Mit WHERE THE WILD ROSES GROW wurde die jahrhundertealte Gattung der Mörderballade wiederbelebt und in die aktuale populäre Musik übernommen. Trotz oder gerade wegen der blutig-tragischen Thematik des Liebesmordes erlebte das Duett einen weltweit großen Erfolg. Dazu trug auch die ungewöhnliche Zusammensetzung des australischen Duos bei. Während Nick Cave sich im Genre des Alternative-Rock bewegt, war Kylie Minogue bis zum Zeitpunkt der Aufnahme des Songs deutlich dem Mainstream-Pop verhaftet geblieben.
I. Entstehungsgeschichte
WHERE THE WILD ROSES GROW wurde auf Murder Ballads, dem neunten Studioalbum von Nick Cave And The Bad Seeds aufgenommen. Es wurde von 1993 bis 1995 in Melbourne und London eingespielt und am 5. Februar 1996 in Großbritannien veröffentlicht. Bereits vor der Präsentation des Albums wurde WHERE THE WILD ROSES GROW als erste Single am 2. Oktober 1995 ausgekoppelt. In einem Interview von 2009 begründete Nick Cave die Wahl von Kylie Minogue als Gesangspartnerin in einer chauvinistischen Art und Weise. Er wies darauf hin, dass Frauentypen wie Minogue und ebenso Avril Lavigne sich perfekt für die Verkörperung der Elisa Day eigneten, denn sie verkörperten “im Gegensatz zu Madonna ein Muster von Unschuld, das darauf warte, entehrt zu werden.” (Cave 2009).
Das Album Murder Ballads verweist auf die bis ins 15. Jahrhundert zurückgehende Tradition der Mörderballade, durch die Barden Nachrichten über die Taten und Verurteilungen von Mördern verbreiteten. Der Mord wird aus der Perspektive des Opfers oder des Täters erzählt, wobei der Mörder durchaus in einem sympathischen Licht dargestellt werden kann. Am Schluss der Mörderballaden steht meist eine moralische Pointe oder die Beschreibung der Bestrafung des Täters (vgl. Black 1991: 9).
Der von Fotograf Rocky Schenck konzipierte und gedrehte Videoclip zu WHERE THE WILD ROSES GROW wird eng mit dem Song verwoben. Inhaltlich findet hier die Fortsetzung der Balladenerzählung statt, da Ereignisse und Handlungen nach dem Mord gezeigt werden. Erst auf der visuellen Ebene werden die Verzweiflung und die Trauer des Mörders als Reaktion auf seine Tat deutlich. Die Bildersprache ist dabei auf die Ästhetisierung des Tötens wie des Todes ausgerichtet (vgl. Wasserloos 2010).
II. Kontext
Der künstlerische Ansatz, die Schönheit des Todes zu thematisieren, war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Album und Single ein Novum im Schaffen von Nick Cave. Die gesamte Anlage des Albums Murder Ballads zielt darauf ab, größte Grausamkeit und Gewalttätigkeit, vorwiegend Morde aus Leidenschaft, mit Worten zwar zu thematisieren, mitunter auch zu ästhetisieren, musikalisch als solche jedoch unhörbar zu machen. Die häufig ausführliche Beschreibung menschlicher Abgründe wird durch die Komposition oder den Sound häufig nicht unterstützt oder sogar kontrastiert. Es erklingen weiche Instrumentierungen durch die Nutzung von Streichern und Bläsern oder akustischen Gitarren.
Bereits die unkonventionelle Gesangskonstellation in WHERE THE WILD ROSES GROW verweist auf ein gewisses ästhetisches Spannungspotential. Während Nick Cave eher in der Independent-Szene zu verorten ist, stellt das Glamour-Bild des ehemaligen Soap-Stars Kylie Minogue einen größtmöglichen Kontrast dar. Sie galt zu diesem Zeitpunkt als eines jener ‘Produkte’ des ‘glatten’ Mainstream-Pops, den Ende der 1980er Jahre die Songschreiber und Musikproduzenten Mike Stock, Matt Aitken und Pete Waterman (kurz: Stock Aitken Waterman) hervorgebracht hatten.
III. Analyse
Obwohl WHERE THE WILD ROSES GROW der Gattung der Mörderballade zuzuordnen ist, wird die für gewöhnlich durchkomponierte Anlage der Ballade nicht berücksichtigt. Stattdessen bestimmen drei Strophen den Ablauf, die jeweils vom Refrain gefolgt werden, der auch zum Liedeingang intoniert wird. Instrumentale Zwischenspiele finden nicht statt. Der melancholische, zurückhaltend wirkende Grundcharakter von WHERE THE WILD ROSES GROW wird kompositorisch durch das langsame Grundtempo in einem wiegenden 6/8-Rhythmus erreicht. Dazu kommt eine relativ schlichte Anlage in der Harmonik und Melodik. Auf der Basis nahe verwandter Mollakkorde erklingt ein deutlich deklamierender melodischer Duktus. Dieser wird durch syllabische Vertonung und die häufige Repetition auf einem Ton, beinahe rezitativisch angelegt, erreicht. Der melodische Ambitus bleibt gering und dehnt sich lediglich im Refrain bis zu einer Quinte aus. Dieser reduzierte Ansatz wirkt sich deutlich auf die Gesangsintensität aus. Während Nick Cave in einem mit Intonationsschwankungen versehenen Gesang verharrt, haucht Kylie Minogue ihren Part wie eine Erscheinung aus dem Jenseits. Bei beiden Sängern trägt dieser leicht monotone Ausdruck ein Moment von Entrückung in sich. Einzig die stark präsente Streichersektion unterstreicht die Dramatik im Fortgang des Geschehens. Ihr wird bereits die langsame Einleitung zu WHERE THE WILD ROSES GROW überlassen, in der jegliche Perkussion ausgespart wird. Mit jeder Strophe nehmen die Streicher an Dynamik und Tonhöhe zu und erreichen das höchste Register nach der besungenen Mordtat (“And I lent down and planted a rose between her teeth”) und in der nachfolgenden Wiederholung des Refrains. So scheint es insgesamt der instrumentalen Ebene vorbehalten zu sein, zur Steigerung der emotionalen Intensität beizutragen und eine durch den Klang von Violinen evozierte und durch ‘klassische’ Filmmusiken begünstigte Vorstellung von Romantik einzubringen. Im Kontrast dazu bewirkt der regelmäßig zum Sängerwechsel während der Strophen und zu Beginn jedes Refrains auf der Tonika erklingende tiefe Glockenschlag eine sakrale Atmosphäre. Der Umstand, dass es sich um eine Mörderballade handelt, lässt darüber hinaus die Assoziation mit einer Totenglocke zu. Durch diese beiden instrumentalen Klanggruppen, die Streicher und die Glocke, werden die beiden zentralen Themen der Ballade, Liebe und Tod, klangsinnlich erfahrbar gemacht. Die eigentlich mörderische Geschichte in WHERE THE WILD ROSES GROW wird somit durch die bittersüße Stimmung der Melancholie verschleiert.
Erzählt wird in einem Handlungszeitraum von drei Tagen das Zusammenfinden zweier Liebender. Diese Liebe wird am dritten Tag grausam zerstört, als der unbenannte Liebhaber seine Geliebte, Elisa Day, mit einem Stein erschlägt. Die Gründe dafür sind schwer nachzuvollziehen, da die Geschichte in der Retrospektive aus der Sicht des Täters und des Opfers (gewissermaßen aus dem Jenseits singend) geschildert wird. Einzig die Textzeile des Mörders “All beauty must die” verweist auf das poetisch verklärte Motiv für den Mord. Der Tathergang als Akt der Gewalt und des Tötens wird nur angedeutet durch die Worte des Opfers “As he knelt above me with a rock in his fist”. Dass es sich um ein Abschiedsszenario oder -ritual handelt wird ebenso nur indirekt mitgeteilt, indem der Mörder die Beziehung mit der Rose als Symbol der Liebe und Schönheit als letztem Geschenk beendet und in seinem letzten Satz kulminiert: “And I lent down and planted a rose between her teeth”. Deutlich wird hier das Kernsymbol der Rose. Durch die Erwähnung im Titel, im Refrain sowie die prominente Platzierung in der letzten Zeile der letzten Strophe tritt sie als verbindendes Element auf. Sie ist die Folie für die Schönheit und Leidenschaft, aber auch die verlorene Unschuld, die Johann Wolfgang von Goethe auch im Gedicht Heideröslein beschreibt. In WHERE THE WILD ROSES GROW wird ebenso eine noch unschuldige Sexualität der weiblichen Hauptfigur und des späteren Opfers Elisa Day erwähnt (“He would be my first man”). Nach dem Mord wird die Rose mit der Morbidität der Szenerie verbunden, indem sie als Grabbeigabe umfunktioniert wird (“Planted a rose between her teeth”) und nachfolgend dem Opfer seinen ‘letzten’ Namen gibt (“They call me The Wild Rose / but my name was Elisa Day”). Das Symbol der Rose sowie die zentrale Textzeile “All beauty must die” verweisen auf das eigentliche Thema von WHERE THE WILD ROSES GROW: die Schönheit und das Sterben in Schönheit bzw. das Morden zur Konservierung von Schönheit. Diese Art des ‘ästhetischen’ Tötens bzw. der Mord als hehre Kunst wurde bereits 1827 von Thomas De Quincey (1785-1859) in seinem Essay On murder considered as one of the fine arts als “murder as an end for itself” diskutiert. Dieser Mord beruht auf der Grundlage eines ungleichen Kampfes zwischen Täter und Opfer, der ebenso in WHERE THE WILD ROSES GROW stattfindet (vgl. McInnis 2006).
IV. Rezeption
WHERE THE WILD ROSES GROW etablierte sich langfristig und hoch platziert in den internationalen Charts. Die höchsten Positionen fanden sich neben der Topplatzierung auf Platz 2 in Australien mit Platz 3 in Schweden, Norwegen und Belgien sowie weiteren hohen Charteinträgen zwischen den Plätzen 4 bis 11 in Europa und Neuseeland mit einer Verweildauer zwischen 4 bis 23 Wochen (vgl. Australian-Charts1995-1996 sowie Baker/Minogue 2003: 100). 1996 wurde WHERE THE WILD ROSES GROW mit den australischen ARIA-Awards für die “Single of the Year” und den “Song of the Year & Best Pop Release”, sowie durch 250.000 verkaufte Exemplare mit dem “Gold”-Status der deutschen Plattenindustrie ausgezeichnet. Die anhaltende Popularität des Songs zeigte sich erneut 2008, 13 Jahre nach der Erstveröffentlichung, als er in den deutschen Top 100 der Download-Charts auftauchte. Mit WHERE THE WILD ROSES GROW erreichte Cave die bislang höchste Chartplatzierung seiner Karriere (vgl. Baker/Minogue 2003: 100). Zahlreiche Cover-Versionen in verschiedenen Stilistiken sowie Übersetzungen des Textes in andere Sprachen (z.B. Deutsch), die bis in die Gegenwart nachweisbar sind, zeugen von der fortdauernden, ungeheuren Popularität, aber auch musikalischen Wandelbarkeit des Liedes.
YVONNE WASSERLOOS
Credits
Vocals, Piano: Nick Cave
Vocals: Kylie Minogue
Akustische Gitarre, E-Gitarre, Backing Vocals: Mick Harvey
Gitarre: Blixa Bargeld
E-Bass: Martyn P. Casey
Drums: Thomas Wydler
Backing Vocals: Conway Savage
Violine: Jen Anderson, Sue Simpson
Viola: Kerran Coulter
Glocken: Jim Sclavunos
Musik: Nick Cave
Text: Nick Cave
Produzent: Nick Cave and The Bad Seeds, Tony Cohen, Victor van Vugt
Label: Mute, CD Mute 185 (Europa).
Aufnahme: Atlantis, Sing Sing Recordings und Metropolis Studios (Melbourne, Australien), Wessex Studios (London, UK), 1993-1995.
Veröffentlichung: 2. Oktober 1995
Länge: 3:58 Min.
Recordings
- Nick Cave And The Bad Seeds & Kylie Minogue. Where the Wild Roses Grow, 1995, Mute, CMute 185, UK (Cassette/Single).
- Nick Cave And The Bad Seeds & Kylie Minogue. “Where the Wild Roses Grow”, Murder Ballads, 1996, Mute, CD STUMM 138, UK (CD).
Covers
- Michael Von Der Heide & Kuno Lauener. “Where the Wild Roses Grow”, (Various Artists) Swiss All Stars Railroad Tour, 2000, BMG Ariola (Schweiz), 74321777732, Schweiz (CD).
- Chicks On Speed / Kreidler. “Where the Wild Roses Grow”, The Chicks On Speed / Kreidler Sessions, 2001, Chicks On Speed Records, COSR00, Deutschland (12”-Single).
- Chamber. “Where the Wild Roses Grow”, Solitude, 2004, Sad Eyes, TRI226CD, Deutschland (CD).
- Gregorian. “Where the Wild Roses Grow”, The Dark Side, 2004, Edel Records, 0158082ERE, Deutschland (CD).
- Fusspils 11. “Wo die wilden Rosen blühen”, Elektro-Polizei: Alarm Für Fusspils 11!, 2005, Synthetic Symphony. SPV 085-63772, Deutschland (CD).
- David Owe & Marie Askehave. “Where the Wild Roses Grow”, Tomorrow, 2006, Sony BMG, 82876897592, Dänemark (CD).
- Kamelot Feat.Chanty Wunder. “Where the Wild Roses Grow”, Poetry for the Poisened, 2010, Ear Records, 0205709ERE, Deutschland (CD).
- La Femme Verte. “Where the Wild Roses Grow”, Small Distortions, 2010, Team 4 Action, 1005, Belgien (CD).
- Sara Noxx & Mark Benecke. “Where the Wild Roses Grow”, Where the Wild Roses Grow, 2010, Prussia Records, PRSA4005, 2010, Deutschland (Maxi-CD).
- Hussey – Regan. “Where the Wild Roses Grow”, Curious, 2011, Eyes Wide Shut Recordings, EWSR014, UK (CD).
- Bodenski. “Wo wilde Rosen blühen”, Auto!, 2012, Subway to Sally (Universal), 2299196, Deutschland (CD).
- The CNK & Snowy Shaw. “Where the Wild Roses Grow”, Revisionnisme, 2012, Angelic Music, ANGEL001, Frankreich (CD).
- Polymorphie. “Where the Wild Roses Grow”, Voix, 2012, Polymorphie Self-released, Frankreich (CD).
References
- Baker, William: Kylie Minogue: la la la. Aus dem Engl. v. Harriet Fricke. Schlüchtern: Rockbuch-Verlag 2003.
- Black, Joel: The Aesthetics of Murder. A Study in Romantic Literature and Contemporary Culture. Baltimore and London: The Johns Hopkins University Press 1991.
- Cave, Nick: “Ein Konzert ist Folter für mich”. Interview mit Kolja Reichert. In: Der Tagesspiegel, 22. Nov. 2009. URL: http://www.tagesspiegel.de/kultur/pop/nick-cave-ein-konzert-ist-folter-fuer-mich/1636502.html [16.03.2013].
- Nick Cave and The Bad Seeds & Kylie Minogue. “Where the wild roses grow”. In: “Australian-Charts 1995-1996”. URL: Australian-Charts: http://australian-charts.com/showitem.asp?interpret=Nick+Cave+%26+The+Bad+Seeds+%2B+Kylie+Minogue&
titel=Where+The+Wild+Roses+Grow&cat=s [16.03.2013]. - McInnis, David: “All beauty must die”: the aesthetics of murder, from Thomas De Quincey to Nick Cave. In: Traffic 8 (2006), 117-138. URL: http://www.thefreelibrary.com/_/print/PrintArticle.aspx?id=159180169 [16.03.2013].
- Wasserloos, Yvonne: Tod und Verklärung. “Where the Wild Roses Grow“. In: Kontext Musik. Tagungsband zum Symposium “Musik – Tod – Alltag”. Düsseldorf, 23.-25. September 2010. Ed. by Marcell Feldberg and Volker Kalisch (ca. 15 S., in press).
About the Author
All contributions by Yvonne Wasserloos
Citation
Yvonne Wasserloos: “Where the Wild Roses Grow (Nick Cave And The Bad Seeds & Kylie Minogue)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/wildrosesgrow, 03/2013 [revised 05/2014].
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