1984
Prince

Darling Nikki

DARLING NIKKI ist der fünfte Song auf Prince’ sechstem Studioalbum, seines bis dato größten kommerziellen Erfolges Purple Rain. Der Song, 1984 auf dem Höhepunkt seiner Karriere entstanden, veränderte die gesellschaftliche Umgangsweise mit sexuell expliziten Texten nachhaltig, da er die Einführung des “Parental Advisory” Stickers nach sich zog.

I. Entstehungsgeschichte

DARLING NIKKI wurde, wie die meisten Songs von Prince, selbst geschrieben, eingespielt und produziert. Er wurde am 25. Juni 1984 auf dem Studioalbum Purple Rain veröffentlicht. Es existieren drei verschiedene Versionen des Songs: die in den Paisley Park Studios aufgenommene Version, die sich auf dem Album Purple Rain befindet, eine Live-Version, die einem Konzert der Purple Rain-Tour entnommen und für den Soundtrack des Filmes Purple Rain benutzt wurde, und des Weiteren eine Studio-/Promoaufnahme, die als einzige ein gesprochenes Intro und einen zusätzlichen Instrumentalbreak enthält, der auf den anderen Versionen fehlt.

Obwohl der Song nicht als Single veröffentlicht wurde, erlangte er nach seiner Veröffentlichung das Medieninteresse durch die Dichte seiner sexuell expliziten Formulierungen. Es ist überliefert, dass sich Tipper Gore, die damalige Ehefrau des früheren Vizepräsidenten Al Gore (ehedem Abgeordneter des Repräsentantenhauses), durch den Song resp. eine Reihe weiterer Songs mit vergleichbarem Inhalt veranlasst sah, das “Parents Music Ressource Center” zu gründen. Dieses sollte Minderjährige vor dem Einfluss expliziter sexueller und/oder gewaltverherrlichender Texte in Songs schützen. Die Gründung resultierte in der Kennzeichnung jedweder Aufnahme mit dem beschriebenen Inhalt durch einen “Parental Advisory”-Sticker, der bis zum heutigen Tag auf den Covern entsprechender Alben und Singles zu finden ist.

II. Kontext

DARLING NIKKIerzählt die Geschichte einer Begegnung zwischen einer promiskuitiven Frau namens Nikki und ihrem männlichen Counterpart, der im Laufe des Textes von ihr angesprochen, verführt und letztlich allein zurück gelassen wird.

Der Song zeichnet sich vor allem durch seine sprachliche Darstellung einer intim-erotischen Begegnung aus. Der beschriebene promiskuitive Lebensstil ist mit dem Image der Künstler-Persona (Prince) assoziiert worden. Der Entstehungszeitraum des Songs und des Albums Purple Rain war geprägt von der medial inszenierten Rivalität zwischen Michael Jackson und Prince. Dabei wurde Prince als der “böse” Gegenspieler eines vermeintlich “reinen” Michael Jacksons dargestellt. Das In-Erscheinung-Treten von Prince als Verführer, besonders junger Mädchen, das mit Presseberichten zu Anfang der 80er Jahre korreliert, und sein ,cross-dressendes’ Auftreten (High Heels und Schnurrbart) schufen im Zusammenschluss den Eindruck eines Grenzgängers. Prince lotete mit der Veröffentlichung von DARLING NIKKI die Grenzen seiner Kunst aus und überschritt diese. Durch die Sanktionierung (Parental Advisory) erhielt der Song Kultstatus und gilt auch heute noch als imageprägend für die Musik von Prince bis zur Jahrtausendwende.

III. Analyse

Das Musikvideo und die Metaphorik des Textes sind in diesem Song aufeinander abgestimmt. Bis heute ist nicht eindeutig geklärt ob Prince bei der Produktion von DARLING NIKKI bereits eine Sequenz im Film antizipierte. Fest steht, dass der Song sich hinsichtlich aller Ebenen ‒ Musik, Thematik, Bild und Text ‒ bestens in den Film einpasst. Der Text repräsentiert auf den ersten Blick eine heteronormative Begehrensstrukur, die vom männlichen lyrischen Ich ausgeht und ein weibliches lyrisches Ich anspricht. Im Verlauf des Textes verändert sich hier jedoch die Position des männlichen lyrischen Ichs, nach der ersten Begegnung mit “Darling Nikki”, die als “sex fiend” beschrieben wird.

Zu Beginn der Begegnung finden sich beide Protagonisten in der Lobby eines Hotels, in welcher das weibliche lyrische Ich unter Zuhilfenahme eines Magazins masturbiert, als das männliche lyrische Ich die Szenerie betritt und von ihr angesprochen wird. Obwohl das Verlangen des männlichen lyrischen Ichs nach dem weiblichen immer wieder expliziert wird, ist es doch das weibliche lyrische Ich, das sich des männlichen bemächtigt. Das männliche lyrische Ich, das sich zu ihr hingezogen fühlt, willigt ein, den temporären Ort zu verlassen und in die Welt des weiblichen lyrischen Ichs einzutreten. Damit kündigt sich eine Perspektivverschiebung an, die nach dem ersten Höreindruck kaum ersichtlich wird. Durch den Eintritt des männlichen lyrischen Ichs in die “castle” wird deutlich, dass die Herrschaft die das weibliche lyrische Ich über das männliche erlangt, keinesfalls zufällig ist. Durch die Beschreibung der Ungläubigkeit und das Vorhandensein besonders vieler “devices” lässt sich erkennen, dass die von ihr verkörperte weibliche Superiorität durchaus begründet ist. Die Unterzeichunung eines Vertrags im zweiten Vers (“Sign your name on the dotted line”) expliziert den absoluten Machtanspruch an dieser Stelle in einer neuen ,vertraglich-geregelten’ Form. Die Musik beginnt an diesem Punkt anzuschwellen und wird von einem wiederholenden Rhythmus getrieben, der einer Reminiszenz an den Kopulationsakt gleicht und vor allem den Refrain und die Zeilen “Show you how to grind” begleitet. Ebendiese werden im Musikvideo durch die Anspielung auf sexuelle Handlungen visuell untermalt. Die sexuelle Potenz des weiblichen lyrischen Ichs wird mit gleichem Impetus gefestigt wie die Mitleidslosigkeit, die in den sexuellen Handlungen des weiblichen lyrischen Ichs liegt. Die Implikationen der Mitleidslosigkeit, der Hinweis auf “devices” also auf Werkzeuge, der für den sexuellen Inhalt unüblich verblümte Satz  “Her lovin’ will kick your behind” und die Verweigerung der Erklärung, was genau das weibliche lyrische Ich mit dem männlichen lyrischen Ich getan habe, lassen darauf schließen das es sich hier um ein sexuelles Abenteuer im sadomasochistischen Bereich handelt. Die Zurücknahme der Instrumentierung und die Verlangsamung des Tempos unterstreichen die Melodramatik des letzten Verses. Dieser beschreibt das Erwachen des männlichen lyrischen Ichs, welches sich allein, mit einer Nachricht, zurückgelassen vorfindet. Die Nachricht des weiblichen lyrischen Ichs offeriert die Möglichkeit eines Wiedersehens. Allerdings wird nicht deutlich, ob das männliche lyrische Ich auf die Avancen eines Wiedersehens eingeht. Das Zurücklassen des männlichen lyrischen Ichs verdeutlicht seinen Status als Objekt, die heteronormative Praxis, die auf das Zurücklassen der Frau nach einem One-Night-Stand rekurriert, wird hier ins Gegenteil verkehrt. Die Objektifizierung, die im gesamten Text mitschwingt, findet sich besonders in der Performance innerhalb des Musikvideos wieder. Zu Beginn des Videos ist die Bühne in rotes Licht getaucht, welches an Verführung aber auch an das Sexgewerbe erinnern soll. Nur schemenhaft ist die männliche Persona auf der Bühne zu erkennen. Seine weiblich konnotierten Bewegungsabläufe, wie das Streichen durchs eigene Haar, verdeutlichen die Grenzüberschreitung von Geschlechterrollen, die vielen Songs von Prince innewohnt. Die Objektifizierung geschieht durch die Kleidung (die Persona ist halbnackt), den vor Schweiß glänzenden, durchtrainierten Oberkörper (der sowohl leichte Brust- als auch Achselbehaarung aufweist). Das Tragen von High Heels, glänzendem Schmuck und einem einzelnen Netzhandschuh, impliziert eine Zitation beider Geschlechternormen. Die Verschmelzung dieser Attribute in Kombination mit dem Text und den lasziven Bewegungsabläufen (z.B. dem Räkeln auf dem Fußboden) schaffen das Bild des Verführers und des Verführten in einer Person. Der Fokus liegt eindeutig auf der männlichen Persona, die weibliche Persona wirkt eher wie eine Beobachterin, die impliziten Bezugnahmen auf den Filmkontext, werden im Musikvideo allein durch die textliche Ebene erreicht. So ist es möglich die Relation zwischen der männlichen und der weiblichen Persona zu verstehen ohne den Gesamtkontext des Films zu kennen.

Am Ende des Songs, findet sich auf der Studioaufnahme von 1984, eine ‚hidden message’, welche rückwärts eingespielt worden ist. Dechiffriert ist Prince zu hören der die folgende Konversation beginnt: “Hello, how are you? I’m fine ’cause I know that the Lord is coming soon, Coming, coming soon”. Diese Referenz, die auf den ersten Blick wenig mit dem kontroversen Inhalt des Songs zu tun hat, verstärkt jedoch letztlich dessen Brisanz. Diese Zeilen zu hören und gleichzeitig die religiöse Anspielung auf den Topos von der Wiederkunft Christi zu vernehmen, vermag Verwirrung auszulösen. Eine Erklärung dafür lässt sich in dem Standpunkt des Künstlers finden, der speziell in den 1980er Jahren wie auch bis Mitte der 1990er Jahre eine starke Verbindung zwischen Religiosität und Sexualität sah. Seiner Ansicht nach sei Sexualität nur eine Ausdrucksform des gottgegebenen Körpers und Lustempfindung sowie das Erleben des Höhepunktes vergleichbar mit spiritueller Erleuchtung. Diese Verbindung ist auch in Ritualen seiner Band vor Konzerten (gemeinsames Beten) und dem Tragen des Kreuzes, wie auch in diesem Video, wiederzufinden.

IV. Rezeption

Obwohl DARLING NIKKI nie als Single veröffentlicht wurde, erreichte der Song Kultstatus und gilt bis heute als einer der wichtigsten Songs in Prince’ Werkkorpus. In den Setlists der verschiedenen Tourneen von 1984 bis zur Jahrtausendwende schaffte es der Song immer wieder ins Live-Repertoire des Künstlers. Seit Prince 2001 zu den Zeugen Jehovas konvertierte und damit sein sexualisiertes Image hinter sich ließ, wird der Song auf Konzerten nur noch als Teil eines Synthesizer/Sampler-Sets dargeboten. Verkürzungen von Songs mit sexuellen Anspielungen aber auch der Ersatz einzelner Worte, wie im 1994 veröffentlichten “Get Off”, aus dessen Textzeile “23 positions in a one night stand” im Jahre 2001 “23 scriptures in a one night stand” wurde, aber auch ein vollständiger Ersatz der sexuellen Inhalte durch nicht-anstößige Inhalte, ziehen sich wie ein roter Faden durch das Werk des Künstlers seit seiner spirituellen Neuausrichtung.

Der Song ist auch Teil des 1984 erschienenen Films Purple Rain, in dem er jene Szene untermalt, in der der Protagonist The Kid (gespielt von Prince) der Protagonistin Apollonia vorhält, sich auf den Antagonisten Moris Day eingelassen zu haben. Das Musikvideo ist somit mit dem Spielfilm verknüpft, folglich finden sich neben der Bühnenhandlung auch Szenen, die der Filmhandlung entnommen sind. Beispielsweise fängt die Kamera von Zeit zu Zeit in Großaufnahme die Reaktionen all jener Figuren ein, die dem Auftritt von The Kid beiwohnen. In diesen Sequenzen zeigt sich deutlich das Beziehungsgefüge der Filmcharaktere. Während der Antagonist mit zufriedener Abschätzigkeit die Szenerie betrachtet und sein Gefolge eher gleichgültig das Geschehen rezipiert, ist in der Reaktion der Protagonistin ganz deutlich die steigende Verzweiflung zu erkennen, die parallel zur ansteigenden Intensität der Song-Performance ihren Höhepunkt im Fluchtartigen Verlassen der Szenerie findet.

 

CARLA SCHRIEVER


Credits

Gesang, Leadgitarre, Bassgitarre, Schlagzeug, Keyboard: Prince (credited: Prince and the Revolution)
Hintergrundgesang: Prince
Text: Prince
Produzent: Prince
Label: Paisley Park Records
Aufnahmedatum: 25.Juni 1984
Länge: 4:00/4:13

Recordings

  • Prince and the Revolution. “Darling Nikki”, Purple Rain, 1984, Warner Brothers, B000002L68. US(LP/Album).

Video Version:

  • Prince and the Revolution.”Darling Nikki”. Prince And The Revolution: Live VHS/laserdisc Live, Warner Off Roster, 630237426X, USA (VHS).

Unveröffentlichte Aufnahmen:

  • Darling Nikki, Studio, Original full-length version with spoken intro and additional instrumental break. (Quelle: Nilsen, Per/ Mattheij, Joozt: The Vault – The Definitive Guide to the Musical World of Prince-2004. Berlin: Uptown, 2007. )
  • Chum. “Darling Nikki”, Dead to the World, 1996, Century Media, B008Z7NPVQ, Deutschland (CD).
  • Apocalypse Hoboken. “Darling Nikki”, Microstars, 2000, Kung Fu Records B0000296TF (CD).
  • Foo Fighters/ Cee Lo Green. “Darling Nikki”, perform auf den MTV Video Music Awards, 2003 (Live).
  • Rihanna. “Darling Nikki”, performed auf der : Loud Tour, 2011. (Live).

References

  • Heesch, Florian/Losleben, Katrin: Musik und Gender: Ein Reader. Köln: Böhlau 2012.
  • Keazor, Henry/Wübbena, Thorsten: Video thrills the Radio Star. Musikvideos: Geschichten, Themen, Analysen. Bielefeld: transcript 2007.
  • McInnis, Leigh: The Lyrics Of Prince Rogers Nelson/: A Literary Look At A Creative, Musical Poet, Philosopher, And Storyteller. New York: Atria Books 2009.
  • Neumann-Braun, Klaus (Hg.): Popvisionen. Berlin: Suhrkamp 2002.
  • Petras, Ole: Wie Popmusik bedeutet. Eine synchrone Beschreibung popmusikalischer Zeichenverwendung. Bielefeld: transcript 2011.
  • Ronio, Ro: Prince. Inside the Music and the Masks. London: St.Martins Press 2011.
  • Touré: I would die for you. Why Prince became an icon. New York: Atria Books 2013.

About the Author

Carla Schriever teaches philosophy (main focus on cultural philosophy and aesthetic) at the University of Oldenburg.
All contributions by Carla Schriever

Citation

Carla Schriever: “Darling Nikki (Prince)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/darlingnikki, 12/2013 [revised 02/2014].

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