1928
Fred Raymond / Robert Gilbert

Ich steh mit Ruth gut

ICH STEH MIT RUTH GUT ist ein Schlager von Robert Gilbert und Fred Raymond, der viele Elemente aufgreift, die in den 1920er und 1930er Jahren charakteristisch für die Unterhaltungsmusik im deutschen Sprachraum waren.

 

I. Entstehungsgeschichte

Der Foxtrott-Schlager ICH STEH MIT RUTH GUT ist ein prominentes Beispiel für die produktive Zusammenarbeit zwischen Berliner (Robert Gilbert) und Wiener (Fred Raymond) Kunstschaffenden. Robert Gilbert (bürgerlich David Robert Winterfeld) verfasste schon in seiner Jugend zusammen mit seinem Vater, dem Komponisten Jean Gilbert (bürgerlich Max Winterfeld), Texte für Operetten und Revuen in Berlin. Seine Zuwendung zum Schlager in den frühen 1920er Jahren fand nicht zuletzt aus finanzieller Not statt. Nach der Eheschließung mit der Sängerin Marie Luise Elisabeth Geldner im Jahr 1923, brach er sein Philosophie- und Kunstgeschichtsstudium an der Humboldt-Universität ab, um für das Einkommen des Paares sorgen zu können (Walther 2019: 26). In späteren Jahren kokettierte er mit dieser Entscheidung und setzte sie humoristisch in sein berühmtes Diktum: „Vom Vater wollte ich nicht leben, von Schopenhauer auch nicht, also wandte ich mich dem Gassenhauer zu“ (ebd.). Robert Gilbert arbeitete dafür mit allen großen Komponisten und Interpreter:innen im Berlin der 1920er und 30er Jahre zusammen, darunter Ralph Benatzky, Erik Charell, Robert Stolz, Claire Waldoff und Friedrich Hollaender. Neben seinen bekannten humoristischen Schlagern „Warum liebt der Wladimir g’rade mir“ oder „Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist“ für das Singspiel Im weißen Rößl schuf er immer wieder gesellschaftskritische Texte sowie zahlreiche politische Arbeiter- und Kampflieder wie „Berlin bleibt rot“.

In dieser Zeit lernte er auch den österreichischen Komponisten Fred Raymond (bürgerlich Friedrich Raimund Vesley) kennen. Raymond übersiedelte erst 1928 nach Berlin, ein Jahr nach der Veröffentlichung seines ersten großen Erfolgsschlagers „Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren“. Fred Raymond hatte, ähnlich wie Robert Gilbert, eine kaum übersehbare Vorliebe für humoristische Schlager und Nonsens-Texte. In diese Reihe gehören Titel wie „Ich kann dein grünes Seidenkleid nicht leiden“, „Ich reiß mir eine Wimper aus und stech dich damit tot“ oder auch „Ich hab’ das Fräulein Helen baden sehn“. Das Foxtrott-Lied ICH STEH MIT RUTH GUT ist also prototypisch für die humoristische Tanz-Schlagerproduktion der späten 1920er Jahre.

 

II. Kontext

Die Gattung des Foxtrott-Liedes war in den 1920er Jahren ungemein populär. Der nur etwa zehn Jahre zuvor in den USA aus dem Ragtime entstandene Tanz wurde später durch Personen wie Robert Stolz maßgeblich gefördert und im deutschsprachigen Raum etabliert. Neben den vielen, rein instrumentalen Foxtrotts, entwickelte sich zudem das Foxtrott-Lied. Dem frivolen Ruf des Foxtrotts entsprechend, sind die Texte der Fotrott-Lieder in den meisten Fällen sehr humorvoll, bisweilen auch erotisch oder lasziv. Eine äußerst beliebte Mischform aus Lied und instrumentalem Arrangement war der sogenannte „Foxtrott mit gesungenem Refrain“. Meist liegen hier schon populäre Foxtrott-Lieder zugrunde, bei denen lediglich einmal der Refrain gesungen wird. Im Vordergrund steht bei dieser Gattung nicht der Text bzw. der Gesang, sondern vielmehr die instrumentale Tanzmusik. Der Refrain dient lediglich dazu, das musikalische und textliche Material vorzustellen, auf das sich die vielen musikalischen Effekte des anschließenden Arrangements beziehen.

Eingespielt wurden die Foxtrott-Arrangements von den Label-eigenen Tanzkapellen wie das Odeon-Tanzorchester. Dahinter verbargen sich aber nicht unbedingt feste Ensembles, sondern viele verschiedene Bands und Gruppen, die gelegentlich für das eine oder andere Label spielten. Unter dem Namen Odeon-Tanzorchester firmierte unter anderem das Dajos Bela Tanz Orchester.

 

III. Analyse

Der Text ist geprägt durch seine sehr kurzen sich reimenden Zeilen, die sich nur durch wenige Silbenveränderungen voneinander unterscheiden: „Eine, die kenn’ ich/ für eine entbrenn’ ich/ […] Eine die nenn’ ich/ die meine und wenn ich …“ Nach diesem Schema funktioniert auch die Komik des Refrains, dessen kurzsilbige Zeilen jeweils mit zwei Reimworten auf die besungene „Ruth“ enden (Ruth gut/ Ruth tut/ gut tut). Der jeweilige Reim der Zeile wird musikalisch durch eine prägnante Synkopierung hervorgehoben: „Ich steh’ mit Ruth gut, weil meine Ruth tut, das was mir gut tut, im Monat Mai“. Diese betonten Synkopierungen sind für den frühen Foxtrott-Schlager stilbildend, wie überhaupt der Begriff der Synkope synonym für die wilden Tanzorchester- und Bigband-Arrangements steht oder im Namen von berühmten Musikgruppen wie den Weintraub Synkopators auftaucht.

Ein wesentliches Merkmal der Texte von Unterhaltungsschlagern der 1920er Jahre sind die in erotischer Hinsicht anspielungsreichen Texte: „Ruth tut, das was mir gut tut, im Monat Mai“ und vor allem: „Sie macht die allerkleinste Wiese, zum Paradiese, im Augenblick“.

ICH STEH MIT RUTH GUT ist 1928 gleich in mehreren Versionen erschienen, sowohl als rein instrumentales Tanzorchesterstück, als Fassung für Männerquartett, als auch in einer Fassung mit gesungenem Refrain. In der äußerst aufwändigen Version des Odeon-Tanzorchesters mit Gesang aus dem Jahr 1928 beginnt das Arrangement mit einer akustischen Hochzeitszenerie: Zu hören sind Kirchenglocken sowie eine kurze Kadenz der Orgel. Direkt daran schließt sich der Refrain mit Klavierbegleitung und Xylophoneinwürfen an. Die Zwischenspiele sind durch rasche Wechsel in Instrumentierung und der motiv-thematischen Verarbeitung des Refrains geprägt. Auch das ist typisch für die Foxtrott-Arrangements der 1920er Jahre.

Der vollständige Text des Liedes, mit allen drei Strophen, ist nur in der Aufnahme des Abel-Quartetts zu hören. In allen anderen, auch späteren Einspielungen werden lediglich eine Strophe und ein Refrain oder sogar nur der Refrain gesungen. Interessant ist, dass in allen Aufnahmen mit gesungener Strophe immer die 2. Strophe verwendet wird: „Anna, die wollte mich küssen …“. Die 2. Strophe hebt sich textlich von den anderen beiden pointenreich ab, weil sie humorvoll auf traditionelle Volkslieddichtungen Bezug nimmt: „und kömmt gekämmt zu mir im Hemd die Loreley, ich sag ihr frei: Ich steh mit Ruth gut …“.

 

IV. Rezeption

Schon direkt im Jahr 1928 wurde das Foxtrott-Lied außerordentlich bekannt und beliebt. Das zeigt sich in den vielen unterschiedlichen und beinahe gleichzeitig erschienenen Aufnahmen. Das erst 1928 gegründete Abel-Quartett, das sich wie die nur kurze Zeit später gegründeten Comedian Harmonists in die Tradition der US-amerikanischen Vokalgruppe The Revelers stellte, nahm das Lied als eine der ersten Gruppen auf. Nur in dieser Einspielung ist der Text mit allen drei Strophen enthalten.

Unter Mischa Spolianskys Leitung entstand 1928 eine rein instrumentale Einspielung für Electrola. Bei dem auf der Aufnahme zu hörenden Ensemble handelt es sich vermutlich um die Weintraub Snycopators, die sich für das Arrangement einige humorvolle Effekte haben einfallen lassen. So erklingt vor dem letzten Durchgang des Refrains das Frage-Motiv aus Richard Wagners Lohengrin.

Die Schlager der 1920er Jahre waren aber keineswegs unumstritten. Gerade die Unterhaltungsschlager mit ihren humorvollen Nonsens-Texten waren allzu oft Ausgangspunkt kulturpessimistischer Kritiken. Mit Bezug auf ICH STEH MIT RUTH GUT und den „Schlager-Querschnitt“ des Jahres 1929 schreibt Helmut Kosser in einem Artikel der Deutschen Reichs-Zeitung (der Zentrumspartei nahe stehend) vom 21.06.1929: „Wenn man mit dem blättern beginnt, ist man vielleicht noch zum Lächeln bereit; man ist gefaßt auf sanft vertrottelte Reimerei, auf überschüssige Einfalt und ausgesuchten Unfug. Hat man indes nur fünf Minuten geblättert, so hält keine Ironie mehr stand […] das ist – ja das ist so trostlos, so quälend, und so beschämend, daß der Spott sich erschrocken verkriecht und die lächelnde Betrachtung verzweifelt davonprescht, um der müdesten Traurigkeit Platz zu machen“ (Anonym 1929).

Aber nicht die Kulturkritik verhinderte die weitere Verbreitung, sondern Tanzschlager waren überhaupt eine äußerst ephemere Gattung und konnten nur in den seltensten Fällen eine anhaltende Popularität aufbauen. Die enorme Produktivität der Labels in diesem Segment und eine sich daran anschließende Konsumhaltung, die vor allem auf Novität der Musikstücke ausgerichtet war, sorgte dafür, dass vor allem viele der Tanzschlager rasch in Vergessenheit gerieten.

In jüngerer Zeit wurde ICH STEH MIT RUTH GUT durch den Sänger Max Raabe wieder etwas bekannter. Seit seinem Album Folge 5: Dort tanzt Lu-Lu! (1994) gehört das Lied zum festen Repertoire bei seinen Auftritten mit dem Palast Orchester.

 

JANIK HOLLAENDER


Credits

Musik: Fred Raymond
Text: Robert Gilbert

Recordings

  • Die Abels. „Ich küsse Ihre Hand, Madame / Ich steh’ mit Ruth gut“, 1928, Homocord, 4-2813, Germany (Shellac).
  • Mischa Spoliansky und sein Orchester. „Ich küsse Ihre Hand, Madame / Ich steh’ mit Ruth gut“, 1928, Electrola, E.G. 940, Germany (Shellac).

References

  • Anonym: Die Höhe des Stumpfsinns. In: Deutsche Reichs-Zeitung, 21.06.1929, o.S., https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/zoom/3343260 [14.04.2025].
  • Walther, Christian: Ein Freund, ein guter Freund. Robert Gilbert – Lieddichter zwischen Schlager und Weltrevolution. Eine Biographie. Berlin: Christoph Links 2019.

About the Author

Janik Hollaender is a research assistant at the Department of Musicology, University of Freiburg.
All contributions by Jannik Hollaender

Citation

Janik Hollaender: „Ich steh’ mit Ruth gut (Fred Raymond/Robert Gilbert)“. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, https://www.songlexikon.de/songs/ich-steh-mit-ruth-gut, 06/2025.

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