1982
Michael Jackson

Thriller

Der Song THRILLER ist einer der bekanntesten Hits von Michael Jackson (1958–2009), in dem viele zu Lebzeiten den “King of Pop” sahen. Bekannt wurde der Titel insbesondere durch das zugehörige Musikvideo, das die Populärkultur nachhaltig beeinflusste.

 

I. Entstehungshintergrund

Michael Jacksons THRILLER ist die siebte und letzte Singleauskopplung seines gleichnamigen sechsten Studioalbums, das im November 1982 erschien. Geschrieben wurde der Song von Rod Temperton, als Produzent fungierte – wie bei der gesamten LP – Quincy Jones, der mit Jackson bereits das Vorgängeralbum Off the Wall produziert hatte. Die künstlerische Kooperation von Jones und Jackson erbrachte nicht nur neun Songs für das Album Thriller, sondern 21 weitere Titel, die aber nicht auf dem Album veröffentlicht wurden.

Quincy Jones erkannte weit mehr das musikalisch-dramatische Potenzial von THRILLER als Michael Jackson selbst. Der ursprünglich vorgesehene Songtitel war “Starlight” (oder “Midnight Man”), was auf Wunsch des Sängers jedoch in THRILLER abgeändert wurde. Der Single-Release erfolgte 1984, nachdem bereits “Billie Jean” und “Beat It”, beide von Jackson selbst stammend, international große Erfolge gefeiert hatten. Pophistorisch einzigartig ist das bis dato weltweit teuerste Musikvideo zum Song, das mit einer Spieldauer von fast 14 Minuten eher einem Kurzfilm gleichkommt und Standardlängen von Videoclips zu jener Zeit bei Weitem überschritt. Die Filmaufnahmen zum Video entstanden im Herbst 1983 in Los Angeles, Regie führte der namhafte Horrorfilm-Regisseur John Landis, dessen Intention es auch war, filmisch eine Art Mini-Movie zu inszenieren. Ebenfalls durch das Horrorfilm-Genre bekannt geworden war auch der Schauspieler Vincent Price, der sowohl als Erzähler im Videoclip fungiert als auch den eineinhalbminütigen Sprechpart am Ende des Songs rezitiert. Weiterhin maßgebend für die große pophistorische Bedeutung des Videoclips ist die Tatsache, dass Michael Jackson durch seine Tanz-Choreographie, Kostümierung und seine Performance als Tänzer zur unbestrittenen Pop-Ikone avancierte.

 

II. Kontext

Das Album THRILLER erlangte seinerzeit schier überbordende Popularität. Für großes Aufsehen sorgte Michael Jackson u. a. durch sein stark verändertes Äußeres auf dem Cover des Albums. Erstmals zeigte er sich mit sichtbar aufgehellter Hautfarbe, was zu kontroversen Debatten in der Öffentlichkeit führte. Ein weiterer Grund für den durchschlagenden Erfolg des Albums ist auch die Tatsache, dass sich Jackson (im Zusammenschluss mit Quincy Jones) mit einer raffinierten Mixtur aus R&B, Funk, Rock und Pop-Elementen vom gefälligen Disco-Sound der Vorgängerplatte Off the Wall (1979) entfernt (mitunter bezeichnet als “Post-Disco”) und damit Popmusik und den Pop-Tanz neu definiert hatte.

Selbstaussagen Jacksons zufolge wollte er mit Thriller ein Album aufnehmen, in dem jeder Song ein “Killer” ist. Seine Absicht, die Hörer:innen emotional in den Bann zu ziehen, sie zu schockieren, im übertragenen Sinn gar zu hypnotisieren, bestimmt auch die Thematik des Songs: Es soll in doppelter Hinsicht ein “Thrill” vermittelt, d.h. Erregung erzeugt werden, die unter die Haut geht – zum einen durch einen songpoetischen Nervenkitzel, der Angst und Schrecken hervorruft, zum anderen durch mehr oder weniger konkrete körperlich-sexuelle Anspielungen. Indem die “Thriller-Night” mit den furchtbarsten Horrorvisionen und Monsterwesen garniert wird, um die existenzielle Bedrohung und Schutzbedürftigkeit des weiblichen Wesens darzustellen, wird sie zugleich zur verheißungsvollen Liebesnacht mit dem schier übermenschlich starken Beschützer: “‘Cause I can thrill you more than any ghost would dare to try / Girl, this is thriller, thriller night / So let me hold you tight and share a killer, diller, chiller / Thriller here tonight.” Damit trifft Jackson thematisch den Nerv der Zeit und ins Zentrum afroamerikanisch geprägter Popmusik. Denn die mehr oder minder eindeutige bzw. metaphorische Beschreibung sexueller Aktivitäten sowie die übersteigerte Selbstdarstellung männlicher Kraft und Potenz reicht in der populären Musik der USA zurück bis in die Zeiten des Blues und spielt auch im Soul der 1960er Jahre sowie nachfolgend im Funk eine zentrale Rolle. Die thematischen Anleihen am Horrorfilm-Genre als zweites textliches Erregungsmoment finden dann ihre visuelle Umsetzung in der Machart des Videos.

 

III. Analyse

Sowohl die Album- als auch die Singleversion von THRILLER haben eine Spieldauer von 5:57 Minuten. Davon weichen die Single-Veröffentlichungen in einigen Ländern mit einer Länge von etwas mehr als vier Minuten ab. Die Videoversion hat, wie oben erwähnt, eine Länge von 13:42 Minuten. Das als eher gemäßigt zu bezeichnende Tempo des Songs liegt bei 118 bpm. Jacksons Gesang zeichnet sich durch atemloses Keuchen, schrille Schreie und lüsternes Seufzen aus. Maßgeblich für seine Musik, speziell in THRILLER, seien nach Mercer (1999: 211 ff.) die Vertonung von Emotionen und Lüsternheit.

Der Song gliedert sich in Refrain, drei Strophen, einen Bridge-Teil, der zwischen dem zweiten Refrain und der dritten Strophe eine spürbare Emotionalisierung bewirkt, und den Schlusspart mit der gesprochenen Textpasssage (“Darkness falls across the land”) von Vincent Price. Charakteristisch für die Song-Architektur ist die Verwendung kurzgliedriger Motive, die sowohl im Bass als auch in der Vokalmelodie in Erscheinung treten und beim Hören eine sogartige Wirkung entfalten: Das im Intro, in der Strophe und im Refrain ostinat wiederholte eintaktige Bass-Riff (Cis-H-Cis-E-Fis-Cis) beginnt auftaktig und ist im Funk-Stil rhythmisch organisiert; es bringt das instrumentale Arrangement des Songs in Fahrt. Von ähnlicher Wirkkraft ist das einprägsame “Thriller-Motiv” (gis’–h’–gis’–cis’’–h’–ais’–gis’), das Jackson dreimal im Chorus singt (“‘Cause this is thriller, thriller night”) und das den dramatischen Höhepunkt des Songs markiert. Das Motiv erklingt fanfarenartig auch variiert am Anfang des Songs (0:38), nach horrorfilmtypischen Soundeffekten wie Türenquietschen, Donner, Schritten und Wolfsheulen sowie einem melodisch aufsteigenden und in der Lautstärke langsam anschwellenden Synthesizer-Motiv, dynamisch akzentuiert vom Schlagzeug. Es folgt das Bass-Riff, begleitet von einer 16tel-Hi-Hat-Figur, Handclaps, Synthesizerklängen und mysteriösem Geheule, bevor bei 1:00 die erste Strophe mit “It’s close to midnight” beginnt.

Die Formstruktur der 16-taktigen Strophen ist einerseits dadurch gekennzeichnet, dass jeweils zweitaktig die Dur-Subdominante F#7 und die Tonika C#m7 wechseln und der nachfolgende Übergang zum Chorus durch eine kurze Kadenz markiert wird. Andererseits ist in Takt 8 eine Art Zäsur zu erkennen, da durch zusätzliche Instrumente (E-Gitarren-Riff und mehrstimmige, rhythmisch akzentuierte Bläser-Fills) das musikalische Geschehen sukzessive dramatisiert wird und so der Eindruck eines Pre-Chorus entsteht. Jedenfalls beginnt der erste Chorus unmittelbar anschließend im Auftakt mit dem so bezeichneten “Thriller-Motiv”.

Das textliche Horror-Szenario in der zehntaktigen Bridge (“Night creatures call and the dead start zu walk in their masquarade”), die nach der zweiten Strophe und dem zweiten Refrain folgt, wird harmonisch unterstützt durch spannungsreiche Akkordfortschreitungen im Ganz- oder Halbtonabstand (E/H–A#m7-5–Amaj7–G#7sus4–G#7), wodurch zugleich ein Kontrast zur Hauptstufen-Harmonik in den Strophen bzw. im Refrain erzeugt wird. Auf gesanglicher Ebene vereint sich Jacksons Solostimme am Ende der Bridge wirkungsvoll mit einem mehrstimmigen Background-Gesang, so dass die existenzielle Bedrohung und Ausweglosigkeit der Situation (“This is the end of your life”) klangmächtig verstärkt wird.

Eine ebenfalls spannungssteigernde Wirkung hat am Ende des dritten Chorus die viermal aufsteigende Wiederholung des melodischen Terzintervalls an der Textstelle “Killer, diller, chiller, thriller here tonight”, bevor der Refrain zum vierten und letzten Mal erklingt. Das Outro ist eine Mischung aus dem Gesangspart Michael Jacksons und der Textrezitation von Vincent Price. Wechseln Sprechtext und Gesang anfangs noch deutlich hörbar ab, werden die beiden Vokalebenen gegen Ende zusehend überlagert, d.h., Price spricht über den Gesangspart Jacksons. Dieser singt mehrmals wiederholend die Textzeilen “I’m gonna thrill ya tonight” und “Thriller night”, kombiniert mit lasziv-werbenden Ausrufen wie “Oh baby” und “Oh darling”, und betont damit die erotisch-sexuelle Konnotation des Songtitels “Thriller”. Das schaurige Lachen von Vincent Price, mit dem der Song musikalisch unbegleitet endet, hinterlässt indes das ungute Gefühl, dass letztlich nicht die sexuelle Lust, sondern der blanke Horror obsiegen wird.

Der Songtext thematisiert nicht nur die Doppeldeutigkeit von psychischer bzw. physischer ‘Erregung’, sondern nimmt auch Bezug auf den Volksglauben der Geisterstunde, die im narrativen Mittelpunkt der filmischen Umsetzung steht. Der Videoclip beginnt mit einer nächtlichen Szenerie, in der Michael Jackson seiner Freundin (dargestellt von Ola Ray) ein Liebesgeständnis macht und zu erklären versucht, kein “normal guy” zu sein. Urplötzlich verwandelt er sich in einen schauerlich aussehenden Werwolf. Das Ganze entpuppt sich aber als Fiktion, als Film im Film, denn in der anschließenden Kinoszene wird klar, dass Jackson und seine Begleiterin unterschiedlich amüsiert einen Horrorfilm auf einer Kinoleinwand anschauen. Angewidert und genervt verlässt sie den Kinosaal, Jackson versucht sie zu beschwichtigen (“It’s only a movie”), und mit Beginn des Songs, seiner rhythmisch-tänzerischen Bewegungen und der Vergewisserung, dass alles nur ein Spiel mit der Angst (und ein Werben um sie) sei, gelingt es ihm, sie umzustimmen.

Die narrative Struktur des Clips changiert beständig zwischen Realität und Fantasie, lebt von plötzlichen Umbrüchen und Stimmungsumschwüngen: So öffnen sich mit Beginn des Off-Sprechtextes von Vincent Price auf einem nebligen Friedhof Gräber, aus denen Zombies steigen und sich angsteinflößend auf das Liebespaar zubewegen. Erneut mutiert Jackson nach einem Kameraschwenk zu einem Horrorwesen, schließt sich der grausigen Zombiehorde an und vollzieht mit seinen legendären Schritten einen ebenso grotesken wie visuell faszinierenden ‘Tanz der Untoten’. Jackson ist zugleich Teil der unwirklichen Zombiechoreographie und real performender Künstler, wechselt zu Beginn des Refrains kaum merklich von der Zombiemaske zur “echten” Jackson-Physiognomie, agiert als Vortänzer und Anführer der Zombiehorde wie auch als deren Bändiger. Der “Thriller” erweckt selbst Tote wieder zum Leben, verleiht ihnen eine Kollektivkraft, die in der Perfektion ihrer synchronen Tanzbewegungen sichtbaren Ausdruck findet.

In der anschließenden Szene, die mit der atemberaubenden Verfolgung und finalen Rettung von Jacksons Freundin sämtliche Klischees des Horrorgenres bedient, verflacht der Plot des Videoclips etwas. Doch das Schlussbild, in dem Jackson und seine Freundin Arm in Arm den Raum verlassen und er sich mit diabolisch funkelnden Zombieaugen nochmals umwendet, unterstreicht die augenzwinkernde Ironie und parodistische Grundhaltung des Thriller-Videos.

 

IV. Rezeption

1984 war das THRILLER-Musikvideo für insgesamt sechs MTV Video Music Awards nominiert und gewann schließlich in den Kategorien “Publikumswahl”, “Beste Gesamtperformance” und “Beste Choreographie”; nicht gewinnen konnte Michael Jackson hingegen in den Sparten “Bestes Konzeptvideo”, “Bestes männliches Video” und “Video des Jahres”. Zudem gab es auch negative Stimmen. In den 1980ern wurden 200 MTV Musikvideos von der National Coalition on Television Violence als zu gewalttätig klassifiziert – THRILLER war eines davon. Kritisiert wurde, dass Michael Jackson seine Freundin in dem Video terrorisiert und dies Nachahmende finden könnte. Das Musikvideo zählt trotz allem bis heute zu den erfolgreichsten und aufwändigsten Musikvideos aller Zeiten und gilt als das erste auf MTV ausgestrahlte Musikvideo eines Schwarzen Musikers (Mercer 1999: 207)

 

MARYAM MOMEN POUR TAFRESHI


Credits

Gesang: Michael Jackson
Sprecher: Vincent Price
Synthesizer: Greg Phillinganes, Rod Temperton
Gitarre: David Williams
Trompete, Flügelhorn: Jerry Hey, Gary Grant
Saxofon, Querflöte: Larry Williams
Synthesizer-Programmierung: Anthony Marinelli
Arrangement Gesang, Synthesizer, Rhythmus: Rod Temperton
Arrangement Horn: Jerry Hey
Effekte: Bruce Cannon, Bruce Swedien
Autor und Komponist: Rod Temperton
Produzent: Quincy Jones
Videoregie: John Landis
Release: 23. Januar 1984 (Single), 30. November 1982 (Album)
Label: Epic Records
Spieldauer: 5:57

Recordings

  • Michael Jackson. “Thriller”. On: Thriller, 1982, Epic, EPC 85930, UK/Europe (Vinyl/Album).
  • Michael Jackson. “Thriller / Can’t Get Outta the Rain”, 1983, Epic, 34-04364, US (Vinyl/Single).
  • Michael Jackson. “Thriller”. On: Thriller, 1985, Epic, EK 38112, US (CD, Album).

Covers

  • Ten Masked Men. “Thriller”. On: Return of the Ten Masked Men, 2001, no label (CD/Album).
  • Death Cab for Cutie. “Thriller”. On: Live at Crocodile Cafe, 2000, no label (CD/Album).
  • Aereogramme. “Thriller”. On: Liver & Lungs, 2003, Chemikal Underground, Chem068CD, UK (CD/EP).
  • Gothminister. “Thriller”. On: Happiness in Darkness, 2003, E-Wave Records, 88697393562, Germany (CD/Album).
  • The LoveCrave. “Thriller”. On: Soul Saliva, 2010, Metropolis, MET672, USA (CD/Album).

References

  • Faulstich, Werner: Zwischen Glitter und Punk. Tübinger Vorlesungen zur Rockgeschichte Teil III 1972–1982. Rottenburg-Oberndorf: Wissenschaftler-Verlag 1986.
  • Mercer, Kobena: Die Monster-Metapher. Anmerkungen zu Michael Jacksons Video Thriller. In: Neumann-Braun, Klaus (Ed.): Viva MTV! Popmusik im Fernsehen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1999, 205–229.
  • Rosiny, Claudia: Tanz Film. Intermediale Beziehungen zwischen Mediengeschichte und moderner Tanzästhetik. Bielefeld: transcript 2013.

Links

About the Author

Analysis written in a course of Prof. Dr. Thomas Krettenauer at the University of Paderborn.
All contributions by Maryam Momen Pour Tafreshi

Citation

Maryam Momen Pour Tafreshi: “Thriller (Michael Jackson)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost. http://www.songlexikon.de/songs/thriller, 06/2025.

Print