ICH BIN VON KOPF BIS FUSS AUF LIEBE EINGESTELLT ist ein berühmter Filmschlager aus der Frühphase des Tonfilms.
I. Entstehungsgeschichte
Friedrich Hollaender selbst übernahm in seiner Autobiografie mit dem sprechenden Titel Von Kopf bis Fuß die Deutungshoheit über die Entstehung seines größten Erfolges ICH BIN VON KOPF BIS FUSS AUF LIEBE EINGESTELLT. Der Filmschlager entstand demnach im Vorfeld der Dreharbeiten für den UFA-Film Der Blaue Engel (UA 01.04.1930), dem Heinrich Manns Roman Professor Unrat als Vorlage diente. Die UFA beauftragte Friedrich Hollaender mit der Komposition von vier Liedern, die zur Illustration der Tingeltangel-Szenen gebraucht wurden. Ausführlich beschreibt Hollaender die skurrile Szene im Büro des Produzenten Erich Pommer, in dem ICH BIN VON KOPF BIS FUSS AUF LIEBE EINGESTELLT unter Anwesenheit von Marlene Dietrich, Emil Jannings, Heinrich Mann, Regisseur Josef von Sternberg und Drehbuchautor Carl Zuckmayer spontan entstanden sein soll. Hollaender saß demnach am Klavier und improvisierte auf Zuruf der umstehenden Personen einen langsamen Walzer mit einem sogenannten Schimmel, also einer sinnlosen Textierung, die eigentlich nur probeweise unter die Melodie gelegt wird (Hollaender 2001: 226). „Die Wirkung ist unbeschreiblich, die ganze Gesellschaft klatscht. Ein Stimmengewirr, wie am Bahnhof“, schreibt Hollaender später in seine Memoiren (ebd.: 227). Legendarisch wurde auch der von Hollaender überlieferte Zuruf Emil Jannings: „Wat heißt hier Schimmel? Det is er!“ (ebd.). In einem Zeitungsartikel aus dem Premierenjahr des Films, in dem Hollaender Einblicke in die Arbeit eines Filmkomponisten geben wollte, klingt die Entstehung des Schlagers noch deutlich kalkulierter: „Schon mit dem Schlager ‚Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt‘ war die Charakterrolle von Marlene Dietrich, der verführerischen Varieté-Sängerin Lola, so scharf umrissen, dass durch dieses Chanson eine klare Grundlinie für die Handlung gewonnen war. Dieses Chanson schuf sofort die Atmosphäre, nach der der Stoff gebieterisch verlangte. Das Thema dieser Melodie war prädestiniert dazu, Leitmotiv für das innerste Geschehen zu werden, Schicksalsmotiv des verführten Professor Rath“ (Hollaender 1930).
Hollaender lag im Nachhinein viel daran, die Beiläufigkeit und Flapsigkeit der Entstehung seines größten Erfolges zu betonen. Möglicherweise auch deshalb, weil er seine Stärke eher im geistvollen, intellektuellen und politischen Kabarett sah. Schon über die Komposition des ersten Liedes „Ich bin die fesche Lola“ für den Film Der Blaue Engel schrieb er, dass er damit mühelos hätte den „Oscar für Vulgarität einheimsen“ können und das Lied selbst „entsetzlich“ fand (Hollaender 2001: 224). Hollaender hatte aber durchaus Erfahrung mit Etablissements wie dem im Film gezeigten, mit heruntergekommenem Hafen-Tingeltangel. Seine Originalität und sein Sinn für scharfe Pointen wurden maßgeblich während seiner frühen Karriere als Komponist für die Berliner Brettl-Bühnen geprägt. Überhaupt scheint der durchschlagende Erfolg des Films auch daher zu kommen, dass mit Ausnahme von Emil Jannings alle anderen Schauspieler bereits auf den Bühnen von Varietés und Revuen gestanden hatten (Rügner 1988: 241).
Für die gleichzeitig gedrehte englischsprachige Version des Films The Blue Angel, die nur drei Monate nach der deutschen Uraufführung in London Premiere hatte, wurde ein neuer Text von Sammy Lerner, einem Song- und Musicaltexter, verfasst. Allerdings weicht der neue Text stark von Hollaenders Original ab und unterschlägt die lasziv-erotische Konnotation: „Falling in love again / Never wanted to / What am I to do? / Can’t help it“ (Baxter 2010: 186).
II. Kontext
Ab 1927 begann sich der Tonfilm und mit ihm der Tonfilmschlager von den Vereinigten Staaten ausgehend auch in Deutschland durchzusetzen. Im frühen Tonfilm der 1920er- und 30er-Jahre bestand eine der zentralen Herausforderungen darin, die verschiedenen Lieder möglichst organisch in die Handlung einzufügen. Daher orientierten sich die Filme sowie die darin verwendete Musik meist an Operette und Revue. Auch die Darsteller:innen waren zum großen Teil ausgebildete Opern- oder Operettensänger:innen. Von vielen Seiten mehrte sich schon zu Beginn der 1930er-Jahre der Vorwurf, dass die Handlungen der Filme um die Schlager herum konzipiert würden und sich die Lieder anlass- und sinnlos in die Filme drängten (Kornberger 2021: 41). Von diesem klassischen Tonfilmkonzept hebt sich der Film DER BLAUE ENGEL deutlich ab. Da die Handlung des Films im Milieu eines verwahrlosten Tingeltangel-Theaters spielt, wurde der Einsatz der Schlager in diesem Fall von den Kritiken sogar lobend hervorgehoben. Die Musik diente dazu, den Aufführungsort zu illustrieren, weshalb auf die musikalische Operettenstilistik samt entsprechend ausgebildeter Sängerin bewusst verzichtet wurde, was zu dieser Zeit ein Novum in der Filmindustrie war. Die Filmschlager erreichten auch durch diese Einbindung in die Handlung des Films einen bislang nie dagewesenen Erfolg.
Die politisch bissigen Chansons und Couplets des Kabaretts hatten im neuen Tonfilm hingegen keinen Platz mehr. Erfolg hatten eher oberflächliche Liebeslieder mit oftmals erotisierenden Texten. Friedrich Hollaender sah seine Stärke zwar eher im pointiert-politischen Kabarett, entdeckte aber im neuen Medium Tonfilm eine nie dagewesene Chance, seine Werke unabhängig von „Starlaunen“ und „Kehlkopfverstimmungen“ der Interpret:innen beliebig oft aufzuführen, und dabei immer die beste Interpretation zu Gehör zu bringen (Hollaender 1930). Hinzu kommt, dass Hollaender in der Filmmusik ein enormes gestalterisches Potential für sich als Komponist ausmachte: „Sowohl die konkreten als auch die abstrakten Vorgänge der filmischen Darstellung drängen an und für sich immer nach Musikalität. Sie können sogar durch musikalischen Aufbau in ihrer Entwicklung stark gefördert und veredelt werden“ (Hollaender 1930).
III. Analyse
Der Text des Liedes beschreibt die verführerischen Strategien („doch wenn sich meine Augen bei einem Vis-à-vis, ganz tief in seine saugen …“) und die erotisierende Wirkung („Männer umschwirrn mich wie Motten um das Licht …“) einer Femme Fatale aus der Perspektive der weiblichen Hauptfigur Lola. Die Szene des Films, in der Marlene Dietrich nur mit weißem Zylinder und einem freizügig geschnittenen Kleid lasziv auf einem Bierfass sitzt und Friedrich Hollaenders ICH BIN VON KOPF BIS FUSS AUF LIEBE EINGESTELLT singt, hat Filmgeschichte geschrieben und die Interpretin beinahe über Nacht zum Filmstar werden lassen. Dabei liegt der Fokus der Szene nicht auf der damals noch gänzlich unbekannten Marlene Dietrich, sondern auf dem eigentlichen Star des Films, Emil Jannings. Die meiste Zeit ist sein Gesicht und seine verzückte Reaktion auf den dargebotenen Gesang oder vielmehr auf den aufreizenden Auftritt der Filmfigur „Lola“ zu sehen. Auch durch die gewählten Hintergründe wird diese Priorisierung deutlich: Jannings bekommt eine markante Kameraeinstellung seines Gesichts vor neutralem und verschwommenen Hintergrund, während Marlene Dietrich trotz ihres aufreizenden Kostüms in der Üppigkeit der Kulisse und der sie umgebenden Nebendarstellerinnen (eine davon ist die damals schon berühmte Schauspielerin und Sängerin Rosa Valetti) beinahe untergeht.
Die Komposition selbst ist ein langsamer Walzer und greift damit auf die in der Operette schon seit dem 19. Jahrhundert etablierten Topoi der Heiterkeit, Sentimentalität und Noblesse zurück. In der Strophe („Ein rätselhafter Schimmer …“) tritt der Walzerrythmus vor dem eher rezitativisch vorgetragenen Text und der freieren Begleitung weitestgehend in den Hintergrund. Formal hat das Lied zwei Strophen, die jedoch vollständig nur in der Schallplattenaufnahme von 1930 zu hören sind. In beinahe allen anderen Aufnahmen ist nur die erste oder gar keine Strophe zu hören. Auch im Film dient die Strophe nur als eine Art Prolog, dem die unzähligen Wiederholungen des Refrains folgen sollen. Im Refrain hingegen wird der Walzerrhythmus durch die Melodie betont, mit der einzigen Ausnahme der hervorgehobenen Worte „gar nichts“ (Viertel+Halbe). Die süßliche Wirkung des Refrains wird zudem durch die chromatischen Durchgänge im Bass und in den Mittelstimmen sowie durch die mediantischen Phrasenanschlüsse („Männer umschwirrn mich …“) erzeugt.
Der Erfolg des Liedes hängt sicherlich auch mit den geschickt platzierten Wiederholungen im Film Der Blaue Engel zusammen. Schon während die Hauptfigur des Films, Immanuel Rath, im Theaterraum Platz nimmt, erklingt die Strophe des Liedes („Ein rätselhafter Schimmer …“) gefolgt vom ersten Teil des Refrains („Ich bin von Kopf bis Fuß …“). Danach wird das Lied abgebrochen, Immanuel Rath wird den Gästen des Theaters vorgestellt und das Lied beginnt erneut von vorne. Die Strophe ist dieses Mal instrumental ausgeführt und der Gesang setzt erst beim Refrain ein. Der Refrain selbst ist nach einem AABA-Schema aufgebaut, sodass sich innerhalb eines Refrains der A-Teil „Ich bin von Kopf bis Fuß …“ einmal wiederholt. Nach dem ersten Durchgang des Liedes applaudiert das Publikum – ein geschickter Filmeffekt, um eine erneute Wiederholung des gesamten Refrains (AABA) zu rechtfertigen. Ganz am Ende des Filmes folgt unter dem Abgang des gescheiterten und verspotteten Immanuel Rath, gewissermaßen als Conclusio, noch einmal eine vollständige Reprise des Refrains (AABA). Nach so vielen Durchgängen des Liedes ist es beinahe unvermeidlich, dass das Publikum des Films mindestens den Refrain in Erinnerung behält.
Der vergleichsweise große Tonumfang des Liedes und Marlene Dietrichs tiefe Stimme haben zu verschiedenen Transpositionen der Komposition geführt. Während die Klavierausgabe in F-Dur steht, singt Marlene Dietrich bereits in den Fassungen für den Film und die Tonträgeraufnahme von 1930 eine große Terz tiefer in Des-Dur. Der B-Teil des Refrains („Männer umschwirrn mich …“) läge mit dem Spitzenton es’ immer noch weit außerhalb ihrer stimmlichen ‚Komfortzone‘. Daher wird in beiden Fassungen von 1930 dieser B-Teil von ihr eine Oktave tiefer gesungen, was zur Folge hat, dass Marlene Dietrich wiederum mit dem Ton es in der tiefen Lage an die Grenze ihre Stimme gelangt. Dass diese Variante nicht ursprünglich geplant war, fällt an der Verbindung der beiden Phrasenabschnitte auf, wenn sie einen einzelnen Ton in der originalen Oktavlage singt („und wenn sie verbrennen …“), um danach wieder direkt, etwas unelegant, in die tiefe Lage zu springen. In den späteren Konzerten und Aufnahmen wird sie nur noch den Refrain des Liedes singen (meist auf Englisch), allerdings nach Es-Dur transponiert, also eine große None tiefer als die Klavierfassung. Hier funktionieren die Anschlüsse der Phrasen im Refrain wieder in Originallage, allerdings können die Strophen in dieser extrem tiefen Lage nicht mehr gesungen werden. Um die gestrichenen Strophen abzufangen, werden die Refrains in ihren späten Konzerten und Aufnahmen durch opulente Zwischen- und Nachspiele des Orchesters im üppigen Broadway-Stil gerahmt.
IV. Rezeption
Der Schlager wurde zum größten Erfolg in den Karrieren von Friedrich Hollaender und Marlene Dietrich. Die Kritiken in den Zeitungen nach der Premiere des Films DER BLAUE ENGEL bejubeln den Film und heben allesamt die hohe Qualität und die gelungene dramaturgische Einarbeitung der Musik hervor. So war bereits vier Tage nach der Premiere zu lesen: „Der von einer rauhen und gewaltsamen Sinnlichkeit erfüllte Schlager, den die verführerische Varieté-Lulu singt, dieser breit und packend anrollende Chanson ‚Ich bin von Kopf bis Fuß nur auf Liebe eingestellt‘, formt sich gewissermaßen unmittelbar aus der Atmosphäre des Stückes“ (Anonym 1930a: 10). Viele Kritiker übertragen ihre Begeisterung für den Film auf das ganze Genre, denn zum ersten Mal sei hier der Tonfilm zu seiner ganzen Wirkung gekommen.
ICH BIN VON KOPF BIS FUSS wurde so populär, dass der Schlager schon im Monat der Filmpremiere in einem Zeitungsartikel als Sinnbild für den neuen Frauentypus der Gegenwart beschrieben wird: „Und schon heute singen alle Mädchen und Frauen ihr [Marlene Dietrich] nach: ‚Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt, – denn das ist meine Welt, – und sonst gar nichts …‘ Und sie singen es so hart, grausam-lüstern und dämonisch wie Marlene, wenn sie den armen Emil Jannings zur Strecke gebracht hat“ (Anonym 1930b). Aber nicht nur im Film, sondern auch in den Kritiken bringt Marlene Dietrich den berühmten Emil Jannings ‚zur Strecke‘. Sie gilt in allen Besprechungen und Kritiken als die große schauspielerische Überraschung, die sich kalt, verführerisch, dämonisch und charaktervoll gegen den großen Jannings auf der Leinwand durchsetze. Bereits im Sommer des Jahres 1930 wurde das Lied zu einem Standard in Revues und Variétés, der von Tanzorchestern aufgenommen und in Kabaretts parodiert wurde und sogar häufig als „Hintergrundmusik“ in Kurzgeschichten und Fortsetzungsromanen der Feuilletons auftauchte.
Von hier aus setzte eine beispielslose Rezeptionsgeschichte ein, die bis in die Gegenwart anhält. Vor allem die englischsprachige Version „Falling in Love Again“ wurde von einer Vielzahl berühmter Künstler:innen und Bands gecovert oder liebevoll zitiert, darunter Billy Holiday (1940), The Beatles (1962) oder Nina Simone (1966). Auf Englisch und auf Deutsch blieb der Schlager aber weiterhin untrennbar mit Marlene Dietrich verbunden. „Falling in Love Again“ war sowohl die Auftrittsmusik wie auch der fulminante Abschluss eines jeden Konzertes von ihr.
JANIK HOLLAENDER
Credits
Text: Friedrich Hollaender
Musik: Friedrich Hollaender
Gesang: Marlene Dietrich
Begleitung: Friedrich Hollaender und seine Jazz Symphoniker (im Film Der Blaue Engel)
Recordings
- Marlene Dietrich. „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt / Nimm dich in Acht vor blonden Frauen“, 1930, Electrola, 60-816, E.G. 1770, UK (Shellac).
References
- Anonym (a): Das erste deutsche Tonfilmdrama. In: Schwäbische Tagwacht, 05.04.1930, 10, https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/newspaper/item/5B6LPZWAYPK6IGEORMLBYH5O3OLY3NEU?issuepage=10 [14.04.2025].
- Anonym (b): Die große Mode: der Vamp. In: Ohligser Anzeiger 24.04.1930, o.S., https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/zoom/9361041 [14.04.2025].
- Baxter, John: Berlin Year Zero: The Making of „The Blue Angel“. In: Framework: The Journal of Cinema and Media 51/1 (2010), 164–189.
- Hollaender, Friedrich: Von Kopf bis Fuß. Revue meines Lebens. Berlin: Aufbau 2001.
- Hollaender, Friedrich: Die Musik im Tonfilm. In: Westfälische Zeitung: Bielefelder Tageblatt, 14.05.1930, o.S., https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/newspaper/item/ZGFRI2MWLOCCZ3ADAQVEDY6DHUJ3BBEK?issuepage=2 [14.04.2025].
- Kornberger, Monika: „Einmal sang die Liebe uns ein Lied“. Deutscher Schlager der Zwischenkriegszeit in Wien und seine Protagonisten. Ein Handbuch. Wien: Hollitzer 2021.
- Rügner, Ulrich: Filmmusik in Deutschland 1924–1934. Hildesheim: Georg Olms 1988.
About the Author
All contributions by Jannik Hollaender
Citation
Janik Hollaender: „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt (Friedrich Hollaender)“. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, https://www.songlexikon.de/songs/ich-bin-von-kopf-bis-fuss-auf-liebe-eingestellt, 06/2025.
Print