1997
Sens Unik vs. Die Fantastischen Vier

Original

Der Song ORIGINAL zeigt auf, dass für Musiker (im HipHop im Speziellen und auch für Künstler im Allgemeinen) das Streben nach Originalität immer noch ein zentraler Punkt ist, der mit ganz unterschiedlichen Strategien und Argumenten beansprucht wird.

I. Entstehungsgeschichte

Der Song ORIGINAL entstand als Koproduktion der deutschen HipHop-Band Die Fantastischen Vier aus Stuttgart sowie Sens Unik aus Lausanne. Die Raps lieferten Michael Schmidt (“Smudo”) und Michael Beck (“Hausmarke”) auf deutscher und Carlos Leal (“Carlos”) und Samy Gharssali (“Rade”) auf schweizerischer Seite. ORIGINAL wurde zuerst 1997 als gemeinsame Single und 1999 dann als Musikvideo (auf dem auch die anderen Bandmitglieder mitwirken) als Bonusmaterial auf den nächsten Alben beider Bands veröffentlicht (Sens Unik: Propaganda (Best Of); Die Fantastischen Vier: 4:99). Die Kooperation drückt auch das enge Verhältnis der beiden Bands aus, steht Sens Unik doch bei dem von den Fantastischen Vier gegründeten Label Four Music unter Vertrag, was auch im Rap explizit thematisiert wird (“signé four”).

II. Kontext

ORIGINAL behandelt gleichzeitig die künstlerische Suche nach Originalität im Allgemeinen und reflektiert im Speziellen die Situierung beider Bands in Bezug auf das amerikanische HipHop-Vorbild und ihren beiden nationalen und lokalen Musikszenen. Während sich die Rapper von Sens Unik in erster Linie von dem “gangsta rap” abgrenzen, geht es Michael Beck um die Auseinandersetzung mit dem Vorwurf der Kommerzialisierung der HipHop-Kultur, die oftmals an die Adresse der Fantastischen Vier gerichtet war. So schreiben Verlan und Loh rückblickend zur Entstehung des HipHop in Deutschland: “Die Fantastischen Vier hatten außer ihrer Liebe zur Rapmusik mit den Jugendlichen, die die HipHop-Szene in Deutschland aufgebaut haben, so gar nichts gemein. Und dennoch wurden sie nach außen hin zu den Repräsentanten dieser neuen Musik” (Verlan 2002: 44). Die Fantastischen Vier hatten von Beginn an als Gruppe des Majorlabels Columbia/Sony einen großen kommerziellen Erfolg, bedingt durch die Massentauglichkeit ihrer Lieder und die Anpassung an den deutschen Musikmarkt. Ganz im Gegensatz zu ihren Kontrahenten der ersten Stunde, etwa Advanced Chemistry, die in Alte Schule beispielsweise den HipHop nach alter amerikanischen Tradition propagieren und versuchen die Fantastischen Vier als “fake MCs” (also Möchtegern-Rapper) und Produzenten von “Poprapscheiß” zu treffen. Der Vorwurf des “Sellouts”, d.h. dass die Ideologie des HipHop verraten wird, die eigene Autonomie aufgegeben wird, um sich den Gesetzen des Musikmarktes zu unterwerfen und nur bestehende Bausteine der Popmusik zu kopieren, zeigt, wie wichtig für den HipHop die diskursive Verhandlung ist, wer kopiert und wer als Original gelten darf.

III. Analyse

Die Bedeutung des Terminus “original” ist vielschichtig. Zu den seit dem 13. Jahrhundert belegten Bedeutungen Herkunft und Ursprünglichkeit des ursprünglich französischen Begriffs, kamen im 15. Jahrhundert die medienspezifischen Eigenschaften Nicht-Kopie und Nicht- Reproduktion und im 18. Jahrhundert durch die “Querelle des anciens et des modernes” die fortan kontrovers definierte Qualität Originalität, durch das Originalgenie im 19. Jahrhundert schließlich die Notion der Authentizität hinzu (vgl. Hörner 2007: 73-91). Im Song fungiert das Attribut als Sammelbegriff für alle diese Aspekte und als gemeinsamer Nenner aller Rapper, die sich (im doppelten Wortsinn) als Original produzieren.

Der Schlagzeugrhythmus ist auffällig einfach, und in seiner Betonung auf der zweiten und vierten Zählzeit durch die Snare Drum – bei geraden Achteln, die von der HiHat gespielt werden – im Grunde ein typischer Rockrhythmus.

“Originell” wird dies in musikalischer Hinsicht erst durch die Basslinie, die am Ende der beiden Takte um eine Sechzehntelnote versetzt gespielt wird und Spannung zu dem geraden Rockrhythmus aufbaut, sowie durch verschiedene andere Spuren, wie Hammondorgel, diverse Soundeffekte, Scratchings und zwei Cuts, in denen “original” sowie “keep it real” in US-amerikanischer Aussprache zu hören ist. Der kurze Cut, der auch im Booklet durch Anführungsstriche gekennzeichnet ist (“‘keep it real’ glatt gelogen”) dient so dazu, das Kopieren des HipHop aus Amerika als unauthentisch darzustellen, obwohl die Forderung des “keep it real” im Diskurs des US-HipHop gerade die nach Authentizität ist: “Nigga gotta keep my shit real” heißt es in dem ein Jahr vorher erschienen Stück “Keep it real” von MC Rens Album Da Villain In Black (1996). Michael Beck unterstellt so, dass die anderen, von denen er sich als Original abgrenzen will, durch originalgetreues Kopieren einer Inszenierungspraktik, die sich als authentisch versteht, oder sich zumindest als solche darstellt, eben keine Authentizität mehr erreichen. Die Verinnerlichung des amerikanischen “keep it real”, so wird suggeriert, führt im Gegenteil zum Verlust der eigenen Glaubwürdigkeit.

Doch nicht nur von der Nachahmung des US-Vorbilds, auch vom Gangsta Rap selbst wird sich distanziert: “Je ne suis pas celui qui boite, qui shoote, porte-lame pour imiter les quainris” (im Booklet übersetzt mit: “ich gehör nicht zu denen die hinein schiessen oder messer tragen um so zu sein wie ein amerikaner”) beginnt Rade seinen Rap. So grenzt er sich von der Gewaltverherrlichung der “quainris” – die umgangssprachliche Bezeichnung (im Französischen “verlan” genannt, da es die Silben vertauscht) für “américains” – ab, und inszeniert sich selbst als Original, da er andere nicht kopiert. Ähnlich deutlich wird auch Carlos: “aucune nécessité de poser accompagné de femelles siliconées me versant du champagne” (im Booklet: “kein bedarf für eine show mit silikon aufgeblasenen weibchen die mir den champagner reichen”). Auch hier besteht die Strategie darin, Klischees des amerikanischen Gangsta Raps zu evozieren, und diese grundsätzlich als “typisch amerikanisch” darzustellen, schließlich folgert Carlos, dass er nicht den amerikanischen Traum teilt (“non, je n’incarne pas le rêve américain”). Der Gangsta Rap wird als ein Symptom einer abgelehnten amerikanischen Lebensart präsentiert und zu einem Klischee verballhornt, das in dieser Verzerrung eher komisch als original-authentisch erscheint. Original-Sein wird dadurch produziert, indem der eigenen kulturellen Vielfalt eine banale Klischee-Kultur gegenübergestellt wird.

Diese kulturelle Vielfalt – die geografische und kulturelle Herkunft, welche die ursprüngliche Bedeutung des französischen Wortes “original” ist – wird auch in der visuellen Gestaltung des Musikvideos verdeutlicht. In der Bildsprache des Musikvideos wird durch Splitscreen recht augenfällig symbolisiert, dass die Rapper nicht durch eine gemeinsame Herkunft vereint sind, sondern dass gerade die Unterschiedlichkeit ihrer Herkunft als ihr gemeinsamer Nenner fungiert: Alle Rapper machen sich von unterschiedlichen Orten mit unterschiedlichen Fortbewegungsmitteln auf den Weg, um am Ende auf der Bühne zusammenzufinden, auf der in großen Lettern das Wort ORIGINAL geschrieben ist.

Die Eigenschaften des Originals, vorgängig zu sein und die Vorlage einer Kopie zu bilden, werden insbesondere bei dem Rap von Hausmarke eng miteinander verknüpft. Dem oben erwähnten Sellout-Vorwurf begegnet er mit einer dialektisch anmutenden Argumentation: “there’s nothing like viva wie wahr wenn sonst nichts anderes passiert ich hab meinen sogenannten Sellout damals selber kreiert”. Durch dieses Paradox, da der Vorwurf des Sellouts ja gerade Uneigenständigkeit impliziert, wird suggeriert, dass Hausmarke nicht herrschende Marktgesetze kopiert, sondern neue erschaffen hat. Dies mag zumindest für die spätere Geschichte der Band seine Berechtigung vor dem Hintergrund des eigenen Labels “Four Music” erhalten. So kann Michael Beck sich als “original” produzieren, indem er darauf verweist, dass er seine Musik bis hin zu den marktwirtschaftlichen Aspekten selbst erschaffen und nicht kopiert habe.

Eng damit verbunden ist die Strategie, die anderen Rapper als Kopisten darzustellen, um so den Wert der eigenen Ursprünglichkeit noch zu steigern. So heißt es im Rap weiter: “was ihr hier probiert ist kopiert und läuft noch wie geschmiert”. Während die anderen also – um im ganzen Rap verwendeten kulinarischen Wortfeld zu bleiben – als geschmacklose Kopisten dargestellt werden, versucht sich Beck als Original mit gutem Geschmack zu profilieren: Der Ausdruck “hausgemacht schmeckt´s am besten” spielt dabei mit seinem Nicknamen “Hausmarke”.

IV. Rezeption

Der Song hatte als Single kommerziellen Erfolg und erreichte Platz 27 der schweizerischen und Platz 73 der deutschen Single-Charts. Innerhalb der HipHop-Kultur wurde er hingegen weniger rezipiert. Vielmehr wirkt er wie ein spätes Echo der Auseinandersetzung innerhalb der deutschen HipHop-Kultur zwischen den Fantastischen Vier und sich als “authentischer” auffassenden Hiphop-Acts, wie etwa Advanced Chemistry oder Rödelheim-Hartreim-Projekt Mitte der 1990er Jahre.

FERNAND HÖRNER


Credits

Raps: Carlos Leal, Samy Gharssali, Just One, Michael Deejot Beck, Michael Schmidt
Produzent: Just One
Co-Produzent: Peter Hoff
Veröffentlichung: 1997 (Single)
Länge: 4:21 (Album Version)
3:56 (Music Video)

Recordings

  • Sens Unik vs. Die Fantastischen Vier. “Original”. On: Original, 1997, Four Music, FOR 6649132, Deutschland (CD/Single).
  • Sens Unik vs. Die Fantastischen Vier. “Original”. On: 4:99, 1999, Four Music/ Columbia, Musikvideo als Bonus Track auf: Die Fantastischen Vier: 4:99, 1999, 4942386, Deutschland (CD/Music Video).

Covers

  • MC Ren. “Keep it Real”. On: Da Villain In Black, 1996, Ruthless Records, REL 4839001, Europa (LP/Album).

References

  • Verlan, Sascha/Loh, Hannes: 20 (+2) Jahre HipHop in Deutschland. Höfen: Hannibal 2002.
  • Hörner, Fernand: Original à tous les sens. Aspekte des Sich-Produzierens als Original in einem Musikvideo von Sens Unik. In: Hip-Hop und Rap in romanischen Sprachwelten. Stationen einer globalen Musikkultur. Ed. by Timo Skrandies, Susanne Stemmler. Frankfurt/M.: Lang 2007, 73-91.

Links

  • Huey, Steve. Ice-T: O.G. Original Gangster. URL: http://ubl.artistsdirect.om/store/album/0„106029,00.html [1.07.2004].
  • http://hitparade.ch/showitem.asp?interpret=Sens+Unik+vs.+Die+Fantastischen +Vier&titel=Original&cat=s [31.10.2011].
  • Band homepages: http://www.fourmusic.com/fourmusic/artists/sensunik/
    http://www.diefantastischenvier.de/ [31.10.2011].
  • Database: http://www.discogs.com/search?q=original+sens+unik&btn=&type=all [31.10.2011].
  • Download: http://www.musicload.de/sens-unik-feat-die-fantastischen- vier/original/musik/single/8230312_4 [31.10.2011].
  • Musicvideo: http://www.clipfish.de/video/408632/die-fantastischen-vier-vs-sens-unik- original/ [31.10.2011].
  • Lyrics: http://www.lyricstime.com/die-fantastischen-vier-original-lyrics.html [31.10.2011].

About the Author

Prof. Dr. Fernand Hörner teaches Culture, Aesthetics, Media at the Faculty of Social Sciences and Cultural Studies at the University of Applied Sciences Düsseldorf. He is as well Co-Editor of the Encyclopedia of Songs.
All contributions by Fernand Hörner

Citation

Fernand Hörner: „Original (Die Fantastischen Vier/Sens Unik)“. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/original, 08/2012 [revised 10/2013].

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