2011
Boy

Skin

SKIN ist ein Song des deutsch-schweizerischen Duos Boy, der auf deren erstem Studioalbum der Band Mutual Friendserschienen ist und den bandtypischen Stilmix zwischen Indie, Pop und Singer-Songwriter-Einflüssen verdeutlicht.

I. Entstehungsgeschichte

Valeska Steiner und Sonja Glass, die beiden Musikerinnen, die hinter dem Bandnamen Boy stehen, lernten sich bereits sechs Jahre vor der Entstehung ihres ersten Albums kennen. Bei dem Hamburger Popkurs 2005 knüpften sie ihren ersten Kontakt, der sich inzwischen zu einer intensiven musikalischen Zusammenarbeit entwickelt hat.

Zunächst machte sich Boy durch Live-Auftritte einen Namen, weswegen anzunehmen ist, dass viele der auf dem ersten Album veröffentlichten Songs in dieser Phase entstanden sind. Dabei ist die Schweizerin Valeska Steiner hauptsächlich für die Texte zuständig und die Hamburgerin Sonja Glass für das musikalische Gerüst (vgl. Wittenberg).

Zur Produktion des ersten Albums Mutual Friends (2011) führte schließlich ein Vertrag bei Herbert Grönemeyers Label Grönland Records. Insgesamt nahm die Produktion zweieinhalb Jahre in Anspruch, dabei fanden die Aufnahmen hauptsächlich im Wohnzimmer des Produzenten Philipp Steinke statt, welches er in ein Tonstudio umgebaut hatte. Den Informationen nach, die der Homepage des Labels zu entnehmen sind, spielten Valeska Steiner und Sonja Glass alle Instrumente selbst ein (vgl. groenland.com). Nur für die Besetzung des Schlagzeugs bei SKIN und einigen weiteren Songs engagierten sie Thomas Hedlund, den Schlagzeuger der französischen Indie-Band Phoenix.

Wenngleich Boy bei Konzerten auch in der Bandbesetzung spielen, die der Instrumentation der Albumversionen gleicht, sind von dem Song SKIN einige Clips online zu finden, in denen eine Akustikversion des Songs zu hören ist. Ein solches offizielles Akustik-Video wurde unter der Regie von Benedikt Schnermann gedreht. Außerdem gibt es ein Video einer Akustikversion von SKIN, das im Rahmen der Sendung TV Noir entstanden ist, sowie eine Aufnahme der Hauskonzerte – Munich’s Finest Live Sessions (vgl. www.hauskonzerte.com). Ein offizielles Video zur Albumversion des Songs wurde hingegen nicht produziert.

II. Kontext

Der soziokulturelle Kontext der Band und des Songs kann durch drei verschiedene Schlagwörter beschrieben werden: Pop, Indie und Singer-Songwriter bzw. Folk.

Dieser Rahmen lässt den Text des Songs besonders interessant erscheinen, denn hier werden Begriffe wie “Szene”, “Nachtleben” oder “das Partyleben” thematisiert und hinterfragt. Diese kritische Selbstreferenz wirkt unüblich und bietet gleichzeitig eine Identifikationsmöglichkeit für die Hörer. Durch die Wahl dieser Thematik, die aufgrund persönlicher Erlebnisse eine gewisse Authentizität und Glaubwürdigkeit erhält, kann der weitere Bezug zum soziokulturellen Kontext der Indie-Szene hergestellt werden. Da die Indie-Szene sich historisch betrachtet darüber definiert, sich vom Mainstream – auch in der Art der Produktion – abzugrenzen, befindet sich die Band in einem interessanten Spannungsverhältnis. So ist auch das Label des bekannten Pop-Musikers Herbert Grönemeyer keines der großen Major-Labels, doch wird er selbst eher dem Mainstream zugeordnet. Die Machart des Songs kann, trotz des klassischen Aufbaus eines Popsongs, als Abgrenzung von den häufig synthetischen Klängen des Pop-Mainstreams verstanden werden.

Im Rahmen der Auftritte bei TV Noir oder Hauskonzerte wurden Boy wiederum als Singer-Songwriter angekündigt (vgl. http://tvnoir.de/tag/boy/), was vermutlich dem Auftritt der beiden Musikerinnen mit ausschließlich zwei Akustikgitarren geschuldet ist. Den Spagat zur Popband schaffen sie schließlich erneut durch die Albumversion in typischer Popband-Besetzung.

Das zweite Album der Band We Were Here (2015) bewegt sich weiterhin zwischen Indie, Pop und Singer-Songwriter-Genre, was Boy nicht zuletzt einen individuellen Charakter verleiht.

III. Analyse

In den Strophen des Songs werden in englischer Sprache kurze Geschichten erzählt, die aus dem Leben verschiedener Personen entnommen zu sein scheinen. Die erste und letzte Strophe handelt von einer weiblichen Person, die zweite von einer männlichen und die Bridge handelt von zwei Personen (“you and me”). Beschrieben werden die Eindrücke einer durchtanzten Nacht, die Gefühle in Bezug auf das Partyleben und die gemeinsame Situation der zwei Personen, die sich in einer leeren Wohnung wiederfinden, in der eine Party lediglich noch auf Fotos existiert. Im Refrain wiederum wird ein allgemeines “you” direkt angesprochen. Zentral ist in allen Teilen des Songtextes der Gegensatz aus einem idealisierten Nacht- und Partyleben und dem darauffolgenden Morgen, dem “morning full of doubts”, kurzum: dem Alltag. Verbildlicht wird dieser Gedanke einerseits durch das “party dress” und andererseits durch die echte Haut – “SKIN”, der Titel des Songs (“Well you can get out of this party dress but you can’t get out of this skin”). Die Nacht verspricht den im Songtext beschriebenen Charakteren Spaß, Gemeinsamkeit (“To be somebody’s dancer, to get lost inside a crowd”) und Sorglosigkeit, der nächste Tag hingegen Sorgen, Einsamkeit und Kopfschmerzen (“But all the friends he makes at night, in the morning they are gone / And he’s left with his four walls, his aching head, his silent phone”).

In der Musik ist diese Ambivalenz insofern wiederzufinden, als sie eine Mischung aus tanzbaren, fröhlich klingenden Elementen und melancholischen Melodien bildet. Die Wirkung der Elemente von Niedergeschlagenheit und Melancholie wird zusätzlich durch ausgedünnte Passagen verstärkt und durch die Vertonung des Wortes “skin”, welches den Abschluss des Refrains bildet: An dieser Stelle setzt die Band aus, mit Ausnahme einer Melodika-Melodie. Somit wird der Titel des Stücks durch plötzliche musikalische Leere untermalt. Weiter gesteigert wird dieses Ausdrucksmoment am Ende der Bridge (etwa Mitte des Stücks). Erstmals erklingen verzerrte Gitarrensounds und der harmonische Rahmen der anderen Songteile wird verlassen. Vertont werden auf diese Weise die Worte “Because the polaroid pictures on your fridge won’t do / No, they won’t do”.

In einem Interview auf jetzt.de (Brandt-Hoege 2011) erläutert Valeska Steiner ihren Text: “[…] Das kennen wahrscheinlich viele, nur ist es eher uncool, dieses Gefühl auch zuzugeben. Weil es ja immer darum geht, zu sagen, wie viel Spaß man überall hat. Deswegen hängt man auch diese Fotos auf. Man will sich ständig in Situationen sehen, in denen man Vollgas gibt und umgeben ist von vielen coolen Freunden. Umso doofer ist es dann, wenn man sich nach der Party fragen muss: Sind das wirklich meine Freunde und ist wirklich gerade alles super?”

Die musikalische Form des Songs setzt sich aus den charakteristischen Formteilen der Popmusik zusammen: Strophe, Refrain und Bridge. Zunächst erklingen Strophe eins und zwei jeweils gefolgt von dem Refrain, nach einer Bridge und einem weiteren Refrain erklingt Strophe drei und ein Refrain in doppelter Länge. Ergänzt wird dieser Aufbau um ein kurzes instrumentales Intro und einen ebenfalls instrumentalen Schluss.

Das Intro und der Anfang der ersten Strophe werden allein durch Schlagzeug und die Gitarre begleitet, erst zur zweiten Hälfte der Strophe setzt der Bass ein – eine Steigerung, die sich auf musikalischer Ebene bis zum Refrain durch Hinzufügen einer weiteren Begleitmelodie fortsetzt. Bei der letzten Strophe wird der Bass erneut in der ersten Hälfte ausgelassen (auch textlich gleicht sie der ersten).

Der Refrain hat einen stärker vorwärtstreibenden Charakter als die Strophe, ein Effekt, der durch einen schnelleren Sprachrhythmus des Gesangs und zusätzliche Schlagzeug- und Gitarren-Elemente erzeugt wird. Doch die harmonische Grundlage gleicht der der Strophe. Verdeutlichen lässt sich dies durch die Bassfigur, die, mit Ausnahme der Bridge, während des gesamten Songs mit einigen Variationen zu hören ist und aus nur wenigen prägnanten Tönen besteht.

Der Beat des Schlagzeugs ist ein akzentuierter und somit tanz- bzw. bewegungsanregender Backbeat, der in der Strophe durch eine Achtelfigur auf den Toms ergänzt wird. Der Sound der Toms prägt auch das Intro. Die Gitarre wechselt zwischen rhythmischer Unterstützung, etwa durch die Repetition des Tons E während der Strophe, und eingängigen, melancholischen Melodien. Diese Grundlage des Songs wird durch kurze Einlagen einer Harmonika ergänzt.

Das offizielle Video zur Akustikversion von SKIN zeigt die beiden Musikerinnen in einem großen Raum bei der Performance ihres Songs. Das Setting verändert sich während des Videos nicht. Beide Frauen spielen auf Stühlen sitzend eine Akustikgitarre im gleichen Rhythmus und Valeska Steiners Gesang wird im Refrain durch eine zweite Stimme von Sonja Glass ergänzt. Die Instrumente der Albumversion sind weder zu sehen noch zu hören. Während des gesamten Videos werden die Musikerinnen abwechselnd von der Kamera fokussiert und es werden Blicke eingefangen, die sie sich während der Performance zuwerfen. Der Stil der Einrichtung des Raums ist retrohaft, also mit Lampen, Teppichen und weiteren Dekorationsgegenständen vergangener Jahrzehnte eingerichtet. Somit liegt das Hauptaugenmerk auf den Musikerinnen und der Vergangenheit – womöglich sollte so visualisiert werden, dass der Songtext auf eigenen Erfahrungen basiert. Ebenfalls in Betracht zu ziehen, ist, dass man an die allgemein von Retro- und Vintage-Artefakten geprägten kulturellen Orientierungsmuster der Indie-Szene anknüpfen wollte.

IV. Rezeption

Der Song SKIN wurde zunächst über das Album Mutual Friends bekannt, welches in den deutschen Albumcharts Platz 9 erreichte und in den schweizerischen Albumcharts Platz 6. Auf diesen Erfolg folgte eine weltweite Verbreitung, das Album wurde über weitere internationale Plattenfirmen veröffentlicht: so zum Beispiel 2012 bei Decca in Großbritannien, 2013 bei Nettwerk in den USA und Kanada und ebenso 2013 bei Victor Entertainment in Japan. Bei Nettwerk ist zusätzlich Mutual Friends Acoustic (2013) erschienen.

Großer Beliebtheit erfreute sich auch, wie oben erwähnt, die Akustikversion von SKIN auf Youtube. Hier wurde das offizielle Video bereits über eine Millionen Mal angeklickt, das Video von Hauskonzerte über sechs Millionen Mal.

Rezensenten vergleichen die Musik von Boy häufig mit der Musik der Sängerin Feist. So schreibt beispielsweise Matt Colar auf der Webseite Allmusic: “[…] they find a nice balance between the lightly experimental, catchy pop of Feist and the more twee-confessional style of Regina Spektor”, und im englischsprachigen Wikipedia-Eintrag zur Band heißt es: “The band sings entirely in English in a style reminiscent of that of Leslie Feist.” Ebenso naheliegend ist jedoch auch ein Vergleich mit dem schwedischen Duo Kings of Convenience, das einige Parallelen aufweist: ein Duo aus zwei Musikern mit Akustikgitarren, welches sich auf Aufnahmen durch eine Band verstärken lässt und durch melancholisch-popige Texte zu charakterisieren ist.

 

FRIEDERIKE BARTEL


Credits

Guitar: Valeska Steiner, Sonja Glass
Vocals: Valeska Steiner
Drums: Thomas Hedlund (Phoenix)
Bass: Sonja Glass
Melodika: Valeska Steiner
Music/Songwriting: Valeska Steiner, Sonja Glass
Producer: Philipp Steinke
Label: Grönland Records u. a.
Recorded: 2011
Published: 2011
Length: 4:04

Recordings

  • BOY. “Skin”. On: Mutual Friends, 2011, Grönland Records, CDGRON118, Europe (CD/Album).
  • BOY. “Skin”. On: Mutual Friends, 2012, Decca, 2792142, UK (CD/Album).
  • BOY. “Skin”. On: Mutual Friends, 2013, Nettwerk, 067003097314, USA/Canada (CD/Album).
  • BOY. “Skin”. On: Mutual Friends, 2013, Victor Entertainmet, Inc., CDS-3289, Japan (CD/Album).

References

  • “Boy (duo)”. In: Wikipedia. The Free Encyclopedia. URL: https://en.wikipedia.org/wiki/Boy_(duo) [08.06.2017].
  • Brandt-Hoege, Erik: “Sind das wirklich meine Freunde?”. In: jetzt.de, 21 August 2011. URL: http://www.jetzt.de/jetztgedruckt/sind-das-wirklich-meine-freunde-529368 [06.03.2015].
  • Collar, Matt: “Review by Matt Collar”. In: allmusic.com. URL: http://www.allmusic.com/album/mw0002225404 [06.03.2015].
  • Grenz, Tilo / Eisewicht, Paul: Über die Ordnung der Unordnung. Ästhetik in der Indie-Szene. In: pop:aesthetiken. Beiträge zum Schönen in der populären Musik. Ed. by Anja Brunner and Michael Parzer. Innsbruck: StudienVerlag 2010, 45-67.
  • Lähnemann, Frank: “Boy. Mutual Friends”. In: rollingstone.de. URL: http://www.rollingstone.de/reviews/alben/article114982/boy-mutual-friends.html [06.03.2015].
  • Wittenberg, Hella: “‘Mutual Friends’: Interview mit Boy”. In: fastforward-magazin. URL: http://fastforward-magazine.de/interview-mit-boy [06.03.2015].

Links

http://www.chartsurfer.de/artist/boy/vhphn.htmlhttp://groenland.com/artist/boy/http://tvnoir.de/tag/boy/https://www.youtube.com/watch?v=ejlvgSjcEoohttps://www.youtube.com/watch?v=gBv_nkVLlfwhttps://www.youtube.com/watch?v=Rx-L8hxrJlg

About the Author

Analysis written in a course of Prof. Dr. Martin Pfleiderer at the University of Music FRANZ LISZT Weimar.
All contributions by Friederike Bartel

Citation

Friederike Bartel: “Skin (Boy)”. Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/skin, 06/2017.

Print