1967
James Brown & The James Brown Orchestra

Cold Sweat

Um einer neuen Generation von Hörern zu entsprechen, veränderte James Brown Mitte der 1960er Jahre seine Musik hin zu einem polyrhythmischen Zusammen­spiel kurzer, perkussiver Riffs und Patternmodelle. In COLD SWEAT ist dieser Stil, der sich als Reafrikanisierung seiner Musik interpretieren lässt (Pfleiderer 2014: 161), erstmals voll entwickelt. Der Song gilt als Sternstunde der Funk Music, welche die Black Popular Music für Jahrzehnte beeinflussen sollte. Obwohl ohne explizite Botschaft, bereitet der Song auch der Parteinahme Browns für die Ziele der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung (“Say It Loud, I’m Black I’m Proud”, 1968) musikalisch den Weg.

 

I. Entstehungsgeschichte

COLD SWEAT wurde an einem Nach­mittag im Mai 1967 quasi aufführungsartig mit nur einem Mikro­phon ohne Schnitt oder die Hinzufü­gung weiterer Tonspuren in den King Studios in Cincinnati, Ohio aufgenommen. Brown griff dazu auf den Text der R&B-Ballade “I Don’t Care” zurück, die er bereits 1962 aufgenommen hatte und die 1964 als B-Seite einer Promo-Single erschienen war. Musikalisch erinnert wenig an die Vorlage mit ihrer konventionellen 12taktigen Bluesform. Entsprechend der damaligen Praxis Browns und seiner Band, entstand vielmehr während der Probe für die Aufnahme eine neue musikalische Basis, in enger Zusammenarbeit zwischen ihm und der Band. Browns damaliger Bandleader, Alfred ‘Pee Wee’ Ellis, firmiert auf der Single als Co-Autor des Songs. Wie dieser berichtete, ließ er sich für die neue Bass-Linie von Miles Davis’ “So What” inspirieren, aus der Brown und die Band die Patternmodelle und Bläser-Riffs von COLD SWEAT entwickelten (Down Beat 2007). Von der Probe zur fertigen Aufnahme dauerte es nur wenige Stunden. Die weitere Geschichte des Songs ist dagegen vergleichsweise kompliziert. Sie beginnt mit einer zweiteiligen, auf knapp unter drei bzw. knapp vier Minuten gekürzten Fassung der aus dieser Session resultierenden Aufnahme, die als COLD SWEAT PT. 1 & 2 auf der A- und B-Seite der Single King Records 6110 im Juli 1967 in den USA veröffentlicht wurde (auf der in Deutschland im selben Jahr erschienen Single fehlte dagegen der zweite Teil). Als Songwriter sind Brown und Ellis angegeben, die Band firmiert als The Famous Flames, obwohl von der Besetzung der Band um Bobby Bird und Bobby Bennett, mit der Brown viele Jahre aufgetreten war und bahnbrechende Aufnahmen wie Live at the Apollo veröffentlicht hatte, niemand mehr an der Produktion beteiligt war. Nur einen Monat später erschien in den USA eine 7:24 Minuten und damit fast 40 Sekunden längere Version als Titelsong und erste Nummer von Browns Album Cold Sweat. Auch sie endet mit einem Fade Out, lässt also den Schluss zu, dass die eigentliche Aufnahme noch länger war. Der Albumversion fügte Brown im darauffolgenden Jahr eine 6:05 Minuten lange Live-Fassung hinzu, die er auf dem Album Live at the Apollo, Volume II veröffentlichte. Nur ein Jahr später nahm er den Song für das Album Gettin‘ Down to It (1969), das er mit dem Dee Felice Trio einspielte, erneut auf. 1972 schließlich entstand, mit deutlich größerer Besetzung, eine weitere, 2:55 dauernde Neuaufnahme für das Album Get On the Good Foot, an der neben Brown auch die Arrangeure Dave Matthews und Sammy Lowe beteiligt waren. Im selben Jahr fand diese Version Eingang in das Polydor-Album James Brown Soul Classics. Im Netz und auf den Streaming-Diensten kursieren heute vorwiegend der erste Teil der Single von 1967 sowie die 1967er Albumversion.

 

II. Kontext

Die populäre afroamerikanische Musik der USA nahm Ende der 1960er Jahre zunehmend Stellung zu den sozialen und politischen Veränderungen, die der Kampf des Civil Rights Movements (CRM) seit Mitte der 1950er Jahre ausgelöst hatte. Im Zuge der Enttäuschungen und Rückschritte nach 1963, dem Jahre des Höhepunkts der Bürgerrechtsbewegung und dem ‘March On Washington’, formulierten immer mehr schwarze Acts Black-Power-Botschaften und appellierten so mit kämpferischen Songs an das afroamerikanische Selbstbewusstsein. James Brown kam hier eine Schlüsselfunktion zu. Mit enormem Ehrgeiz und großer Disziplin entwickelte er sich im Laufe der 1960er Jahre zu einem einflussreichen, wenn auch widersprüchlichen Musiker. Brown pflegt Kontakte zum Weißen Haus und trat vor US-Truppen in Vietnam auf, sang zugleich aber in seinem Black-Power-Song “Say It Loud, I’m Black, I’m Proud” (1968) mit unerhörter Direktheit vom schwarzen Kampf in einer weißen Gesellschaft. Brown schuf damit das vielleicht griffigste Motto des neuen Black Pride. Auch wenn COLD SWEAT von einer leidenschaftlich begehrten Frau statt vom Kampf um Bürgerrechte handelte, führte der Sound des Songs, mit dem Brown die Zusammengehörigkeit der Nachkommen aus Afrika verschleppter Sklav*innen beschwor, auf direktem Wege zur ein Jahr später veröffentlichten CRM-Hymne “Say It Loud, I’m Black I’m Proud” (Ward 1998).

 

III. Analyse

Der Übergang zum Funk war für Brown und seine Band verbunden mit der Konzentration auf den Rhythmus als zentralem musikalischen Geschehen. “I had dis­covered that my strength was not in the horns, it was in the rhythm. I was hearing every­thing, even the guitars, like they were drums. I had found out how to make it happen”, fasste es Brown später selbst in Worte (zitiert bei Ripani 2006: 89). Der repetitive Charakter der neuen, hoch energetischen Funk-Music erlaubte zugleich eine strukturelle Offenheit, in der Brown formale Über­gänge oder Soli spontan ankündigen konnte. Harmonik und Melodik verloren dagegen an Bedeutung. Die Strophe von COLD SWEAT besteht aus einem Akkord, nur in der Bridge wechselt die Band auf die IV. Stufe. Im zweitaktigen Patternmodell der Rhythmusgruppe verbindet sich das Riff der ersten Gitarre mit den Scratches der zweiten, dem Bass-Pattern und den Drums zu einer polyrhythmischen Textur, die mit ihren komplementär ineinander verzahnten Ebenen als prototypisch für den Funk gelten darf (Danielsen 2006: 84, Pfleiderer 2006: 294f., Ripani 2006: 92). Auch die Lead-Vocals fügen sich in das Akzentmuster dieses Modells ein und lassen Brown zum rufenden, schreienden und stöhnenden “Master drummer” (Danielsen 2006: 82) werden. Stärker noch als in den voraus­gehen­den Songs “Out of Sight” (1964) und “Papa’s Got A Brand New Bag” (1965), und spätere Songs wie “Superbad” (1970) vorwegnehmend, dominie­ren kurze Rufe und Schreie sowie eine Vielzahl nichtsprachlicher vokaler Äußerungen, die den Songtext kommentieren und bekräftigen (Brackett 1995). Hier lassen sich scharf akzentuie­rte Ausrufe wie “Ha” und “ooh”, parolenartige Statements (“help!”, “give it”) und gesprochene Passagen unter­scheiden, in denen sich Brown an die Band wendet und Kommandos gibt. Scharfe Shouts markieren Übergänge zwischen den Formteilen. Wenn Brown überhaupt singt, beschränkt er sich auf kurze Motive, die, wie das einleitende “I don’t care”, auf bluestonalem Material mit als Glissando ausgeführten Terzen und Quinten basieren. Am Schluss folgt ein Schrei dem anderen, mit zunehmender Tonhöhe, wachsender Rauheit und einer Intensität, die in dieser Form auch in der Musik von James Brown ihresgleichen sucht (Bielefeldt 2023).

 

IV. Rezeption

James Brown war schon vor COLD SWEAT dabei, sich zum einflussreichsten R&B-Musiker der 1960er Jahre in den USA zu entwickeln (Ripani 2006). Neben seiner Musik und seinem legendären Geschäftssinn war dafür auch eine wirkungsvolle Auftritts-Konzeption verantwortlich, die eine gemeinschafts­stiftende, die afroamerikanische Identität bestätigende bzw. erzeugende ‘Soul Experience’ zum Ziel hatte. Brown realisiert sie mit den Mitteln hoch energetischer Selbst­behauptung: Im Zentrum seiner Shows standen die Bühnen­figur des Selbst­bewusst­sein predi­gen­den Athleten, ausgedehnte Interaktionen mit dem Publikum sowie eingestreute Tanzeinlagen, Wrestler-Posen und Ankündigungen im Stil eines Boxers. Damit griff Browns Bühnenpersona die Prediger-/Sänger-Tradition der Gospel­musik auf und überschrieb sie mit sportlichen Attributen. In diesem Kontext wurde COLD SWEAT zu einem Nr. 1-Hit in den R&B-Single-Charts 1967, in den Pop Charts reichte es zu Platz sieben. Musikalisch wurde COLD SWEAT zur Blaupause für nachfolgende, Pattern- bzw. Loop-orientierte Stile von Hiphop, House, Techno und Drum’n’Bass bis hin zu Dub Step. Ende der 1980er Jahre machte der Song als Sample im Hiphop Karriere, zu den namhaften Acts, die Ausschnitte des Song in ihren Beats verarbeiteten, gehören Public Enemy, Ice Cube, Ultramagnetic MC, MC Hammer und DJ Jazzy Jeff & The Fresh Prince. Auch Akteure aus Techno und Electronica wie Marusha oder Aphex Twin verwendeten Teile der Aufnahme in ihren Tracks. Die Anzahl von Coverversionen des gesamten Songs ist dagegen eher überschaubar. 2016 wurde COLD SWEAT in die ‘Grammy Hall of Fame’ aufgenommen.

CHRISTIAN BIELEFELDT


Credits

Vocals: James Brown
Trumpet: Waymon Reed, Joe Dupars
Trombone: Levi Rasbury
Alto sax: Alfred ‘Pee Wee’ Ellis
Tenor sax: Maceo Parker, Eldee Williams
Baritone sax. Clair Pinckney
Guitar: Jimmy Nolen, Alphonso ‘Country’ Kellum
Bass: Bernard Odum
Drums: Clyde Stubblefield
Music/Writer/Songwriting: James Brown, Alfred Ellis
Producer: James Brown
Label: King Records
Recorded: May 1967
Published: July 1967
Length: 2:54 / 7:30 (album version)

Recordings

  • James Brown & The Famous Flames. “Cold Sweat Pt. 1 & 2”. 1967, King Records 45-6110, USA, 7” Single.
  • James Brown & The Famous Flames. “Cold Sweat”. On: Cold Sweat, 1967, King Records 1020, USA, LP.
  • James Brown. “Cold Sweat”. Auf: Live At the Apollo Volume II, 1968, King Records KS-12-1022, USA, 2xLP.
  • James Brown. “Cold Sweat”. Auf: Gettin‘ Down to It, 1969, King Records KSD 1051, USA, LP.
  • James Brown. “Cold Sweat”. Auf: Get On the Good Foot, 1972, Polydor PD-2-3004, 2675 049, USA. 2xLP-Album.
  • James Brown. “Cold Sweat”. Auf: James Brown Soul Classics, 1972, Polydor 2391 037, USA, LP.
  • James Brown. “Tell Me What You’re Gonna Do / I Don’t Care”. 1964, King Records 45-5922, USA, 7” Single, Promo.
  • James Brown. Live at the Apollo 1963, King Records 826, USA, LP.
  • James Brown. “Out Of Sight / Maybe The Last Time”. 1964, Smash Records S-1919, USA, 7” Single 45 rpm.
  • James Brown. “Papa’s Got A Brand New Bag”. 1965, King Records 45-5999, USA, 7” Single.
  • James Brown. “Say It Loud, I’m Black I’m Proud Pt. 1/2”. 1968, King Records 45-6187, USA, 7” Single.
  • James Brown. “Super Bad Pt. 1&2 / Pt. 3”, 1970, King Records 45-6329, USA, 7” Single.
  • Miles Davis. “So What”. On: Miles Davis AT Carnegie Hall, 1962, Columbia CL 1812, USA, LP.

Covers

  • El Klan, “Cold Sweat”. Auf: Love Is Swedish Thing, 1968, SWELP 65, Sweden. LP.
  • Mongo Santamaria, “Cold Sweat”. Auf: Mongo Santamaria’s Grandes Exitos, 1970, CBS S 641141970, Spain. LP.
  • Black Pearl, “Cold Sweat”. Auf: Live, 1970, Prophesy Records PR-S 1001, 1970, USA. LP.
  • Bernard Purdie, “Cold Sweat”. Auf: Purdie Good!, 1971, Prestige PRST 10013, USA, 1971. LP.
  • Boneshakers, “Cold Sweat”. Auf: Book Of Spells, 1997, Pointblank 7243 8 42789 2 2, USA, 1997. CD.
  • Maceo Parker, “Cold Sweat”. Auf: Maceo (Soundtrack), 1994, Minor Music MM 1046, Germany. 2xLP.
  • Grand Wazoo, “Cold Sweat”. Auf. Grand Wazoo – The Band Of 1000 Dances, 2006, Not On Label Barcode 634479418402, 2006, Australia, CD.
  • Thunder Chicken, “Cold Sweat”. Auf: Thunder Chicken, 2001, Desco Records DSCD 006, USA. CD.

References

  • Bielefeldt, Christian: Cold Sweat. Rufe und Schreie in afroamerikanischen Stilen populärer Musik (working title). In: Handbuch Popgesang. Ed. by Tilo Hähnel. Lilienthal 2023 (in progress).
  • Brackett, David: James Brown’s ‘Superbad’ and the double-voiced utterance. In: Interpreting popular music. Ed. By David Brackett. Cambridge 1995, 122–140.
    Brown, James/Tucker, Bruce: James Brown: The Godfather of Soul. New York 1986.
  • Danielsen, Anne: Presence and Pleasure. The Funk Grooves of James Brown and Parliament. Middletown 2006.
  • Cohen, Aaron: James Brown’s Musicians Reflect On His Legacy. In: Down Beat (Februar 2007).
  • Pfleiderer, Martin: Rhythmus. Psychologische, theoretische und stilanalytische Aspekte populärer Musik. Bielefeld 2006.
  • Pfleiderer, Martin: Say it loud – I’m black I’m proud. Soul und Funk zwischen politischem Engagement und Cross-over. In: Populäre Musik. Geschichte – Kontexte – Forschungsperspektiven. Ed. by Ralf v. Appen, Nils Grosch, Martin Pfleiderer. Laaber 2014, 154–164.
  • Ripani, Richard J.: The New Blues Music. Changes in Rhythm & Blues, 1950–1999. Jackson, MS, 2006.
  • Ward, Brian: Just My Soul Responding. Rhythm and Blues, Black Consciousness, and Race Relations. Berkeley 1998.

About the Author

Dr. Christian Bielefeldt works as a music teacher in Zurich.
All contributions by Christian Bielefeldt

Citation

Christian Bielefeldt: “Cold Sweat (James Brown & The James Brown Orchestra)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, https://www.songlexikon.de/songs/cold-sweat, 03/2023.

Print