1975
ABBA

S.O.S.

Der Song S.O.S. stammt aus dem Jahr 1975 und verhalf der Gruppe ABBA nach ihrem Sieg beim Grand Prix d’Eurovision 1974 mit “Waterloo” zum internationalen Durchbruch.

 

I. Entstehungsgeschichte

Mit S.O.S. begann die internationale Karriere der Gruppe ABBA. S.O.S. ist Bestandteil des Albums ABBA. Er war einer der ersten Songs, die für dieses Album bei Polar Music, Stockholm, aufgenommen wurden (Aufnahmebeginn war der 22. August 1974). ABBA ist nach den Alben Ring Ring und Waterloo das dritte Album.

Die vier Musiker*innen Benny Andersson, Agnetha Fältskog, Anni-Frid Lyngstad (auch “Frida” genannt) und Björn Ulvaeus formierten sich in den frühen 1970er Jahren als Band und bildeten darüber hinaus zwei Paare, Benny Andersson mit Anni-Frid Lyngstad und Björn Ulvaeus mit Agnetha Fältskog.

Der Sieg mit dem Song “Waterloo” beim Grand Prix d’Eurovision 1974 bedeutete für ABBA jedoch noch nicht den internationalen Durchbruch, obwohl der Song in den englischen Charts auf Platz 1 kam. Denn dieser Gesangswettbewerb hatte das Image, ein Schlagerwettbewerb zu sein, keinesfalls aber ein ernst zu nehmender Popwettbewerb. Doch ABBA hatten zum Ziel, international als Popmusikgruppe erfolgreich zu werden und dauerhaft in die oberen Charts der englischen Popmusik zu gelangen. England galt für ABBA als das Heimatland der Popmusik. Nach zwei Singleauskopplungen aus dem Album ABBA, die in den englischen Charts weit abgeschlagen rangierten bzw. ganz durchfielen, kamen ABBA mit der dritten Singleauskopplung mit dem Titel S.O.S. wieder unter die Top Ten der englischen Charts.

Das Album ABBA war im März 1975 erschienen. Es gilt als dasjenige Album der Gruppe, bei dem ihr musikalischer Stil zum ersten Mal deutlich zu erkennen ist (Palm 2007: 34).

Mit diesem Album entstand auch der Name ABBA für die Gruppe, nachdem zuvor mit dem Bandnamen noch experimentiert wurde: So erschien das Debütalbum Ring Ring 1973 unter dem Bandnamen “Björn Benny & Agnetha Frida” und das zweite Album Waterloo unter dem Namen “Björn, Benny, Agnetha & Frida”. Denn die vier Musiker verstanden sich zunächst als Einzelkünstler*innen mit eigener Karriere. Als erstes schlossen sich Björn Ulvaeus und Benny Andersson zusammen und engagierten dann Agnetha Fältskog und Anni-Frid Lyngstad als Gastsängerinnen für den Background-Gesang. Den beiden Musikern war nämlich aufgefallen, dass ihre Songs erfolgreicher waren, wenn Agnetha und Frida den Background sangen. Für das Album ABBA und von da an regelmäßig durften Agnetha und Frida die Leadvocals übernehmen; nur bei zwei Songs dieses Albums sang Björn die Leadvocals.

S.O.S. war, wie oben angemerkt, die dritte Single, die aus dem Album ABBA ausgekoppelt wurde. Die originale schwedische Ausgabe von S.O.S. erschien am 21. April 1975, die englische Erstveröffentlichung fand am 7. Juni 1975 statt.

Zwei vorige Single-Auskopplungen aus dem Album ABBA waren in England nicht erfolgreich. “I Do, I Do, I Do, I Do, I Do” und “So Long” landeten in den englischen Charts ganz weit abgeschlagen oder fielen ganz durch. Mit S.O.S. aber landeten ABBA schließlich einen Treffer: Der Song kam in die englischen Top Ten. Agnetha Fältskog nahm die schwedische Fassung von S.O.S. darüber hinaus in ihr Album Elva kvinnor i ett hus (Elf Frauen in einem Haus) auf, das im gleichen Jahr erschien.

Bei S.O.S. durfte Agnetha Fältskog den Leadvocal singen. Sie sang den Song mit starkem emotionalem Ausdruck, was deutlich zu seiner Popularität beitrug (s. hierzu Palm 2007: 37). Der Titel S.O.S. weist auf eine Notlage hin (S.O.S. ist ein Notsignal in Gestalt des Morsecodes …—… = dreimal kurz, dreimal lang, dreimal kurz).

 

II. Kontext

Die Popularmusik in Schweden entwickelte sich nach dem Zweiten Weltkrieg ähnlich wie in anderen europäischen Ländern: Seit den 1950er Jahren waren schwedischsprachige Schlager, aber auch Schlager aus Deutschland, Italien und Frankreich beliebt. Zur gleichen Zeit kam die Rockmusik auf, zunächst in schwedischer Sprache, sowie Mitte der 1950er Jahre der Rock ‘n’ Roll. Daran schloss sich ab dem Ende der 1950er Jahre kommerzielle Popmusik an, häufig in Form von Coverversionen ausländischer Songs. Die Beatles führte ihre erste Auslandstournee 1963 nach Schweden. Es formierten sich schwedische Bands wie die Rockband The Hep Stars – zu deren Mitgliedern Benny Andersson zählte –, die mit ihren englischsprachigen Songs in Schweden zu ähnlichen Begeisterungsstürmen der Fans führten wie die Auftritte der Beatles in England und anderen Ländern. In den 1960er Jahren entstand zusätzlich eine Folkmusikbewegung, die das kulturelle Erbe der schwedischen volkstümlichen Musik mit neuen Musikstilen verbinden wollte.

Alle vier Mitglieder der Gruppe ABBA traten bereits vor deren Gründung in anderen Gruppen auf und schrieben und veröffentlichten Songs. Benny Andersson und Björn Ulvaeus lernten sich 1966 zufällig über ihre Studioprojekte kennen, woraus sich eine Freundschaft entwickelte: Benny Andersson war Mitglied der bereits erwähnten in Schweden sehr erfolgreichen Rockband The Hep Stars, Björn Ulvaeus war Gitarrist und Leadsänger bei der schwedischen Folkgruppe The Hootenanny Singers. Diese letztere Band war seit 1963 bei dem Schallplattenlabel Polar Music in Stockholm unter Vertrag, mit dessen Eigentümer Stig Anderson Björn Ulvaeus eine enge Freundschaft verband. Stig Anderson und sein Partner Bengt Bernhag förderten Björn Ulvaeus und später auch Benny Andersson.

Als Stig Andersons Kollege Bengt Bernhag im Sommer 1971 starb, bot Stig Anderson Björn Ulvaeus die Stelle des Produzenten von Polar Music an, der dann gleich noch Benny Andersson ins Boot holte. 1969 verliebten sich Benny und Björn zufällig zur gleichen Zeit, Björn in Agnetha Fältskog, die ihm bei einem Folkpark (Musikfestival) in Målilla in Småland begegnete, Benny in Anni-Frid Lyngstad, die er während einer Tournee von Anni-Frid in Malmö kennenlernte. Die zwei Musikerinnen waren bereits selbst in Schweden erfolgreiche Komponistinnen und Sängerinnen mit einer je eigenen Solokarriere. 1970 folgte die Verlobung der beiden Paare.

Am Grand Prix d’Eurovision (heute European Song Contest) nahm Schweden zum ersten Mal 1958 teil. Bereits 1973 bemühten sich ABBA um diesen Gesangswettbewerb, fielen mit ihrem Song “Ring Ring” jedoch bei der schwedischen Vorentscheidung durch.

Der erste Song der Gruppe ABBA, der international bekannt wurde, ist “Waterloo”. Damit gewann die Band 1974 den Grand Prix d’Eurovision. Dieser Song kam u. a. in Großbritannien in die Top Ten.

In Schweden waren es zunächst Björn und Benny, die als Duo “Björn & Benny” zwischen 1970 und 1972 einige Singles herausgaben, von denen mehrere zu Hits wurden; ihre Songs waren im Stil von Schlagern, wie sie zu jener Zeit auch in anderen europäischen Ländern beliebt waren. Daneben schrieben und produzierten Benny Andersson und Björn Ulvaeus auch für andere Künstler Songs. Die erste Chance zum internationalen Bekanntwerden bot sich mit dem Song “She’s My Kind of Girl”, den beide Musiker unter anderen Songs wenige Jahre zuvor für einen schwedischen Softporno mit dem Titel Ingas Verführung komponiert hatten (Regisseur: Joseph W. Sarno). Gleichzeitig mit dem Film kam im Frühjahr 1970 auch der Song “She’s My Kind of Girl” als Single heraus. In Schweden hatte der Song keinen Erfolg, aber in Japan wurde er zwei Jahre später ein richtiger Hit. Dieser Erfolg ermutigte Björn und Benny, ihren Weg zum international anerkannten englischsprachigen Popsong weiterzuverfolgen.

 

III. Analyse

S.O.S. ist im Stil eines Strophenlieds komponiert. Der Song beginnt mit einem dreitaktigen instrumentalen Intro mit Terzakkorden, die von d-Moll über b-Moll und g-Moll sequenzartig diatonisch absteigen, anschließend folgt ein vierter Takt in d-Moll, der nach dem tiefsten Akkord der Sequenzen in Akkordsprüngen weitergeführt wird. Diese vier Takte werden wiederholt, mit dem Unterschied, dass im vierten Takt der Phrase (= der achte Takt) die Akkorde eine Oktave tiefer liegen. Ab dem 4. Takt werden im Bass durchgehend Viertel auf dem kleinen d wiederholt. Nach einer Achtelpause beginnt im neunten Takt die Melodie.

Die Melodie zu S.O.S. steht in d-Moll und setzt sich aus einem Strophenteil in d-Moll, einer instrumentalen Überleitung von d-Moll zu F-Dur und dem Refrain in F-Dur zusammen. Die Strophen bestehen aus einem Motiv aus drei Takten, das wiederholt wird, einer viertaktigen Phrase, die eine leichte Variation des Motivs darstellt, und der Wiederholung des Motivs; in Buchstaben: A A A’ A.

Die Überleitung zum Refrain beinhaltet eine sequenzartige Abfolge von arpeggierten Akkorden aufwärts in d-Moll – E-Dur – F-Dur – g-Moll, einer diatonischen Rückung, um schließlich über C-Dur mit Septim (= Dominantseptakkord) auf F-Dur, der Tonart des Refrains, zu enden.

Der Refrain ist aus zweimal vier Takten gebaut, die jeweils wiederholt werden, also B B und C C. Die Harmonien sind die folgenden: Teil B: F-Dur – C-Dur – g-Moll – B-Dur – F-Dur; das sind die Tonstufen Tonika – Dominante – Subdominantparallele – Subdominante – Tonika. Teil C: F-Dur – B-Dur – Des-Dur – Es-Dur – F-Dur. Bei dieser Tonabfolge in der zweiten Hälfte des Refrains handelt es sich vermutlich ebenfalls wie bei der Überleitung um eine diatonische Rückung aufwärts, hier auf den Tonstufen und Harmonien (B-Dur, Subdominante,) Des-Dur, Es-Dur und F-Dur, während in der Melodie das Motiv, bestehend aus den Tönen as, g und f abwärts, viermal erklingt.

Rückungen sind in der populären Musik keine Seltenheit, vielmehr ist es allgemein verbreitet, mit diatonischen Rückungen, also Rückungen um einen Ganzton, zu arbeiten.

Nach dem Refrain wiederholt sich die Strophenmelodie mit der zweiten Textstrophe, und nach dem sich dann anschließenden Refrain wird in einer Coda die zweite Hälfte des Refrains (Teil C) wiederholt.

Die Strophen sind in d-Moll mit den Tonstufen Molltonika und Dominante mit Septakkord komponiert, der Refrain steht in der Tonart F-Dur (Durtonikaparallele zu d-Moll) mit der Dominante C-Dur, der Subdominantparallele zu F-Dur bzw. Molldominante zu C-Dur g-Moll, dann wird zu d-Moll übergeleitet, der Molldominante zu g-Moll bzw. Molltonika der Strophen.

Die klagende Melodie ist aus eher kleinen Intervallen zusammengesetzt. In den Strophen überwiegen Sekunde, Terz, Quarte, nur einmal erscheint eine Quinte, im Refrain nur Sekunde und Terz. Als Tempo ist “Strong Rock Tempo” angegeben, also ein relativ schnelles Tempo.

Der Songtext ist überwiegend syllabisch vertont, das heißt, eine Textsilbe fällt auf eine Note. Nur gelegentlich finden sich zwei oder drei Noten auf einer Textsilbe, z. B. am Ende einer Phrase mit zwei Sechzehnteln und einem Viertel abwärts. Diese ausgeprägt syllabische Behandlung der Melodie stellt allgemein ein Charakteristikum des Musikstils von ABBA dar.

Der Songtext ist die Klage des lyrischen Ichs darüber, verlassen worden zu sein. Beide Strophen werden zu Beginn und am Ende eingerahmt von Andeutungen an die glückliche gemeinsame, nun vergangene Zeit. Der übrige Text bringt Verzweiflung und Ratlosigkeit zum Ausdruck, wie es zur Trennung kommen konnte, wo doch alles so gut war. Der Refrain ist einem Hilfe- bzw. Notruf nachempfunden, indem zu Beginn “S.O.S” als Aufforderung, gehört zu werden, ausgerufen wird, worauf sich die Frage anschließt, wie ein Weiterleben allein überhaupt möglich ist. Der Textinhalt ist sehr emotional, was durch den Gesang von Agnetha Fältskog entsprechend ausdrucksstark dargestellt wird. Dennoch ist der Refrain in F-Dur gehalten, was mit der im Text ausgedrückten Verzweiflung ein wenig kontrastiert. Die Strophen dagegen sind in d-Moll verfasst, was dem Textcharakter entspricht.

 

IV. Rezeption

S.O.S. gelangte 1975 in die Top Ten der englischen Charts (Platz 6) und hielt sich dort 10 Wochen. In Deutschland erreichte S.O.S. im gleichen Jahr Platz 1 der Charts, wo der Hit 30 Wochen blieb.

 

FRAUKE SCHMITZ-GROPENGIESSER


Credits

Musik: Benny Andersson
Text: Stig Andersson, Björn Ulvaeus
Tontechnik: Michael Tretow
Gitarre: Björn Ulvaeus
Piano, Clavinet, Synthesizer: Benny Andersson
Gitarre: Janne Schaffer, Finn Sjöberg, Lasse Wellander
Bass: Rutger Gunnarsson, Mike Watson
Drums: Ola Brunkert, Roger Palm
Trompete: Bruno Glenmark
Tenorsaxofon, Altsaxofon: Ulf Andersson
Streicherarrangements: Sven-Olof Walldoff
Horn- und Saxonfonarrangements: Björn Johansson Lindh

Englische Veröffentlichung: 7. Juni 1975 (originale schwedische Ausgabe: 21. April 1975)
Länge: 3:21

Recordings

  • ABBA. “S.O.S.”. On: S.O.S., 1975, Polydor, 2001 585, Germany (Vinyl/7″-Single).
  • ABBA. “S.O.S.”. On: S.O.S., 1975, Polar, POS 1213, Denmark (Vinyl/7″-Single).
  • ABBA. “S.O.S.”. On: S.O.S., 2001, Polar, UICY-5001, Japan (CD/Single).

Covers

  • Erasure. “S.O.S.”. On: Abba-Esque, 1992, Mute, CD Mute 144, UK (Vinyl/12″, 45 rpm, EP).
  • Peter Cetera with Ronna Reeves. “S.O.S.”. On: Various – Abba Forever, 2004, Polystar, LC 04324, Germany (2 CD).

References

  • Schmidt-Joos, Siegfried/Kampmann, Wolf: ABBA. In: Pop-Lexikon. Ed. by Siegfried Schmidt-Joos and Wolf Kampmann. Unter Mitarbeit von Barry Graves und Bernward Halbscheffel. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2002, 16 f.
  • Palm, Carl Magnus: Abba. Story und Songs kompakt. Berlin: Bosworth 2007.
  • Palm, Carl Magnus: Licht und Schatten. Abba – die wahre Geschichte. Vollständig revidierte und aktualisierte Neuauflage. Berlin: Bosworth 2011.
  • Scott, Robert: ABBA. Thank You For The Music. Die Storys zu allen Songs. Hamburg: Edel Germany 2011.

About the Author

Dr. Frauke Schmitz-Gropengießer is a musicologist and freelancer at the Center for Popular Culture and Music, Freiburg.
All contributions by Frauke Schmitz-Gropengiesser

Citation

Frauke Schmitz-Gropengießer: “S.O.S.”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/s-o-s, 06/2021.

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