1960
Pete Seeger

Where Have All the Flowers Gone?

WHERE HAVE ALL THE FLOWERS GONE? ist ein Antikriegslied des US-amerikanischen Folksängers Pete Seeger.

 

I. Entstehungsgeschichte

Pete Seeger (1919–2014) schrieb diesen archetypischen Folksong im Oktober 1958 für einen seiner zwischen 1954 und 1960 regelmäßig stattfindenden jährlichen Auftritte im Oberlin College in Oberlin, Ohio, angeregt durch eine Zeile, die er sich aus dem Roman Der stille Don (1928–1932) des sowjetischen Schriftstellers und Literaturnobelpreisträgers Michail Scholochow (1905–1984) notiert hatte. Sie sind zur Grundlage für den berühmt gewordenen Refrain des Liedes geworden. Scholochow hatte sie seinerseits aus einem Kinderlied der Donkosaken, „Koloda-duda“, entnommen. Pete Seeger kam die Idee zu dem Song auf dem Flug nach Oberlin. Noch vor der Landung hatte er seine Idee in eine aufführungsreife Fassung gebracht, sodass der Song am 28. Oktober seine Premiere erleben konnte (Seeger 2008). 1960 nahm Seeger den Song dann für sein Album The Rainbow Quest erstmals auf und veröffentlichte ihn 1961 in Sing Out!, der von ihm und Irwin Silber 1950 gegründeten publizistischen Plattform der US-amerikanischen Folk- und Protestsongbewegung. Hier wurde im gleichen Jahr auf Bitten der Leserinnen und Leser auch das russische Original des Songs in englischer Übersetzung abgedruckt, das der britische Musikwissenschaftler und Volksliedsammler A. L. Lloyd (1908–1982) ausfindig gemacht hatte. Den drei Strophen von Seegers Song fügte 1960 Joe Hickerson (*1935), Absolvent des Oberlin College, in den 1960er Jahren selbst ein namhafter Folksänger und später Direktor des Folksong Archivs der Library of Congress in Washington, zwei weitere Strophen hinzu. In dieser Form erschien der Song 1962 auf dem von dem John A. Hammond (1910–1987) produzierten und von Fred Plaut (1907–1985) aufgenommenen Seeger-Album The Bitter and the Sweet mit Live-Mitschnitten aus dem New Yorker Bitter End Café. Diese Aufnahme wurde 1964 im Rahmen der „Columbia Hall of Fame“Series als B-Seite zu Seegers Version von „Little Boxes“ der US-amerikanischen Folksängerin Malvina Reynold (1900–1978) schließlich auch als Single veröffentlicht. Wirklich bekannt geworden ist der Song jedoch erst durch die Cover-Versionen der damals sehr populären Folk-Pop-Gruppen Kingston Trio und Peter Paul & Mary, die ihn 1962 in die Pop-Charts katapultierten.

 

II. Kontext

Pete Seeger, nicht nur ein erfolgreicher Singer-Songwriter, sondern auch ein politischer Aktivist, hatte es Anfang der 1950er Jahre mit seinem Folk-Quartett The Weavers, zuvor als Almanac Singers bekannt, und Songs wie „Goodnight, Irene“ bis an die Spitze der US-amerikanischen Pop-Charts gebracht, wo sich „Goodnight, Irene“ 1950 13 Wochen lang hielt. Als Sohn des renommierten US-amerikanischen Musikethnologen Charles Seeger war er schon frühzeitig mit den traditionellen Musikformen in den USA bekannt geworden und von deren Vielfalt fasziniert. Was maßgeblich durch ihn und den nur wenig älteren Woody Guthrie schon in den 1940er Jahren als Folk Music bekannt wurde und in den 1950er sowie frühen 1960er Jahren dann in die Folk- und Protestsong-Bewegung mündete, waren Adaptionen traditioneller Arbeiter-, Farmer- und Gewerkschaftslieder, die mit Bezug auf aktuelle Zeitereignisse ausgewählt waren und so, teils mit neuem Text versehen, eine politische Sprengkraft ganz eigener Art entfalteten. Seeger brachte das Mitte der 1950er Jahre, nicht zuletzt aufgrund seiner Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei der USA, in Konflikt mit dem House Un-American Activities Committee des berüchtigten republikanischen Senators Joseph McCarthy. Mit Berufung auf den ersten Verfassungszusatz, der jedem Amerikaner Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Religionsfreiheit zusichert, weigerte sich Seeger 1955 einer Aufforderung zur Anhörung vor diesem vom US-Kongress eingesetzten Gesinnungsgericht nachzukommen. Bis weit in die 1960er Jahre hinein blieben die etablierten Medien dem einstigen Pop-Star damit verschlossen. Seeger verlagerte den Schwerpunkt seiner Aktivitäten daraufhin auf die Wiederbelebung US-amerikanischer Folk-Music-Traditionen, die er mit eigenen Liedern, wozu auch WHERE HAVE ALL THE FLOWERS GONE? gehörte, in eine zeitgemäße und vor allem lebendige Form zu überführen suchte, indem er sein Publikum zum Mitsingen animierte. Als Hootenannies wurden seine Mitsingeveranstaltungen bekannt, die 1960 in Gerde’s Folk City, einem Klub im New Yorker Stadtteil Greenwhich Village, zu einer regelmäßigen wöchentlichen Einrichtung geworden sind. Von hier aus nahm die Folk- und Protestsong-Bewegung ihren Ausgang, die sich rasch als eine neue Form von populärer Musik etablierte und später namhafte Künstlerinnen und Künstler wie Bob Dylan, Joan Baez, Tom Paxton und Phil Ochs hervorbrachte.

 

III. Analyse

WHERE HAVE ALL THE FLOWERS GONE? ist ein einfach gehaltener Song, der musikalisch ganz darauf abzielt, die eindringliche Botschaft des Textes zu transportieren. Er besteht aus zwei achttaktigen Segmenten, die jeweils aus viertaktigen Phrasen aufgebaut sind, verbunden durch zwei Takte Überleitung. Das erste Segment bildet den Chorus mit dem Refrain, das zweite den Verse mit der Strophe. Eine Besonderheit sind die zwei Takte Überleitung dazwischen, die mit der Frage „Where have all the flowers gone?“ scheinbar erneut den Refrain aufnehmen.  Doch stattdessen schließen sich die Strophen an, die auf diese Frage immer wieder eine andere Antwort geben („… the girls have picked them everyone …“, etc.). Die Antworten, denen die resignierende Frage „when will you ever learn?“ am Ende jeder Strophe nachgestellt ist, erfolgen in zyklischer Abfolge, was die Botschaft des Liedes so eindringlich macht. Blumen werden von Mädchen gepflückt, deren Ehemänner in den Krieg ziehen und schließlich zu Grabe getragen werden. Auf den Gräbern wiederum wachsen die Blumen, die die Mädchen pflücken. Die einfach gehaltene Melodik des Songs durchschreitet in abwärtsführenden Tonstufen Quint- und Quartintervalle, unterbrochen nur durch einen aufwärtsgerichteten Oktavsprung jeweils am Ende der Titelzeile, um von dort die stufenweise Abwärtsbewegung wieder aufzunehmen. Das gibt dem in langsamem Tempo verhalten vorgetragenen Lied einen resignativen Charakter, der durch den Text dennoch ein aufrüttelndes Moment erhält. Die Harmonik des in C-Dur stehenden Songs bewegt sich im Rahmen der authentischen Kadenz, basiert also auf den C-Dur-, F-Dur- und G-Dur-Akkorden im Wechsel, letztere mit hinzugefügter Septime als Dominantseptakkord, mit einem kurzen Ausweichschritt in die Doppeldominante D-Dur in der Mitte des Chorus.

 

IV. Rezeption

WHERE HAVE ALL THE FLOWERS GONE? wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem der populärsten Antikriegslieder, das vor allem in der Antivietnamkriegsbewegung der 1960er Jahre eine bedeutende Rolle spielte. Die Originalfassung von Pete Seeger ist zwar 2002 in die US-amerikanische Grammy Hall of Fame aufgenommen worden, der Erfolg des Liedes auf dem Tonträgermarkt verdankt sich aber hauptsächlich den Cover-Versionen des Kingston Trios, von Peter, Paul & Mary, Marlene Dietrich und Joan Baez. Zwar kursierte das Lied in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre mit der um sich greifenden Folksong-Bewegung auf vielen Veranstaltungen, jedoch ohne auf dem Tonträgermarkt sichtbare Spuren zu hinterlassen. Auch Peter, Paul & Mary, die den Song schon ab ca. 1960 in ihrem Repertoire hatten, hielten ihn zunächst für ein Volkslied und gaben die 1962 auf ihrem Debütalbum erschienene Version auf ihren Konzerten noch als „Traditional“ aus. Das Album behauptete sich fünf Wochen auf Platz eins der US-Country-Charts.

Das Kingston Trio hörte ihn auf einem ihrer Konzerte und nahm unmittelbar danach 1961 eine eigene Version auf, die aus dem Song dann einen Pop-Hit machte, der Anfang 1962 Platz 21 der Billboard-Single-Charts erreichte. Seither sind hunderte Versionen in über 60 Sprachen erschienen. 1962 veröffentlichte Marlene Dietrich, die den Song auf Englisch, Französisch und Deutsch im Repertoire hatte, eine deutschsprachige Version in der Übersetzung von Max Colpet (Max Kolpenitzky, 1905–1998) als „Sag mir wo die Blumen sind“, die den ursprünglichen Charakter von Seegers Antikriegsliedes betonte. Gleiches gilt für die Version von Joan Baez, die 1965 auf ihrem Album Farewell, Angelina die deutschsprachige Fassung von Marlene Dietrich übernahm und den Song dann auf ihren zahllosen Auftritten bei Kundgebungen zu einem festen Bestandteil des Protestes gegen den Vietnamkrieg machte.

Seither sind die Versionen, in denen der Song veröffentlicht wurde, ebenso vielfältig wie zahlreich. Johnny Rivers hatte 1965 mit einer vom Soul inspirierten Bearbeitung einen Top-40-Hit. Aufgenommen haben ihn so unterschiedliche Künstlerinnen und Künstler wie die französische Chansonnette Dalida, die englische Popsängerin Dusty Springfield, die englische Beatgruppe The Searchers, das Bluegrass-Duo Lester Flatt and Earl Scruggs, die US-amerikanische Soulfunk Band Earth, Wind & Fire, in einer Instrumentalversion der US-amerikanische Jazzgitarrist Wes Montgomery, der deutsche Liedermacher Hannes Wader, die DDR-Rockband City, der US-amerikanische Politiker Bernie Sanders, die australische Jazz- und Popsängerin Olivia Newton-John, der britisch-irische Singer-Songwriter Chris de Burgh, in einer klavierbegleiteten Fassung der englische Popstar und frühere Leadsänger von Bronski Beat, Jimmy Sommerville, sowie die deutsche Avantgarde-Industrial-Band Einstürzende Neubauten. Daneben hatten und haben den Song viele Künstlerinnen und Künstler in ihrem Live-Repertoire, häufig für spezielle Anlässe, wie zum Beispiel Harry Belafonte, der ihn 1966 auf einem Benefiz-Konzert zur Unterstützung des Civil Rights Movement in der Stockholmer Oper sang.

Die 1964 veröffentlichte Columbia-Single mit Pete Seegers Original wurde 2002 in die Grammy Hall of Fame der US Recording Academy aufgenommen.

 

PETER WICKE


Credits

Text: Pete Seeger, Joe Hickerson
Music: Pete Seeger
Vocals, banjo: Pete Seeger
Producer: John A. Hommond
Sound engineer: Fred Plaut
Label: Folkways Records
Published: 1960

Recordings

  • Pete Seeger. „Where Have All The Flowers Gone“. On: The Rainbow Quest, 1960, Folkways, FA 2454, US (LP/Album).
  • Pete Seeger. „Where Have All The Flowers Gone“. On: The Bitter and the Sweet, 1962, Columbia, CL 1916, US (LP/Album).
  • Pete Seeger. „Little Boxes/Where Have All The Flowers Gone“, 1964, Columbia, 13-33088, US (7’’/Single).

Covers

  • Peter, Paul & Mary. „Where Have All The Flowers Gone“. On: Peter, Paul & Mary, 1962, Warner Bros., W 1449, US (LP/Album).
  • Kingston Trio. „Where Have All The Flowers Gone/O Ken Karanga“, 1961, Capitol, 4671, US (7’’/Single).
  • Marlene Dietrich. „Sag mir wo die Blumen sind/Die Welt war jung“, 1962, Electrola, E 22 180, Germany (7’’/Single).
  • Joan Baez. „Sag mir wo die Blumen sind“. On: Farewell, Angelina, 1965, Vanguard, VRS-9200, US (LP/Album).
  • Johnny Rivers. „Where Have All The Flowers Gone/Love Me While You Can“, 1965, Imperial, 66133, US (7’’/Single).
  • Dalida Accompagné Par Raymond Lefèvre Et Burt Random. „Que Sont Devenues Les Fleurs (Where Have All The Flowers Gone)“. On: Dalida, 1962, Barcla,y 80 183, France (10’’/Album).
  • Dusty Springfield. On: „Sag mir wo die Blumen sind (Where Have All The Flowers Gone) (1963)“. On: Continental Dusty, 2003, Zone, X004, GB, (CD/Complilation).
  • The Searchers. „Where Have All The Flowers Gone/Money“, 1965, Pye Records, ‎7NH 113, Netherlands (7’’/Single).
  • Lester Flatt & Earl Scruggs. „Where Have All The Flowers Gone“. On: Changin’ Times, 1968, Columbia, CS 9596, US (LP/Album).
  • Earth, Wind & Fire. „Where Have All The Flowers Gone/Time Is On Your Side“, 1972, Columbia, 4-45800, US (7’’/Single).
  • Wes Montgomery. „Where Have All The Flowers Gone“. On: Road Song, 1968, A&M Records/CTI Records, SP 3012, US (LP/Album).
  • Hannes Wader. „Sag mir wo die Blumen sind“. On: Daß nichts bleibt wie es war, Pläne 88291, Germany (LP/Album).
  • „Sag mir wo die Blumen sind“. On: Unter der Haut, 1983, AMIGA, 8 56 009, DDR (LP/Album).
  • Bernie Sanders and 30 Vermont Artists. „Where Have All The Flowers Gone“. On: We Shall Overcome, 1987, Burlingtown Recordings, BLT-1007C, US (CD/ Album).
  • Olivia Newton-John. „Where Have All The Flowers Gone“. On: Indigo – Women of Song, 2004, Festival Records, D 338342, Australia (CD/Album).
  • Jimmy Somerville. „Where Have All the Flowers Gone“. On: Suddenly Last Summer, 2010, Strike Force Entertainment, SFE003, GB (CD+DVD/ Album).
  • Chris de Burgh. „Where Have All the Flowers Gone“. On: Footsteps, 2008, V2, VVNL20522, Benelux (CD/Album).
  • Einstürzende Neubauten. „Sag mir wo die Blumen sind“. On: Lament, 2014, BMG, ‎538013752, Germany (CD/Album).

References

  • Seeger, Pete: Where Have All the Flowers Gone. In: Sing Out! 11/5 (1961), 3.
  • Seeger, Pete/Blood, Peter: Where Have All the Flowers Gone: A Singer’s Stories, Songs, Seeds, Robberies. New York: Sing Out Publications 1993.
  • Hickerson, Joe: The Songfinder column. In: Sing Out! 53/2 (2010), 76.
  • Peter Seeger: Still Going Strong at 89. Interview. In: Performing Songwriter 113 (November 2008).

Links

  • Pete Seeger – Where have all the flowers gone? URL: https://www.youtube.com/watch?v=7pZa3KtkVpQ [30.11.2017].

About the Author

Peter Wicke is a musicologist and professor emeritus at the Humboldt University of Berlin.
All contributions by Peter Wicke

Citation

Peter Wicke: „Where Have All the Flowers Gone? (Pete Seeger)“. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, https://www.songlexikon.de/songs/where-have-all-the-flowers-gone, 04/2025.

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