1967
The Jimi Hendrix Experience

Red House

RED HOUSE ist ein von Jimi Hendrix komponierter 12-taktiger Slow Blues, welcher im Jahr 1967 veröffentlicht wurde und zu den stilistisch konventionellsten Titeln des Künstlers zählt, wenngleich er oft gecovert wurde. Kompositorisch orientiert sich der Song am traditionellen amerikanischen Blues, welcher durch Hendrix’ einzigartiges Gitarrenspiel bereichert wird.

 

I. Entstehungsgeschichte

RED HOUSE erschien 1967 als dritter Track auf der UK-Version des Albums Are You Experienced der Gruppe The Jimi Hendrix Experience rund um den Gitarristen Jimi Hendrix. Es handelte sich hierbei um das erste Studioalbum dieser Formation. Aufgenommen wurde der Song Ende des Jahres 1966 in den Londoner CBS Studios unter der Aufnahmeleitung von Mike Ross-Trevor und dem Produzenten Chas Chandler.
Linda Keith, ehemalige Lebensgefährtin von Keith Richards, teilte mit Hendrix eine Vorliebe für Blues und traf sich mit ihm, um gemeinsam Platten durchzuhören. Als beide über Songwriting diskutierten, spielte Hendrix einige Fragmente von Eigenkompositionen auf der Gitarre vor. Darunter befand sich auch eine Urfassung von RED HOUSE (vgl. Cross 2005: 135). Keith sprach dem bekennenden Bluesliebhaber Hendrix motivierend zu, da dieser noch nicht selbstsicher genug war, um den Song in sein reguläres Programm aufzunehmen (vgl. McDermott 1992: 8). Bereits bevor Produzent Chas Chandler Hendrix nach England brachte, komponierte er daran. Der Titel besitzt inhaltlich einen besonderen Stellenwert in Hendrix’ Vergangenheit, daher war es für ihn eine schwierige Aufgabe den passenden emotionalen Ausdruck in der Komposition zu verwirklichen (vgl. McDermott 1992: 43). Die musikalische Struktur, der harmonische Aufbau sowie die Thematik sind allerdings nahezu so alt wie der Blues selbst. Wie im Genre üblich, handelt der Song von einer verlorenen Liebe. Im Fall von Hendrix ist dies seine ehemalige High-School-Freundin und erste Liebe Betty Jean Morgan. Diese hatte, wie im Text besungen, eine Schwester und wohnte in einem Haus, welches tatsächlich jedoch nicht die Farbe Rot, sondern die Farbe Braun hatte. Für Hendrix war klar, dass der textliche Fluss des englischen Wortes “red” besser als jener von “brown” ist und so änderte sich der reale Sachverhalt (vgl. Cross 2005: 175). Schlussendlich macht bei RED HOUSE nicht der Inhalt oder die Harmonik die Einzigartigkeit der Komposition aus, sondern vor allem das Gitarrenspiel des Amerikaners. Während die anderen Kompositionen stilistische Überlappungen mit mehreren Genres aufweisen, versuchte Hendrix hier die Emotion und Kraft aus dem Blues in einen Song zu packen, um seinen Vorbildern gerecht zu werden (vgl. McDermott 1992: 44).

 

II. Kontext

Die 1967er UK-Version des Albums Are You Experienced wurde vom Label Track Record in Mono veröffentlicht. Auf der US-Pressung von Reprise Records, die kurz zuvor im selben Jahr erschien, war RED HOUSE allerdings nicht enthalten. Stattdessen steht “Hey Joe” an der dritten Stelle der Titelliste. Selbige Fassung war auch in Kanada erhältlich. Hendrix äußerte sich zu diesem Umstand mit dem ironisch-politischen Argument, dass die Plattenfirma Angst vor einer Veröffentlichung hätte, da die Amerikaner den Blues nicht mögen würden (vgl. Anonym o.J.). Weiters wurden die Titel “Remember” und “Can You See Me” auf der US-Fassung entfernt. Jimi Hendrix war bestürzt über das Vorgehen von Reprise und spielte die gestrichenen Tracks bewusst auf Livetourneen in den USA (vgl. McDermott 1992: 85). Die Veröffentlichung des französischen Labels Barcley entspricht Großteils der UK-Fassung, allerdings ist RED HOUSE hier mit 03:48 Minuten etwas länger und enthält in den letzten Sekunden nach Ende des Stückes einen kurzen Dialog zwischen Hendrix und der Regie.

 

III. Analyse

RED HOUSE ist funktionsharmonisch aufgebaut und basiert auf dem traditionellen 12-taktigen Bluesschema. Die Tonart ist H-Dur. Die Länge der einzelnen Formteile beträgt jeweils 12 Takte. Auf das Intro folgen zwei Durchläufe des Themenchorus, danach ein 12-taktiges Gitarrensolo von Hendrix, gefolgt von nochmals 12 Takten des Themenchorus. Dieser Chorus ist eine bluestypische Akkordprogression, bei der die Stufen I, IV7, V7 sowie bI verwendet werden. Mit Ausnahme des Intros, welches die ersten 4 Takte auf der I. Stufe verbleibt, lässt sich die Fortschreitung stufenharmonisch wie folgt beschreiben:

|: I | IV7 | I / |
| IV7 / | I / |
| V7 | IV7 | I | I-V7-bI :|

Die letzten vier Takte des Chorus werden jeweils mit dem Dominantseptakkord eröffnet und erzeugen dadurch eine spannungsgeladene Erwartungshaltung. Der letzte Takt enthält eine harmonisch schneller verlaufende Wendung, die als Abfolge von I-V7-bI interpretiert werden kann. Die verminderte erste Stufe kündigt jeweils das Ende eines Chorusdurchlaufes an. Daraufhin wird die dem Dominantseptakkord zugrundeliegende Spannung auf der ersten Zählzeit des jeweils folgenden Chorus mit dem erneuten Klingen der I. Stufe aufgelöst. Die Hörerwartung wird erfüllt und der Song schreitet im bekannten Schema fort. RED HOUSE kann im 12/8-Takt betrachtet werden und zählt ein Tempo von etwa 66 Viertelschlägen pro Minute. Die ternäre Unterteilung des Metrums ist ein wesentliches Charakteristikum und bildet das bluesige rhythmische Grundgerüst.

Den 03:44 Minuten langen Slow Blues eröffnet Hendrix mit dem Anschlagen einer abgedämpften Gitarrensaite, welchem eine prägnante, tonal abfallende Melodiefigur in triolischen Achteln folgt. Der Klang ist mit dem für den Gitarristen typischen Fuzzeffekt leicht bis mittelmäßig stark verzerrt. Diese melodische Figur erklingt in höherer Lage, wobei der Klang seiner Gitarre an dieser Position scharfen Soundcharakter besitzt. Der*die Hörer*in wird zu Beginn mit einem aufdringlichen Gitarrensound und Zerlegungen von Septakkorden konfrontiert. Hendrix zieht zusätzlich die Saiten der Gitarre abwechselnd nach oben bzw. unten, dehnt sie somit und erzeugt eine schnelle, stufenlose Variation der Tonhöhe. Diese als Bending bezeichnete Spieltechnik verleiht der Gitarre durch die schnelle Ausführung einen noch lebendigeren und leicht zittrigen Charakter, was durch das sich so ergebende Vibrato zustande kommt. Für die Aufnahme wurde eine E-Gitarre der Marke Fender, Typ Stratocaster, verwendet. Mit dieser erzeugt Hendrix, gemeinsam mit seinem Gesang, ein bluestypisches Call-and-Response-Schema. Dazu lässt er sein Gitarrenspiel in den Gesangspassagen pausieren und beantwortet diese in den Gesangspausen mit solistischen Einlagen. Teilweise spielt Hendrix etwas unsauber, allerdings klingt dies nicht unpassend und kann als Markenzeichen angesehen werden.

Der zweite Gitarrist Noell Redding begleitet Hendrix während des Songs ebenfalls mit einer leicht verzerrten semiakustischen Gitarre, welche tiefer gestimmt wurde. Redding nimmt zusätzlich zur gitarristischen Begleitfunktion die Rolle eines nicht vorhandenen Bassinstruments ein. Als Grund dafür gab er an, am Bass spieltechnisch noch nicht versiert genug gewesen zu sein, worauf er sich diese Gitarre im Studio geborgt hatte (vgl. Black 1999: 67). Der Sound wurde in den Höhen stark abgedämpft. Zusätzlich verwendet er überwiegend die tiefere Lage und spielt, dem Bass im Blues nachempfunden, im Shufflerhythmus mit Betonungen auf der Zählzeit 1, 4, 7, usw. Dabei spricht er wenige Single Notes und vor allem abgedämpfte Powerchords bzw. Klangschichtungen, basierend auf dem Grundton plus Quinte oder Sexte. Zusätzlich bereichert er speziell die Turnarounds durch mehrstimmiges Spiel in mittlerer Lage. Durch das Dominieren der tieferen Frequenzen bildet Redding gemeinsam mit dem Schlagzeug das rhythmische Fundament für Hendrix’ musikalische Aktivtäten. Er übernimmt gleichzeitig die Funktion eines Bassinstruments und eines mehrstimmigen Begleitinstruments.

Schlagzeuger Mitch Mitchell pausiert während der ersten drei Takte des Intros und steigt danach mit Schlägen auf die unbetonten Zählzeiten des hier überleitenden, bluespentatonischen Abwärtslaufes von Hendrix ein. Nach einem kurzen Fill beginnt er den Song mit einem Shufflerhythmus zu begleiten. Dabei verwendet er Bassdrum, Snaredrum, vereinzelt Toms und die Hi-Hat, welche er während der Strophen nach dem Schlag auf die Snaredrum leicht schließt. Daraufhin schlägt er die Hi-Hat wieder halboffen mit triolisch ausgeführten Achteln an. Diesen Groove spielt Mitchell das ganze Stück hindurch. Eine Ausnahme bilden die dynamisch aufregenderen Passagen, wie das Gitarrensolo. Hier verwendet er nun diverse Becken, spielt weiterhin Achtelnoten und betont häufig das vierte und zehnte Achtel eines Taktes stärker.

Der Text von RED HOUSE wird in der Ich-Form vorgetragen und handelt von einer verflossenen Liebe. Der in diesem Fall männliche Protagonist hat eine Geliebte, die er seit etwa 99 1/2 Tagen nicht mehr gesehen hat. Die Angebetete wohnt im titelgebenden roten Haus “over yonder”, ein archaischer Ausdruck in der Bedeutung von “ganz weit da hinten”. Als der Erzähler das Haus erreicht, findet er heraus, dass sich das Türschloss des Hauses nicht mehr öffnen lässt. Seine Geliebte, sein “baby”, wohnt nicht mehr dort. Aber immerhin bleibt dem Sänger noch seine Gitarre. Im letzten Themenchorus kommt es zur Conclusio und einer abschließenden Pointe. Hendrix singt im Beantwortungsteil der letzten Strophe: “Cause if my baby don’t love me no more, oh, I know her sister will”.

Im Aufbau der Lyrics ist das Call-and-Response-Schema gut zu erkennen. Die Strophen sind sechszeilig: 2 Zeilen Anrufung, 2 Zeilen Wiederholung der Anrufung und 2 Zeilen Beantwortung. Auch die Gitarre hält sich an das dieses Schema. Nach der Anrufung im Text folgt die Anrufung auf der Gitarre. Nach der gesanglichen Anrufungswiederholung folgt die Wiederholung mittels Gitarre. Dasselbe gilt für die Beantwortung. Diese Repetitionen finden auf der IV. Stufe statt. Bei der Gitarre sind dies überwiegend schnelle 1/16 und 1/16-Triolen mit teils sprechendem Charakter. Videotechnisch aufgezeichnete Livekonzerte, wie jenes in Woodstock, ermöglichen es, die Querverbindung zur menschlichen Sprache nachzuvollziehen. Hendrix verleiht seinem sprechenden Gitarrenklang durch Gestikulation mit Mund und Gesicht zusätzlichen Ausdruck. Dies ist typisch für den Ausnahmegitarristen. In seinen Pausen wirft er häufig den Ausruf “yeah” ein. Dies ist vor allem in den ersten 45 Sekunden des Stückes auffällig. Der Gesang wechselt zwischen melodischem Singen und kurzen sprechartigen Passagen.

Im weiteren Fortschritt werden die Einwürfe mit der E-Gitarre tonal und dynamisch intensiver, bis Hendrix mit einem gesprochenen Satz (“That’s alright, I still got my guitar, look out, baby”) das Gitarrensolo einleitet. Hier verändert sich der Klang hin zu einem stärker verzerrten und lauteren Sound. Die Dynamik steigt schlagartig an und das gesamte Klangbild weist erhöht geräuschhafte Anteile auf. Dies ist primär dem Schlagzeug und der Sologitarre zuzuschreiben. Redding führt im Vergleich zu den anderen stabil sein Fundament fort, jedoch mit etwas erhöhter Intensität. In den ersten Takten des Solos entlockt Hendrix seiner Gitarre schrille, aufheulende Töne. Er spielt dabei in sehr hoher Lage und findet sich daraufhin zwischen h’ und h” ein. Die sehr schnellen Läufe beinhalten spieltechnische Feinheiten wie Bending, Slides und Hammer-On- bzw. Hammer-Off-Artikulationen. Die Spannung wird durch melodisch-rhythmische Verdichtung aufgebaut und steuert auf einen Höhepunkt zu. Bis zum Ende des Solos wird diese Spannung wieder abgebaut. Der Gitarrist spielt das melodische Material unter der Verwendung der Bluespentatonik auf rhythmisch und tonal virtuose Weise. Während des Solos wirft Hendrix mehrmals kurze Worte bzw. Sätze ein und gegen Ende lacht er beherzt. Die Freude am Gitarrenspiel scheint den Protagonisten über das schmerzliche Gefühl des Verlusts seiner Liebsten hinwegzutrösten.

 

IV. Rezeption

RED HOUSE ist ein oft gecoverter Titel von Hendrix und wurde von einer Vielzahl von namhaften Musiker*innen interpretiert. Dies ist nicht nur dem Bekanntheitsgrad, sondern auch dem gängigen, zugrundeliegenden Bluesschema des Stückes zuzuschreiben. Albert King betitelte eines seiner Alben mit Red House (1991), welches eine Coverversion des gleichnamigen Songs enthält. King, der unter anderem ein Vorbild von Hendrix gewesen ist, erweist hier dem Ausnahmegitarristen seinen Tribut. Weitere herausragende Musiker*innen, insbesondere Bluesmusiker*innen, haben den Titel live gespielt bzw. aufgenommen. Albert King (1991), Buddy Guy (1993), Gary Moore (2012), Steve Vai mit Eric Johnson und Joe Satriani (1997), Boz Scaggs und Slash (1996) sind nur einige prominente Vertreter*innen.

Die Veröffentlichung Variations On A Theme beinhaltet acht Liveversionen von RED HOUSE, von denen nur eine die Länge von 7 Minuten unterschreitet. Die Formation bevorzugte live virtuose und ausgedehnte Fassungen des Slow Blues zu performen. Die längste aufgezeichnete Version dauert 14:16 Minuten, was auch dem verlangsamten Tempo gegenüber der Studiofassung zuzuschreiben ist. Weiters ist eine Performance mit Organisten Lee Michaels enthalten.

 

DANIEL REISINGER


Credits

Hauptgesang: Jimi Hendrix
E-Gitarre: Jimi Hendrix, Noell Redding
Schlagzeug: Mitch Mitchell
Songwriting: Jimi Hendrix
Produktion: Bryan James “Chas” Chandler (Engineer: Mike Ross-Trevor)
Label: Track Records
Aufnahmedatum: 13. Dezember 1966 CBS Studios (London)
Veröffentlichungsdatum: 12. Mai 1967
Länge: 03:44

Recordings

  • Jimi Hendrix. Variations on a Theme – Red House, 1992, Hal Leonard Publishing Cooperation, HL 0069 9358, US (CD/Compilation).
  • The Jimi Hendrix Experience. “Red House”. On: Are You Experienced, 1967, Barclay, 820 143 (Mono), France (LP/Album).
  • The Jimi Hendrix Experience. “Hey Joe”. On: Are You Experienced, 1967, Reprise Records, RS 6261 (Mono), USA(LP/Album).
  • The Jimi Hendrix Experience. “Red House”. On: Are You Experienced, 1967, Track Record, 612 001 (Mono), UK (LP/Album).
  • The Jimi Hendrix Experience. Are You Experienced, 1967, Reprise Records, RS 6261 (Mono), US (LP/Album).
  • The Jimi Hendrix Experience. Are You Experienced, 1967, Reprise Records, RS 6261, Canada (LP/Album).

Covers

  • Albert King. “Red House”. On: Red House, 1991, Essential Records, ESSCD 147, UK (CD/Album).
  • Buddy Guy. “Red House”. On: Stone Free (A Tribute to Jimi Hendrix), 1993, Reprise Records, 9 45438-2, US (CD/Compilation).
  • Gary Moore. “Red House”. On: Blues For Jimi, 2012, Eagle Records/Edel, EAGLP493, Germany (2xLP/Album).
  • Joe Satriani, Eric Johnson, Steve Vai. “Red House”. On: G3 Live in Concert, 1997, Epic, 48 75392, US (CD/Album).
  • Slash, Boz Scaggs. “Red House”. On: The Concert for The Rock And Roll Hall of Fame, 1996, Columbia, C2K 67477, US (CD/Compilation).

References

  • Anonym: “Hendrix, Jimi – Blues.” In: Oxford Music Online, o.J. URL: http://www.oxfordmusiconline.com/subscriber/article/epm/81012 (zuletzt aktualisiert 2006) [27.08.2014].
  • Black, Johnny: Jimi Hendrix: The Ultimate Experience.  New York: Thunder’s Mouth Press 1999.
  • Cross, Charles R.: Room Full of Mirrors. A Biography of Jimi Hendrix. New York: Hyperion 2005.
  • McDermott, John: Hendrix. Setting the Record Straight. New York: Warner 1992.

Films

  • Jimi Hendrix – Live at Woodstock. Regie: Chris Hegedus/Erez Laufer. Universal Music & Video Distribution (UMVD), 1999 (DVD/B000AM6N9U).

Links

  • Band Homepage: http://www.jimihendrix.com/ [30. August 2014].

About the Author

Daniel Reisinger (MA) is a musicologist and audio engineer.
All contributions by Daniel Reisinger

Citation

Daniel Reisinger: “Red House (The Jimi Hendrix Experience)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Micheal Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, https://songlexikon.de/songs/red-house/, 07/2021.

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