1969
The Who

Pinball Wizard

PINBALL WIZARD ist ein im Jahr 1969 veröffentlichter Song der britischen Rockband The Who.

I. Entstehungsgeschichte

PINBALL WIZARD ist im Mai 1969 auf dem Konzeptalbum Tommy erschienen. Zwei Monate zuvor erfolgte die Auskopplung als Single (mit der B-Side “Dogs, Part Two”). Komponiert wurde der Song (inkl. Songtext) vom Gitarristen und kreativen Kopf der Band Pete Townshend. In sprachlicher Hinsicht ist der Song eingebettet in das dramaturgische Konzept des Albums. Erzählt wird die Geschichte eines taubstummen und blinden Jungen, genannt “Tommy”, der trotz der körperlichen Einschränkungen die besondere Fähigkeit entwickelt, das Spiel mit dem Flipperautomaten (“Pinball”) in all seinen Varianten zu beherrschen. Im Zuge dieser als übernatürlich ausgewiesenen Meisterschaft (“Wizard”) steigt er, inzwischen zu einem jungen Mann gereift, zu einer messianischen Figur empor, die gefolgt wird von einer euphorisierten Masse ergebener Fans. Auch in kompositorischer Hinsicht ist der Song eingebettet in ein übergeordnetes Konzept. So wird die charakteristische Eröffnung durch das rasant-peitschende Spiel der Rhythmusgitarre auf dem ersten Stück des Albums (“Overture”) vorweggenommen. Insgesamt war es Townshend’s künstlerisches Anliegen, mit Tommy ein komplexes rockmusikalisches Werk zu erschaffen, das sich an kunstmusikalische Gestaltungsformen anlehnt. Dies betrifft, wie oben angedeutet, im Wesentlichen die großformatige, narrative Konzeption und die wiederkehrende Verarbeitung von musikalischen Motiven. Der Ausdruck “Rockoper”, sowohl in journalistischen als auch forscherischen Zusammenhängen in Bezug auf Tommy angewendet, steht sinnbildlich für diese Vorgehensweise.

II. Kontext

The Who gehören neben den Beatles und den Rolling Stones zu den Urvätern der britischen Popkultur. Ihre ersten kommerziellen Erfolge und öffentlichkeitswirksamen Auftritte fanden im Jahr 1965 statt, also etwa zwei Jahre nach dem Durchbruch der Beatles und der Stones. Zu Beginn ihrer Karriere standen The Who der Jugendsubkultur der Mods nahe. Bei den Mods handelte es sich vornehmlich um männliche Jugendliche der Arbeiterklasse und unteren Mittelschicht, deren teilkulturelles Selbstverständnis sich u.a. in exzessivem Feiern, Medikamentenmissbrauch, einem gehobenen Modestil (z.B. maßgeschneiderte Anzüge) und dem Fahren von Motorrollern konstituierte. Mit zunehmendem Erfolg im Verlauf der späten 1960er Jahre erfolgte die Abwendung von der Modkultur. Das Konzeptalbum Tommy markierte schließlich den Durchbruch als Mainstream-Act. The Who wurden fortan als Superstars gehandelt – ein Umstand, der sich nicht zuletzt darin niederschlug, dass die Band auf dem legendären Woodstock-Festival als einer der Haupt-Acts auftrat. In künstlerischer Hinsicht prägend für The Who im Allgemeinen und PINBALL WIZARD im Speziellen war das permanente Bestreben Pete Townshend’s, der Rockmusik neue Gestaltungs- und Präsentationsformen zu erschließen. Im Fall von Tommy äußerte sich dies neben den oben erwähnten musikimmanenten Punkten in der aufwendigen (foto)grafischen Gestaltung des Plattencovers sowie der Umsetzung des Albums als Film. Letzterer erschien im Jahr 1975 in den Kinos, Regie führte Ken Russell, seinerzeit zu Weltruhm gelangt durch den Oskar prämierten Film Women in Love (1969). Die Filmversion wurde von Kritik und Publikum äußerst positiv aufgenommen, wodurch sich Townshend in seinem Anspruch, Rockmusik im Sinne eines medienübergreifenden ‘Gesamtkunstwerks’ zu konzipieren, bestätigt fühlen konnte. Der Song selbst wurde in dem Film von Elton John dargeboten.

III. Analyse

Der Song dauert sowohl als Albumtrack als auch als Single 3:01 Minuten; das Tempo beträgt ca. 122 bpm. Das tonale Zentrum wechselt im Verlauf des Songs von H-Dur zu D-Dur. Neben Haupt- und Nebengesang gelangen E-Gitarre, Westerngitarre, E-Bass und Schlagzeug zum Einsatz. Der Song beginnt mit einem Intro, gespielt auf einer Westerngitarre. In der Akkordfolge Hm/Fis | Hmsus4/Fis | Fis7sus4 | Fis7 |Fism7sus4 | Em/Fis | Em/G | Fis7sus4 | Fis7add4 wird auf den energetischen Eröffnungspart der Strophe zugespielt. Das Intro nimmt sich aufgrund dieses effektvollen Spannungsverlaufs als eine Art Mini-Ouvertüre aus. Auffallend ist hierbei die audiotechnische Aufbereitung. So erklingt der Akkordanschlag auf der ersten Zählzeit des Taktes auf dem rechten Lautsprecher; er ist mit einem einfachen Delay-Impuls unterlegt, der eine Achtel später auf dem linken Lautsprecher zu hören ist. Dieser Stereo-Effekt wird auch in der Strophe eingesetzt, doch ist er aufgrund des durch die Gitarre erzeugten Klangteppichs nur noch marginal zu vernehmen. Harmonische Grundlage der Strophen ist eine vom tonalen Zentrum H in drei Ganztonschritten abwärts verlaufende Sequenz, die am Ende im Halbtonschritt die Dominante Fis erreicht. Jede tonale Stufe erklingt zunächst mit Quartvorhalt (sus4) und wird dann in einen Durakkord aufgelöst (die e’-Saite bleibt stets offen, wodurch harmonische Erweiterungen entstehen). Unterlegt wird diese Spielfigur mit einer E-Gitarre, die in einem kurzen Vorschlag von der Untersekunde in den jeweiligen Grundton wechselt. Auf diese Weise entsteht eine musikalische Geste, die von pompös-theatraler Wirkung ist. Parallel zum Gesangspart setzt schließlich der erdig-rollende Bass von John Entwistle ein. In der auf die erste Strophe folgenden Instrumental-Bridge wird eine neue zweitaktige Akkordfolge (H A D E) eingeführt. Der Mix betont an dieser Stelle den Part der E-Gitarre, wodurch nicht zuletzt das Rockelement des Songs hervorgehoben wird. Im Anschluss daran wiederholt sich der Strophe-Bridge-Formblock. Es folgt der Refrain, der auf einer IV V I-Kadenz aufbaut, welche dreimal erklingt, bevor in die große Untermediante G und die kleine Obermediante D gewechselt wird. Dem schließt sich eine zweite Bridge an, in der die Gitarre auf D Cadd9 G/H in aufgebrochenen Akkorden spielt. Es beginnt die dritte Strophe mit Hsus4. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass es nicht zuletzt die diversen Rückungen und Reihungen unterschiedlicher harmonischer Wendungen sind, die dem Song trotz der relativ kurzen Dauer eine erstaunliche klangliche Fülle verleihen. Variiert wird das harmonische Konzept erneut im Zwischenspiel nach dem zweiten Refrain. Die für die Strophen charakteristische Rhythmusgitarre beginnt nun auf Dsus4. Somit wird in der letzten Strophe das tonale Zentrum von H nach D verlagert. Das Stück schließt in einem kurzen Outro, das die zweite Bridge andeutet, sich jedoch dann in Akkordbrechungen auf H7sus4 verläuft, bevor das Fade-Out erfolgt.

Der Songtext ist aus der Perspektive eines Ich-Erzählers verfasst, der sich als erfahrener Flipper-Spieler ausweist und seine Begegnung mit Tommy, dem wahren “Pinball Wizard”, schildert. Die erste Strophe, wie auch die folgenden gesungen von Roger Daltrey, beginnt mit einem kurzen Rückblick des Ich-Erzählers in die eigene Vergangenheit als Flipper-Enthusiast und endet mit der Bewunderung der einzigartigen Fähigkeiten von Tommy (“But I ain’t seen nothing like him”). In der zweiten Strophe wird das Verhalten von Tommy am Flipperautomaten geschildert. Hervorgehoben wird dabei seine stoische Fokussiertheit; er spielt, als werde er “Teil der Maschine”. Dabei geht der Erzähler davon aus, dass die Intuition Tommy anleite. Am Ende aller Strophen steht schließlich der anerkennende Ausruf: “That deaf dumb and blind kid sure plays a mean pinball”. Der erste Refrain baut auf der einfachen Feststellung auf: “He’s a pinball wizard”. Gleichzeitig werden konkrete Ursachen für diese Begabung vermutet (“There has to be twist”). Die darauf folgende Bridge ist als kurzer Dialog konzipiert, in dem Pete Townshend und Roger Daltrey im Wechselspiel die Zeilen singen “How do you think he does? – I don’t know. – What makes him so good?”. Der Wechsel in die Dialogform, d.h. die nichterzählende Form, verstärkt im Sinne einer Quasi-Authentifizierung das bereits zum Ausdruck gebrachte Grundgefühl des Erstaunens und der Bewunderung. In den zwei folgenden Strophen werden weitere Eigentümlichkeiten von Tommy beschrieben, so z.B., dass er niemals verliert und vor dem Spiel von seinen “Jüngern” geführt wird. Im zweiten Refrain wiederum gibt der Ich-Erzähler unmissverständlich zu verstehen, dass er die eigene Unterlegenheit eingesteht und die “Flipper-Krone” an Tommy übergibt.

IV. Rezeption

PINBALL WIZARD gehört zu den kommerziell erfolgreichsten Singleveröffentlichungen der Band und zählt noch heute zu ihren bekanntesten Hits. Aufgrund künstlerischer Erwägungen mied die Band das Kurzformat Single. Das Großformat schien dem eigenen Anspruch, als echte “Künstler” in Erscheinung treten zu wollen, in höherem Maße gerecht zu werden. Nichtsdestotrotz werden auch heute noch diverse Hits mit dem Namen The Who in Verbindung gebracht, so z.B. My Generation (1965), Won’t Get Fooled Again (1971) und Behind Blue Eyes (1971). Seit seiner Veröffentlichung gehört der Song zum Standard-Repertoire von The-Who-Konzerten. Auf der Reunion-Tour zum 25-jährigen Bestehen der Band im Jahr 1989 wurde der Song von Elton John dargeboten. Coverversionen existieren u.a. von Rod Stewart (2005) und der britischen Band McFly (2005). In aktuellen Pop-Kanonisierungen findet der Song selbst kaum Erwähnung, vielmehr wird die popkulturelle Bedeutung des Albums hervorgehoben. So wird Tommy unter den “500 Greatest Albums of All Time” (Rolling Stone Magazine) auf Platz 96 und in der Liste “The Music That Changed The World: Part One 1954–1969” (Q Magazine) auf Platz 9 geführt.

 

CHRISTOFER JOST

 

Credits

Hauptgesang: Roger Daltrey
E- Gitarre, Westerngitarre: Pete Townshend
E-Bass: John Entwistle
Schlagzeug: Keith Moon
Autor: Pete Townshend
Produzent: Kit Lambert
Aufnahme: 7. Februar 1969
Veröffentlichung: 7. März 1969
Spieldauer: 3:01

Recordings

  • The Who. Pinball Wizard, 1969, Track Record, 59262, UK (Vinyl/Single).
  • The Who. Pinball Wizard, 1969, Decca, 732465, USA (Vinyl/Single).
  • The Who. “Pinball Wizard”. On: Tommy, 1969, Track Record, 613013/4, UK (Vinyl/Album).
  • The Who. “Pinball Wizard”. On: Tommy, 1969, MCA, MCAD-10801, USA (Vinyl/Album).

Covers

  • Elton John. Pinball Wizard, 1975, DJM Records, DJS 652, UK (7″/Single).
  • Rod Stewart. “Pinball Wizard”. On: Gold, 2005, Mercury, 0602498812648 (CD/Album).
  • McFly. “Pinball Wizard”. On: I’ll Be Ok, 2005, Island, MCSTD 40428, UK (CD/Single).

Movies

  • Tommy. Regie/ Drehbuch: Ken Russell. Universal Pictures, 2001 (1974) (DVD).
  • Women In Love. Regie: Ken Russell. Drehbuch: Larry Kramer. MGM, 2003 (1970) (DVD).

References

  • Atkins, John: The Who on Record: A Critical History, 1963–1998. Jefferson: McFarland & Company 2000.
  • Rolling Stone (Ed.): Rolling Stone’s 500 Greatest Albums of All Time. London: Turnaround 32006.
  • The Music That Changed The World: Part One 1954–1969. In: Q Magazine, Special Edition, January 2004.

Links

  • Band homepage: http://www.thewho.com [08.08.2012].

About the Author

PD Dr. Christofer Jost is research associate at the Zentrum für Populäre Kultur und Musik, University of Freiburg, and teaches media studies at the University of Basel.

Citation

Christofer Jost: “Pinball Wizard (The Who)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/pinball, 08/2012 [revised 07/2014].


Credits

Hauptgesang: Roger Daltrey
E- Gitarre, Westerngitarre: Pete Townshend
E-Bass: John Entwistle
Schlagzeug: Keith Moon
Autor: Pete Townshend
Produzent: Kit Lambert
Aufnahme: 7. Februar 1969
Veröffentlichung: 7. März 1969
Spieldauer: 3:01

Recordings

  • The Who. Pinball Wizard, 1969, Track Record, 59262, UK (Vinyl/Single).
  • The Who. Pinball Wizard, 1969, Decca, 732465, USA (Vinyl/Single).
  • The Who. “Pinball Wizard”. On: Tommy, 1969, Track Record, 613013/4, UK (Vinyl/Album).
  • The Who. “Pinball Wizard”. On: Tommy, 1969, MCA, MCAD-10801, USA (Vinyl/Album).

Covers

  • Elton John. Pinball Wizard, 1975, DJM Records, DJS 652, UK (7″/Single).
  • Rod Stewart. “Pinball Wizard”. On: Gold, 2005, Mercury, 0602498812648 (CD/Album).
  • McFly. “Pinball Wizard”. On: I’ll Be Ok, 2005, Island, MCSTD 40428, UK (CD/Single).

References

  • Atkins, John: The Who on Record: A Critical History, 1963–1998. Jefferson: McFarland & Company 2000.
  • Rolling Stone (Ed.): Rolling Stone’s 500 Greatest Albums of All Time. London: Turnaround 32006.
  • The Music That Changed The World: Part One 1954–1969. In: Q Magazine, Special Edition, January 2004.

Films

  • Tommy. Regie/ Drehbuch: Ken Russell. Universal Pictures, 2001 (1974) (DVD).
  • Women In Love. Regie: Ken Russell. Drehbuch: Larry Kramer. MGM, 2003 (1970) (DVD).

Links

  • Band homepage: http://www.thewho.com [08.08.2012].

About the Author

PD Dr. Christofer Jost is research associate at the Zentrum für Populäre Kultur und Musik, University of Freiburg, and teaches media studies at the University of Basel.
All contributions by Christofer Jost

Citation

Christofer Jost: “Pinball Wizard (The Who)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/pinball, 08/2012 [revised 07/2014].

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