1964
Bob Dylan

The Times They Are A-Changin’

Der Titelsong des gleichnamigen Albums vom Bob Dylan (*1941) ist eines der einflussreichsten, in seiner Wirkung bis heute ungebrochenen Zeugnisse der Protestbewegung der 1960er Jahre, der den Ruf von Dylan als Sprachrohr seiner Generation begründete.

I. Entstehungsgeschichte

THE TIMES THEY ARE A-CHANGIN’ ist vermutlich im September 1963 entstanden; die Angaben über den genauen Entstehungszeitpunkt sowohl von Dylan selbst wie von seinen Biografen variieren. Am 7. Oktober 1963 jedenfalls nahm Dylan im Auftrag des Musikverlages M. Witmark & Sons, einer der seinerzeit führenden Verleger von Popmusik in den USA, ein Demo des Songs auf, bei dem er sich – der für Songwriter damals gängigen Praxis entsprechend – selbst am Klavier begleitete. Zu dieser Zeit waren es noch immer primär die Verlage, die sich um die Vermarktung von Songs bemühten, und nicht die Plattenfirmen. Daher das Demo für einen Verlag, der sich mit solchen Aufnahmen um die Vergabe der Rechte an die Plattenfirmen kümmerte. Die gingen allerdings in dieser Zeit dazu über, in Künstler und damit in langfristige Karrieren zu investieren, zumal ein immer größer werdender Kreis von Musikern und Bands, so wie Dylan, mit eigenem Song-Material in die Studios ging. Die nicht zur Veröffentlichung bestimmte Aufnahme erschien 1991 dennoch im Rahmen der Bootleg Series Volumes 1–3 (Rare & Unreleased) 1961–1991– trotz des Titels eine reguläre Veröffentlichung seiner Plattenfirma Columbia Records. Die Aufnahme der im Stil eng an den Folk-Sänger Woody Guthrie (1912-1967) angelehnten Plattenfassung von THE TIMES THEY ARE A-CHANGIN’ erfolgte während der letzten Session für das gleichnamige Album am 23. und 24. Oktober 1964 im Studio A der Columbia zusammen mit Songs wie “Eternal Circle”, “Paths of Victory”, “Lay Down Your Weary Tune” und “Percy’s Song”, die alle erst Jahrzehnte später das Licht der Öffentlichkeit erblicken sollten. Aufgenommen wurden 8 Takes, veröffentlicht lediglich das letzte, am 24. Oktober aufgenommene. Produziert hat den Song der afroamerikanische Produzent Tom Wilson (1931-1978), der drei der erfolgreichsten Alben Dylans auf den Weg brachte (The Times They Are A-Changin’, Another Side of Bob Dylan, Bringing It All Back Home). Das Album erschien im Januar 1964, der ausgekoppelte Titelsong dagegen erst im März 1965 in Großbritannien, in Vorbereitung auf Dylans England Tournee vom 30. April bis zum 10. Mai 1965. Schon am 1. Februar strahlte der kanadische Fernsehsender Quest /CBC TV eine Live-Videofassung des Songs aus. Auch die Londoner Live-Aufführung des Songs im Rahmen von Dylans England Tournee ging in einem Mitschnitt von BBC-TV in die Analen ein.

II. Kontext

THE TIMES THEY ARE A-CHANGIN’ war bei seiner Veröffentlichung eigentlich nicht für den Popmarkt bestimmt. Die Platte zielte auf den in den 1950er Jahren explodierenden Anhängerkreis der Folk Music, die in der Zeit der Weltwirtschaftskrise als Verbindung von textlich aktualisierten traditionellen Volksliedern und politischem Aktivismus entstanden war und sich vor allem mit dem Namen des Sängers und Gitarristen Woody Guthrie verband. Anfang der 1950er Jahre gab es mit den von Pete Seeger (*1919) gegründeten Weavers und Songs wie “Goodnight, Irene” (1950) oder “Wreck of the John B” (Sloop John B) (1950) zwar die ersten Crossover-Hits aus der Folk-Szene, die den Popmarkt erreichten, gefolgt in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre von den Chart-Erfolgen des kalifornischen Kingston Trios, doch die als Folk Revival bekannt gewordene Bewegung blieb zunächst auf die studentische Jugend in den USA begrenzt. Aus ihr rekrutierten sich auch die späteren Ikonen der Protestsongbewegung wie Joan Baez (*1941) und eben Bob Dylan. Mit den “Hootenannies” genannten Mitsinge-Veranstaltungen gewann die Folk Music um die Wende zu den 1960er Jahren massiv an Boden. Gleichzeitig erreichte die Bürgerrechtsbewegung in den USA, die mit dem Marsch auf Washington Ende August 1963 und der historisch gewordenen Rede Martin Luther Kings “I Have a Dream…” ihrem Höhepunkt zustrebte, einen bis dahin nicht gekanntes Ausmaß an Unterstützung. Insbesondere junge Leute schlossen sich dem Kampf der Afroamerikaner um ihre Bürgerrechte an und sahen darin ein Symptom für grundsätzliche Veränderungsnotwendigkeiten in ihrer Gesellschaft. Nicht zuletzt die Ermordung John F. Kennedys im November 1963 lieferte ein Indiz dafür, dass etwas grundlegend schief lief in der US-Gesellschaft. Das führte zu einer Politisierung vor allem der studentischen Jugend, die in der Folge des sprichwörtlich gewordenen Baby Booms nach dem Zweiten Weltkrieg inzwischen einen ungewöhnlich großen Anteil an der Bevölkerung stellte. 1965 waren fünfzig Prozent der US-Bevölkerung unter 25 Jahren, zwei Drittel von ihnen besuchten das College oder die Universität. Bob Dylan brachte mit THE TIMES THEY ARE A-CHANGIN’ nicht nur die Sehnsucht nach Veränderungen zum Ausdruck, die diese Generation junger Amerikaner beherrschte und die mit dem offenen Ausbruch des Vietnamkrieges 1965 noch einmal einen massiven Schub erhielt. Die demografische Entwicklung hatte die Folk- und Protestsongbewegung inzwischen vom universitären Rand der Gesellschaft mitten in ihr Zentrum rücken lassen und ihr damit auch kommerziell ganz neue Perspektiven eröffnet. Was als ein Produkt für den begrenzten Folk Music-Markt konzipiert war – deshalb auch zunächst keine Single-Auskopplung –, sollte schon bald im Mittelpunkt der Pop-Kultur stehen. Dylan zog ein Jahr nach der Veröffentlichung von THE TIMES THEY ARE A-CHANGIN’ auf dem Newport Folk Festival 1965 sehr zum Leidwesen der Folk Music-Puristen die Konsequenz aus dieser Entwicklung, indem er seine Gitarre an einen elektrischen Verstärker anschloss und damit die beiden damals zentralen musikalischen Ausdrucksformen Jugendlicher in den USA – Folk und Rock – zusammenführte.

III. Analyse

THE TIMES THEY ARE A-CHANGIN’ reflektiert die sich ändernde Welt Jugendlicher, die weder Lehrer noch Eltern zu verstehen im Stande seien. Ohne die Änderungen selbst zu benennen, zieht der Song eine scharfe Linie zwischen “jung” und “alt” und trifft damit jenes Grundgefühl einer Generation, das von den Soziologen wenig später mit dem Begriff “Generationskonflikt” beschrieben wurde. Dass Dylan dabei insgesamt eher vage bleibt, verleiht dem Song jene Zeitlosigkeit, die ihm bis heute nichts von seiner Attraktivität genommen hat. Musikalisch sind die fünf Strophen und die wiederkehrende Titelzeile als Refrain ganz im Stil von Dylans großem Vorbild, Woody Guthrie, gehalten. Ungewöhnlich ist das ¾-Metrum und die scheinbar irreguläre Songarchitektur, die bei genauerer Betrachtung dann aber doch einen nur kaschierten Standardaufbau offenbart. Die auftaktige Strophe umfasst 22 Takte und scheint sich damit den für die Folk Music ebenso wie für die Popmusik typischen 4-, 8-, 16- oder 32taktigen Standards zu entziehen. Tatsächlich aber besteht sie aus fünf Viertaktgruppen, nur dass nach der ersten und der dritten durch Überbindung des letzten Melodietons noch ein Zwischentakt eingeschoben ist. Melodisch und harmonisch besteht die Strophe aus zwei Abschnitten, einmal zwei, einmal drei Viertaktgruppen, wobei auch hier die Symmetrie durch Wiederholung der vierten Viertaktgruppe vermieden wird. Für die Strophe ergibt das den folgenden Aufbau: a-b-a-c-c. Der eigentlich viertaktige Refrain ist ebenfalls wieder mittels Überbindung um einen angehängten Zwischentakt erweitert.

Eine ähnliche Ambivalenz weist auch die Textstruktur auf, denn die zweizeiligen Reime (Come gather ’round people / Wherever you roam / And admit that the waters / Around you have grown / And accept it that soon / You’ll be drenched to the bone…) sind unmittelbar vor dem Refrain durch zwei eingeschobene Zeilen unterbrochen (You’ll be drenched to the bone… If your time to you / Is worth savin’ / Then you better start swimmin’ / Or you’ll sink like a stone…). Erreicht wird damit, dass die Periodizität, die auf dem in sich geschlossenen Charakter wiederkehrender Einheiten (Taktgruppen, Versreim) beruht, zugunsten eines linearen, narrativen Aufbaus durchbrochen wird. Der Song bezieht so seine eigentümliche Wirkung ganz maßgeblich aus der Ambivalenz zwischen Periodizität und Linearität. Und dieses Ambivalenzprinzip findet sich auch auf der harmonischen Ebene. Mit der Akkordfolge G-Em-C-G bzw. G-Am-C-D-G wird das dem Song zugrunde liegende T-S-D-T-Schema (Tonika, Subdominante, Dominante, Tonika) der Dur-Kadenz, wie es die 6 Takte Intro vorgeben, durch die zwischengeschobene Tonika- und Dominantparallele – im weiteren Verlauf des Songs die Tonika mit hinzugefügter großer Septime (Gmaj7) und die Dominante mit hinzugefügter kleiner Septime (D7) – harmonisch in einen Zwischenbereich zwischen Dur und Moll verschoben. Dem folgt auch der melodische Aufbau, der sich, von Übergangstönen abgesehen, eigentlich der Akkordtöne bedient. Lediglich der subdominantische C-Dur-Akkord ist als zusätzliches Ambivalenzmoment melodisch häufig nicht mit einem akkordeigenen Ton, sondern durch die hinzugefügte Sexte repräsentiert, die dabei als Vorwegnahme der folgenden Dominante fungiert. Auch hier entsteht dadurch der Eindruck, als bewege sich die Melodie irgendwie zwischen zwei Tonarten. Für Dylans Schreibstil sollten solche Ambivalenzen insgesamt charakteristisch werden.

IV. Rezeption

Das Album, als dessen Titelsong THE TIMES THEY ARE A-CHANGIN’ entstand, erreichte Platz 20 der US-Album Charts und war damals das am besten verkaufte Album Dylans. Die 1965 in Großbritannien erschienene Single brachte es auf Platz 9 der britischen Charts. Die Wirkung des Songs ging jedoch vor allem von den charismatischen Live-Auftritten Dylans aus, der ihn als eine Konstante in seinem Tournee-Repertoire behielt, eingeschlossen die seit 1988 anhaltende “Never Ending Tour”. Allerdings hat sich die Art und Weise, wie Dylan den Song interpretiert, dabei mehrfach geändert. THE TIMES THEY ARE A-CHANGIN’ gehörte zu den ersten Songs Dylans, bei denen Kritiker auch die poetische Qualität des Textes würdigten und in seinem Autor nicht nur den Pop-Star und Performer, sondern auch einen Dichter von Format zu sehen begannen. In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre wurde aus dem Song so etwas wie eine Hymne der Jugend- und Studentenbewegung, die ihre Spuren im Denken und in der Haltung dieser Generation hinterlassen hat. Im krassen Gegensatz dazu steht die Tatsache, dass Dylan den Song 1994 zur Nutzung als Soundtrack eines Werbespots für die New Yorker Steuerprüfungsfirma Coopers & Lybrand freigab.

Es gibt rund 500 Cover Versionen von Künstlern unterschiedlichster Couleur, darunter Joan Baez, die Byrds, Peter Paul & Mary, die Hollies, Nina Simone, Billy Joel, Tracy Chapman, Phil Collins, Bryan Ferry und Manfred Mann. Auch ist der Song in vielen Sprachen aufgenommen worden. Es gibt eine russischsprachige Fassung ebenso wie eine chinesischsprachige. Eine sehr eigenwillige Version hat die in den USA geborene französische Tänzerin, Sängerin und Schauspielerin Josephine Baker 1973 bei einem Konzert in der New Yorker Carnegie Hall der Öffentlichkeit vorgestellt. Ebenfalls eine bemerkenswerte Fassung, auch wenn nicht auf Tonträger zugänglich, stammt von Bruce Springsteen, aufgeführt 1997 auf dem “Tribute to Bob Dylan”-Konzert im John F. Kennedy Center for the Performing Arts in Washington D.C. anlässlich der der Verleihung der Kennedy Center Honors for Exemplary Lifetime Achievement in the Performing Arts an Bob Dylan.

Das Musikmagazin Rolling Stone listete den Song 2004 auf Platz 59 ihrer 500 Greatest Songs of All Time. Die handschriftliche Fassung des Textes wurde am 20.12.2010 für über 400.000 Dollar von einem Hedgefond-Manager in New York ersteigert und ziert heute dessen Büro.

 

PETER WICKE


Credits

Komposition/Text: Bob Dylan
Gesang, Gitarre, Mundharmonika: Bob Dylan
Produktion: Tom Wilson
Toningenieure: George Knuerr, Peter Dauria

Recordings

  • Bob Dylan. The Times They Are A-Changin’, The Times They Are A-Changin’, 1964, Columbia ‎Records, CS 8905, US (Vinyl/LP/Album).
  • Bob Dylan. The Times They Are A-Changin’ / Honey, Just Allow Me One More Chance, 1965, CBS Records, CBS 201751, UK (Vinyl/7″-Single).
  • Bob Dylan. “The Times They Are A-Changin'” , The Bootleg Series Volumes 1–3 (Rare & Unreleased) 1961–1991 (Vol. I), 1991, Columbia Records, C3K 86572, US (3xCD-Box).

Covers

[Auswahl]

  • Peter, Paul And Mary. “The Times They Are A-Changin'”, In Concert, 1964, Warner Bros. Records, 2WS 1555, US (Vinyl/Doppel-LP).
  • Simon & Garfunkel. “The Times They Are A-Changin'”, Wednesday Morning, 3 A.M., 1964, Columbia, CL 2249, US (Vinyl/LP/Album).
  • The Byrds. “The Times They Are A-Changin'”, Mr. Tambourine Man / Turn! Turn! Turn!, 1965, Columbia, CG 33645, US (Vinyl/Doppel-LP).
  • The Hollies. “The Times They Are A-Changin'”, Words And Music By Bob Dylan, 1969, Epic, BN 26447, US (Vinyl/LP/Album).
  • Nina Simone. “The Times They Are A-Changin'”, To Love Somebody, 1969, RCA Victor,  LSP-4152, US (Vinyl/LP/Album).
  • Josephine Baker. “The Times They Are A-Changin'”, Josephine Baker at Carnegie Hall 5 June 1973, 1974, AEI, 2101, France (Vinyl/Doppel-LP).
  • Billy Joel. “The Times They Are A-Changin'”, KOHЦEPT, 1987, CBS Columbia, CGK 40996, US (CD/Album).
  • Tracy Chapman. “The Times They Are A-Changin'”, Various, Bob Dylan – The 30th Anniversary Concert Celebration, 1993, Columbia, C2K 53230, US (Doppelalbum).
  • Phil Collins. “The Times They Are A-Changin'”, Dance Into the Light, 1996, Face Value Records, 0630-15948-2, UK (CD/Single).
  • Joan Baez. “The Times They Are A-Changin’ (1964)”, This Land Is Your Land: Songs Of Freedom (Various Artists), 2002, Vanguard Records, 79710, US (CD).
  • Bryan Ferry. “The Times They Are A-Changin'”, Dylanesque, 2007, Virgin, CDV3026, UK (CD/Album).
  • Manfred Mann’s Earth Band. “The Times They Are A-Changin'”, Bootleg Archives Volumes 1-5 (Vol. 4: Live In Hell), 2009, Cohesion, MMARCHIVE1, UK (5xCD-Box).

References

  • Benzinger, Olaf: Bob Dylan: Die Geschichte seiner Musik. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2011.
  • Gray, Michael: The Bob Dylan Encyclopedia. London/New York: Continuum International 2006.
  • Greil, Marcus: Bob Dylan by Greil Marcus: Writings 1968-2010. Boston: PublicAffairs Books 2010; dtsch. Hamburg: Edel Germany 2013.
  • Mellers, Wilfrid: A Darker Shade of Pale: A Backdrop to Bob Dylan. Oxford/New York: Oxford University Press 1985.
  • Rosenstone, Robert A.: “The Times They Are A-Changin'”: The Music of Protest. In: Annals of the American Academy of Political and Social Science 382 (March 1969), 131-144.
  • Williams, Paul: Bob Dylan: Performing Artist, 1960-73, London: Xanadu Publications 1991; dtsch. als: Like A Rolling Stone. Die Musik von Bob Dylan 1960 – 1973. Heidelberg: Palmyra 2005.

Links

  • http://www.youtube.com/watch?v=e7qQ6_RV4VQ [09.10.2014].
  • https://www.youtube.com/watch?v=1AG-NY7ujQk [09.10.2014].
  • https://www.youtube.com/watch?v=tbGwGUARUi0 [09.10.2014].

About the Author

Prof. Dr. Peter Wicke is a retired professor of musicology. From 1992 to 2016 he held the chair for "Theory and History of Popular Music" at the Humboldt University Berlin.
All contributions by Peter Wicke

Citation

Peter Wicke: “The Times They Are A-Changin’ (Bob Dylan)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/timestheyaredylan, 01/2014 [revised 10/2014].

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