Religion“ auf einer Mandoline gespielt wird. Beide Riffs sind pentatonisch. Die Idee für das Gitarrenriff ist von der Filmmusik zu Merry Christmas, Mr. Lawrence (1983) inspiriert, was Peter Buck im Interview mit Hrishikesh Hirway in der Serie Song Exploder bestätigt. So wie die Filmmelodie beginnen beide Riffs von R.E.M. mit einer Wechselbewegung und in beiden liegt ein Quartfall vor: Bei „Losing my Religion“ von d zu a am Ende des Riffs und bei SHINY HAPPY PEOPLE von e zu h.

Im Verlauf von SHINY HAPPY PEOPLE stören Intro und Bridge die regelmäßige Periodik, da sie als Gegenthese zu den Melodien und Harmonien in Dur verstanden werden können. Erweitert wird das bis dahin einfache harmonisch-melodische Spektrum zusätzlich im Pre-Chorus. Der Gastauftritt von Kate Pierson wird im Chorus deutlich, in dem sich ihre Stimme über die von Mills und Stipe legt. Dieser Gastauftritt ist nicht der einzige auf Out of Time, weshalb der Song in das Konzept des Albums passt. Ebenso finden sich Parallelen zur anderen Single des Albums „Losing my Religion“, auch wenn sie sich thematisch-inhaltlich unterscheiden. Beide verwenden aber für das Gitarren- bzw. Mandolinenriff pentatonisches Material, Wechselnoten und einen Quartfall.

 

IV. Rezeption

Der Song spaltete die Fangemeinde und die Kritik. Manche vermuteten einen zynischen Kommentar hinter dem Text (s. Puterbaugh 1991: 168). Andere dagegen kritisierten, dass die Band den Song nicht für einen solchen Kommentar nutzten oder dieses nicht deutlich genug machten (s. Hogan 1995: 69). Wieder andere sahen keine Notwendigkeit einer politischen Message und kritisierten den Kitsch. So schreibt Nink: „Selbst wenn man das unsägliche Shiny Happy People mit einer grausig fiepsenden B-52’s-Kommandeurin Kate Pierson einmal kommentarlos außer acht lässt (‚Throw your love around / Take it into town / Put in in the ground where the flowers grow‘ – um Himmels willen!), vermittelt Out of Time den Eindruck, als probten R.E.M. die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ (Nink 1995: 118).

Der Song polarisierte stark, ließ unterschiedliche Bedeutungsebenen und wurde diverse Male gecovert. Besonders sticht das Cover von Fatima Mansion heraus. Diese Version wurde noch im Jahr 1991 im Oktober veröffentlicht und ist eine Punk-Version des Songs, der dem überschwänglichen Optimismus der Band widersprechen soll (s. Rosen 1997: 114). Die Zeile „Shiny Happy People“ hört man nur verzerrt im Refrain und es wird mit der Zeile „go fuck yourself“ kommentiert.

Wichtig zu erwähnen ist auch die mediale Rezeption. Aufgrund des großen Erfolgs des Songs kamen die Produzenten der US-amerikanischen Sitcom Friends auf R.E.M. zu und baten um die Erlaubnis, SHINY HAPPY PEOPLE als Titellied zu verwenden. Da die Band ablehnte, wurde „I’ll be there for you“ von der BandThe Rembrandts gewählt (s. Trendell 2019). Einen Auftritt in einer anderen Fernsehserie bekam die Band aber ein paar Jahre später. Im Februar 1999 lief die 3829. Episode der US-amerikanischen Sesamstraße, in der R.E.M. einen Gastauftritt hatte und eine eigene Coverversion unter dem Titel „Furry Happy Monsters“ aufführt. Zu sehen sind Stipe, Mills (wieder an einem Kontrabass) und Buck (an einem Banjo) und eine Puppe, die Pierson nachempfunden ist und auch deren Teil singt. Von Zynismus kann in dieser Version keine Rede mehr sein, auch wenn dieses Thema in anderen medialen Verarbeitungen wieder aufgegriffen wird. In der Dokumentation Fahrenheit 9/11 von Michael Moore wird der Song genutzt, um dort beschriebene Widersprüchlichkeiten zu untermalen.

In einen ironischen und politischen Kontext wird der Song auch im Videospiel Bioshock Infinite gesetzt. Die Spieler:innen begeben sich in das Jahr 1912 und schlüpfen dabei in die Rolle von Booker DeWitt, der den Auftrag bekommt, Elisabeth Cumstock aus ihrem Turm in der fiktiven Stadt Columbia zu befreien, in dem sie von ihrem Vater Zachary Hale Cumstock eingesperrt wurde. Das Spiel beschreibt viele Aspekte der US-amerikanischen Kultur, stellt diese parodistisch dar und behandelt komplexe Themen wie Glaube, Rasse und Zeit. Eine Coverversion des Songs erklingt im Spiel, nachdem der Aufstand der unterdrückten Gruppe Vox Populi beendet wurde. Die Entwickler des Spiels nehmen folglich Bezug auf die Rezeption des Songs und deuten es als die tatsächliche Reaktion der Band auf die Aufstände vom Tian’anmen-Platz, der gewaltsam beendet wurde. Damit SHINY HAPPY PEOPLE aber in die Zeit des Spiels passt, wurden Instrumentation und Stil an das frühe 20. Jahrhundert angepasst. Zu hören sind Klarinette, Klavier, Banjo, Kontrabass und Schlagzeug, wie man den Credits des Spiels entnehmen kann. Das Intro, das im Original von Streichern gespielt wird, legt nun den Fokus auf die Klarinette. Die Harmonien und Melodien werden nicht verändert und der Kontrast sowie der abrupte Wechsel von Moll zu Dur bleibt erhalten. Nach der Bridge übernimmt die Klarinette ein Solo, während die anderen kollektiv in den Harmonien des Originals improvisieren. Aufgrund der Instrumentation und des Aspekts der Kollektivimprovisation lässt sich das Cover in den Dixieland-Jazzstil einordnen. Das Arrangement für dieses Cover stammt von Scott Bradlee, der mit seiner Band The Postmodern Jukebox Popsongs in diesen Jazzstil überträgt. So finden sich in Bioshock Infinite noch mehr Cover der Band, wie zum Beispiel zu „Everybody Wants to Rule the World“ von Tears for Fears oder „Tainted Love“ von Gloria Jones.

In einem musikalisch-praktischen Videospielkontext wird der Song in Donkey Konga 2 verwendet, das 2005 für die Spielkonsole Gamecube von Nintendo veröffentlicht wurde. Die Spieler:innen benötigen hierfür ein zusätzliches Eingabegerät, welches der Form einer Conga nachempfunden ist. Das Spielprinzip ergibt sich durch das Hören eines Songs, zu dem die Spieler:innen in bestimmten Rhythmen eine oder mehrere der drei Tasten des Eingabegeräts drücken müssen. Umso präziser die Eingabe der Spieler:innen ist, desto höher ist die erreichte Punktzahl. Es kann aus vielen verschiedenen Popsongs und Videospielsoundtracks gewählt werden. Bei SHINY HAPPY PEOPLE handelt es sich allerdings nicht um die Originalversion, sondern um eine Einspielung einer anderen Band. Leider enthält weder das Spiel noch seine Verpackung Hinweise, von wem das Cover stammt.

 

FABIAN MÜLLER


Credits

Lead vocals: Michael Stipe
Vocals, electronic bass, electric organ: Mike Mills
Vocals: Kate Pierson
Electric guitar: Peter Buck
Acoustic guitar: Peter Holsapple
Percussion: Bill Berry
Violin: David Arenz, David Braitberg, David Kempers, Ellie Arenz
Viola: Paula Murphy, Reid Harris
Cello: Andrew Cox, Elisabeth Murphy
Double bass: Ralph Jones
Arrangement for strings: Mark Bigham
Authors: Michael Stipe, Mike Mills, Peter Buck, Bill Berry
Producer: Scott Litt
Label: Warner Bros. Records
Recording: September to October 1990 (Bearsville Studios, John Keane Studios, Soundscape Studio)
Published: 12 March 1991
Length: 3:45 min

Recordings

  • Gloria Jones. „Tainted Love“. On: My Bad Boy’s Comin’ Home/Tainted Love, 1965, Champion Records, 14003, USA (7´´/ Single).
  • Metallica. Metallica, 1991, Elektra, 9 61113-2, USA (CD/ Album).
  • Nirvana. Nevermind, 1991, DGC, DGCD-24425, USA (CD/ Album).
  • Tears For Fears. „Everybody Wants to Rule the World“. On: Songs from The Big Chair, 1985, Mercury, MERH 58, UK (LP/ Album).
  • Pearl Jam. Ten, 1991, Epic Associated, 47857, USA (CD/ Album).
  • R.E.M. „Second Guessing“. On: Reckoning, 1984, I.R.S. Records, SP70044, USA (LP/ Album).
  • R.E.M. „Exhuming MacCarthy“. On: Document, 1987, I.R.S. Records, IRS-42059, USA (LP/ Album).
  • R.E.M. „Stand“. On: Green, 1988, Warner Bros. Records, 9 25795-2, USA (CD/ Album).
  • R.E.M. Green, 1988, Warner Bros. Records, 9 25795-2, USA (CD/ Album).
  • R.E.M. „Half A World Away“. On: Out of Time, 1991, Warner Bros. Records, 7599-26496-1, USA (LP/ Album).
  • R.E.M. „Endgame“. On: Out of Time, 1991, Warner Bros. Records, 7599-26496-1, USA (LP/ Album).
  • R.E.M. „Radio Song“. On: Out of Time, 1991, Warner Bros. Records, 7599-26496-1, USA (LP/ Album).
  • R.E.M. „Me in Honey“. On: Out of Time, 1991, Warner Bros. Records, 7599-26496-1, USA (LP/ Album).
  • R.E.M. „Country Feedback“. On: Out of Time, 1991, Warner Bros. Records, 7599-26496-1, USA (LP/ Album).
  • R.E.M. „Losing My Religion“. On: Out of Time, 1991, Warner Bros. Records, 7599-26496-1, USA (LP/ Album).
  • R.E.M. „Shiny Happy People“. On: Shiny People/Forty Second Song, 1991, Warner Bros. Records, 5439-19307-7, UK (7´´/ Single).
  • R.E.M. „Shiny Happy People“. On: Out of Time, 1991, Warner Bros. Records, 7599-26496-1, USA (LP/ Album).
  • R.E.M. „Shiny Happy People“. On: Out of Time, 1991, Warner Bros. Records, 7599-26496-2, Europe (CD/ Album).
  • R.E.M. „Ignoreland“. On: Automatic for the People, 1992, Warner Bros. Records, 9 45055-2, USA (CD/ Album).
  • R.E.M. Monster, 1994, Warner Bros. Records, 9 45740-1, USA (LP/ Album).
  • R.E.M. „Shiny Happy People“. On: Out of Time (25th Anniversary Edition), 2016, Warner Bros. Records, 1-26496, USA (Remastered LP/ Album).
  • R.E.M. „Shiny Happy People 1 – Demo“. On: Out of Time (25th Anniversary Edition), 2016, Warner Bros. Records, 1-26496, USA (Remastered CD/ Album).
  • R.E.M. „Shiny Happy People 2 – Demo“. On: Out of Time (25th Anniversary Edition), 2016, Warner Bros. Records, 1-26496, USA (Remastered CD/ Album).
  • R.E.M. In Time: The Best of R.E.M. 1988–2003, 2003, Warner Bros. Records, 2-48550, USA (CD/ Album).
  • The Rembrandts. „I’ll Be There for You (Theme From ‚Friends‘)“. On: I’ll Be There For You (Theme From „Friends“), Elektra, 7559-64391-2, Europa (CD/ Single).
  • Ryuichi Sakamoto. „Merry Christmas Mr. Lawrence“. On: Merry Christmas Mr. Lawrence, London Records, L28N 1008, Japan (LP/ Album).

Covers

  • The Fatima Mansions. „Shiny Happy People“. On: Bertie’s Brochures, 1991, Kitchenware Records, KWLP 16, UK (LP/ Mini-Album).

References

  • Von Appen, Ralf und Doehring, André: Analyse populärer Musik. Madonnas Hung up. In: Populäre Musik. Geschichte – Kontexte – Forschungsperspektiven (Kompendien Musik 14). Ed. by Ralf von Appen, Nils Grosch and Martin Pfleiderer, Laaber 2014, 219–240.
  • Christie, Erin: R.E.M. & Kate Pierson reflect on 30 years of ‚Out of Time‘. In: BrooklynVegan, URL: https://www.brooklynvegan.com/r-e-m-kate-pierson-reflect-on-30-years-of-out-of-time/ [25.08.2021].
  • Gray, Marcus: It crawled from the south. An R.E.M. Companion, London 1992.
  • Grossmar, Perry: Identity Crisis. The Dialects of Rock, Punk and Grunge. In: Berkeley Journal of Sociology 41 (1996), 19–44.
  • Hale, Grace Elizabeth: Cool Town. How Athens, Georgia, Launched Alternative Music and Changed American Culture, Chapel Hill 2020.
  • Hogan, Peter: The Complete Guide to the Music of R.E.M., London 1995.
  • Ivie, Devon: Kate Pierson Still Likes to Think ‚Shiny Happy People‘ Was a ‚Little Homage to the B-52’s‘. In: Vulture, URL:https://www.vulture.com/2021/03/interview-kate-pierson-shiny-happy-people-rem.html[26.08.2021].
  • Jost, Christofer: Losing My Religion (R.E.M.). In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, URL: http://www.songlexikon.de/songs/losingmyreligion [27.09.2021].
  • Nink, Stefan: R.E.M. Amerika träumt. Der ungewöhnliche Aufstieg der wichtigsten Rockband der USA, München 1995.
  • Puterbaugh, Park: Out of Time. Album Review. In: R.E.M. The Rolling Stone Files. The Ultimate Compendium of Interviews, Articles, Facts and Opinions from the Files of ROLLING STONE. Ed. by the Editors of Rolling Stone with an introduction by Anthony DeCurtis, New York 1995, 165–168.
  • Rosen, Craig: The Story Behind Every Song. R.E.M. Inside Out, London 1997.
  • Taysom, Joe: The Story Behind The Song: Exploring the tragic roots of R.E.M. hit track ‚Shiny Happy People‘. In: Far Out, URL: https://faroutmagazine.co.uk/rem-shiny-happy-people-song-meaning-tiananmen-square/[26.08.2021].
  • Trendell, Andrew: R.E.M. tell us about 25 years of ‚Monster‘: ‚We needed swagger – to be loud and raw‘. In: NME, URL: https://www.nme.com/features/rem-monster-interview-michael-stipe-mike-mills-cobain-phoenix-video-2562624 [25.08.2021].
  • Zaleski, Annie: The unrepentant joy and popularity of R.E.M.’s polarizing ‚Shiny Happy People‘. In: salon.https://www.salon.com/2021/03/20/rem-shiny-happy-people-anniversary/ [25.08.2021].

Films

  • Fahrenheit 9/11. Regie und Drehbuch: Michael Moore, universum film, 2004 (DVD/ 82876 66208 9).
  • Merry Christmas, Mr. Lawrence. Regie: Nagisa Oshima, Drehbuch: Paul Mayersberg, Nagisa Oshima, EuroVideo, 1999 (DVD/ 21 401).


Series

  • Song Exploder. Ausführende Produzenten: Hrishikesh Hirway und Morgan Neville, 2020 (Netflix).


Computer Games

  • Bioshock Infinite, 2k Games 2013.
  • Donkey Konga 2, Nintendo 2005.

Links

About the Author

Analysis written in a course of Dr. Christina Richter-Ibáñez at the University of Tübingen.
All contributions by Fabian Müller

Citation

Fabian Müller: „Shiny Happy People (R.E.M.)“. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, https://www.songlexikon.de/songs/shiny-happy-people, 03/2025.

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