WISH YOU WERE HERE ist ein folkorientierter, balladenhafter Song der britischen Band Pink Floyd.
I. Entstehungsgeschichte
WISH YOU WERE HERE ist der titelgebende Song des am 12. September 1975 erschienenen neunten Studioalbums von Pink Floyd. Die Musik wurde von Roger Waters (E-Bass/Gesang) und David Gilmour (E-Gitarre/Gesang) komponiert, für den Songtext zeichnete Roger Waters verantwortlich. Die Aufnahmen fanden in den Abbey Road Studios statt. Wie auch die anderen vier Songs des Albums thematisiert WISH YOU WERE HERE in der Hauptsache Gefühle der Entfremdung und des Verlusts. Einen Schwerpunkt bildet dabei die Aufarbeitung der tragischen Lebensgeschichte von Syd Barrett, dem ehemaligen Frontmann der Band. Ebenjener verließ die Band im Jahr 1968, nachdem übermäßiger Drogenkonsum und psychische Störungen eine geregelte Zusammenarbeit mit ihm unmöglich gemacht hatten. Ihm ist der Song “Shine On You Crazy Diamond (Parts I–IX)” gewidmet. Während der Aufnahmen zu WISH YOU WERE HERE erschien Barrett unangekündigt im Studio, wurde aber aufgrund seines desolaten Erscheinungsbildes von seinen ehemaligen Bandkollegen zunächst nicht erkannt. Die Begegnung mit ihrem einstigen Weggefährten beschrieben die vier verbliebenen Bandmitglieder im Rückblick als zutiefst verstörend und schmerzlich.
In produktionstechnischer Hinsicht blieben Pink Floyd ihrer experimentellen Vorgehensweise treu, instrumentale und vokale Arrangements mit Klangcollagen und -effekten zu kombinieren. So folgt WISH YOU WERE HERE ohne Pause auf den dritten Song des Albums “Have a Cigar”. Als verbindendes Glied fungiert in diesem Fall die übergangslose Aneinanderreihung eines kurzen Ausschnitts aus Tschaikowski’s Vierter Sinfonie und einer Gitarrenspur, die das Haupt-Riff des Songs vorstellt. Beide Spuren sind mit dem gleichen Low-Cut-Filter unterlegt, der im Zusammenschluss mit der abrupten Montage den Eindruck vermittelt, jemand wechsle die Sender auf einem analogen Autoradio.
II. Kontext
Wish You Were Here fällt in eine Epoche der Popkultur, in der die einfache musikalische Sprache des Rock ‘n’ Roll und der rebellische Übermut ihre Protagonisten zunehmend in den Hintergrund gedrängt wurden. Die jugendlichen Helden der “Swinging Sixties” wirkten in den 1970er Jahren arriviert und abgeklärt. Vor allem die Vertreter der Rockkultur nahmen nun für sich in Anspruch, hochwertige Musik, echte Musik, die bedeutsam zu sein hatte, zu produzieren. Die Arrangements wurden zunehmend komplexer, was nicht zuletzt auch durch Neuerungen auf dem Gebiet der elektronischen Klangerzeugung – etwa durch mehrstimmige Synthesizer – und der Aufnahmetechnik – zu denken wäre an die Einführung von 24- bzw. 32-spurigen Tonbandgeräten – begünstigt wurde. Bands wie Genesis, Yes, King Crimson oder eben besagte Pink Floyd vertieften sich in der Kreation von komplexen, überbordenden Klangwelten. Aufgrund ihres hohen künstlerischen Anspruchs, der darauf hinzuzielen schien, Kunstwerke zu erschaffen, wurde ihnen seitens der Musikpresse das Genre-Etikett Art Rock verliehen. Für Pink Floyd selbst bedeutete das Album Wish You Were Here eine Bekräftigung ihres Mainstream-Status. Zwei Jahr zuvor veröffentlichte die Band mit The Dark Side of the Moon ihr bis dato erfolgreichstes Album und schloss in puncto Popularität zu Superstars wie den Rolling Stones, The Who oder Led Zeppelin auf.
III. Analyse
Der Song dauert 5:40 Minuten; das Tempo beträgt ca. 60 bpm. Neben Haupt- und Nebengesang kommen eine Westerngitarre, eine zwölfsaitige Gitarre sowie E-Bass, Klavier und Schlagzeug zum Einsatz. Der formale Ablauf konstituiert sich in den Abschnitten Intro, 1. Strophe, 2. Strophe, Gitarrensolo, Refrain, Outro. Wie ober erwähnt, geht das Intro aus dem vorangegangenen Song “Have a Cigar” hervor. Die mit Filtereffekt unterlegte zwölfsaitige Gitarre steigt mit dem charakteristischen Vierton-Auftakt in die achttaktige Akkordfolge Em7 | G | Em7 | G | A9 | Em7 | A9 | G ein. Beim wiederholten Durchlauf beginnt die Westerngitarre (ohne Filtereffekt) mit ihrem solistischen Spiel. Nach der relativ langen Dauer von 1:18 Minuten beginnt die erste Strophe. Es zeigt sich bereits an dieser Stelle, dass WISH YOU WERE HERE trotz der Gitarren und des langsamen Tempos keine Folk-Ballade im herkömmlichen Sinne darstellt. WISH YOU WERE HERE nimmt sich wie fast alle Songs von Pink Floyd eher als “Klangreise” denn als Lied aus. Dies lässt sich nicht zuletzt daran belegen, dass die gesanglich-sprachlichen Abschnitte (Strophen und Refrain) zusammengenommen gerade einmal 1:38 Minuten dauern, d.h., in weniger als einem Drittel des Songs wird überhaupt sprachlicher Inhalt vermittelt. Besonders anschaulich wird die Diskrepanz zwischen den folktypischem Klangmerkmalen und dem übergeordneten kompositorischen Anliegen der Band am Ende der zweiten Strophe: Die komplette Band spielt, der Hörer würde nun den Refrain im Sinne einer erzählerischen Fortentwicklung und klanglichen Steigerung erwarten, doch anstelle des Refrains erklingt nochmals das ruhig und ebenmäßig gehaltene Intro in Form eines Solos der Westerngitarre, welches von David Gilmour mit in Falsettstimme vorgetragenen Vokalisen untermalt wird (zudem spielen Bass, Klavier, Synthesizer und Schlagzeug). Schließlich erklingt der Refrain, eröffnet mit der einprägsamen (aber nur einmalig gesungenen) Hookline “How I wish, how I wish you were here”. Strophen und Refrain basieren auf dem gleichen harmonischem Material (C | D | Am | G | D | C | Am | G), das in seiner Übersichtlichkeit wiederum der Folk-Kultur nahezustehen scheint. Der Song schließt in einem ausgedehnten Outro (1:47 Minuten), das in den letzten Song des Albums, “Shine On You Crazy Diamond (Parts VI–IV)”, überleitet. Kompositionelle Grundlage des Outros sind die Spielmuster des Intros. Ergänzt wird dies durch Synthesizer-Flächen und Windgeräusche. In den letzten Sekunden des Songs erlischt die Musik, während die Windgeräusche zunehmend lauter werden und in die “Klangwelt” des folgenden Songs einführen.
Der Songtext fokussiert, wie oben erwähnt, auf die Darstellung von Gefühlen des Verlusts und der Entfremdung. Richtungsweisend hierfür ist der Modus des Fragestellens. Hiernach wird an ein fiktives Gegenüber (“you”) eine Reihe von Fragen gerichtet, die sich im Wesentlichen auf die mangelnde Urteilskraft und Distinktionsfähigkeit des Adressaten bezieht (“So, so you think you can tell heaven from hell?”). Im weiteren Verlauf wird das “Du” um ein nicht weiter bestimmtes “they” erweitert. Nun fragt der Ich-Erzähler, ob “sie” ihn dazu gebracht hätten, dass er “seine Helden gegen Geister” eingetauscht habe. Die Drastik der Verhaltensänderung des Adressaten wird durch das Motiv der Kontrastierung (“Hot air for a cool breeze?”) unterstützt. Doch vertieft sich der Songtext nicht in der Darstellung von Gut-Böse-Gegensätzen, sondern bleibt an einigen Stellen eher vage bis kryptisch (“And did you exchange a walk on part in the war for a lead role in a cage?”). Es zeigt sich, dass WISH YOU WERE HERE nicht zuletzt die Auseinandersetzung von Texter Roger Waters mit der Lebensgeschichte einer Person, nämlich von Syd Barrett, reflektiert. “They” ließen sich hiernach als die Verantwortlichen in der Musikindustrie deuten und “cool breeze” entspräche einer metaphorischen Bezugnahme auf die durch Drogenkonsum verursachte Rauscherfahrung. Eine direkte Anspielung auf Syd Barrett’s Biographie findet sich in der Zeile “Can you tell a green field from a cold steel rail?”. Das Sprachbild “steel rail” ist dem Song “If It’s in You” entlehnt (“Skeleton kissed to the steel rail”), welcher auf Barrett’s Solo-Album The Madcap Laughs (1970) enthalten ist. Im Refrain steht schließlich die Darstellung von Verlust und Sehnsucht im Vordergrund. Wesentlichen Anteil hieran hat die Explizierung der Ich-Perspektive (“How I wish you were here”) und die Erweiterung um die Pluralbildung in der ersten Person (“We’re just two lost souls swimming in a fish bowl, year after year”). So wird in finaler Wendung die tiefe emotionale Verbundenheit zwischen Erzähler und Adressat zum Ausdruck gebracht.
IV. Rezeption
WISH YOU WERE HERE, obwohl in der Studioversion nie als Single ausgekoppelt, gehört zu den gemeinhin bekanntesten Songs der Band. Ähnlich wie andere Rockbands ihrer Zeit (etwa The Who oder Led Zeppelin) mied die Band aufgrund künstlerischer Erwägungen das Kurzformat Single. Dem eigenen Anspruch, als echte “Künstler” wahrgenommen zu werden, konnte mit Hilfe des Großformats Album in höherem Maße entsprochen werden. Dennoch werden mit dem Namen Pink Floyd auch heute noch einzelne herausragende Songs verbunden, so z.B. “Another Brick in the Wall“, “Money” und “Shine on You Crazy Diamond”. In aktuellen Pop-Kanonisierungen wie den “500 Greatest Songs of All Time” (Rolling Stone) oder den “500 Greatest Albums of All Time” (Rolling Stone) rangieren Song und Album auf relativ hohen Plätzen (316 bzw. 211). Der Song WISH YOU WERE HERE wurde im Jahr 1995 als Single des Live-Albums Pulse (1995) ausgekoppelt (mit den B-Sides “Coming Back to Life” und “Keep Talking”). Die Band spielte ihn während ihres vielbeachteten Reunion-Auftritts im Jahr 2005 im Rahmen des Live 8-Konzerts in London. Eine kommerziell erfolgreiche Coverversion des Songs veröffentlichte der haitianisch-amerikanische Hip-Hop-Musiker Wyclef Jean im Jahr 2000.
CHRISTOFER JOST
Credits
E-Bass, Nebengesang: Roger Waters
Westerngitarre, zwölfsaitige Gitarre, Hauptgesang: David Gilmour
Klavier, Synthesizer: Richard Wright
Schlagzeug: Nick Mason
Autor: David Gilmour, Roger Waters
Produzenten: Pink Floyd
Aufnahme: Januar bis Juli 1975
Veröffentlichung: 12. September 1975
Spieldauer: 4:29
Recordings
- Pink Floyd. “Wish You Were Here”, Wish You Were Here, 1975, Harvest, SHVL 814, UK (Vinyl/Album).
- Pink Floyd. “Wish You Were Here”, Wish You Were Here, 1975, Columbia, CK 53753, USA (Vinyl/Album).
- Pink Floyd. “Wish You Were Here”, Wish You Were Here, 1995, EMI, 7243 8 82207 2 9, Europa (CD/Single).
- Pink Floyd. “Another Brick In The Wall Part 2”, The Wall, 1979, Harvest, 1C1981634103, Deutschland (2xLP/Album).
Covers
- Wyclef Jean. “Wish You Were Here”, The Ecleftic: 2 Sides II a Book, 2000, Columbia, 497979 9, Europa (CD/Album).
References
- Mabbett, Andy: Pink Floyd: The Music and the Mystery. London: Omnibus Press 2010.
- Schneider, Albrecht: “Komposition und Produktion von ‚U-Musik‘ unter dem Einfluss technischer Medien”. In: Handbuch Musik und Medien. Ed. by Holger Schramm. Konstanz: UKV 2009, 495–530.
- Rolling Stone (Ed.): Rolling Stone’s 500 Greatest Albums of All Time. London: Turnaround 32006.
- The 500 Greatest Songs of All Time. In: Rolling Stone 963 (2004).
Links
- Band homepage: http://www.pinkfloyd.com/ [08.08.2012].
About the Author
All contributions by Christofer Jost
Citation
Christofer Jost: “Wish You Were Here (Pink Floyd)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/wishyouwere, 08/2012 [revised 03/2017].
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