REFLECTION ist ein Song aus dem 1998 veröffentlichten Disney-Animationsfilms Mulan, der von der gleichnamigen altchinesischen legendären Volksheldin handelt. Mit dem Film wurden zwei Versionen des Songs veröffentlicht. Neben einer Single-Version, die für den Abspann verwendet wurde, ist eine Film-Version, die hier im Fokus stehen soll, im Original-Soundtrack-Album von Mulan enthalten, gesungen von der philippinischen Sängerin Lea Salonga.
I. Entstehungsgeschichte
Für den Film Mulan komponierte Matthew Wilder gemeinsam mit David Zippel, der die Songtexte schrieb und dafür Erfahrung aus dem Disney-Animationsfilm Hercules mitbrachte, fünf Songs. Im Film ist REFLECTION der zweite Song. In ihm fragt sich die Titelheldin Mulan, wer sie wirklich ist.
Gesungen wird der Song von der mit dem Tony Award ausgezeichneten philippinischen Sängerin Lea Salonga. Salonga ist bekannt für ihre klare und schöne Stimme, ihre Auftritte am Broadway sowie ihre Arbeiten für Disney-Animationsfilme (vgl. Hischak 2011). Sie ist unter anderem die Singstimme von Prinzessin Jasmine in Aladdin (1992). In Mulan wurde sie ursprünglich sowohl für die Sprech-, als auch für die Singstimme der Protagonistin Mulan beauftragt, aber während der Aufnahmen zeigte sich, dass ihr Versuch, in den Szenen, in denen Mulan sich als der Soldat Ping ausgibt, tiefer zu sprechen, nicht überzeugend war (vgl. ebd.). So synchronisierte später die Schauspielerin Ming-Na Wen Mulan, während Salongas Gesang für Mulan beibehalten wurde.
Salonga hatte ursprünglich eine Vollversion von REFLECTION aufgenommen, die mehr als drei Minuten lang war und aus einer weiteren Strophe und einem Refrain bestand. Da diese Version nicht zur Handlung des Films passte, wurde sie auf 2:27 min gekürzt. Diese gekürzte Version wurde in das Soundtrack-Album des Films aufgenommen, das von Walt Disney Records am 2. Juni 1998 veröffentlicht wurde. Die Vollversion von REFLECTION wurde aber bisher mehrmals von Salonga selbst live aufgeführt und ist Teil ihrer eigenen Alben.
Eine Pop-Version wurde als Debutsingle von der amerikanischen Sängerin Christina Aguilera aufgenommen. Sie ist ebenfalls im originalen Soundtrack-Album von Mulan enthalten.
II. Kontext
Mulan ist der 36. Animationsfilm der Walt-Disney-Studios und der erste, der sich mit der chinesischen Kultur beschäftigt. Basierend auf der altchinesischen Ballade Mulan Ci (Ballade von Mulan) erzählt der Film die Abenteuer und Erlebnisse der Hauptfigur Hua Mulan frei nach. Mulan ist eine legendäre Volksheldin aus der Zeit der nördlichen und südlichen Dynastien der chinesischen Geschichte (etwa 4. bis 6. Jahrhundert n.Chr.). Laut der ungefähr 300 Wörter langen Ballade dient Mulan, als Mann verkleidet, anstelle ihres Vaters in der Armee, da dieser schon alt und ihr Bruder noch sehr jung ist. Nach zwölfjährigem erfolgreichem Militärdienst wird Mulan vom Kaiser geehrt, doch das angebotene hohe Amt lehnt sie ab. Stattdessen kehrt sie in ihre Heimat und zu ihrer Familie zurück. Erst dann wird Mulans Kriegskameraden bewusst, dass sie eine Frau ist.
Bei der Verarbeitung zum Drehbuch wurden die meisten Inhalte der Ballade als roter Faden des Films beibehalten. Um die Geschichte lustiger und dramatischer zu gestalten, hat Disney viele Neuheiten beigefügt: die Heiratsvermittlung, den Auftritt des kleinen Drachen Mushu, die Rettung des Kaisers etc. Mulan selbst wurde zu einer jungenhaften, munteren Frau mit freier Seele umgestaltet.
Der Film beginnt mit einer „Katastrophe“ bei der Heiratsvermittlerin. Mulan wird als einzige Tochter ihrer Familie dazu gebracht, mit anderen Frauen eine Heiratsvermittlerin zu treffen, um ihre Eignung als zukünftige Ehefrau prüfen zu lassen. Während die anderen sich tugendhaft, ruhig und elegant verhalten und sich als „gute zukünftige Ehefrau“ präsentieren, hat Mulan weniger Erfolg. So wird sie von der Vermittlerin als Schande für ihre Familie bezeichnet: „You will never bring your family honor!“ Mulan selbst will nicht wie die anderen eine perfekte Frau sein, allerdings macht sie sich Vorwürfe, da sie ihrer Familie so keine Ehre bringen kann.
Als Mulan nach dem fehlgeschlagenen Versuch, ihre Heiratsvermittlerin zu beeindrucken, nach Hause zurückkehrt, singt sie REFLECTION. Wie der lyrische Inhalt darstellt, möchte Mulan einerseits der Welt zeigen, wer sie wirklich ist, anstatt vorzugeben, wer sie nicht ist. Andererseits möchte sie ihre Familie nicht enttäuschen. Ihre Ambivalenz spiegelt sich in dem Song deutlich wider. So gilt REFLECTION als Mulans Selbstoffenbarung.
Mulan ist eine der ersten Disney-Protagonistinnen, die nicht vollständig auf die Rettung durch einen männlichen Held angewiesen sind. Dies zeigte eine Ära des Wandels, in der Frauen gestärkt und nicht mehr als das schwächere Geschlecht dargestellt wurden. Ebenso zeigt der Song REFLECTION den Wunsch einer Frau, unabhängig von anderen zu sein. Gewissermaßen bricht er das Vorurteil und Klischee, dass alle chinesischen Frauen weich und gehorsam seien.
III. Analyse
REFLECTION weist eine Länge von 2:27 Minuten auf und ist im 4/4-Takt geschrieben. Das Tempo ist mit circa 90 bpm eher langsam. Wie oben erwähnt, wurde der Song aufgrund der Handlungsänderungen auf die aktuelle Kurzversion zugeschnitten, sodass seine musikalische Struktur einer einfachen Verse-Chorus-Form entspricht. Insgesamt lässt er sich in die folgenden Abschnitte unterteilen: Intro (0:00–0:42), Verse (0:42–1:17) und Chorus (1:18–2:27). Das Ende (2:02–2:27) wiederholt die Chorusmelodie, kann durch seine abschließende Wirkung jedoch auch als Outro angesehen werden, das ab 2:15 min von einer instrumentalen Passage beendet wird. Zu beachten ist, dass die untersuchte CD-Version sich dadurch von der Filmversion unterscheidet, dass das Intro länger ist. Die Instrumentierung setzt sich zusammen aus Streichern, Klavier, Querflöte, Guzheng, Erhu, Oboe, E-Bass, Harfe, Mark Tree und Becken, sowie synthetischen und nicht synthetischen glockenartigen Klängen, darunter klar erkennbar das Glockenspiel. REFLECTION ist besonders zu Beginn durch ungewöhnliche harmonische Rückungen gekennzeichnet: Das Intro beginnt mit Mollakkorden, noch vor Beginn des Verses wird Fis-Dur erreicht und im Verlauf des Verse A-Dur, das auch den Chorus prägt.
Nach dem Treffen mit der Heiratsvermittlerin, kommt Mulan enttäuscht nach Hause. Vor der Tür wartet ihr Vater auf sie, auf seinem Gesicht erscheint ein erwartungsvoller Ausdruck. Allerdings weicht Mulan dem Blick ihres Vaters aus und geht allein in den Garten. Währenddessen erklingt das Intro. Es ist mit circa 43 Sekunden ungewöhnlich lang und nimmt fast ein Drittel des gesamten Lieds ein. Begleitet von Legato-Streichern ist direkt am Anfang kurzzeitig eine Guzheng zu hören, ein traditionelles chinesisches Zupfinstrument. Sie wird bald von einem synthetischen glockenartigen Instrument ersetzt, das zu einer langsamen Flötenmelodie überleitet. Die sanfte Stimme der Flöte, die langsamen Streicherakkorde im Hintergrund und vor allem die zahlreichen Mollakkorde (b-Moll, f-Moll, c-Moll) bewirken eine traurige Atmosphäre, die harmonisch allerdings nicht eindeutig ist. Die Stimmung hellt sich ab 0:28 min mit der Modulation nach Fis-Dur auf. Ab 0:31 min setzt die Flöte in einem schnelleren Tempo ein und wird neben den Streichern nun auch vom Klavier begleitet. Die Melodie, die sie spielt, ist eine Vorwegnahme der darauffolgenden Verse-Melodie.
Im Verse treten ein E-Bass, glockenartige Klänge und später eine Oboe mit hinzu, die stellenweise die Melodie umspielt. Im Spiegelbild im Wasser sieht Mulan sich selbst – stark geschminkt – und beginnt zu singen: „Look at me, I will never pass for a perfect bride, or a perfect daughter“ (Berman 2014). Sie ist sich genau bewusst, dass sie dem von der Familie erwarteten Rollenbild, der traditionellen Vorstellung einer „perfekten Braut“, nicht entspricht. „Can it be, I’m not meant to play this part?“ (ebd.): Während des Liedes wird Mulan bewusst, dass die perfekte Braut nicht ihren Werten entspricht und sie diese Rolle nicht einnehmen möchte. Kurz darauf findet eine Modulation um eine Terz aufwärts zu A-Dur statt und Mulan ist überzeugt davon, dass sie das Herz ihrer Eltern brechen würde, wenn sie wirklich sie selbst wäre: „Now I see, that if I were truly to be myself, I would break my family’s heart“ (ebd.). Die Überleitung zum Chorus erfolgt mit einer kurzen Erhu-Melodie und glockenartigen Klänge. Eine Erhu ist ein traditionelles chinesisches, gestrichenes Saiteninstrument.
Ab 1:18 min erklingt der Chorus mit einem emotional ausdrucksstärkeren und vorwärtstreibenden Charakter, was auf die gesteigerte Dynamik und Tonhöhe des Gesangs zurückgeführt werden kann. Am Anfang ruft Mulan aus: „Who is that girl I see, staring straight back at me? Why is my reflection someone I don’t know?“(ebd.) Sie sieht im Spiegelbild die noch geschminkte und verkleidete junge Dame. In dieser Gestalt als zukünftige perfekte Braut erkennt sie sich selbst nicht wieder. Während sie singt, geht sie in die Laube, wo sich das Familiengrab befindet: „Somehow I cannot hide who I am, though I’ve tried.“ Die Melodie wird immer wieder von Streichern und Flöten umspielt. Mit dem letzten Satz „When will my reflection show, who I am inside?“ (ebd.) erreicht das Lied seinen Höhepunkt. Der hohe Gesangsschlusston auf dem cis wird mithilfe eines absteigenden Basses zu einem harmonischen Höhepunkt, der in einen halbverminderten Dis-Akkord mündet. Vor ihren Ahnen erklärt sie, dass sie nicht mehr verbergen will, wer sie wirklich ist. Ihr Gesicht spiegelt sich in den Grabsteinen mit alten chinesischen Inschriften. Während sie in die Grabsteinplatten schaut, wischt sie sich von einer Seite ihres Gesichts das Make-up ab. Mulan befindet sich zwischen zwei Welten: einer Welt, in der sie sie selbst sein will, und der Welt mit traditionellen Werten und Normen, in der sie leben sollte. Indem sie die andere Hälfte des Make-ups schließlich ebenfalls entfernt, entscheidet sie sich für sich selbst. Es scheint, dass Mulan entgegen dem traditionell idealen Frauenbild eine starke und unabhängige Frau sein möchte.
Nach einer Generalpause setzt der Gesang wieder ein, begleitet von einem im hohen Register spielenden Klavier, das bald von einem Glockenspiel und E-Bass ergänzt wird. Die Gesangsmelodie und der Text wiederholen fast vollständig die letzte Passage des Höhepunkts, jedoch mit einem viel ruhigeren Ausdruck und einem Schluss auf dem Grundton a. Ein Mark Tree leitet den instrumentalen Schlussteil ein, der von einer Flötenmelodie getragen wird, welche eine kurze Passage aus der Verse-Melodie nachspielt. Hier wird auch die Guzheng wieder aufgegriffen. Während das Lied größtenteils von typisch westlichen Instrumenten wie dem Klavier oder Streichern begleitet wird, hat es einige kurze Überleitungspassagen, die von traditionellen chinesischen Instrumenten gespielt werden wie der Guzheng und der Erhu. Diese Elemente verbinden das Lied mit dem altchinesischen Setting des Films.
Das getragene Tempo, Salongas melancholischer Gesang und die traurige Stimmung, die von der Begleitung getragen wird, repräsentieren die schwierige Situation und Ambivalenz Mulans. Sie durchlebt innerhalb des kurzen Songs eine Entwicklung. Anfangs ist sie aufgrund ihres Misserfolgs bei der Heiratsvermittlung enttäuscht von sich selbst und macht sich Vorwürfe, weil sie das von der Familie erwartete Rollenbild nicht erfüllen kann. Sie leidet an einer Identitätskrise. Als sie sich fragt, wer sie wirklich ist, wird ihr allmählich bewusst, dass sie die ideale Rolle der zukünftigen Ehefrau weder spielen kann noch will. Durch das Abschminken ihres Gesichts trifft Mulan schließlich die Entscheidung, ihrem eigenen Herzen zu folgen. Der Song REFLECTION weist Mulans innere Entwicklung auf und lässt sich als Wendepunkt für sie und die Filmhandlung betrachten.
IV. Rezeption
Bekannt wurde REFLECTION durch den Erfolg des Films. Durch die weltweite Ausstrahlung von Mulan fand der Song weite Verbreitung. Der Film gewann mehrere Annie Awards, darunter Auszeichnungen für den besten animierten Film und für individuelle Leistungen an Matthew Wilder, David Zippel und Jerry Goldsmith für die Musik etc. (Annie Awards 1998). REFLECTION wurde für den Golden Globe Award als bester Originalsong nominiert (Golden Globe Awards 1998).
Da Walt Disney gleichzeitig zwei Versionen von REFLECTION (Film- und Pop-Version) veröffentlichte, gewann der Song mehr Aufmerksamkeit als die anderen Songs im Soundtrack-Album. Lea Salongas Film-Version von REFLECTION wurde für Veröffentlichungen in anderen Ländern in mehreren Sprachen neu synchronisiert. Beispielsweise gibt es insgesamt drei chinesische Filmversionen (eine kantonesische Version und zwei Mandarin-Versionen, die eine für das chinesische Festland und die andere für Taiwan). Die taiwanesische Übersetzung ist bekannter, da sie von der berühmten sino-amerikanischen Sängerin Coco Lee gesungen wurde.
Im Vergleich zu der Film-Version wurde Christina Aguileras Pop-Version von mehr Leuten gecovert. Das lässt sich vermutlich auf die verkürzte Länge der Film-Version zurückführen. Die vollständige Film-Version wurde mehrmals von Lea Salonga selbst in ihren Konzerten live gesungen. In ihren Live-Alben The Journey so Far und The Story of My Life: Lea Salonga Live from Manila ist jeweils eine Live-Version von REFLECTION enthalten.
NING YUAN und TIM REICHERT
Credits
Vocals: Lea Salonga
Music: Matthew Wilder
Lyrics: David Zippel
Producer: Matthew Wilder
Vocal arrangements: Matthew Wilder
Recording / Mixing: Frank Wolf
Song arranged / orchestrated: Douglas Besterman
Label: Walt Disney Records
Recorded: 1997
Published: 02.06.1998
Length: 2:27 min
Recordings
- Salonga, Lea. „Reflection“. On: Mulan: An Original Walt Disney Records Soundtrack, 1998, Walt Disney Records, 60631-7, USA (CD/Album).
- Aguilera, Christina. „Reflection (Pop Version)“. On: Mulan: An Original Walt Disney Records Soundtrack, 1998, Walt Disney Records, 60631-7, USA (CD).
- Salonga, Lea. „Reflection“. On: The Journey So Far, 2011, LML Music, LML CD-258, USA (CD/Album).
- Salonga, Lea. „Reflection“. On: The Story of My Life: Lea Salonga Live from Manila, 2019, BYU Records, YCD0119SML, USA (2 CDs/Album).
References
- Annie Awards: 26TH ANNUAL ANNIE AWARDS Legacy. In: Annie Awards. URL: https://annieawards.org/legacy/26th-annie-awards [07.09.2021].
- Berman, Rachel: A careful analysis of how every line from ‘Reflection’ speaks to our soul. In: oh my disney. URL: https://ohmy.disney.com/music/2015/02/09/a-careful-analysis-of-how-every-line-from-reflection-speaks-to-our-soul/ [07.09.2021].
- de Giere, Carol: Defying Gravity. The Creative Career of Stephen Schwartz from Godspell to Wicked. NYC: Applause Books 2008.
- Golden Globe Awards: Winners & Nominees 1999. In: Golden Globe Awards. URL: https://www.goldenglobes.com/winners-nominees/1999 [07.09.2021].
- Hischak, Thomas S.: Disney Voice Actors. A Biographical Dictionary. North Carolina: McFarland 2011.
- Kuo, Angela: The Music of Mulan. In: OoCities. URL: http://www.oocities.org/hollywood/5082/music.html [31.08.2021].
- Schwartz, Stephen: Stephen Schwartz comments on Other Shows and Songs. In: stephenschwartz.com. URL: https://web.archive.org/web/20141031060418/http://www.stephenschwartz.com/wp-content/uploads/2010/08/other-shows-and-songs.pdf [31.08.2021].
About the Authors
All contributions by Ning Yuan
All contributions by Tim Reichert
Citation
Ning Yuan; Tim Reichert: „Reflection (Lea Salonga)“. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, https://www.songlexikon.de/songs/sarangga, 03/2025.
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