2007
2raumwohnung

36 Grad

Der Song und das Musikvideo 36 GRAD beschreiben heiße Sommertage und -nächte mit sexuell-erotischen Spannungen zwischen Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen.

 

I. Entstehungsgeschichte

Die Band 2raumwohnung setzt sich zusammen aus der deutschen Sängerin und Texterin Inga Humpe und dem Musikproduzenten und Komponisten Tommi Eckart. Die beiden sind seit 1993 ein Paar und gründeten eher zufällig im Jahr 2000 eine gemeinsame Band; ursprünglich lediglich, um Musik für einen Werbespot zu produzieren. Diese kam jedoch so gut an, dass sie einfach weitermachten. Fünf Jahre nach der Gründung kam der Musiker Heinrich Schiffers dazu, der seitdem das Duo vor allem bei Liveauftritten begleitet. Alle drei Mitglieder spielen Keyboard wie auch Gitarre und singen. Inga Humpe ist jedoch stets die Frontsängerin. In den letzten 20 Jahren haben 2raumwohnung verschiedenste Preise gewonnen und wurden mit mehreren Goldenen Schallplatten ausgezeichnet. Außerdem haben sie mit weiteren unterschiedlichen Künstler*innen kooperiert, unter anderem mit dem bekannten deutschen Musiker Udo Lindenberg oder auch dem Schweizer Michael von der Heide, der bei 36 GRAD im Chorus mitgewirkt hat.

Der Song 36 GRAD entstand im Mai 2006 gemeinsam mit dem Musikproduzenten Ulf Leo Sommer und mit Peter Plate, dem Sänger von Rosenstolz. Die beiden sind Freunde von Humpe und Eckert und schrieben den Song mit ihnen zusammen auf einem Hoteldach in Barcelona “an einem Tag, an dem alles stimmte” (Belz 2010). Ein Jahr später, am 2. Februar 2007, wurde er auf dem fünften Album veröffentlicht, welches den gleichen Namen wie die Single trägt. Bis heute gilt es, inklusive der Single, aus kommerzieller Sicht als das erfolgreichste Album der Band. Am 7. März 2007 wurde der Song in Leipzig das erste Mal live aufgeführt, bei dem ersten Konzert der damaligen Tour. Das Musikvideo wurde im gleichen Jahr unter Regie von Matthias Freier mit Florian Buba als Herstellungsleiter gedreht und von der Firma freier.eckert produziert.

 

II. Kontext

Humpe und Eckart lernten sich kurz nach dem Mauerfall in Berlin kennen. Im sogenannten “Alten Osten” galt eine Zweiraumwohnung als etwas besonders Wertvolles, wonach sich viele sehnten, da der Wohnraum planmäßig vergeben wurde und demnach steter Mangel herrschte. Sehnsucht ist ein Gefühl, dass sich auch in ihren Liedern immer wieder finden lässt und besonders in dieser Zeit, Berlin in den 1990-Jahren, prägend war. Zu Zeiten der Veröffentlichung von 36 GRAD wohnten die beiden bereits in Berlin-Mitte und schwärmten dort vor allem von den verschiedenen kulturellen und geschichtlichen Hintergründen der Menschen, die dort zusammenkommen. Obwohl 36 Grad ein regelrechtes Charts-Album war, beschreiben 2raumwohnung ihre Musik im Allgemeinen als individuell und nicht Mainstream.  Gleichwohl geht es ihnen darum, mit ihrer Musik – wie in Berlin-Mitte –  verschiedenste Menschen, unabhängig von Alter oder Geschlecht, zusammenzubringen und zu verbinden. Deshalb wollten sie sich in ihrer Art des Musizierens und Produzierens auch niemals ganz festlegen, sondern immer wieder Neues ausprobieren. So lässt sich auf dem Album 36 Grad beispielsweise ein Techno-, ein Jazz- und ein Popsong finden. Außerdem konstatiert die Frontsängerin Inga Humpe in einem Interview: “36 Grad, das steht auch für Körpertemperatur, für diesen Moment, wenn die Außentemperatur gleich ist wie die Innentemperatur, dieses wohlige Gefühl” (Ziegler 2007). Mit dem Klimawandel und der ansteigenden Erderwärmung hat der Song nichts zu tun.

 

III. Analyse

Der Song besteht aus vier Strophen und einer Bridge. Außerdem folgt nach jeweils zwei Strophen der sich wiederholende Refrain. Die klaren Stimmen von Inga Humpe und Michael von der Heide erklingen zu Beginn unterlegt mit einem Synthesizer und Umweltgeräuschen in Vokalisen. Es entsteht auf diese Weise eine harmonische Grundstimmung, die Assoziationen mit dem Aufwachen an einem unbeschwerten Tag weckt. Im Hintergrund hört man lediglich ein zartes Zirpen von Grillen. Bei den meisten Menschen der westlichen Hemisphäre wird dieses Geräusch gewissermaßen automatisch mit warmen Temperaturen und Sommer in Verbindung gebracht, da diese ausschließlich in warmen Jahreszeiten zu hören sind. Im Musikvideo wird der Gesang und das Zirpen von immer heller und wärmer werdenden Farben begleitet, sodass der Eindruck entsteht, die Sonne würde aufgehen – mit anderen Worten: Es beginnt nicht nur das Lied, sondern auch ein neuer Tag.

Zunächst ist ein illustriertes Haus zu sehen, in dem die Fenster hell erleuchtet sind, dann erscheinen weiß ausgefüllte Umrisse von verschiedenen Menschen, wie Schattenfiguren, die auf dem Boden liegen und sich langsam erheben und strecken. Zeitgleich wachsen im Hintergrund Bäume aus dem Boden und der Farbton wechselt von dunkelblau zu lila und nimmt seinen Verlauf bis neongelbe Sonnenstrahlen zu sehen sind. Diese werden mit sehr hellem Gelb und Blau kombiniert, wodurch zusätzlich der Eindruck eines neu beginnenden Tags hervorgerufen wird. Die zunächst mehrstimmig gesungenen Töne treffen sich auf einem gemeinsamen Ton, welcher viermal im Viervierteltakt wiederholt wird, bevor Schlagzeug und Gitarre einsetzen. Gleichzeitig erscheint im Video die abstrakte Form eines Regenbogens, der auch später im Liedtext eine Rolle spielt. Dieser Regenbogen scheint zu wachsen und sich einen Weg zu bahnen, bis hin zu einer Aufnahme der Sängerin Inga Humpe, die lediglich ein Top trägt und vor weißem Hintergrund zu sehen ist. So wird sommerliche Stimmung durch Helligkeit erzeugt und durch Humpes Outfit unterstrichen. Humpe blickt direkt in die Kamera und unterstützt dadurch den Effekt, den der Text allein auslöst – die Hörenden werden scheinbar direkt angesprochen: “Guck mal was die Jungs da hinten tun und sag ihnen: ‘Das will ich auch.'” Zusätzlich wird hier eine Spannung aufgebaut, da zunächst nicht konkreter beschrieben wird, was die Jungs denn tun. In der zweiten Strophe wird das Wort sogar noch konkreter an den/die Hörende/n gerichtet, indem er/sie aufgefordert wird: “Ich geb dir ein Geschenk, mach es bitte auf”, sodass er/sie sich als Teil des Geschehens verstehen kann. Der gesamte Text ist im Präsens verfasst, wodurch der Effekt ebenfalls ausgelöst wird, dass alles Genannte jetzt gerade passiert und man automatisch in die beschriebenen Momente gleichsam hineingleitet.

Der Refrain baut den Spannungsbogen, der ab dem ersten Vers angesetzt wurde, weiter auf, indem versprochen wird, dass es noch heißer werden würde, als es ohnehin schon sei und der konkrete Zusammenhang zwischen Hitze, Sommer und Musik wird offensichtlich dargestellt. Auch hier lässt sich die direkte “Ansprache” wiederfinden: “Mach den Beat nie wieder leiser”, und das entspannte, unkomplizierte Gefühl, dass vor allem von Jugendlichen im Sommer wahrgenommen wird, ist im letzten Vers des Refrains (“das Leben kommt mir gar nicht hart vor”) zusammengefasst. Außerdem lässt sich ein Parallelismus wiederfinden, da der Songtitel 36 GRAD immer wieder genannt wird und für eine rhythmische sowie eine wiederkehrende Satzstruktur sorgt, die es den Hörenden erleichtert, sich sowohl den Text als auch die Melodie einzuprägen.

In Strophe 4 wird anhand zweier Ellipsen ein Bild beschrieben, das sich klassischerweise mit Hitze, Schwimmbad und Sommer in Verbindung bringen lässt: “Schuhe aus, Bikini an.” Die Beschreibung geht noch weiter und aus dem vorherigen “Du” und “Ich” wird nun ein “Wir”, und ein potenzielles Gemeinschaftsgefühl unter den Hörenden, welches mit dem Beginn des Liedes angedeutet wird, findet dadurch sozusagen seine kraftvollste Bestätigung. Es wird im Regen bis zum Morgengrauen getanzt, wodurch der kulturelle Freiheitsaspekt der Nacht mit der romantischen Stimmung eines Sonnenaufgangs vereint und schließlich, anhand eines Regenbogens, die Vollendung der typischen Sommernacht erreicht wird. Wörter wie “sehen” werden abgekürzt in “sehn”, damit ein Reim zustande kommen kann und aus “ein” wird “n”, um zum einen dem Metrum gerecht zu werden, zum anderen den jugendlichen Sprachstil wieder aufzugreifen, der sich wie ein roter Faden durch das Stück zieht.

Passend zu dem Inhalt des Liedtextes sind auch die stilistischen resp. rhetorischen Mittel sowie die Reimformen. Variierend zwischen Kreuz- und unregelmäßigem Reim in den Strophen und der Bridge, ist der Refrain gleichbleibend in Form eines Paarreims verfasst, welcher die erotisch-romantische Thematik unterstützt. Durch Wortabkürzungen wie “Jungs” oder englische Begriffe wie “Beat” oder “Girls” bekommt der Songtext eine jugendkulturelle Färbung, welche sich auch im Musikvideo wiederfinden lässt, da alle zu sehenden Schattenfiguren anhand ihrer Bewegungen jung bzw. jugendlich erscheinen. Auch Humpe und Eckert, die beiden einzigen Realfiguren im Video, haben einen jugendlichen Kleidungsstil und bewegen sich in rhythmisch-tänzerischer Weise, wodurch sie deutlich jünger erscheinen, als sie sind.

In der Bridge werden viele der bereits genannten stilistischen Mittel vereint. Diesmal spricht die Sängerin jedoch eine Gruppe und nicht mehr die einzelne Person an. Genau genommen sind es zunächst zwei Gruppen, da sie “Girls” und “Jungs” voneinander unterscheidet. Durch die Reihung “weiter, weiter, weiter” werden diese Gruppen förmlich angefeuert und die darauffolgende Aufforderung “gebt alles und mehr als ihr könnt” findet dadurch zusätzlichen Nachdruck. Außerdem wird mit den Worten “keiner weiß, was gleich passiert” noch einmal zusätzliche Spannung aufgebaut, welche ihren Höhepunkt mit der Metapher der brennenden Luft findet, die etwa für sexuell erregte Stimmung stehen kann. Diese Annahme wird verstärkt, wenn man die Bewegungen der Schattenfiguren im Musikvideo beachtet, die eng zusammen tanzen, auf dem Boden aufeinanderliegen und teilweise zu verschmelzen scheinen. Zusätzlich ist ein erotisch konnotiertes Stöhnen von Inga Humpe vor dem letzten Refrain zu hören.

Die Hintergrundfarbe im Video verändert sich weiter und findet seinen Weg von sehr hellen, pastellfarbenen Tönen zurück in kräftige, warme Farben, die schließlich die Assoziation eines Sonnenuntergangs hervorrufen. Das Stück endet abrupt und im Video sieht man, wie die verschiedenen männlichen und weiblichen Figuren sich in einer Reihe stehend an den Händen halten, und über ihnen erscheint ein funkelnder Sternenhimmel vor dunklem, pink-blauen Himmel – wie in einer klaren Sommernacht.

 

IV. Rezeption

36 GRAD war eine Woche lang auf Platz 17 der deutschen Charts. Nach wie vor gilt der Song als einer der bekanntesten deutschen Sommerhits. Die Band selbst hat den Song schon mehrfach neu interpretiert. So gibt es auch eine Son-Version, die im Rahmen des Projekts Rhythms Del Mundo kreiert wurde, und auch eine englische Version mit dem Titel “95 Degrees” wurde verfasst, jedoch nie veröffentlicht. Außerdem gibt es eine Akustikversion und mehrere Remixe, u.a. von Paul Van Dyk. Anders als andere Lieder von 2raumwohnung, wurde 36 GRAD nie als Werbesong eingesetzt.

 

LAURA WEINS


Credits

Guitar: Heinrich Schiffers
Vocals: Inga Humpe
Keyboard: Inga Humpe, Tommi Eckart, Heinrich Schiffers
Bass: Tommi Eckart
Music/Songwriting: Peter Plate, Ulf Leo Sommer, Inga Humpe, Tommi Eckart
Producer: Inga Humpe, Tommi Eckart
Label: It.sounds, EMI
Published: 2007
Length: 3:45

Recordings

  • 2raumwohnung. “36 Gra”. On: 36 Grad, 2007, It.sounds/EMI/Labels, 0946 3 9422 9 2 0, 3942292, Germany (CD, Maxi).
  • Rhythms Del Mundo Featuring 2raumwohnung. “36 Grad”. On: 36 Grad, 2008, APE Vision, Universal Music Group, 06024 1783071, Europe (CD, Single).

Covers

  • Paul van Dyk’s Vandit Clubmix. “36grad”. On: 36grad Remixe, 2007, EMI, Gala Records (5), 50999 5190312 1, Russia (CD, Album).

References

  • Belz, Nina: “Im Gespräch: Inga Humpe über ’36 Grad’: ‘Dann verlangsamt sich alles so ein bisschen'”. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.07.2010. URL: https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/jugend-schreibt/im-gespraech-inga-humpe-ueber-36-grad-dann-verlangsamt-man-so-ein-bisschen-11009279.html [09.02.2020].
  • Buhre, Jakob: “2raumwohnung: Wir sind kein Badezusatz”. In: Planet Interview, 05.03.2007. URL: http://www.planet-interview.de/interviews/2raumwohnung/34345/ [09.02.2020].
  • Cordes, Niklas: “2raumwohnung: Tommi Eckart und Inga Humpe: Zwei wie Nacht und Tag”. In: Berliner Morgenpost, 03.06.2017. URL: https://www.morgenpost.de/berlin/leute/article210782779/Tommi-Eckart-und-Inga-Humpe-Zwei-wie-Nacht-und-Tag.html [09.02.2020].
  • Pilz, Michael: “Die ‘heißen’ 36 Grad von 2raumwohnung”. In: Welt, 01.02.2007. URL: https://www.welt.de/kultur/article716017/Die-heissen-36-Grad-von-2raumwohnung.html [10.02.2020].
  • Reder, Christian: “2raumwohnung sind …”. In: deutsche-mugge.de. URL: http://www.deutsche-mugge.de/index.php/portraits/6865-2raumwohnung.html [10.02.2020].
  • Ziegler, Michelle: “2RAUMWOHNUNG”. In: students.ch, 01.02.2007. URL: https://www.students.ch/magazin/details/249/2raumwohnung [10.02.2020].

Links

  • Bandhomepage: https://www.2raumwohnung.de [12.02.2020].
  • http://www.lieblingsplatte-festival.de/2017/07/18/2raumwohnung/ [10.02.2020].
  • https://hitparade.ch/song/2raumwohnung/36grad-275889 [12.02.2020].

About the Author

Analysis written in a course of Prof. Dr. Fernand Hörner at the University of Applied Sciences Düsseldorf.
All contributions by Laura Weins

Citation

Laura Weins: “36 Grad (2raumwohnung)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/36-grad, 11/2024.

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