1970
Carlos Santana

Oye Como Va

OYE COMO VA hatte einen entscheidenden Einfluss auf die Etablierung von lateinamerikanischer Musik und die musikalischen Entwicklungen in den Vereinigten Staaten und zählt damit zu den bedeutenden amerikanischen Songs des 20. Jahrhunderts. Vor allem durch Carlos Santanas Rockversion aus dem Jahr 1970, einem Cover von Tito Puentes afrokubanischer Tanzmusik OYE COMO VA von 1962, wurde lateinamerikanische Musik einem breiten Rockpublikum vorgestellt. Santanas Fassung ist ein Beispiel für die vielfältigen Ursprünge und Wege, mittels derer lateinamerikanische Musik in den Blickpunkt des Interesses der US-amerikanischen Hörerschaft rückte.

I. Entstehungsgeschichte

OYE COMO VA erschien 1970 auf dem zweiten Album Abraxas der 1966 von Carlos Santana gegründeten Santana Blues Band und 1971 als Singleauskopplung. Das Album Abraxas erreichte in den US-Charts Platz 1. Nicht zuletzt aufgrund der Single-Erfolge von OYE COMO VA und dem Fleetwood Mac-Cover BLACK MAGIC WOMAN wurde Abraxas mehr als vier Millionen Mal verkauft.

Die Besonderheit des Albums liegt in der musikalischen Hybridität von Rock- und Salsa-Elementen, welche charakteristisch für das Genre des Latin-Rock ist. Der Latin-Rock begann als ein kalifornisches Phänomen, dessen Etablierung sich mit Santanas Album Abraxas vollzog. Tito Puentes Komposition OYE COMO VA verleiht Santana das zentrale Latin-Rock-Merkmal, indem er rhythmische Gestaltung und Gesang afrokubanischer Musik mit dominanter E-Gitarre und Hammond-Orgel unterlegt. Viele der anderen Tracks des Albums halten ebenso eine Balance zwischen den beiden Musikformen, wobei die lateinamerikanischen Elemente teilweise subtiler verwendet werden (vgl. Roberts 1999: 191 f.).

II. Kontext

In den 1960er Jahren entwickelte sich Kalifornien zu einem der bedeutendsten Crossover-Zentren in den Vereinigten Staaten. Im Rock war Carlos Santana einer der bekanntesten einer ganzen Reihe von Musikern, die San Francisco in den 1970er Jahren durch ihre Fusionen von Rock-, Jazz- und Latin-Elementen in den Blickpunkt rückten (vgl. ebd.: 184).

Durch Santanas viel beachteten Auftritt beim legendären Woodstock Festival am 16. August 1969 wurden er und seine Band schlagartig einem breiten Publikum bekannt. Santana schrieb selbst über dieses Ereignis in seiner Autobiographie: “Für die meisten Leute war dies der Santana-Moment, verewigt im Film über Woodstock, als Santana ‘Soul Sacrifice’ spielte” (Santana 2015: 215). Der neue Bekanntheitsgrad und die damit einhergehende mediale Aufmerksamkeit trugen sicherlich auch zum kommerziellen Erfolg von OYE COMO VA im darauffolgenden Jahr bei.

Der 1947 in Mexiko geborene Carlos Santana emigrierte 1960 als Jugendlicher mit seinen Eltern nach San Francisco. Bereits in Tijuana hatte Santana sich seit den 1950er Jahren intensiv mit US-amerikanischer Rockmusik beschäftigt. In seiner Fassung von OYE COMO VA interpretierte er Tito Puentes Charanga neu und destillierte dessen spanisch-karibische Empfindungen heraus. Dabei kam ihm seine tiefgehende Kenntnis US-amerikanischer Rockmusik zugute.

Tito Puente (1923-2000) war ein Amerikaner mit puerto-ricanischen Eltern, der in New York geboren und aufgewachsen ist und dort neben lateinamerikanischen auch mit vielen anderen kulturellen Einflüssen in Berührung kam. Er war Teil des Booms der lateinamerikanischen Musik im New York der 1940er und 1950er Jahre. Puente übernahm für sein OYE COMO VA das bekannte Intro von einem älteren Stück namens “Chanchullo” des afrokubanischen Bassisten Israel “Cachao” López.

Santanas OYE COMO VA ist eine Fusion von Tito Puentes afrokubanischer Charanga als musikalischem Grundgerüst und eigenen Rockelementen, die durch den Austausch der unterschiedlichen Kulturen und Enkulturationen der beiden Musiker entstand.

III. Analyse

Der in Dorisch A und im Viervierteltakt aufgebaute Song OYE COMO VA besteht aus einem Intro und fünf Teilen, die von einem kurzen Break voneinander getrennt werden. Seine formale Struktur zeigt sich wie folgt: Intro – Instrumentalthema – Chorus – Instrumentalteil 1 – Chorus – Instrumentalteil 2.

Gespielt von einer Hammond-Orgel beginnt mit dem Intro ein zweitaktiges, rhythmisch prägnantes Motiv, das von einer ebenfalls zweitaktigen Basslinie (E-Bass) unterstützt wird. Nach zweimaliger Wiederholung setzt die Perkussionsgruppe bestehend aus Guiro, Congas und Timbales ein. Schon beim Intro macht sich das Cha-Cha-Cha-Pattern bemerkbar, das nicht nur rhythmisch, sondern auch harmonisch für den strukturellen Aufbau des Songs grundlegend ist. Die repetitive Akkordfolge des Riffs I (Am7) – IV (D9) definiert die harmonische Struktur des Songs. Beim Vergleich mit Tito Puentes Version ist in erster Linie der klangliche Kontrast auffällig: Santana verwendet einen E-Bass anstelle des Kontrabasses; zudem wird das Klavier durch die Hammond-Orgel ersetzt, ein in den 1960er und 1970er Jahren charakteristisches Instrument für Jazz- und Rockbands.

Spätestens beim darauf folgenden achttaktigen Instrumentalthema, beim Einsatz der E-Gitarre und des Schlagzeuges, kristallisiert sich in der Santana-Fassung die klangliche Verwandlung von Puentes Komposition heraus. Der Einsatz der E-Gitarre anstelle der Flöte verleiht dem Song eine neue Klangästhetik, die nicht nur in der Instrumentierung, sondern auch im Stil und in einem instrumentenspezifischen Vokabular spürbar wird. Ebenso ab dem Instrumental-Thema macht sich in der Perkussionsgruppe der afroamerikanische R&B-Sound bemerkbar, der insgesamt Santanas Stil charakterisiert. Auch hier wird ein wesentlicher Unterschied zum Original-Song gesetzt. Mit diesen Klangveränderungen setzt sich der Rock-Sound von Santanas Interpretation durch. Die einfache Melodie des Instrumental-Themas besteht aus zwei Takten und wiederholt sich viermal. Der motivgeprägte zweitaktige melodische Aufbau setzt sich durch den ganzen Song fort, entweder mit Melodien einer Länge von zwei Takten oder mit viertaktigen Phrasen, die aus zweitaktigen Perioden bestehen.

Letzteres ist der Fall bei der nach dem Break auftauchenden und im Chor gesungenen Melodie des Chorus. Die auf pentatonischem Material basierende Melodie ist acht Takte lang. Der Chorus hat einen auffällig kurzen Text, der aus zwei Versen besteht: “Oye como va mi ritmo / bueno pa’ gozar, mulata” (Hör’ mal, wie er geht, mein Rhythmus / Gut zum Genießen, Mulattin). Dieser Text dient als ‘Label’ für das hauptsächlich instrumentale Musikstück. Das Wort “Rhythmus” wird mit den Begriffen “Tanz” und “Genuss” in Verbindung gebracht, die als bezeichnende Merkmale für afro-kubanische Musik stehen sollen und auch mit dem am Anfang des Intros zu hörenden Begriff sabor (Geschmack) in Bezug gebracht werden.

Der Refrain mündet in den Break, der das rhythmische Interlocking des Cha-Cha-Cha-Riffs unterbricht, indem sich die gesamte Band in einem zweitaktigen, rhythmisierten Einklang vereint. Der Break zeigt sich zwischen den Teilen identisch, mit Ausnahme des ersten und des letzten Erscheinens, deren Dauer vier Takte zählt.

Der Instrumentalteil 1 hat bei Santanas Version eine Dauer von 64 Takten. Er ist wesentlich länger als bei Tito Puentes Aufnahme, auf der er sich über 24 Takte erstreckt. Puente stellt die Stärke der Bläsergruppe beim Charanga-Orchester in den Vordergrund. Im Gegensatz dazu fokussiert Santana die Individualität sowie die Rock-Merkmale und Kreativität der Band. Der Anfang wird von der E-Gitarre gestaltet. Nach 20 Takten setzt ein chromatisch geprägtes Gitarrenmotiv ein, das bei jeder der drei Wiederholungen von der gesamten Band unisono beantwortet wird. Nach zweimaliger Wiederholung des Riffs spielt die Gitarre ein Interludium von sechs Takten und unmittelbar nach dem Break tritt ein virtuoses 20-taktiges Hammondorgel-Solo auf.

Auf das Break erfolgt erneut der achttaktige Refrain und anschließend ertönt der Instrumentalteil 2 mit einer Länge von 24 Takten. Während sich bei Tito Puente das gesamte Charanga-Orchester mit übereinander gelagerten Motiven entfaltet und gleichzeitig die charakteristische Flöten-Improvisation der Charanga erklingt, zeigt Carlos Santana im zweiten Instrumentalteil, ausgehend von Motiven aus Puentes Komposition, sein Können auf der E-Gitarre mit Effekten und instrumentenspezifischem Vokabular des Rockmusikstils. Schließlich vereint sich die Band zum letzten Mal in einem viertaktigen Break, der den Song abschließt.

IV. Rezeption

Carlos Santanas Rock-Version zu OYE COMO VA hielt sich zehn Wochen lang in den Billboard Top 100 Charts und erreichte dort im Februar 1971 seine Höchstplatzierung mit Platz 13. Außerdem wurde der Song 2001 in die Latin Grammy Hall Of Fame aufgenommen. Es existieren diverse Coverversionen von OYE COMO VA. Neben Carlos Santanas sowie Tito Puentes Fassung zählt Celia Cruz’ OYE COMO VA aus dem Jahr 2002 zu den bedeutenden Versionen dieses Songs.

 

MARIA BADER und GUILLERMO E. VELEZ PARDO


Credits

Guitar, vocals: Carlos Santana
Vocals (guest): Rico Reyes
Keyboards, piano, lead vocals: Gregg Rolie
Bass: David Brown
Drums: Michael Shrieve
Percussion, conga, timbales: Jose “Chepito” Areas
Percussion, conga, vocals: Mike Carabello

Recordings

  • Santana. “Oye Como Va”. On: Abraxas, 1970, Columbia, KC 30130, USA (Vinyl/Album).
  • Tito Puente. “Oye Como Va”. On: El Rey Bravo, 1962, Tico Recording Company, SLP-1086, USA (Vinyl/Album).

References

  • Avant-Mier, Roberto: Rock the Nation. Latin/o Identities and the Latin Rock Diaspora. London, New York: Bloomsbury 2010.
  • Stacy, Lee (Ed.): Mexico and the United States, Vol. 1. New York: Marshall Cavendish Corp 2003.
  • Loza, Steven: Tito Puente and the Making of Latin Music. Champaign: UI Press 1999.
  • Pacini Hernández, Deborah: Oye Como Va! Hybridity and Identity in Latino Popular Music. Philadelphia: Temple University Press 2010.
  • Perone, James: Woodstock. An Encyclopedia of the Music and Art Fair. Westport/U.S.: Greenwood Publishing Group 2005.
  • Roberts, John Storm: The Latin Tinge. The Impact of Latin American Music on the United States. New York: Oxford University Press 1999.
  • Santana, Carlos: Der Klang der Welt. Mein Leben. München: Riva 2015.
  • Slavicek, Louise Chipley: Carlos Santana. The Great Hispanic Heritage. New York: Chelsea House Publishers 2006.
  • Sullivan, Steve: Oye Como Va (1962) – Tito Puente & His Orchestra. Recorded for Tico c. 1962 (NPR-100, World-#7). In: Encyclopedia of Great Popular Song Recordings, Vol. 1. Ed. by Steve Sullivan. Lanham: Scarecrow Press 2013, 476-477.
  • Waxer, Lise (Ed.): Situating Salsa. Global Markets and Local Meaning in Latin Popular Music. New York: Psychology Press 2002.
  • Yglesias, Pablo: Oye Como Va. Latin Rock 1960s-1970s. In: ¡Cocinando! Fifty Years of Latin Album Cover Art. Ed. by Pablo Yglesias. New York: Princeton Architectural Press 2005.

About the Authors

Analysis written in a course of Prof. Dr. Nils Grosch at the University of Salzburg.
All contributions by Maria Bader
Analysis written in a course of Prof. Dr. Nils Grosch at the University of Salzburg.
All contributions by Guillermo E. Velez Pardo

Citation

Maria Bader and Guillermo E. Velez Pardo: “Oye Como Va (Santana)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/oyecomova, 03/2017.

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