1971
John Lennon

Power to the People

POWER TO THE PEOPLE war mit der Aufforderung zu direkter politischer Aktion einer der radikalsten Songs John Lennons.

I. Entstehungsgeschichte

POWER TO THE PEOPLE entstand am 22. Januar 1971 im Anschluss an ein Interview, das John Lennon (1940-1980) und seine Frau Yoko Ono (*1933) zwei führenden Vertretern der Neuen Linken in Großbritannien, Tariq Ali (*1943) und Robin Blackburn (*1940), für die in London von der International Marxist Group herausgegebene Zeitung Red Mole gaben. Lennon war in dieser Phase seines Lebens politisch radikalisiert wie nie zuvor und nicht nur regelmäßiger Leser, sondern auch ein aktiver Unterstützer des Blattes. Es gibt Fotos, die ihn beim Verkauf von Red Mole während einer Demonstration zeigen.

Die beiden politischen Aktivisten hatten John Lennon und Yoko Ono nach ihrem Verständnis von Revolution und nach der Rolle von Superstars im Prozess gesellschaftlicher Veränderung befragt, nachdem die spektakulären Bed-Ins der beiden in Amsterdam und Montréal, wo 1969 “Give Peace a Chance” aufgenommen worden war, bei der politischen Linken für erhebliche Irritationen gesorgt hatten. Einen Tag nach dem Interview rief Lennon Tariq Ali an, um ihm am Telefon einen neuen Song vorzusingen: “Look, I was so excited by the things we talked about that I’ve written this song for the movement, so you sing it when you march.” (Ali 2005:  333) Ali war nicht nur beeindruckt, sondern nutzte mit Erlaubnis Lennons den Songtitel als Überschrift für die Druckfassung des Interviews (vgl. ebd.: 361), das Anfang März 1971 erschien. Der ungekürzte Tonbandmitschnitt des Gesprächs ist seit 2013 im Internet zugänglich. Lennon distanzierte sich Jahre später in einem kurz vor seinem Tod dem Magazin Playboy gegebenen Interview dann allerdings deutlich von seinem Song: “Well, that came from a talk with Tariq Ali, who was sort of a ‘revolutionary’ in England and edited a magazine called Red Mole. So I felt I ought to write a song about what he was saying. That’s why it didn’t really come off. I was not thinking clearly about it. It was written in the state of being asleep and wanting to be loved by Tariq Ali and his ilk, you see. I have to admit to that so I won’t call it hypocrisy. I wouldn’t write that today.” (Sheff 2010, 216).

Aufgenommen wurde eine erste Fassung des Songs noch am Tag seiner Entstehung in den Ascot Sound Studios in Tittenhurst Park, Lennons britischen Wohnsitz nahe Schloss Windsor. Da die Aufnahme nicht zufriedenstellend ausfiel, versuchte Lennon eine Reggae-Version des Songs, die er aber ebenfalls verwarf. Die Fertigstellung erfolgte erst vier Wochen später in den Abbey Road Studios der EMI unter der Leitung des amerikanischen Pop-Produzenten Phil Spector (*1939) während der ersten Aufnahmen für das Imagine-Album. Zwar wurde das ursprüngliche Line-up der Plastic Ono Band um Beatles-Schlagzeuger Ringo Starr (*1940) und den deutschen Bassgitarristen, Grafiker und späteren Produzenten Klaus Voormann (*1938) beibehalten, da Ringo Starr jedoch im Urlaub war, ersetzte ihn bei dieser Aufnahme Jim Gordon (*1945) als Gast, damals Schlagzeuger bei der britischen Blues-Rock-Band Derek And The Dominoes um Eric Clapton.

Die für den 5. März geplante Veröffentlichung musste verschoben werden, denn die Leitung der EMI nahm Anstoß an dem Text der B-Seite der Single, Yoko Onos “Open Your Box”. Um eine Neuaufnahme zu umgehen, sind die als “sexuell explizit” inkriminierten Textpassagen in Yoko Onos Song durch eine neue, mit viel Hall unterlegte Abmischung mehr oder weniger unverständlich gemacht worden, so dass die Single ohne weitere Verzögerung am 12. März 1971 auf dem von der EMI vertriebenen Apple Label erscheinen konnte. In den USA, wo die Platte am 22. März 1971 herauskam, wurde POWER TO THE PEOPLE mit Yoko Onos “Touch Me” gekoppelt, um möglichen Ärger in der in dieser Hinsicht noch viel empfindlicheren US-Öffentlichkeit gleich von vornherein aus dem Weg zu gehen.

II. Kontext

Der Song stand in direktem Bezug zu den politisch bewegten Endsechziger Jahren, die vor allem durch die Bürgerrechtsbewegung in den USA, die Antivietnamkriegsbewegung und die Studentenbewegung geprägt waren. Der Slogan “Power to the People” war von der Black Panther Party, einer schwarzen nationalistischen sozialistischen Partei in den USA populär gemacht worden, die ab 1962 in der Bürgerrechtsbewegung eine prominente Rolle spielte. Allerdings kam Lennons Songs mit seiner Radikalität und der Aufforderung, die Revolution sofort in Angriff zu nehmen, faktisch zu spät, denn Anfang der 1970er Jahre hatte sich die Situation wieder beruhigt. Die Debatten der Neuen Linken, in die Lennon damals involviert war, spielten sich in radikalisierten politischen Zirkeln im akademischen Milieu ab und nahmen zunehmend sektiererische Züge an, da die Massen, die 1968 auf den Straßen waren, inzwischen davon kaum noch Notiz nahmen. Desillusionierung darüber, dass der historische Moment mit dem Pariser Mai von 1968, der grundlegende gesellschaftliche Veränderungen zu versprechen schien, so schnell wieder vorbei war, und Radikalisierung bis hin zu der 1970 in Deutschland gegründeten Rote Armee Fraktion (RAF), um diesen Moment notfalls mit Gewalt festzuhalten, prägten den Zeitgeist Anfang der 1970er Jahre. Als dritte Komponente kam eine Haltung hinzu, die die amerikanische Publizistin Susan Sontag treffend als “radical chic” bezeichnet hat und die die mehr oder weniger verspielte Pose des Revolutionären bei Intellektuellen und Künstlern meinte, die damit weder ihre Markt- noch ihre Gesellschaftsfähigkeit ernsthaft riskierten. POWER TO THE PEOPLE lag irgendwo genau dazwischen und spiegelte die Zerrissenheit Lennons ebenso wie dieser aus der Zeit gefallene Song die Ambivalenz dieser Jahre spiegelte.

III. Analyse

POWER TO THE PEOPLE ist ein Popsong in traditioneller Strophenliedform, eingerahmt von einem achttaktigen Intro und einem ebenso langem Outro. Als Intro fungiert der chorische Vokal-Track des Refrains ohne Instrumentalbegleitung, aber mit einem Marschtritt unterlegt. Der Song selbst beginnt mit dem aus zwei Viertaktphrasen aufgebauten Refrain. Die sich anschließende sechstaktige Strophe und der Refrain bilden eine formale Einheit, die mit der zweiten und dritten Textstrophe tongenau wiederholt wird. Statt einer vierten Textstrophe ist ein achttaktiges Saxofon-Solo mit Schlagzeug-, Bass- und Pianobegleitung sowie einer zweiten, per Overdubbing darüber gelegten Saxofonstimme im Hintergrund in den Song eingebaut, gefolgt vom Refrain. Das Outro besteht aus der ausgeblendeten abschließenden Wiederholung des Refrains.

Diesem sehr einfach gehaltenen Aufbau des Songs entspricht auch die Harmonik, die zwischen der Tonika und der Dominantparallele pendelt. Aus diesem Rahmen fällt dagegen der textliche und musikalische Bau der Strophen. Die Strophen bestehen aus ungereimten Vierzeilern, die auf sechs Takte verteilt sind. Das durchbricht nicht nur den achttaktigen Periodenbau, sondern führt auch zu metrischen Irregularitäten, da Vers-Struktur und Takt-Struktur bei vier Verszeilen und sechs Takten auseinanderfallen. Das fokussiert die Aufmerksamkeit auf den plakativen Text, der die zentralen Parolen der radikalen Linken vom Ende der 1960er Jahre durchdekliniert, beginnend mit dem Aufruf zur Revolution “right now”, über die Solidarität mit der Arbeiterklasse (A million workers working for nothing / You better give them what they really own) bis hin zur Frauenemanzipation (How do you treat your old woman back home / She got to be herself). Der aus der viermaligen Wiederholung der Worte “power to the people” bestehende Refrain mit einem abschließenden “right on” hat den Effekt, dass dieser Slogan, der damit ingesamt 24 Mal wiederholt wird, den Song absolut dominiert.

Dass POWER TO THE PEOPLE dennoch nicht einfach ein Marschlied auf der Basis eines Mitsing-Slogans geworden ist – was Lennon wohl ursprünglich beabsichtigte, dann aber verwarf –, ist dem Produktionsstil von Phil Spector geschuldet. Er hat das Material mit reichlich Hall versehen, per Automatic Double Tracking aus einer Hand voll SängerInnen einen Chor gemacht, eine den Gesang umspielende Saxofonstimme durch den Song durchgeführt und den Gesang mit Hilfe des Kompressors klanglich leicht verfremdet, so dass er in Kombination mit dem darüber gelegten Hall in eine unwirkliche Ferne gerückt erscheint.

IV. Rezeption

POWER TO THE PEOPLE zog am 20. März 1971 in den britischen Charts ein und hielt sich hier neun Wochen, in denen er Platz 7 erreichte. In den US-Billboard-Charts erreichte der Song Platz 11. Gemessen an den Vorläufern, fand diese vierte Single von John Lennon mit der Plastic Ono Band damit ein etwas verhalteneres Echo, was wohl nicht zuletzt auch der politischen Radikalität des Textes geschuldet war. Der Song jedenfalls wurde damit berühmt, was sich nicht direkt in Verkaufszahlen übersetzte. Zugleich war er damit auf eine Weise seiner Zeit verhaftet, die eine langfristigere Wirkung ausschloss. Entsprechend selten waren Cover-Versionen. The Minus Five haben sich 1995 mit einer Cover-Version des Songs an dem John Lennon Tribute-Album beteiligt, eine Charity-Produktion, die 1995 Lindy Goetz (*1958), Manager der Red Hot Chili Peppers, für die Tierschutzorganisation Humane Society of the United States realisierte. Die Black Eyed Peas haben den Song 2007 für die Amnesty International Campaign to Save Darfur aufgenommen. Eric Burdon (*1941) produzierte mit Billy Preston (1946-2006), dem Keyboarder der Original-Aufnahme, und Ringo Starr (*1940) am Schlagzeug eine Version für den Robert Greenwood-Film Steal This Movie! über den Mitbegründer der Youth International Party (Yippies), Abbie Hoffman (1936-1989).

 

PETER WICKE


Credits

Komposition, Arrangement, Text: John Lennon
Produktion: Phil Spector, John Lennon, Yoko Ono,
Gesang, E-Gitarre, Piano: John Lennon
Bassgitarre: Klaus Voormann
Piano. Keyboards: Billy Preston
Saxofon: Bobby Keys
Schlagzeug: Jim Gordon
Background-Gesang: Rosetta Hightower u.a.

Recordings

  • John Lennon / The Plastic Ono Band. “Power To The People” / “Open Your Box”, 1971, Apple Records/EMI, R 5892, UK (Vinyl/Single).
  • John Lennon / The Plastic Ono Band. “Power To The People” / “Touch Me”, 1971, Apple Records/Capitol Records, 1830, US (Vinyl/Single).
  • John Lennon / The Plastic Ono Band. “Power To The People” (Remastered). On: Power to the People: The Hits, 2010, Apple Records/EMI, 5099990664021, US (CD).

Covers

  • The Minus Five. “Power to the People”. On: Various. Working Class Hero – A Tribute To John Lennon, 1995, Hollywood Records, HR-62015-2, US (CD).
  • Black Eyed Peas. “Power to the People”. On: Various. Instant Karma: The Amnesty International Campaign to Save Darfur, 2007, Warner Brothers Records, 156028-2, US (CD).
  • Eric Burdon & Billy Preston. “Power to the People”. On: Various. Steal this Movie (Music from the Motion Picture), 2000, Artemis Records, 498574 2, EU (CD).

References

  • Blackburn, Robert/Tariq, Ali: ‘Power to the People!’ John Lennon and Yoko Ono talk to Robin Blackburn and Tariq Ali. In: Red Mole, 8-22. März 1971, 3-4; reprinted in: Tariq Ali: Street Fighting Years. An Autobiography of the Sixties, 2. erweiterte Ausgabe, London: Verso 2005, 361-381.
  • Ali, Tariq: Street Fighting Years. An Autobiography of the Sixties. London: Verso 22005.
  • Sheff, David (Ed.): All We Are Saying: The Last Major Interview with John Lennon and Yoko Ono, New York: St. Martin’s Griffin 2010.

Links

  • Vollständiger Mitschnitt des Red Mole-Interviews mit John Lennon und Yoko Ono. URL: https://www.youtube.com/watch?v=huu3hPigBZw [12/2014].

About the Author

Prof. Dr. Peter Wicke is a retired professor of musicology. From 1992 to 2016 he held the chair for "Theory and History of Popular Music" at the Humboldt University Berlin.
All contributions by Peter Wicke

Citation

Peter Wicke: “Power to the People (John Lennon)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/powertothepeoplelennon, 12/2015 [revised 12/2015].

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