2008
Kanye West

Love Lockdown

LOVE LOCKDOWN ist einer der bekanntesten Songs des amerikanischen Rappers, Produzenten und Modedesigners Kanye West. Geprägt durch seinen minimalistischen Charakter ist LOVE LOCKDOWN jedoch nicht nur wegen seines kommerziellen Erfolges ein wichtiger Meilenstein in der Karriere Wests; er repräsentiert auch einen ersten Schritt des Musikers in neue, experimentellere Klangwelten.

I. Entstehungsgeschichte

LOVE LOCKDOWN wurde als erste Single aus Kanye Wests viertem Album 808s & Heartbreak ausgekoppelt. Der Song wurde geschrieben von Kanye West, Jeff Bhasker, Jenny-Bea Englishman, Malik Yusef und Jan Menzies sowie produziert von West und Bhasker. Er entstand, wie der Rest des Albums, während einer ca. dreiwöchigen Recording Session auf der Insel Hawaii. Die Aufnahmen selbst fanden im Avex Recording Studio in Honolulu, Hawaii, sowie in den Glenwood Studios in Burbank, Kalifornien, statt. Nach der Präsentation des Songs bei den MTV Video Music Awards 2008 und den anschließenden negativen Kritiken wurden Teile der Rhythmussektion und des Gesangs neu aufgenommen. Die finale Version wurde anschließend am 18. September 2008 offiziell veröffentlicht.

II. Kontext

Kanye West gilt als einer der einflussreichsten und am kontroversesten diskutierten Musiker des 21. Jahrhunderts. West arbeitete zunächst vorrangig hinter den Kulissen als Musikproduzent, sein Durchbruch gelang ihm mit der Produktion von Jay-Zs sechstem Studioalbum The Blueprint im Jahr 2001. Obwohl als Musikproduzent spätestens seit dieser Veröffentlichung anerkannt, hatte West enorme Schwierigkeiten, als eigenständiger Künstler und Rapper Fuß zu fassen. Die Suche nach einem Plattenlabel entwickelte sich zur Odyssee, die jedoch mit der Veröffentlichung seines Debütalbums The College Dropout unter Jay-Zs Roc-A-Fella Records ein Ende nahm. Sowohl The College Dropout als auch die beiden darauffolgenden Alben Late Registration und Graduation wurden von der Kritik sehr positiv aufgenommen und waren kommerziell erfolgreich. Sound und Inhalt dieser Alben entwickelten sich zwar von Werk zu Werk weiter, es lassen sich jedoch deutliche Zusammenhänge zwischen ihnen erkennen.

Am 24. November 2008 wurde 808s & Heartbreak veröffentlicht, das sich klanglich und seitens der Lyrics deutlich von seinen Vorgängern unterscheidet. So ist 808s & Heartbreak vor allem durch seine stark elektronische Instrumentierung geprägt, die durch vielfache Verwendung von Autotune auf Kanye Wests Stimme weiter unterstrichen wird. Bezeichnend für den Sound des gesamten Albums ist die vorab veröffentlichte Single LOVE LOCKDOWN.

III. Analyse

Bei LOVE LOCKDOWN handelt es sich um ein sehr minimalistisches, aber dennoch dynamisches Stück. Der in cis-Moll und im Viervierteltakt verfasste Song beginnt zunächst lediglich mit einem elektronischen Beat. Dieser wurde auf einer Roland TR-808 Drum Machine eingespielt, die namensgebend für das gesamte Album ist und in den Genres und Szenen der elektronischen Tanzmusik Kultstatus besitzt. Der Beat selbst ist eher schlichter Natur und setzt sich zusammen aus dem sich wiederholenden Pattern zweier Achtel-Schläge, einer Viertel und schließlich eines halben Schlags. Dieser Rhythmus wird im Intro vier Mal wiederholt, bis, mit kurzem Auftakt, Kanye Wests Gesang beginnt. Auch in der hiermit beginnenden ersten Strophe wird dieser Beat fortgeführt. Hervorzuheben ist, dass beinahe bis zum Ende dieser ersten Strophe die Roland TR-808 das einzige Instrument im Song bleibt. Sie liefert also nicht nur den sich dauerhaft wiederholenden Rhythmus, sondern fungiert auch, durch die Stimmung der verwendeten Drum Sounds, als Harmonieinstrument. Dies ändert sich erst, wenn zum Ende der Strophe ein deutlich natürlicher klingendes Piano einsetzt, das leicht verändert die Gesangsmelodie nachempfindet. Das vom Piano gespielte Pattern setzt sich auch im anschließend einsetzenden Refrain fort, ebenso der zuvor erwähnte Beat der Roland TR-808. Dieser tritt nun allerdings zugunsten eines sehr dominanten Rhythmus zurück, gebildet durch Taiko-Trommeln und Claps. Das sorgt für eine deutliche Unterscheidbarkeit zwischen Strophe und Refrain. Mit dem Verstummen der Taiko-Trommeln und Claps beginnt die zweite Strophe. Hier rückt nun erneut der elektronische Rhythmus der TR-808 in den Vordergrund, die Lautstärke des Stücks wird somit wieder deutlich zurückgefahren. Der einzige Unterschied zur ersten Strophe ist, dass das Spiel des Pianos nicht nach dem Refrain verstummt, sondern weiter fortgeführt wird. Es endet nach 16 Takten, also genau an derjenigen Stelle, an der es in der ersten Strophe begann. Nach einem erneuten Refrain, der sich identisch zum ersten verhält, beginnt die dritte und letzte Strophe. Diese variiert leicht von den vorherigen Strophen. Zunächst ist sie erneut lediglich durch den elektronischen Beat instrumentiert. Das Piano-Pattern endet dieses Mal mit dem Refrain, setzt jedoch bereits nach acht Takten der dritten Strophe erneut ein. Als einziges neues Element gibt es in dieser Strophe eine Veränderung des Gesangs. Dieser ist hier erstmalig gedoppelt. Die zweite Stimme ist dabei allerdings bis zur Unkenntlichkeit verzerrt und endet bereits nach acht Takten mit dem Einsatz des Piano-Patterns. Es folgt ein letzter Refrain, der anschließend in einen knapp einminütigen Instrumentalteil mündet. Hierbei werden zunächst die Rhythmen der Taiko-Trommeln fortgeführt und durch neue Elemente angereichert. Es kommen ferner Sounds hinzu, die an religiöse Gesänge erinnern. Ganz im Stile der elektronischen Soundästhetik von LOVE LOCKDOWN sind auch diese erkennbar verzerrt. Mit dem Einsetzen eines sehr flächigen Synthesizers erreicht der Instrumentalteil seinen Höhepunkt. Von dort an reduziert sich dieser langsam, bis am Ende ausschließlich der anfängliche Rhythmus vorhanden ist. Das Stück endet also genauso, wie es begann.

Da die Instrumentierung, insbesondere in den Strophen, sehr schlicht gehalten ist, wird in LOVE LOCKDOWN sehr viel Raum für den Gesang gelassen. Dieser ist in seiner Grundstruktur ähnlich repetitiv wie die Instrumentierung. Auffallend ist jedoch, dass es im Gesang zwar sich wiederholende Patterns gibt, diese aber teilweise oktaviert werden, so dass eine gewisse Dynamik entsteht. Besonderheiten gibt es vor allem in der Produktion des Gesangs: Neben der Verwendung eines Reverb-Effekts ist vor allem der dauerhafte Einsatz von Autotune, der einen elektronischen Sound der Stimme zur Folge hat, prägend für das Stück.

Textlich befasst sich LOVE LOCKDOWN mit der Endphase einer Liebesbeziehung. Innerhalb der Strophen wird diese kritisch betrachtet. Dies geschieht jedoch nicht durch Schuldzuweisungen, sondern vielmehr in Form einer Gefühlsbeschreibung. Die Gründe für das Ende der Beziehung verbleiben wenig konkret, eine genaue Reflexion scheint erst durch den Song selbst stattzufinden. Die Lyrics sind also als Momentaufnahme aufzufassen, die Gefühle von Unmut und Unsicherheit zu kanalisieren versuchen. So beginnt jede Strophe mit den Worten “I’m not loving you, [the] way I wanted to” und elaboriert dann jeweils das Gefühl, dass etwas nicht stimmt (“the vibe is wrong”).

Im Chorus hingegen wird der Tonfall deutlich direkter. Hier wird nun der Ausruf “Keep ya love locked down” (Halte deine Liebe unter Verschluss) mehrfach leicht verändert wiederholt. Lediglich die abschließende Phrase “you lose” bringt eine neue, inhaltliche Dimension hinzu. So wäre zunächst denkbar gewesen, dass das lyrische Ich hier sein Gegenüber bittet, seine Liebe zurückzuhalten – entweder in einem verstärkt vorwurfsvollen Ton oder aber um das bevorstehende Ende dieser Beziehung zu erleichtern. Deutlich sinniger erscheint allerdings, dass es sich hier um einen Perspektivwechsel handelt: Mit “you” wäre dann nicht mehr die andere Person der Beziehung gemeint, der Refrain wäre also vielmehr als Appell zu sehen, einerseits als Appell des lyrischen Ichs an sich selbst, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten, um nicht weiter verletzt zu sein, andererseits als Appell an die Rezipierenden, mit denen das lyrische Ich seine Erfahrungen teilt und vermittelt: “Haltet eure Liebe unter Verschluss, oder ihr werdet verletzt!”.

Der Song ist repräsentativ für das Album, auf dem er erschien. Der Albumtitel 808s & Heartbreak ist hier nicht nur durch die Verwendung des Roland TR-808 und das Thematisieren von Herzschmerz aufgegriffen, sondern auch der titelimmanente Kontrast von etwas sehr Künstlichem, den Sounds der TR-808, und etwas sehr Natürlichem, den Gefühlen der Liebe und des Scheiterns der Liebe, wird hier in die Instrumentierung übernommen. So stehen die Sounds der Synthesizer und der Drum Machine den organischen Klängen des Pianos und der Taiko-Trommeln gegenüber.

IV. Rezeption

Wie bereits erwähnt, kam es nach der Premiere von LOVE LOCKDOWN bei den MTV Video Music Awards 2008 zu negativen Kritiken, die eine partielle Überarbeitung des Songs zur Folge hatten. Auch die finale Version sorgte für ambivalente Reaktionen: Die Kritiken reichten von “irritierend” bis “Meisterwerk “. Grund für Irritationen war dabei nicht nur die elektronische Instrumentierung, sondern vor allem Wests Abkehr vom Rap hin zum Gesang und der damit verbundene deutliche Gebrauch von Autotune.

Kommerziell war LOVE LOCKDOWN durchaus erfolgreich. Der Song erreichte in den USA den dritten Platz der Billboard Charts und verkaufte sich dort insgesamt drei Millionen Mal. In Deutschland erreichte LOVE LOCKDOWN Platz acht der Media Control Charts und ist damit hierzulande bis dato Kanye Wests Solo-Single mit dem höchsten Chart-Einstieg.

 

JONAS GÖDDE


Credits

Komposition und Text: Kanye West, Jeff Bhasker, Jenny-Bea Englishman, Malik Yusef, Jan Menzies
Lead Gesang: Kanye West
Keyboards: Jeff Bhasker
Schlagzeug, Percussion: Gibi, Lula Almeida, Rodney Dassis, Zé Bruno
Tontechnik: Andrew Dawsonp
Produzent: Kanye West
Veröffentlichung: November 2008
Länge: 4:30 (Album- und Single-Version)

Recordings

  • Kanye West. “Love Lockdown”. On: 808s & Heartbreak, 2008, Roc-A-Fella, B0012198-02, US (CD/Album).
  • Kanye West. “Love Lockdown”. On: 808s & Heartbreak, 2008, Roc-A-Fella, B0012198-01, US (LP/Album).
  • Kanye West. “Love Lockdown”. On: Love Lockdown, 2008, Roc-A-Fella, 00602517929890, Germany (CD/Single).
  • Kanye West. “Love Lockdown”. On: Love Lockdown, 2008, Roc-A-Fella, 1791480, Germany (Vinyl/Single).

Covers

  • Glass Animals. “Love Lockdown”. On: Remixes EP, 2015, Wolf Tone, WOLFTONERSD1, UK (Vinyl/EP).
  • White Lies. “Love Lockdown”. On: Farewell To The Fairground, 2009, Fiction Records, 2700379, UK (Vinyl/Single/B-Side).

References

  • Bailey, Julius: The Cultural Impact of Kanye West. New York: Palgrave Macmillan 2014.
  • Curry, Tommy J.: Pessimistic Themes in Kanye West’s Necrophobic Aesthetic: Moving beyond Subjects of Perfection to Understand the New Slave as a Paradigm of Anti-Black Violence. In: The Pluralist 9 (2014), 18-37. URL: http://muse.jhu.edu/article/555477 [13.11.2018].
  • Kreps, Daniel: Kanye West Re-Records ‘Love Lockdown’ With New Vox, Drums. In: Rolling Stone, 16.09.2008. URL: http://www.rollingstone.com/music/news/kanye-west-re-records-love-lockdown-with-new-vox-drums-20080916#ixzz43icNwoXl [07.03.2016].
  • Patel, Joseph: Producer Kanye West’s Debut LP Features Jay-Z, ODB, Mos Def. In: MTV, 06.04.2003. URL: http://www.mtv.com/news/1472302/producer-kanye-wests-debut-lp-features-jay-z-odb-mos-def/ [07.03.2016].
  • Price, Simon: Album: Kanye West, 808s & Heartbreak (Roc-a-Fella/Mercury). In: Independent. URL: http://www.independent.co.uk/arts-entertainment/music/reviews/album-kanye-west-808s-amp-heartbreakroc-a-fellamercury-1038395.html [07.03.2016].
  • Richards, Chris: 808s & Heartbreak by Kanye West. In: Washington Post, 23.11.2008. URL: http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2008/11/23/AR2008112302506.html/ [07.03.16].

About the Author

Analysis written in a course of Prof. Dr. Thomas Krettenauer at the University of Paderborn.
All contributions by Jonas Gödde

Citation

Jonas Gödde: “Love Lockdown (Kanye West)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/lovelockdown, 11/2018.

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