1968
Janis Joplin

Piece of My Heart

PIECE OF MY HEART ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten Songs von Janis Joplin in Zusammenarbeit mit der Band Big Brother & The Holding Company. Hervorstechend sind die psychedelischen Gitarrensoli, die besondere Art der Stimmbehandlung, die Gesangsweise sowie Joplins biografische Bezüge zum besungenen Thema der tragischen Liebe.

I. Entstehungsgeschichte

Der Song wurde ursprünglich von Aretha Franklins älterer Schwester Erma Franklin 1967 unter dem gleichen Titel veröffentlicht. Die Uptown-Soul-Ballade wurde von Jerry Ragavoy und Bert Berns geschrieben und bei Shout Records publiziert, blieb jedoch – nicht zuletzt aufgrund der Schließung des Labels – deutlich weniger erfolgreich als das Cover von Janis Joplin und Big Brother & The Holding Company. Ein Re-Release 1992 in dem Levi’s-Werbespot “Night and Day” brachte Erma Franklins Version späten Ruhm. Die Coverversion von Joplin wurde 1968 bei Columbia Records sowohl auf dem Album Cheap Thrills als auch als Singleauskopplung veröffentlicht. Die Thematik der liebeskranken Frau, die so hingerissen von einem Mann ist, dass sie ihm ein weiteres “Stück ihres Herzens” schenken möchte, wird von Janis Joplin aufgegriffen und im Blues-Rock- bzw. Psychedelic-Rock-Stil neuartig interpretiert. Als Produzent war John Simon tätig, der später unter anderem mit Simon & Garfunkel zusammenarbeitete. Der Gesangspart der Coverversion unterscheidet sich stark von der Originalversion.

Das Album Cheap Thrills sollte eigentlich unter dem Namen “Sex, Dope and Cheap Thrills” veröffentlicht werden, eine Floskel, die in den 1930er Jahren in Filmen als Werbekampagne gegen Marihuana-Sucht verwendet wurde. Das Cover des Albums zeigt eine Comic-Zeichnung, jedoch sollten einer Anfangsidee nach Fotos der Band im Bett eines Hippie-Apartments darauf zu sehen sein. Nachdem die Fotos geschossen worden waren, waren sich die Künstler einig, dass die Fotos zwar unschuldig aussähen, aber nicht die Aussage des Albums widerspiegelten. Robert Crumb wurde anschließend als Zeichner des Covers engagiert.

II. Kontext

Janis Joplin wurde 1934 in Texas geboren und wollte bereits im Alter von 17 Jahren Sängerin werden. Autodidaktisch geschult durch Bluessänger/-innen wie Lead Belly, Odetta Holmes und ihr größtes Vorbild Bessie Smith, schaffte sie schließlich den Durchbruch zur “Queen des weißen Bluesrock”. Ihre extrovertierten Shows und die darin ausgelebte Lebenslust stehen im krassen Gegensatz zur Einsamkeit, Leere und Entfremdung, die die Sängerin empfand. Joplin ist die weibliche Ikone der Rockmusik der 1960er Jahre und neben Jimi Hendrix und Jim Morrison eine der bedeutendsten Personen der Hippie-Kultur. Aufgrund ihres exzessiven Drogenkonsums und des frühen Todes wird das Idol Janis Joplin zum “Klub 27” gezählt (d.h. jener Rock-Heroen, die im Alter von 27 Jahren gestorben sind, wie ferner Jimi Hendrix, Jim Morrison, Brian Jones und Kurt Cobain).

Die Band Big Brother & The Holding Company, mit welcher Janis Joplin erste große Erfolge verbuchte, setzte sich aus den E-Gitarristen James Gurley und Sam Andrew, Peter Albin am Bass und Dave Getz am Schlagzeug zusammen. Im Jahr 1966 bat der Manager der Band, Chet Helms, Joplin, sich den aufstrebenden Musikern anzuschließen. Bis zu ihrem gemeinsamen Auftritt auf dem Monterey Pop Festival 1967 versuchte sie sich in die Band zu integrieren und wurde zur Front-Frau, bis sie zu der Ansicht gelangte, auch als Solokünstlerin erfolgreich sein zu können.

Janis Joplin hatte in ihrem kurzen Leben nur wenige längere Beziehungen und fühlte sich zeitlebens einsam. Getreu ihrem Motto “Live fast, love hard, die young” erschütterte sie die Fundamente der Rockszene und rüttelte an Tabus. Ihre Musik, die Spiegelbild ihres aktuellen Befindens war, drückt gleichzeitig Stolz und Verzweiflung aus: Mit Songs wie “All Is Loneliness”, “A Woman Left Lonely” oder PIECE OF MY HEART thematisiert sie die vergebliche und rastlose Suche nach wahrer Liebe. Schon in der Pubertät fragte sich Joplin, ob sie begehrenswert sei, spielte später das “Bad Girl” mit sexuellen Eroberungen als Party-Sport, zeigte aber selten ihren weichen Kern und das Bedürfnis, aufrichtig geliebt zu werden. Sowohl sexuelle Abenteuer mit Frauen als auch verschiedenste Liebhaber konnten sie nicht von ihrer Verzweiflung und Zerrissenheit lösen, welche sie mit Drogen zu betäuben versuchte. Schikane spielte in Joplins Jugend und ihren Anfängen im Musikbusiness eine große Rolle: Von ihren Peers wurde sie gemobbt, später dann in der Folk-Gemeinde schikaniert. Ihre Verlobung mit Peter de Blanc wurde aufgelöst, nachdem er sie betrogen hatte; sie erholte sich nie von diesen Rückschlägen. In der Öffentlichkeit trat Joplin als sinnliche Frau auf und stand für freie Liebe und Sexualität.

III. Analyse

Die Coverversion von PIECE OF MY HEART handelt, ebenso wie das Original, von einer Frau, die aus leidenschaftlicher Liebe zu einem Mann ein weiteres Stück von ihrem Herzen abbrechen will. Janis Joplin besingt die Intensität weiblicher Liebesklagen und thematisiert die übersteigerten Erwartungen an die Frauen – im Gegensatz zu denen an Männer – als begehrenswerte Sexobjekte. Sie selbst befreit sich von einem klassischen Rollenbild der Frau, hält es aber als Interpretin des Songs aufrecht. Unterschiede zwischen dem Original und der Joplin-Version sind auf den ersten Blick nur marginal. Der Genrebezug wechselt von einer typischen Soul-Ballade zum psychedelischen Blues-Rock, so muss sich die Sängerin nun gegenüber einer Rock-Band-Besetzung behaupten (statt, wie im Original, gegenüber einem durch einen transparenten Piano-Part dominierten Arrangement). Ebenso genrebedingt erhöht sich die Anzahl der Beats per Minute um circa zwei bis drei Schläge auf ungefähr 80 bpm. Der soultypische Background-Chor des Originals wird stark reduziert und findet sich nur im Refrain wieder. Eine Verlängerung durch drei tragende Gitarrensoli von Sam Andrew sowie leichte Textveränderungen, das Beginnen mit einer Wiederholung von “Come on” als Hookline und das Einfügen von Zwischenrufen geben der Version von Big Brother & The Holding Company den letzten Schliff.

Die Songstruktur ist relativ simpel, entspricht aber den Genrekonventionen: zwei Strophen, ein Pre-Chorus und ein gegen Ende mehrmals wiederholter Refrain. Die beiden Strophen werden klanglich geprägt durch eine sehr clean gespielte, wenig verhallte Gitarre: Die Musik steht im Hintergrund, Janis Joplin mit ihrer Interpretation des Textes tritt in den Vordergrund. Sie zeigt in dem Song ihre außergewöhnliche stimmliche Geschicklichkeit. So unterscheidet sich die Singweise in den Refrains und in den Strophen deutlich voneinander, zugleich erfolgt innerhalb des gesamten Songs eine Steigerung der musikalisch-gesanglichen Expressivität.

Das Stück beginnt mit einem eingängigen, verzerrten Gitarrensolo in tiefer Lage und in melodischer Auf- und Abwärtsbewegung. Joplin beginnt noch während des Solos mit der Hookline “Come on, come on, come on, come on”, welche über B-Dur im Song insgesamt noch dreimal vor den Refrains auftaucht, und bereitet durch diese Steigerung die ruhiger gehaltene Strophe vor. Der Pre-Chorus bietet die nötige Energie für den darauffolgenden Refrain: Ein rein männlicher Background-Chor und ein präsentes Schlagzeug zusammen mit einer gegenüber den Strophen höheren Stimme Janis Joplins bilden einen umfassenden, dichten Klang. Mit dem Beginn bei “And each time” wechselt die Harmoniefolge von E-A-B-A zu C#m-B-D-B. Der Textteil “But I’m gonna show you, baby, that a woman can be tough” deutet darauf hin, dass das lyrische Ich bereits einen Teil seines Herzens vergeben hat, nun aber gewillt ist, sich trotz einer möglichen Verletzung wieder auf eine Liebe einzulassen. Die während der Hookline spürbar aufgebaute Steigerung wird mit “Take it!” aufgelöst und kehrt harmonisch zurück in den Tonikabereich E-Dur.

Mit dem Beginn des Refrains ergibt die vorherige Steigerung eine logische Folge, der Text wird klanglich untermauert. Der Background-Chor, welcher schon in der Originalversion Verwendung fand, singt unter dem Rock-Arrangement und betont mit “Oh, oh, take it”, “Oh, oh, break it” und “Oh, oh, have a” Joplins Aussage. Die letzten beiden Zeilen des Refrains heben sich klar von den anderen Inhalten ab: “You know you got it” beinhaltet lediglich ausgehaltene Töne der Band. Das “Makes you feel good” als Unisono-Passage der gesamten Band inkl. Chor bietet mit der kadenzierenden Bewegung von A-Dur nach E/Gis, A/Fis zurück zu E-Dur eine interessante harmonische wie rhythmische Abwechslung.

Das zweite E-Gitarrensolo nach dem zweiten Refrain untermauert die Steigerung, die der Song insgesamt vollzieht: Es ist höher und virtuoser gespielt, jedoch folgt Sam Andrew der gleichen Melodielinie wie beim ersten Mal. In der zweiten Strophe wird die Gitarre ebenso präsent gespielt und unterstützt die spürbare Spannungssteigerung in der Aussage des Songtextes. Ein sechsmaliges Wiederholen von “Never” akzentuiert die besungene Thematik und verdeutlicht, dass der angesprochene Mann die Frau nie hört, wenn sie im Schlaf weint. “When I cry at night” wird zum Wendepunkt der Gefühlsregung. Von einer anfänglich sehnsüchtigen Stimmung, die mit der Hookline als Aufforderung wiedergegeben wird, wechselt Janis Joplin in ihrer Interpretation an diesem Punkt zu einer fordernden Art zu singen und drückt mit “Baby, I cry all the time!” aufkeimende Wut aus. Vor dem letzten Refrain setzt sie vokal den für sie später typischen, mit gepresster Stimme ausgestoßenen Schrei ein und leitet damit den Höhepunkt des Songs ein. Musikalisch wird dieser unterstützt von einer kurzen Improvisation der Sängerin auf dem Wort “Yeah” gegen Ende des Refrains. Die Bedeutung des Textes “Take another little piece of my heart” wechselt von einer anfänglichen Liebesklage zu einem verzweifelten, fast trotzigen Appell und deutet auf eine tieferliegende Verletzung des lyrischen Ichs hin.

Das Cover des Albums Cheap Thrills stellt einen Comic dar, auf dem zu jedem auf der Platte enthaltenen Song ein Bild gezeichnet wurde. Die entsprechende Abbildung zu PIECE OF MY HEART zeigt ein auf einem Teller liegendes stilisiertes Herz mit weit aufgerissenen Augen, welches von einem Mann mit Gabel und Messer bedroht wird. Rückblickend erscheint die Assoziation mit Janis Joplin, der nach außen starken Sängerin, deren Leben abseits der Bühne von Verletzungen, Zerrissenheit und Einsamkeit geprägt war, naheliegend.

IV. Rezeption

Das Album Cheap Thrills war das erfolgreichste Album des Jahres 1968, hielt sich acht Wochen auf Platz eins der Billboard Charts und erreichte innerhalb von drei Tagen Gold-Status. Die Single wurde 500.000 Mal verkauft und kletterte auf Platz 12 der Pop-Charts in den USA. Das Lied war bis zu Joplins Tod 1970 ihr bekanntester und kommerziell erfolgreichster Song, der posthum von “Me and Bobby McGee” abgelöst wurde.

Nach der Trennung von Big Brother & The Holding Company Ende 1968 wurde Janis Joplin mit ihrer neuen Band, zu der ihr der Bassist Peter Albin folgte, mit Negativkritik überhäuft. Man warf ihr vor allem vor, zu sehr den Erwartungen des Publikums entsprechen zu wollen, und zwar auf Kosten der eigenen Authentizität.

Im Jahr 2004 wurden Janis Joplin und Big Brother & The Holding Company bei der “Rolling Stone List of 500 Greatest Songs of All Time” auf Platz 353 gelobt sowie in die “Rock and Roll Hall of Fame’s 500 Songs that Shaped Rock and Roll” aufgenommen. Im Verlauf der Jahrzehnte wurde PIECE OF MY HEART von verschiedensten Musikern quer durch die Genres gecovert und von mehreren Künstlern in die US Top 100 gebracht.

 

ANIKA JANACEK


Credits

Vocals: Janis Joplin
Leadgitarre: Sam Andrew
Rhythmusgitarre: James Gurley
Bass: Peter Albin
Drums: Dave Getz
Musik und Text: Jerry Ragovoy, Bert Berns
Produzent: John Simon
Arrangement: Sam Andrew
Label: Columbia
Veröffentlichung: 1968
Länge: 4:14 Min (Album), 2:43 Min (Single)

Recordings

  • Erna Franklin. “Piece of My Heart / Baby What You Want Me to Do”, 1967, Shout Records, S-221, USA (7”/Single).
  • Big Brother & The Holding Company. “Piece of My Heart”. On: Cheap Thrills, 1968, Columbia, KCS 9700, USA (LP/Album).
  • Big Brother & The Holding Company ft. Janis Joplin. “Piece of My Heart / Turtle Blues”, 1968, Columbia, 4-44626, USA (7”/Single).
  • Janis Joplin. “Piece of My Heart”, On: Joplin in Concert, 1972, Columbia, CBS 67241, UK (LP/Album).
  • Janis Joplin. “Piece of My Heart / Kozmic Blues”, 1972, Columbia, S CBS 3960, UK (7”/Single).
  • Janis Joplin. “Piece of My Heart”. On: Janis Joplin, 1972, Sony, SOPH 39~40 (2xLP/Compilation).

Covers

  • Sammy Hagar. “Piece of My Heart / Sweet Hitchhiker”, 1981, Geffen Records, GEF50059, USA (7”/Single).
  • Faith Hill. “Piece of My Heart”. On: Peace of My Heart, 1993, Warner Bros., 9362-43694-2, Germany (CD/Single).
  • Shaggy ft. Marsha. “Piece of My Heart”. On: Piece of My Heart, 1997, Virgin, VST1647 (12”/Single).
  • Melissa Etheridge. “Piece of My Heart”. On: Greatest Hits: The Road Less Traveled, 2005, Island Records, B00005137-02, USA (CD/Album).
  • Beverley Knight. “Piece of My Heart”. On: Voice: The Best of Beverley Knight, 2006, Parlophone, 0946 359343 2 8, Europe (CD/Compilation).

References

  • Echols, Alice: Janis Joplin. Piece of My Heart – die Biographie. Frankfurt am Main: Fischer 2003.
  • Faulstich, Werner: Rock als Way of Life, Tübinger Vorlesungen zur Rockgeschichte, Teil II 1964-1971. Gelsenkirchen: Rockpaed 1985.
  • Gäsche, Daniel: Born to Be Wild – Die 68er und die Musik. Leipzig: Militzke 2008.
  • Joplin, Laura: Janis Joplin, Ein wildes kurzes Leben – Biographie mit unveröffentlichten Briefen. München: Wilhelm Heyne 1995.
  • Larkin, Colin: The Encyclopedia of Popular Music. 5th Concise Edition. London: Omnibus Press 2011.
  • Salewicz, Chris: 27: Janis Joplin. London: Quercus 2013.

Films

  • Levi’s 501. Directed by Tarsem Singh. Bartle Bogle Hegarty (BBH), London, 1992. URL: http://www.luerzersarchive.com/en/magazine/commercial-detail/levis-501-23691.html [14.05.2018].

Links

Artist homepage. URL: http://www.janisjoplin.com [06.02.2016].

About the Author

Anika Janacek studies Popular Music and Media M.A. at the University of Paderborn. She holds a Bachelor's Degree in Media and Communication of the University of Passau.
All contributions by Anika Janacek

Citation

Anika Janacek: “Piece of My Heart (Janis Joplin)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/pieceofmyheart, 03/2018.

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