1961
Aretha Franklin

Operation Heartbreak

Aretha Franklins OPERATION HEARTBREAK, musikalisch betrachtet eine Doo-Wop-Nummer, entstand kurz nach ihrer Vertragsunterschrift bei Columbia, also ganz am Anfang ihrer Karriere und sechs lange Jahre vor ihrem großen Durchbruch bei Atlantic Records. Sängerisch weist der Song aber bereits den Weg für die kommenden großen Erfolge der späteren ‘Queen of Soul’. Obwohl bis in die 1990er Jahre nur selten veröffentlicht, ist OPERATION HEARTBREAK eine der erfolgreichsten B-Seiten Franklins und der am besten platzierte R&B-Song ihrer Columbia-Ära 1960–1966.

 

I. Entstehungsgeschichte

Im Jahr 1960 unterschrieb die bis dahin ausschließlich im Gospel-Kontext aufgetretene, 18jährige Aretha Franklin einen Vertrag bei einer großen Plattenfirma, um im Popgeschäft Fuß zu fassen. Franklins Vater, der populäre Reverend C.L. Franklin, hatte seine Tochter im September an Columbia vermitelt, wo sich zunächst der erfahrene Produzent John Hammond ihrer annahm. Dieser verließ kurze Zeit später jedoch Columbia. Die folgenden Jahre gelten als Phase der vergeblichen Suche Franklins nach einem erfolgreichen Personalstil. OPERATION HEARTBREAK nahm Franklin bereits im ersten Jahr bei Columbia auf, also noch als 19jährige. Veröffentlicht wurde der Song 1961 auf der B-Seite ihrer ersten interkontinentalen Hitsingle “Rock-a-Bye Your Baby with a Dixie Melody” (Nr. 38 Pop Charts). OPERATION HEARTBREAK stammt von Curtis Williams, Bariton der Gruppe The Penguins, und Al Kasha, einem jungen Songwriter und Produzenten bei Columbia, der später erfolgreich u.a. Jackie Wilson und Bobby Darin produzierte und Franklin bei der Aufnahmesitzung vertretungsweise betreute. Die Band spielte in derselben Besetzung mit Rhythmusgruppe, zwei Saxophonen, Posaune und fünf Geigen, die auch “Rock-Bye Your Baby with a Dixie Melody” eingespielt hatte. Franklin sang vom Klavier aus, wer die Background-Vocals gesungen hat, ist unbekannt. Auf ein Album wurde OPERATION HEARTBREAK erst 1967 aufgenommen (Take A Look, Columbia). Nach ihren Erfolgen bei Atlantic legte Columbia damit aus dem Franklin-Archiv nach. 1992 erschien der Song erstmals als CD, auf dem Album Jazz To Soul (Columbia). Ein Bezug zu dem 1953 bei Pan Books veröffentlichten Romans Operation Heartbreak des US-amerikanischen Botschafters in Paris, Alfred Duff Cooper, ist nicht ersichtlich. In dem Buch geht es um eine Geheimdienst-Operation im Jahr 1943, mit der Nazi-Deutschland über die Invasionspläne der Allierten getäuscht werden sollte.

 

II. Kontext

Franklins Anfänge in der Gospel Music sind gut dokumentiert und unter anderem auf dem Live-Mitschnitt eines Konzerts in der Kirche ihres Vaters aus dem Jahr 1956 nachzuvollziehen. Zu den regelmäßig dort auftretenden Künstlern – und privaten Gästen der Familie Franklin – gehörte in dieser Zeit auch die Gospelgruppe The Soul Stirrers mit ihrem Leadsänger Sam Cooke, den die junge Aretha als eines ihrer Idole verehrte. Cooke, dem 1957 ein Crossover in die Pop Music gelungen war, gilt als Vorbild auch für Franklins Entschluss, ihre Karriere außerhalb der Kirche fortzusetzen (Dobkin 2004: 78–79). Gegen den Widerstand seines Produzenten und Label-Chefs, der den Boykott seiner Platten durch gläubige Gospelfans befürchtete, hatte Cooke sich mit dem für ein ethnisch diverses, junges Publikum produzierten Nr.1-Hit “You Send Me” (Keen) in den Pop-Charts etabliert. Franklin folgte Cooke jedoch nicht zu RCA Victor, wo dieser inzwischen unter Vertrag stand, sondern verbrachte nach 1960 mehrere Jahre bei Columbia mit einem “mix of show tunes and schmaltz” (Guralnick 1986: 332) ohne erkennbare künstlerische Richtung und klaren Adressaten. Weder mit Pop-Standards oder Doo-Wop-Stücken, die vorwiegend das euroamerikanische Publikum ansprechen sollten, noch mit R&B-Songs oder traditionelleren, am Blues orientierten Produktionen für ältere afroamerikanische Fans gelangen ihr mehr als moderate Erfolge. Erst nach ihrem Wechsel 1966 zu Atlantic Records konnte Franklin ihr Talent angemessen entfalten, dort entstanden binnen weniger Monate Soulklassiker wie “Respect” (1967, Nr. 1 Pop- und Rhythm & Blues-Charts) “Chain of Fool” (1967), “Natural Woman” (1967), “Since You’ve Been Gone” und “Think” (beide 1968). Innerhalb der Soul Music in ihrer New Yorker Ausprägung (in Abgrenzung zum Northern Soul mit Motown und dem Southern Soul mit Stax, aber auch dem ‘Philly Sound’ aus Philadelphia) hatte Franklin in dieser Zeit erheblichen Anteil an der gesellschaftlichen Etablierung des Souls als leidenschaftliche Haltung, symbolisch-ästhetische Welt und spirituell-politischem Kontext (Wilke 2017: 53). Grundlage dieser Erfolge war ihre Fähigkeit, sich in die Tradition der afroamerikanische Identität stiftenden Praktiken schwarzer Prediger und Gospel-Acts zu stellen und diese in mitreißendes Show-Business zu übersetzen (Ward 1998: 202).

 

III. Analyse

OPERATION HEARTBREAK gliedert sich in eine zweimal durchlaufene, dreiteilige Form aus achttaktiger Strophe (A), viertaktiger Bridge (B) und einem ebenfalls vier Takte umfassenden Refrain (C): Intro-A/B/C/A/B/C-Outro. Allerdings ähneln sich die Formteile untereinander sowohl textlich als auch harmonisch: In der Strophe wie auch in der Bridge erscheinen markante Zwischendominanten (III7 in T. 4, VI7 in T. 12 etc.), die auffällige Halbtonrückung VIm-VIbm ist nicht nur in der Strophe (erstmals T. 7), sondern auch im dritten Takt des Refrains zu hören (T. 17). Die beiden Worte “Operation Heartbreak” erscheinen in Intro /Outro und jeweils am Anfang von Strophe und Refrain. Zweite Strophe und zweite Bridge sind gegenüber dem ersten Durchlauf textlich identisch, aber um einen Halbton erhöht (Gbm) und insgesamt als an Gospel Music erinnernde Steigerung in Ausdruck, Lautstärkeintensität und melodischem Reichtum (Verzierungen) angelegt.

Stilistisch ist OPERATION HEARTBREAK als typisches Doo-Wop-Stück zu bezeichnen, das mit seinem Streicher-Arrangement auch an das euroamerikanische Massenpublikum appelliert. Inhaltlich kreist der Song um die Klage der Sängerin über ihre schmerzliche Verwundung durch einen untreuen Lover. Jenseits des für sich genommen eher trivialen Songtexts überzeugt die große Intensität, die der jungen Franklin hier gelang – Peter Guralnick hat diese biographisch mit Erinnerungen an ihre Mutter in Verbindung gebracht, die Franklin mit 6 Jahren verlor (Guralnick 1986). In der Tat wartet der Song mit einer emotionalen Emphase auf, die Franklin in dieser Form erst in ihrer erfolgreichsten Zeit nach 1966 wieder erreichte. Dabei stellte sich Franklin nicht nur in die Tradition der energiegeladenen Hard-Gospel-Leadsänger und Gospelshouter, sondern schlägt zugleich auch leise, zarte oder elegante Töne an, mit denen sie eher an den Black Pop eines Sam Cooke anschließt. Franklins Vibrato ist regelmäßig, stellt sich gelegentlich aber erst nach vibratolos gesungenen Tonanfängen ein. Vokalstilistisch ist auffällig, dass sie zahlreiche Tonanfänge mit Aufwärtsglissandi anschleift und längere Töne teilweise mit gleitenden Tonhöhen gestaltet. Phrasen-Enden verziert Franklin vielfach mit melodisch absteigenden Melismen, deren Dichte und Länge immer mehr zunimmt, bis hin zu dem langen unbegleiteten Melisma, mit dem der Song schließt. Ähnlich erhöhen sich auch Ambitus und Tonlage im Verlauf des Songs zunehmend, der Spitzenton von Strophe und Refrain verschiebt sich von anfänglich a1 bis zum f#2. In Franklins Umgang mit dem Songtext fällt u.a. auf, dass Franklin den Songtext durch Silbeninterpolationen, Vorschlagsnoten, Wortverdoppelungen und bekräftigende Ausrufe ergänzt sowie unbetonte Silben oft weitgehend mit benachbarten Silben verschmelzen lässt, womit erstere kaum noch als distinkte Lauteinheit erscheinen (z. B. 0:35, “a-wound”). Die Textverständlichkeit wird dadurch allerdings kaum beeinträchtigt. Ein weiteres Merkmal ist die durchdringende, obertonreiche Gestaltung der vielen “I”- und “äi”-Vokale. Stimmtechnisch gehen viele der von unten angeschliffenen Shouts in hoher Lage, die Franklins in rufartiger Stimmgebung singt, ins Belting über (1:04) oder werden, wie im letzten Refrain, mit auffälligen Aussetzern des Stimmklangs kombiniert. Diverse ausdruckssteigernde Register- und Timbrewechsel sind zu hören (z. B. vom Belting in einen behauchten, von Kopfstimmenresonanzen bestimmten Klang bei “your love”, 1:43, oder “yeah, yeah”, 2:05). Ein auffälliges Charakteristikum von Franklins Gesang ist schließlich auch das expressive Auskosten von H-Lauten wie z.B. bei “Heartbreak”, auch Vokale beginnen oft mit einem zusätzlich interpolierten, stark behauchten H (z.B. “h-why” in der dritten Strophe). Diese Praxis setzt ein bewusstes Spiel mit der Distanz zum Mikrofon voraus unds erinnert stark an frühere Blues- und R&B-Sängerinnen wie Bessie Smith und LaVern Baker.

 

IV. Rezeption

Im Gegensatz zur A-Seite der vierten Columbia-Single Franklins, einer Cover-Version eines Songs des Blackface-Comedians Al Jolson, wurde OPERATION HEARTBREAK in den R&B-Charts gelistet und erreichte dort mit der Nr. 6 die beste Platzierung in Franklins Karriere bis dahin. Radio-Stationen mit Black Music-Repertoire spielten überwiegend die B-Seite der Single. Ihre hier eingesetzten Gestaltungsmittel haben Geschichte gemacht und Franklin Ende der 1960er Jahre zur weltweit erfolgreichsten Stimme des Soul, an der sich nicht nur der weibliche Soulgesang bis heute orientiert. OPERATION HEARTBREAK wurde seit den 1990er Jahren in zahlreiche Alben mit Soul-Compilationen aufgenommen, 2016 erschien der Song auf einer englischen Neuauflage des Albums The Electrifying Aretha Franklin (Erstauflage 1962) als Bonus Track gemeinsam mit anderen Songs aus seiner Entstehungszeit. Professionelle Coverversionen des Songs sind nicht bekannt.

CHRISTIAN BIELEFELDT


Credits

Vocals: Aretha Franklin
Bass: Russ Savakus
Drums: Gary Chester
Guitar: Bucky Pizzarelli
Piano: Aretha Franklin, Ernie Hayes
Saxophone: C. Massey
Trombone: Robert Ascher
Strings: Bernard Eichenbaum, Charles Libove, George Ockner, Harry Katzman, Harry Lookosvky
Music/Writer/Songwriting: Curtis Williams, Al Kasha, Alan Thomas
Producer: Al Kasha
Label: Columbia Records
Recorded: 16. August 1961
Published: 08. September 1961
Length: 3:02

Recordings

  • Aretha Franklin. “Rock-A-Bye Your Baby With A Dixie Melody / Operation Heartbreak”. 1961, Columbia 4-42157, USA. 7” Single.
  • Aretha Franklin. “Operation Heartbreak”. On: Take A Look. 1967, Columbia CL 2754, USA, LP.
  • Aretha Franklin. “Operation Heartbreak”. On: Jazz To Soul, 1992, Columbia, Legacy C2K 48515, USA, 2xCD Comp.
  • Aretha Franklin. “Operation Heartbreak”. On: The Electrifying Aretha, 2016, Pan Am Records 9152278, UK, LP Reissue.

References

  • 365 Days of Aretha Franklin, https://365daysofaretha.com/2021/06/04/operation-heartbreak/ [13.03.2023].
  • Bielefeldt, Christian: ‘Bring It On Home to Me’. Anfänge des Soulgesangs. In: Stimme Kultur Identität. Vokaler Ausdruck in der populären Musik der USA, 1900-1960. Ed. by Martin Pfleiderer, Tilo Hähnel, Katrin Horn, Christian Bielefeldt. Bielefeld 2015, 371–424.
  • Cooper, Alfred Duff: Operation Heartbreak. London 1953.
  • Guralnick, Peter: Sweet Soul Music. Rhythm and Blues and the Southern Dream of Freedom. New York 1986.
  • Ripani, Richard J. The New Blues Music. Changes in Rhythm & Blues, 1950-1999. Jackson, MS, 2006.
  • Ward, Brian. Just My Soul Responding. Rhythm and Blues, Black Consciousness, and Race Relations. Berkeley 1998.
  • Wilke, Thomas. Soul/Funk. In: Handbuch Popkultur. Ed. by Thomas Hecken, Marcus S. Kleiner. Stuttgart 2017, 53–57.

About the Author

Dr. Christian Bielefeldt works as a music teacher in Zurich.
All contributions by Christian Bielefeldt

Citation

Christian Bielefeldt: “Operation Heartbreak (Aretha Franklin)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, https://www.songlexikon.de/songs/operation-heartbreak, 03/2023.

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