1990
Madonna

Vogue

Der Song ist eine Hommage an den Tanzstil des Voguing (oder Vogue) der afroamerikanischen Schwulenszene von Harlem in New York City.

 

I. Entstehungsgeschichte

VOGUE wurde im März 1990 als Single aus Madonnas Soundtrack-Album I’m Breathless (Music from and Inspired by the Film Dick Tracy) ausgekoppelt und wurde ursprünglich als Song für die B-Seite zusammen mit dem Produzenten Shep Pettibone geschrieben. Für die A-Seite war eigentlich der Song “Keep It Together” vorgesehen. Als Pettibone den Song der Plattenfirma Sire vorspielte, überredeten alle Beteiligten Madonna dazu, den Song für die A-Seite auszuwählen, da er zu gut für die B-Seite sei (vgl. Taraborrelli 2001: 236), obschon die Künstlerin selbst das Gefühl hatte, der Song sei nicht stark genug dafür (vgl. Rooksby 2001: 111).

Nach dem Erfolg von Shep Pettibones Remixes für eine Reihe von früheren Madonna-Songs, einschließlich der Produktion der Single “Like a Prayer”, kam Craig Kostich, Head of Dance Music von Warner Bros. Records, auf Pettibone mit der Idee zu, bei einem neuen Song mit Madonna zusammenzuarbeiten. Erst kurz zuvor hatten sie für Songs wie “Express Yourself” oder “Cherish” kooperiert.

Pettibone war unter anderem auch DJ in der Sound Factory, dem Club, in dem Madonna mit dem Tanzstil Voguing in Berührung kam. Sie war fasziniert von der Art und Weise, wie die Männer dort “eine Pose einschlagen” (“strike a pose”), während sie ihren Körper in außergewöhnlichen Körperstellungen hielten. Sie hatte schon früh Verbindung in die Schwulenszene, ihr homosexueller Tanzlehrer Christopher Flynn nahm sie schon als Teenager mit in die Clubs, wo sie ausgelassen tanzen konnte, aber auch für ihre Arbeit inspiriert wurde. Flynn war in dieser Zeit auch mehr als nur Lehrer für sie, eher ein Mentor, und nahm großen Einfluss auf ihre persönliche Entwicklung (vgl. Morton 2001: 95-100).

Es gibt eine Maxi-Single von VOGUE mit vier Versionen: die “Single-Version”, die “12”-Version”, der “Bette Davis Dub” und den “Strike-A-Pose Dub”. Die definitive Version des Songs, die Album-/Videoversion, ist nicht auf der Single. Die Single-Version, in der sie fragt “What are you looking at?”, beginnt mit Drumbeats und geht rasch in die Strophe über, im Gegensatz zur minutenlangen Einführung der Album-Version. Abgesehen von den verschiedenen Intros ist der restliche Song gleich. Die “Bette Davis Dub”-Version beginnt mit dem erweiterten Album-Intro, aber abgesehen vom Refrain und dem Rap-Part ist diese Version praktisch instrumental, ebenso wie der letzte Mix, der geschickt Samples von “Like a Virgin” verwendet.

Pettibone beschreibt in einem Interview, dass er den Song sehr schnell und günstig mit einem Budget von nur $ 5.000 komponierte. Er nahm den vom Salsoul Orchestra beeinflussten Begleit-Track (dies war 2012 Inhalt eines Gerichtsprozesses) in nur zwei Wochen auf und übergab ihn Madonna, die dann die Texte dazu schrieb und den Titel entwickelte (vgl. Caulfield 2015). Madonna hatte gerade den Dreh ihrer Parts im Film Dick Tracy (erschienen im Juni 1990, Regie: Warren Beatty) beendet und das dazugehörige Soundtrack-Album I’m Breathless (Music from and Inspired by the Film Dick Tracy) aufgenommen. Sie flog daraufhin nach New York und nahm ihren Gesang zu VOGUE in einem kleinen 24-Spur-Kellerstudio in der West 56th Street auf.

Pettibone hatte die Idee, die Middle Eight-Bridge mit einem Rap-Gesang zu füllen, weil es für diese Stelle bisher noch keinen Text gab. Er schlug vor, klassische Filmstars mit Namen zu nennen. Madonna und er verfassten eine Namensliste und nahmen diese auf. Auch die Gesangs-Coda von VOGUE “Ooooh, you’ve got to, let your body move to the music” stammt von ihm.

Nachdem Madonna nach Los Angeles zurückkehrte, nahm Pettibone einige weitere Feinabmischungen des Songs vor (Hinzufügung eines Piano-Tracks und einer geringfügigen Änderung der Bassline in den Versen aus Gründen der Anpassung an Madonnas Gesang) und der fertige Song wurde nur drei Wochen nach der ersten Annäherung von Kostich an Warner Bros. Records übergeben (vgl. Caulfield 2015).

Obwohl der Song selbst nichts mit dem Disney-Film Dick Tracy zu tun hat, ist er auf Madonnas entsprechendem Soundtrack-Album enthalten, welches Songs aus dem Film mit einbezieht und auch von ihm inspiriert wurde.

VOGUE fügt sich in das Dance Pop/House-Genre ein, mit dem sich Madonna im Laufe ihrer Karriere immer mehr auseinandersetzte und das ihre Musik nachhaltig prägt. “Es war der Sound des Sommers 1990 – eingängig, aufsässig, mit einem herrlichen Groove sowie einem dazu passenden klassischen Video, mit dem sich Madonnas Status als Ikone wieder herauskristallisierte. Mit dem Wechsel des Jahrzehnts befand sie sich auf dem Gipfel ihrer Karriere” (O’Brien 2008: 220).

Das Musikvideo zu VOGUE wurde unter der Regie des bekannten Regisseurs David Fincher am 10. und 11. Februar 1990 in den Burbank Studios im kalifornischen Burbank gedreht. Es wurde “nach einem gewaltigen Casting in L.A. zusammengestellt” (ebd.: 223), bei dem zahlreiche Tänzer erschienen. Beim Vortanzen wählte Madonna rasch ihre Favoriten aus, mit denen sie zum Test die ganze Nacht in einem Club feierte und am nächsten Morgen eine private Tanzstunde abhielt. Nach wenigen Tagen hatte sie ihr Tanzensemble für das Video zusammengestellt. Inspiriert von dem seinerzeit berühmten Vogue-Tänzer und Star des Dokumentationsfilms Paris Is Burning von 1990, Willi Ninja, brachte Madonna Elemente des Kunstturnens, asiatische Tanzdarbietungen und den Tanzstil von Fred Astaire in das Video ein, wodurch wiederum der Bogen zum Hollywood-Film gespannt wird, sich der Kreis also gewissermaßen schließt (vgl. ebd.: 223).

Der Choreograf Vincent Paterson ergänzte die authentischen Vogue-Schritte der ausgesuchten Tänzer. Das Video wurde in einer rekordverdächtigen Zeit von sechzehn Stunden gedreht und am 29. März 1990 auf MTV veröffentlicht, danach ging Madonna auf Welttournee (Titel: Blond Ambition World Tour). Einen Monat nach dem Ende der selbigen hatte Madonna ihren aufsehenerregenden Auftritt bei den MTV Video Music Awards. Die aufwändige Tanzchoreographie von VOGUE wurde hier ganz anders als noch auf der Tournee (Madonna gekleidet in einem schwarzen Sport-BH und Lycra-Shorts, die Tänzer schlicht in schwarz) mit Kostümen im Rokoko-Stil ausgestattet.

 

II. Kontext

Der Song VOGUE hat im Grunde genommen wenig mit dem oben genannten Hollywood-Film zu tun, schuf aber durch die Erwähnung berühmter Filmgrößen wie Marilyn Monroe, Marlene Dietrich, Grace Kelly, Ginger Rogers, Rita Heyworth, Kathleen Turner, Greta Garbo und einigen mehr eine Verbindung. Auch hat er wenig mit dem gleichnamigen Modemagazin gemein, sondern vielmehr mit dem im Underground der New Yorker Transvestiten-Clubs praktizierten Tanzstil Voguing (siehe oben), bei dem typisch streng lineare und rechtwinklige Arm- und Beinbewegungen eingenommen werden in Anlehnung an Posen und Körperhaltungen von Models auf Laufstegen oder auf dem Cover von Magazinen wie der Vogue (vgl. Rooksby 2001: 111). “[…] [V]oguing came from flipping the pages Vogue and looking at the models. And if you flipped through the magazine really fast then it looks like they are changing poses, and that’s how it became vogue” (Regnault 2011: 160). Durch den Song geriet die Tanzform erstmals in das öffentliche Bewusstsein und in die Mainstream-Kultur und festigte Madonnas Ansehen als Ikone der homosexuellen Community.

Aus dem subkulturellen Nachtleben des New York der 1960er-Jahre hervorgegangen war Voguing zu Beginn der 1980er-Jahre eine expressive Manifestation der marginalisierten homosexuellen Latino- und afroamerikanischen Ballroom-Szene. Von ihren leiblichen Familien geächtet und zum Teil verstoßen, entwickelten die Tänzer eine Art der Performance, die ehedem in der US-amerikanischen Öffentlichkeit nicht existierte. Sie ließen ihren Fantasien von Ruhm, Anerkennung und Vermögen freien Lauf. Als Inspirationen für ihre personalisierten Stile nutzten sie Eindrücke aus Modemagazinen (siehe oben), Martial Arts-Filmen, Hip-Hop resp. Breakdance, Ballett, rhythmischer Gymnastik und stellten ferner mit ihren Körpern ägyptische Hieroglyphen nach.

Neben dem tänzerischen Ausdruck spielt der Musikstil House eine wichtige Rolle (vgl. ebd.: 140). Mit Wurzeln in der afroamerikanischen Musikkultur schlägt House eine Brücke zur traditionellen Ballroom-Szene (vgl. ebd.: 140). Zu den Vogue-Hymnen der 1980er-Jahre zählten unter anderem Songs wie “Love Is the Message” (1973) von MFSB (Philadelphia International Records), “Ooh I Love It (Love Break)” (1983) von The Salsoul Orchestra (dessen Remix von Shep Pettibone stammt) und letztlich auch Madonnas Hit VOGUE. Der Song ist auch dafür bekannt, House in die populäre Mainstream-Musik gebracht zu haben.

Der Tanz wurde damals besonders durch Madonnas Video zu VOGUE (1990), aber auch durch das Video zu dem Prince-Song “Kiss” (Referenz), durch Malcolm McLarens Single “Deep in Vogue” (1989) und Jennie Livingstons Dokumentar-Film Paris Is Burning (1990) bei einem internationalen Publikum bekannt und populär. Aufgrund dieser Popularisierung in den 1990er-Jahren haben sich Praktik und Szene von den unsichtbaren Randbereichen hin zum Mainstream erweitert und als gefeierte Tradition in LGBTQ-Communities weltweit etabliert.

Angesichts des Einflusses von Madonnas Song und Video wurde Voguing als kulturell bedeutsamer Performance-Stil gefestigt, den zukünftige Generationen der LGBTQ-Gemeinschaft übernehmen konnten, darüber hinaus stellte es die traditionellen Vorstellungen von Gender in Frage (vgl. Chatzipapatheodoridis 2017: 2).

Das Video zeigt Tänzer des House of Xtravaganza, eine 1982 gegründete Latino-Gruppe aus New York City, die später zusammen mit Madonna auch auf ihrer Tournee auftraten. Ball Culture beschreibt eine Form der Vergemeinschaftung in der LGBTQ-Subkultur, die vom Gedanken des (spielerischen) Wettkampfes getragen ist. Einige laufen und tanzen, andere konkurrieren wiederum in Drag-Kategorien, die andere Geschlechter und soziale Klassen nachahmen sollen. Die meisten Teilnehmer der “Balls” gehören zu Gruppen, die als Houses bekannt sind.

Unter Bezugnahme auf die glamourösen Modehäuser wie Prada, deren Glanz und Stil sie bewunderten, begannen farbige Drag Queens in den 1960er-Jahren Drag Houses zu gründen, die vielmehr Familien waren. Angeführt von ‘Müttern’ und ‘Vätern’ knüpften sie Kontakte, kümmerten sich umeinander und bereiteten sich auf die Balls vor (vgl. Regnault 2011: 4). Houses dienen sozusagen als alternative Familien und sind als sichere Zufluchtsorte (safe spaces) gedacht, die ihren ‘Kindern’ Orientierung und Unterstützung bieten.

Es gibt vier Kategorien von Gender in den „Häusern“: Butch-Queens, Femme-Queens, Butches und Women. Zu den berühmtesten Houses der 1980er- und 1990er-Jahre zählen Xtravaganza, Magnifique, Ninja, LaBeija und Dupree (jeweils mit dem Zusatz “House of …” zu lesen). Typischerweise übernehmen Hausmitglieder den Namen ihres Hauses als Nachnamen wie zum Beispiel einer von Madonnas Tänzern namens Jose Gutierez Xtravaganza.

Es existieren drei verschiedene Vogue-Stile: Old Way, New Way und Vogue Fem. Mit Blick auf neuere Entwicklungen konstatiert Regnault (2011: 161): “Now it’s changed into speeding as if they are on acid. It’s still an art form, but it’s really quick, like a computer game. I see it as a broken version of vogue. Now there’s dramatics vogue too, voguing with a twist.”

Mehrere namhafte Künstlerinnen wurden vom Voguing beeinflusst, unter anderem Lady Gaga, Britney Spears, Beyoncé oder Rihanna. Der Einfluss des Voguings auf die zeitgenössische Popkultur ist mittlerweile lawinenartig angewachsen. Leiomy Maldonado war 2009 mit ihrem Auftritt die erste Transgender-Frau, die in der US-amerikanischen Fernsehshow MTV’s America’s Best Dance Crew auftrat (mit der Tanzgruppe Vogue Evolution). Im Jahr 2017 wurde sie das neue Gesicht der Be True-Kollektion mit entsprechendem Werbespot von Nike. Die US-amerikanische Reality-Show RuPaul’s Drag Race, dokumentiert die Suche nach dem nächsten “Drag-Superstar” der USA und brachte Ballroom und Voguing ins zeitgenössische Fernsehen.

Abgesehen von Popstars und TV-Shows mit internationaler Verbreitung sind Vogue-Festivals und sogar Vogue-Workshops mittlerweile weltweit verbreitet, wodurch die Interaktion zwischen Häusern und alten und jungen Künstlern hergestellt und aufrechterhalten wird (vgl. Schweinberger 2014).

In den Workshops wird Vogue professionell als Tanzform unterrichtet. Dies reicht von der einfachen Vermittlung moderner Techniken über das Erstellen von Tanzgruppen und Cliquen bis hin zur Neubildung von Häusern (vgl. Chatzipapatheodoridis 2017: 9). Die Ballroom-Szene hat sich zu einem nationalen und internationalen Tanzsport entwickelt, bei dem große Tanzwettbewerbe in verschiedenen Regionen der Vereinigten Staaten und auf der ganzen Welt abgehalten werden. New York ist nach wie vor das ‘Mekka’ der Ballroom-Szene sowie des Tanzstils, aber es gibt regionale ‘Hauptstädte’ (nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern weltweit). Hier werden die entsprechenden Wettbewerbe und Festivals veranstaltet, inspiriert durch das Voguing der ursprünglichen Balls von New York City. Berlin Voguing Out ist seit 2012 ein jährlicher internationaler Treffpunkt für Vogue-Tänzerinnen und -Tänzer in Deutschland; in Barcelona findet seit einigen Jahren das Voguing Festival statt.

 

III. Analyse

VOGUE fügt sich in das Dance-Pop-/House-Genre ein und baut auf einem Drumcomputer-Beat auf, über den eine synthetische Bassline, diverse Synthesizer-Sounds und House-typische Piano-Akkorde gelegt sind. Rooksby (2001: 111-112) stellt fest: “Hohe Streicher gehen durch und im Refrain finden wir wieder ein Klavier mit Synkopen”. Dabei kombiniert der Song Elemente aus der Disco-Musik der 1970er-Jahre mit zeitgenössischen House-Beats.

Das Musikvideo zu VOGUE, Madonnas dritte Zusammenarbeit mit Regisseur David Fincher, mündet in eine elegante Hommage an das klassische Hollywood-Kino in Schwarzweiß und in eine durchaus energetische Darstellung des Voguing. Zu Beginn der 1990er erreichen Madonnas Musikvideos ein hohes künstlerisches Niveau und sie belegen ihr Bestreben, namhafte Profis aus der Pop- und Filmbranche – wie eben David Fincher – ihre Songs audiovisuell in Szene setzen zu lassen (vgl. Grigat 1995: 73).

Der Anfang des Videos zeigt zunächst verschiedene Skulpturen und Kunstwerke sowie die in fein geschneiderten Anzügen, Fracks und Fedoras posierenden Tänzer. Die Kamera wechselt immer wieder zu Madonnas Rücken in einem sehr femininen weit ausgeschnittenen, mit Schmucksteinen besetzten silbernen Kleid. In weiteren Einstellungen treten ein Dienstmädchen und ein Butler auf, die aufräumen und beim Betrachter insgesamt einen Eindruck von Wohlstand und Klasse hinterlassen. In dem Moment, in dem der Tanzabschnitt beginnt, dreht sich Madonna um und nimmt, den Lyrics entsprechend, eine Pose ein (“strike the pose”) und rahmt ihr Gesicht mit den Händen, wie bei einer Geste des Fotografierens. Wir sehen ihr Gesicht als Close-Up, die Augen im hellen Schein des Beautylichts, was den Fokus auf ihre körperliche Attraktivität lenkt. Sie erscheint in dieser Szene als verführerische weibliche Figur, eine Reinkarnation des Sex-Symbols Marilyn Monroe, was durch ihre Haare, ihr Kostüm, ihren Schmuck und ihre eleganten Bewegungen betont wird.

Im weiteren Verlauf des Videos und der ersten Strophe folgen Szenen mit den Tänzern, die weiterhin elegante und extravagante Posen einnehmen, und mit Madonna, die ein durchsichtiges Spitzen-Oberteil trägt. Die Kamera ist in einem niedrigen Winkel (low-angle) auf Madonna gerichtet und betont damit ihren sozialen Stand, ihre Schönheit und ihren Ruhm: Man schaut gewissermaßen zu ihr auf.

Während des gesamten Musikvideos lässt Madonna ihre Hände über ihren Körper gleiten, was sie als mysteriöse Femme fatale in einem Film noir erscheinen lässt. Sobald der Refrain beginnt, tanzen Madonna im Anzug – einem stereotypen Männeroutfit (allerdings trägt sie nur einen BH darunter) – und ihre Tänzer eine klassische Vogue-Choreographie. Parallel dazu wird über den Gesang (“Come on vogue, let your body move to the music”) dazu aufgefordert, es den Tänzern gleich zu tun.

Die Bewegungen, die im Video gezeigt werden, sind jene des “Old Way”, d.h. geradlinige, geometrische Arm- und Beinbewegungen in symmetrischer und exakter, aber anmutiger Ausführung. Einige Körperhaltungen gleichen gar den ägyptischen Hieroglyphen, sind aber zusätzlich auch an Modelposen angelehnt. Es werden in der Folge einige jener Posen gezeigt, die gemeinhin mit den im Song erwähnten Stars (Marilyn Monroe, Katherine Hepburn, Greta Garbo, Fred Astaire und Jean Harlow) in Verbindung gebracht werden.

Diese werden im Mittelteil, der Bridge, in einem Sprechgesangs-Part aufgezählt und bewundert: “They had style, they had grace”. Mit der Textzeile “Rita Hayworth gave good face” wird auf einen Ausdruck aus der Szenen-Kultur verwiesen. “Give good face” bedeutet, dass man sein makelloses Gesicht in Form eine Maske zeigt (vgl. O’Brien 2008: 225).

Im weitesten Sinne geht es in VOGUE um Eskapismus (“You try everything you can to escape the pain of life that you know”). Die Realitätsflucht soll auf der Tanzfläche ausgelebt werden (“I know a place where you can get away it’s called a dance floor and here’s what it’s for”). Der Text weist Parallelen zu Madonnas Biographie auf, da sie selbst als junges unverstandenes Mädchen im Balletttanz ihre Bestimmung sah und dies der Beginn ihrer künstlerischen Entwicklung und letztlich ihrer Karriere war. Ihr erster Ballettlehrer Christopher Flynn gehörte der Schwulenszene an und nahm sie schon als Teenager mit in die Tanzclubs der Community, wo sie einfach sie selbst sein konnte und aus purer Freude an der Bewegung tanzen konnte (vgl. Morton 2001: 95-100). “Die Botschaft ist, dass Madonna den Tanz als Akt des individuellen Ausdrucks entdeckt” (Rooksby 2001: 112). Die Zeile “It makes no difference if you’re black or white, if you’re a boy or a girl”, enthält die Botschaft, dass alle gleich sind, wenn es darum geht, zu tanzen und zu posieren und dass jedem alle Möglichkeiten offenstehen (“Your dreams will open the door”). Madonna verstand sich stets als Unterstützerin der Gay Community und von dieser bekam sie die Inspiration, Handlungsräume aufzuzeigen, in denen Menschen nach Akzeptanz suchen und/oder etwas völlig Neues kreieren können.

Madonna wurde zuweilen vorgeworfen, dass ihre sexualisierten Inszenierungen ein Produkt des Patriachats und folglich ein “feministischer Alptraum” seien (vgl. Grigat 1995: 2). Die Frage, ob Madonna mit dem Song und dem dazugehörigen Video Geschlecht dekonstruktiert, wird von Feministinnen kontrovers diskutiert, da ihre Frauenbilder stereotyp und kritisch zugleich sind.
Ihre Verkörperung von sexuell sehr anziehenden weiblichen Filmstars und die Verarbeitung von Schönheitsidealen können sowohl ein Verweis auf das Konstrukt ‘Frau’ sein, vermögen aber gleichzeitig Vorstellungen des Weiblichen zu festigen. Weil der Fokus im Video auf Madonnas körperlicher Attraktivität liegt, kann das Video einerseits als narzisstisch resp. hedonistisch interpretiert werden. Da sie aber in einem Herrenanzug auftritt, kann VOGUE auch als Kritik der gesellschaftlichen Konstruktion von Geschlechtern gesehen werden. In einer kurzen Sequenz werden der Reihe nach Close-Ups der Oberkörper der Tänzer gezeigt, die ihre Sakkos zur Seite öffnen. Am Ende dieser Reihe sieht man (vermutlich) Madonnas Oberkörper, wie sie ihren mittlerweile legendären ‘Cone-Bra’ verführerisch und tanzend enthüllt. Dies kann als einer Art Parodie von Geschlecht verstanden werden (im Männlichen steckt demnach etwas Weibliches) und würde die Dekonstruktionsthese stützen, gleichzeitig handelt es sich um eine intertextuelle Anspielung auf die Drag- und Camp-Community.

 

IV. Rezeption

Der Song VOGUE der Sängerin Madonna brachte ihr den achten Nr.1-Hit in den Charts ein, was sie zur damals erfolgreichsten Sängerin in den USA machte und den Dance Music-Trend der 1990er-Jahre bestimmte. VOGUE kletterte im Sommer 1990 auf Platz 1 und wurde in sämtlich Clubs weltweit gespielt. “Das Video ritt auf der Welle einer neu erwachten Tanzbegeisterung, in der sich Club, House und Techno mit dem Mainstream verbanden. VOGUE reflektierte den neuen Hedonismus: lebensbejahend, optimistisch und absolut grenzüberschreitend” (O’Brien 2008: 224).

Der Musiksender MTV hatte anfänglich Probleme mit der Szene im Video, in der Madonna eine durchsichtige Spitzenbluse trägt, weil ihre nackten Brüste darunter deutlich zu erkennen waren. Der Sender wollte das Video zunächst zensieren, indem verlangt wurde, diese Szene herauszuschneiden, aber Madonna lehnte dies ab und das Video wurde vollständig gesendet.
Nach seiner Veröffentlichung erhielt das Video insgesamt neun Nominierungen auf den MTV Music Video Awards und wurde letztlich dreifach ausgezeichnet: in den Kategorien Best Direction, Best Editing und Best Cinematography. Der Auftritt bei den MTV Video Music Awards 1990 basierte auf einer aufwändigen Tanzchoreographie, die, im Gegensatz zur Blond Ambition World Tour, mit Kostümen im Rokoko-Stil arbeitete. Der Rolling Stone kürte das Video 1999 zum zweitbestes Musikvideo aller Zeiten, nur einen Platz hinter Michael Jacksons “Thriller”.  Ihr ‘Cone-Bra’ taucht im Video erstmalig auf und gilt inzwischen als eines ihrer Markenzeichen.

Der Song wurde live mehrfach gecovert und zitiert, beispielsweise von Britney Spears, Kylie Minogue, Beth Ditto, Katy Perry und Ariana Grande. Neben diesen Darbietungen existieren einige Coverversionen, wie zum Beispiel jene der finnischen Metalband Waltari, die als Single veröffentlicht wurde und zu der sogar ein Musikvideo gedreht wurde.

2012 kam es zu einem Gerichtsprozess aufgrund eines Plagiatsvorwurfs, das Urteil fiel aber zugunsten von Madanno und ihrem Produzenten aus (geklagt hatte das Label Salsoul Records, das im Song ein Sample aus dem Song “Ooh, I Love It (Love Break)” vermutete).

Madonna stieg mit VOGUE, wie Grigat (1995: 84) feststellt, zur “Königin der Schwulenwelt” auf. Ihre Maskerade der Hyperfeminität und ihre Verkörperung von Marilyn Monroe, die in der Schwulen-Szene als Kultfigur gilt, entsprechen einigen Ausdrucksformen männlicher Homosexualität (Drag und Camp).  Das Musikvideo ist “eine Art visuelle Solidaritätserklärung”, die auch vor dem zeitlichen Hintergrund zu lesen ist, dass sich Madonna öffentlich im Kampf gegen AIDS engagierte (ebd.: 77). Viele ihrer Freunde, darunter ihr erster Tanzlehrer und Mentor Christopher Flynn, starben an der Krankheit.

 

ANJA LYNEN


Credits

Songwriter: Madonna, Shep Pettibone
Producer: Madonna, Shep Pettibone
Executive Producer: Craig Kostich
Vocals: Madonna
Backing Vocals: Donna de Lory, Niki Haris
Mixing: Shep Pettibone
Programming: Alan Friedman
Editor: Tony Shimkin
Assistant Engineer: Curt Frasca
Mix Engineer: Goh Hotoda
Photography By: Alberto Tolot
Design: Jeri Heiden
Label: Sire, Warner Bros.
Recorded:
Published: 1990
Length: 4:19 (single version), 4:50 (album version), 8:19 (12″ version), 7:24 (Bette Davis Dub), 7:37 (Strike-A-Pose Dub)

Video Director: David Fincher
Video Producer: Victoria Niles
Cinematography by: Pascal Lebègue
Video Editor: James Haygood
Art Director: Lauryn Leclere, Jeri McManus
Poster Insert Photographer: Lorraine Day
Management: Freddy De Mann, Renee Sandmann
Choreographer: Karole Armitage, Luis Gamacho, Jose Gutierez
Video Cast: Madonna, Neil Breen, Luis Gamacho, Oliver Crumes, Donna DeLory, Salim Gauwloos, Jose Gutierez, Niki Harris, Kevin Alexander Stea, Gabriel Truprin, Carlton Wilborn
Recorded: The Burbank Studios, California
Published: 1990
Length. 4:53 (single version)

Recordings

  • Madonna. “Vogue”, 1990, Sire/Sire, 0-21513,9 21513-0, US (Vinyl/Maxi-Single).
  • Madonna. “Vogue”, 1990, Sire/Warner Bros. Records, 9 21513-2, US (CD/Maxi-Single).
  • Madonna. “Vogue”, 1990, Sire,7-19863, US (Vinyl/Single).
  • Madonna. “Vogue/Keep it together”, 1990, Sire, 7-15989, US (Vinyl/Single).
  • Madonna. “I’m Breathless (Music From And Inspired By The Film Dick Tracy“, 1990, Sire/Warner Bros. Records, 9 26209-2,9 26209-2, US (CD/Album).

Covers

  • Waltari. “Vogue”. On: Torcha! 1992, Emergo, EM 9129 2, Netherlands (CD/Album).
  • D.D.T. “Vogue”. On: Shut Up Kitty: A Cyber-Based Covers Compilation, 1993, Re-constriction Records REC-009, US, (CD/Compilation)
  • Mad’house. “Vogue”. Absolutely Mad, 2002, Radikal Records RAD 90048-2, US, (CD/Album)
  • Glee Cast. “Vogue”. On: Glee: The Music, The Power of Madonna, 2010, Columbia, 88697 67681, US (CD/EP).

References

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  • Buhre, Franziska: “Fake it to make it!”. In: Taz, 14.08.2014. URL: http://www.taz.de/!310689/ [25.01.2019].
  • Caulfield, Keith: “‘Vogue’ Producer Shep Pettibone’s First Interview in 20 Years: On Making a Madonna Classic & Why He Left Music Behind”. In: Billboard, 22.05.2015. URL: https://www.billboard.com/articles/columns/pop-shop/6575923/vogue-producer-shep-pettibone-interview [25.01.2019].
  • Chatzipapatheodoridis, Constantine: Strike a Pose, Forever: The Legacy of Vogue and its Re-contextualization in Contemporary Camp Performances. In: European journal of American studies 11/3 (2017). Special Issue: Re-Queering The Nation: America’s Queer Crisis. European Association for American Studies [PDF-Download: 27.01.2019].
  • Grigat, Nicoläa: Madonnabilder. Dekonstruktive Ästhetik in den Videobildern Madonnas. Studien zum Theater, Film und Fernsehen. Frankfurt a.M.: Lang 1995.
  • Kenny, Glenn: “Review: ‘Kiki’: The Vogueing Scene, Still a Refuge for Gay and Transgender Youth”. In: The New York Times, 28.02.2017. URL: https://www.nytimes.com/2017/02/28/movies/kiki-review.html [25.01.2019].
  • Madonna Megastar. Photographien 1988-1993. Bildband. Mit einem Essay von Camille Paglia. München: Schirmer/Mosel 1994.
  • Morton, Andrew: Madonna. Frankfurt a.M.: Krüger 2001.
  • Müller, Joana: “Bald bei Netflix: Bahnbrechendste Serie 2018 kommt endlich nach Deutschland”. In: moviepilot.de, 13.12.2018. URL: https://www.moviepilot.de/news/bald-bei-netflix-bahnbrechendste-serie-2018-kommt-endlich-nach-deutschland-1114254 [27.01.2019].
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  • Reichard, Rachel: “Meet Leiomy Maldonado, the Trans Latina Vogue Dancer Whose Hair Flip Inspired Beyoncé & More”. In: Latina.com, 24.01.2017. URL: http://www.latina.com/lifestyle/inspiring-latina/leiomy-maldonado-vogue-choreographer [25.01.2019].
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  • Taraborrelli, Randy J.: Die Biographie. Hamburg: Hoffmann und Campe 2001.
  • Weisenstein, Kara: “Voguing Legend Leiomy Maldonado Is Bringing Ballroom to the Masses”. In: Vice, 28.06.2018 URL: https://www.vice.com/en_us/article/evkebj/voguing-legend-leiomy-maldonado-is-bringing-ballroom-to-the-masses [25.01.2019].

Films

  • Dick Tracy. Regie: Warren Beatty. Drehbuch: Jim Cash / Jack Epps Jr. Walt Disney Pictures, 1990.
  • Paris Is Burning. Regie: Jennie Livingston. Drehbuch: Jennie Livingston. Academy Entertainment / Off White Productions, 1990.
  • Strike a Pose. Regie: Reijer Zwaan, Ester Gould. CTM Docs, 2016.
  • Kiki. Regie: Sara Jordenö. Drehbuch: Sara Jordenö / Twiggy Pucci Garçon. 2016.
  • The Devil Wears Prada. Regie: Davis Frankel. Drehbuch: Aline Brosh Mckenna. 20th Century Fox, 2006.

About the Author

Analysis written in a course of Prof. Dr. Fernand Hörner at the University of Applied Sciences Düsseldorf.

Citation

Anja Lynen: “Vogue (Madonna)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/vogue, 12/2019.

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