Mit SCHULD WAR NUR DER BOSSA NOVA legte Manuela den Grundstein für ihre musikalische Karriere als Schlagerstar und setzte erste Akzente für ihr popkulturelles Image als Teenageridol.
I. Entstehungsgeschichte
SCHULD WAR NUR DER BOSSA NOVA kam im April 1963 als 7″-Vinylsingle auf den deutschen Markt. Das Lied basiert auf dem vom amerikanischen Ehepaar und Songwriterduo Cynthia Weil und Barry Mann komponierten und geschriebenen Lied “Blame It on The Bossa Nova”. Die von Eydie Gormé gesungene englische Fassung erreichte in den Vereinigten Staaten sogar eine Platzierung in den Top 10 und wurde für den Grammy nominiert. Auch abseits dessen verzeichneten Cynthia Weil und Barry Mann Erfolge – wenige Jahre später schrieben sie für Interpreten wie Paul Revere & The Raiders oder The Animals Publikumserfolge wie “Kicks” oder “We’ve Gotta Get Out Of This Place”. Aufgrund dessen veröffentlichte Georg Buschor eine deutsche Version von “Blame It on The Bossa Nova”. Buschor war, ähnlich den beiden Amerikanern Weil und Mann, eine bedeutende Größe in der Musikindustrie. Er war an vielen Nummern in der deutschen Hitparade beteiligt, so auch an Conny Froboess’ und Siw Malmkvists Nummer 1-Hits “Zwei kleine Italiener” und “Liebeskummer lohnt sich nicht”. Die zur Vinylsingle zugehörige B-Seite “Kleines Herz hat großes Heimweh” wurde von Kurt Hertha, Karl Götz und Camille Felgen geschrieben und komponiert. Eine Performance von SCHULD WAR NUR DER BOSSA NOVA war zudem in der Filmkomödie Im singenden Rößl am Königssee (Regie: Franz Antel) zu sehen.
Der Song stellte Manuelas erste Chartplatzierung und zugleich ihren Durchbruch und Karrierestart dar. Manuela, bürgerlich Doris Inge Wegener, stammte aus einer einfachen Arbeiterfamilie und erhielt, anders als andere Schlagerinterpreten, kaum musische Impulse aus dem familiären Umfeld. Der Spiegel skizzierte ihren musikalischen Werdegang bis SCHULD WAR NUR DER BOSSA NOVA: “Tagsüber lötete sie im Akkord Radiokondensatoren, und abends sang sie in Berliner Eckkneipen kleine, selbst komponierte Liedchen, bis sie entdeckt wurde” (Anonym 2001: 230). Will man der Geschichte Glauben schenken, die auf der Hülle der Schallplatte abgedruckt ist, so spielte sie bereits als Schulkind in einer Skiffle-Gruppe, die in Weddinger Hinterhöfen probte, und wurde von ihrer Mutter zum Arbeiten in die Fabrik abkommandiert, um ihr die “Flausen grundsätzlich auszutreiben”.
II. Kontext
Das Erscheinen des Songs im Jahr 1963 ist eingebettet in die Übergangsphase der 1950er in die 1960er Jahre, in der klare zeitgeschichtliche Grenzen nur schwer zu ziehen sind. So blieben teils charakteristische Elemente der fünfziger Jahre bis in die sechziger Jahre hinein weiterbestehen, während andere Aspekte langsam begannen, diese zu abzulösen (vgl. Schildt 1995: 32f). Maßgeblich prägte spätere Einstellungen in der Gesellschaft die Währungs- und Wirtschaftsreform 1948. Letztere und das hohe Arbeitsvermögen großer Teile der Gesellschaft verhalfen der jungen Bundesrepublik zu einem rasanten Aufschwung. Dass die Bevölkerung auch von der positiven Konjunktur profitierte, spiegelte sich auch in gesteigerten Konsumausgaben der Deutschen wieder (vgl. König 2013: 34). Der Konsum blieb jedoch nicht nur auf die Warenwelt beschränkt: Im Kontext der zunehmenden Bedeutung der Freizeit gewannen auch außerhäusliche Hobbies wie der Besuch von Tanzlokalen, und somit auch das Tanzen, deutlich an Relevanz und avancierten zu beliebten Freizeitbeschäftigungen (vgl. Siegfried 2008: 54, 76). Medienmacher*innen ließen diese Entwicklungen in die Programmgestaltung einfließen: So stillte beispielsweise der Westdeutsche Rundfunk das Interesse der Bevölkerung durch das Format Gestatten Sie? Tanzunterricht mit dem Ehepaar Fern. Den Fernsehenden wurde so eine Möglichkeit zum heimischen Erlernen und Proben von Mode- und Standardtänzen gegeben, um auf diese Weise dem neuen Zeitvertreib nachkommen zu können. Von 1960 bis 1965 hatte sich Umfragen von Emnid zufolge die Präferenz Jugendlicher von Tänzen wie Walzer und Foxtrott hin zu moderneren Erscheinungsformen wie Twist, Bossa Nova und andere verschoben, wobei “klassische” Tanzstile ebenso präsent blieben (vgl. Zinnecker 1987: 212–215).
Trotz des Bedeutungszuwachses solcher außerhäuslichen Zeitvertreibe wurde häuslichen Freizeitaktivitäten ein gleichermaßen großer, möglicherweise sogar größerer Stellenwert zugewiesen. Dabei ist jedoch hervorzuheben, dass “Häuslichkeit und innerfamiliäre Entbindung sehr wohl koexistieren” (Siegfried 2008: 83) konnten. Auch wenn die Jugendlichen und Twens viel Zeit zuhause verbrachten, wurde diese weniger mit der Familie verbracht, sondern vielmehr genutzt, um individuellen Interessen nachzugehen. Die Darstellung des Teenager-Idols Manuela, die für viele dieser Jugendlichen sicherlich ein Vorbild bedeutete, macht dies im Volksblatt deutlich: “‘Möchten Sie Kaffee?’ Wie eine versierte Interviewgeberin bittet uns Manuela […] ins Wohnzimmer. Vater und Mutter genießen derweil den Balkon; sie kümmern sich schon nicht mehr um Journalisten und Fotografen” (Kraushaar 1983: 139). Wenngleich Eltern und Kind sich noch dieselbe Wohnung teilen, so leben sie in zwar noch miteinander verknüpften, aber zunehmend autonomen Sphären.
III. Analyse
Das im 4/4-Takt gehaltene Lied steht in D-Dur und besitzt ein Tempo von etwa 100 bpm. Musikalisch und textlich entspricht die von Manuela gesungene deutsche Version dem amerikanischen Original. So ist die Instrumentierung mit Gitarre, Bass, elektronischer Orgel, Schlagzeug und Perkussionsinstrumenten der von “Blame It on The Bossa Nova” dieselbe. Die Harmonik des Liedes ist im Wesentlichen ein Aufbauen und Auflösen der Dominantspannung durch das wechselseitige Spielen von Tonika D und Dominantakkord A. Von diesem Schema wird einmal abgewichen durch Hinzunahme des Septakkords der Tonika und an zwei Stellen außerdem geringfügig, indem der Subdominantakkord G hinzugenommen wurde.
Die Protagonistin in SCHULD WAR NUR DER BOSSA NOVA ist eine 18-Jährige (“die kleine Jane”), die von einem Jungen (“Jim”) in ein Tanzlokal (“Dancing Bar”) ausgeführt wird. Als sie erst am darauffolgenden Tag frühmorgens nach Hause kommt, möchte ihre Mutter wissen, wieso sie erst so spät nach Hause kommt. Daraus lässt sich schließen, dass ein solches Szenario vermutlich kein alltägliches für die frühen 1960ern war. Auch wenn der Besuch von Tanzlokalen Teil des neuen Freizeitverhaltens war, wurde es von Seiten der Eltern nicht gebilligt. Die damit einhergehende Amerikanisierung des Lebensstils der jüngeren Generationen wird durch die englischen Namen “Jane” und “Jim” angedeutet, welche den Hauptfiguren sofort einen gewissen Chic verleihen. Ähnlich wie bei den erfolgreichen Liedern von Bill Ramsey und Gus Backus ist der Gesang in einem gebrochenen Deutsch gehalten. Das Einsetzen eines solch gekünstelt-gebrochenen Gesangs von einer gebürtigen Berlinerin unterstreicht den oben genannten Effekt zusätzlich.
Den Grund für ihre späte Ankunft zu Hause nennt Jane im Refrain, in dem auch vermehrt das Spiel der Orgel in den Gesangspausen in Erscheinung tritt: Sie habe keine Schuld an ihrem Zuspätkommen, denn “Schuld war nur der Bossa Nova”. Damit meint sie nicht das aus Brasilien stammende Musikgenre, sondern den Tanzstil. Wenn Männer diesen tanzen, löse dies bei ihr tiefe Gefühle aus und beraube sie ihrer Möglichkeiten (“Denn wenn einer Bossa Nova tanzen kann, dann fängt für mich die große Liebe an”). Mit einem Augenzwinkern gibt der Schlager hier Aufschluss darüber, dass die Beherrschung von Tänzen, wie hier im Speziellen des Bossa Nova, für Frauen als Attraktivitätsmerkmal galt. Dass das Tanzen dabei dennoch nicht unbedingt im Zentrum stand, sondern es vielmehr um den Besuch von Tanzlokalen zum Treffen und Kennenlernen anderer Menschen ging, verneint der Text explizit. Da diese Aussage jedoch von einer Tochter stammt, die sich vor ihrer Mutter rechtfertigen muss, kann vom Gegenteil ausgegangen werden. Die Tatsache, dass sie die ganze Nacht in Begleitung eines jungen Mannes verbracht hat, dürfte der eigentliche Grund für die Aufgebrachtheit der Mutter sein. Dies unterstreicht die Interessenkonflikte, die im Zuge der neuen populären Jugendkultur zwischen Eltern und ihren Kindern entstanden.
In der Bridge wird dann eine dialogische Szene zwischen dem Chor und der Interpretin aufgebaut. Die Nachfrage des Chores, ob möglicherweise vielmehr der “Mondschein” oder der “Wein” der Grund für ihre Verspätung seien, verneint Manuela trotzig mit “na na, der Bossa Nova”. Auf die erneute skeptische Nachfrage des Chors “Kann das möglich sein?” antwortet Manuela in der Bridge abschließend mit “yeah yeah, der Bossa Nova war schuld daran”. Ein minimalistisches Orgelsolo leitet nach dem Verklingen der Worte zur nächsten Strophe über.
Die zweite Strophe spielt in der Liedhandlung einige Zeit nach der ersten Strophe, ein genauer Zeitraum wird jedoch nicht explizit genannt. Die anfangs “kleine Jane” ist mittlerweile erwachsen geworden und es hat sich einiges an ihrer Lebenssituation verändert: “Erst bekam sie Jim, dann ein Töchterlein”. Die Tochter fragt die Mutter interessiert, seit wann sie und ihr Vater einander schon lieben. Jane beantwortet die Frage mit dem Refrain, auf den noch zweimal die Bridge folgt, bevor das Lied ausklingt. Ihre Ausflucht wirkt in der deutschen Version im Kontext der Interpretation der ersten Strophe unpassend. Das späte Nach-Hause-Kommen als Thema der ersten Strophe entspricht nicht dem amerikanischen Original, in welchem stattdessen über beide Strophen hinweg der Bossa Nova als “dance of love” abgewertet wird, durch den die Protagonistin zu ihrem zukünftigen Ehemann findet. In der zweiten Strophe greift der deutsche Schlager das Motiv der Originalversion auf und löst die Anspannung der ersten Strophe auf.
IV. Rezeption
Der Schlager stieg am 27. April 1963 in die deutsche Hitparade ein. Insgesamt 27 Wochen gehörte er zu den 50 populärsten Liedern, davon 21 Wochen zu den Top Ten-Hits. Insgesamt fünf Wochen belegte er sogar Platz 1 (vgl. Ehnert 1990: 133, 334). In den BRAVO Jahrescharts des Jahres 1963 konnte sich Manuela mit dem Titel zudem den zweiten Platz zwischen Freddie Quinns “Junge, komm bald wieder” und Gittes “Ich will ‘nen Cowboy als Mann” sichern (vgl. Anonym 2010). Vermutlich wurde der Schlager auch nur wegen seines anhaltenden Erfolgs in die Komödie Im singenden Rößl am Königssee integriert, um auf diese Weise auch in der Filmbranche Einnahmen zu generieren. Weniger positiv fiel die Reaktion auf den Schlager beim Bayerischen Rundfunk aus. Dass eine gerade einmal 18-Jährige die ganze Nacht mit einem jungen Mann verbrachte, stand wohl noch zu sehr in Kontrast zu traditionellen Wertvorstellungen. Aufgrund dessen wurde der Schlager auf den Index gesetzt (vgl. Finger 2013).
Auch Jahrzehnte nach seinem Erscheinen scheint das Lied noch nicht vergessen zu sein und wird regelmäßig als Teil von Schlager-Samplern weiterverbreitet. 1992 wurde es als Songtitel für eine Fernsehfilmproduktion (Regie: Bernd Schadewald) verwendet, deren Handlung sich in dessen Erscheinungsjahr im Ruhrgebiet abspielt.
PATRICK POLLMER
Credits
Gesang: Manuela (Doris Wegener)
Songwriting: Barry Weil, Cynthia Mann
Text: Georg Buschor
Produzent: Christian Bruhn
Aufnahmejahr: 1963
Länge: 02:25 Minuten
Recordings
- Conny. “Zwei kleine Italiener”. On: Zwei kleine Italiener/Hallo, Hallo, Hallo, 1962, Columbia, C 22 008, Germany (Vinyl 7″/Single).
- Eydie Gormé. “Blame It on The Bossa Nova”. On: Blame It on The Bossa Nova/Guess I Should Have Loved Him More, 1963, Columbia, 4-42661, US (Vinyl 7″/Single).
- Manuela. “Schuld war nur der Bossa Nova”. On: Schuld war nur der Bossa Nova/Kleines Herz hat großes Heimweh, 1963, Telefunken, U 55 498, Germany (Vinyl 7″/Single).
- Paul Revere And The Raiders. “Kicks”. On: Kicks/Shake It Up, 1966, Columbia, 4-43556, US (Vinyl 7″/Single).
- Siw Malmkvist. “Liebeskummer lohnt sich nicht”. On: Liebeskummer lohnt sich nicht/Ein Herz ist kein Spielzeug, 1964, Metronome, M 404, Germany (Vinyl 7″/Single).
- The Animals. “We’ve Gotta Get out Of This Place”. On: We’ve Gotta Get out Of This Place/I Can’t Believe It, 1965, Columbia, DB 7639, UK (Vinyl 7″/Single).
References
- Anonym: Manuela. In: Der Spiegel 8 (2001), 230.
- Anonym: “BRAVO Jahrescharts – 1963.” In: BRAVO, o.J. URL: https://bravo-archiv.de/auswahl.php?link=jahrescharts1963.php [29.04.2021].
- Ehnert, Günter: Hit Bilanz. Deutsche Chart Singles 1956–1980. Norderstedt: Taurus Press 1990.
- Finger, Hans-Jürgen: “Manuela und die Schuld des Bossa Nova”. In: SWR, 20.5.2020: http://www.swr.de/swr4/bw/musik-events/manuela-geburtstag/-/id=258148/nid=258148/did=11883296/1qlrbbx/index.html [29.04.2021].
- Gestatten Sie? Tanzunterricht mit dem Ehepaar Fern. 1964–1965 (Fernsehserie).
- Im singenden Rößl am Königssee. Regie: Franz Antel. Wiener Stadthalle 1963/Alive 2014 (=Juwelen der Filmgeschichte). (DVD).
- König, Wolfgang: Kleine Geschichte der Konsumgesellschaft. Konsum als Lebensform der Moderne. Stuttgart: Steiner 2013.
- Kraushaar, Elmar: Rote Lippen. Die ganze Welt des deutschen Schlagers. Reinbek: Rowohlt 1983.
- Schildt, Axel: Moderne Zeiten. Freizeit, Massenmedien und “Zeitgeist” in der Bundesrepublik der 50er Jahre. Hamburg: Christians 1995.
- Schuld war nur der Bossa Nova. Regie: Bernd Schadewald. Filmpool 1992 (FreeTV: ZDF).
- Siegfried, Detlef: Time Is on My Side. Konsum und Politik in der westdeutschen Jugendkultur der 60er Jahre. Göttingen: Wallenstein 2008.
- Zinnecker, Jürgen: Jugendkultur. 1940–1985. Opladen: Leske + Budrich 1987.
About the Author
All contributions by Patrick Pollmer
Citation
Patrick Pollmer: “Schuld war nur der Bossa Nova (Manuela)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, https://songlexikon.de/songs/schuld-war-nur-der-bossa-nova/, 07/2021.
Print