1990
Sinéad O'Connor

Nothing Compares 2 U

Song und Video der Trennungs-Ballade NOTHING COMPARES 2 U von Sinéad O’Connor zeichnen sich durch eine zugängliche emotionsträchtige Performance aus.

 

I. Entstehungsgeschichte

Sinéad O’Connors Cover von NOTHING COMPARES 2 U erschien am 8. Januar 1990 als zweite Single-Auskopplung ihres zweiten Studio Albums I Do Not Want What I Haven’t Got. Der Song stammt ursprünglich aus der Feder von Popikone und Universalgenie Prince, dessen Ballade “Purple Rain” bereits 1984 einen Welterfolg erzielt hatte. Prince schrieb NOTHING COMPARES 2 U für sein damaliges Jazz-Funk Seitenprojekt The Family (vgl. Gilbert 2015: o. S; Dimery 2010: 633). Das gleichnamige Debütalbum der Band, darauf NOTHING COMPARES 2 U und sieben weitere Tracks, wurde 1985 über Princes Plattenlabel Paisley Park Records veröffentlicht. Durch mangelnde Werbemaßnahmen wie auch Live-Auftritte fanden Album und Bandprojekt keine nachhaltige Beachtung. So auch der Song NOTHING COMPARES 2 U, der nicht als Single ausgekoppelt wurde. Die Inspiration für das Portrait eines Beziehungsendes zog Prince aus einem Trennungsprozess, den eines seiner Bandmitglieder zu dieser Zeit durchlief (vgl. Buskin 2012: o. S.). Dennoch schien Prince eine persönliche Verbindung zu der Ballade zu haben und bestand auf den alleinigen Credits daran (vgl. Dimery 2010: 633). Fünf Jahre später erlangte Sinéad O’Connor mit ihrer Coverversion von NOTHING COMPARES 2 U internationalen Erfolg. Die bezeichnende Schreibweise des Originals wurde als Reminiszenz an Prince in Titel und Lyrics weitergeführt. Der Song wie auch das über Ensign / Chrysalis Records veröffentlichte Album I Do Not Want What I Haven’t Got entstanden in der Zusammenarbeit mit dem britischen Musikproduzenten Nellee Hooper (vgl. Gilbert 2015: o. S.). Unter Regie des Filmemachers John Maybury wurde ein Musikvideo produziert, das besondere Aufmerksamkeit erfuhr, da O’Connor darin zu weinen beginnt.

 

II. Kontext

O’Connor hatte bereits 1987 ihr erstes Studioalbum The Lion and The Cobra via Ensign / Chrysalis Records veröffentlicht, das vorwiegend in Independent-Kreisen Anklang fand (vgl. Gauger 2017: o. S). Mit ihrer rebellischen Attitüde, kahlgeschorenem Kopf und provokanten Kommentaren machte sich die irische Künstlerin schon vor NOTHING COMPARES 2 U einen Namen in der internationalen Pop-Szene. Sie erweckte auch weiterhin mediale Aufmerksamkeit, als sie 1990 nicht auftreten wollte, wenn die amerikanische Nationalhymne vor ihrer Performance gespielt werden würde. Zwei Jahre später zerriss sie bei einem Auftritt in der Show Saturday Night Life ein Foto von Papst Johannes Paul II, um auf Kindesmissbrauch im Rahmen der katholischen Kirche aufmerksam zu machen (vgl. Hilburn 2009: o. S.). In der Tradition von Patti Smith verkörpert O’Connor mit der jungen, wütenden und konfrontationssuchenden Künstlerin das Aufkommen eines neuen Frauenbildes in der Rock-Alternative-Szene der frühen 90er Jahre, dessen Image kurze Zeit später in der politisch und feministisch agierenden Riot Grrrl-Bewegung gipfelte. Mit ihren bis dato acht Folgealben konnte O’Connor allerdings nicht weiter an die Verkaufszahlen von I Do Not Want What I Haven’t Got anknüpfen (vgl. Gilbert 2015: o. S.). Nach dem durchschlagenden Erfolg von NOTHING COMPARES 2 U nahm sich Prince seiner Ballade wieder an und setzte sie auf die Setlist seiner Live-Shows (vgl. Dimery 2010: 633) bis zu seinem überraschenden Tod im April 2016.

 

III. Analyse

O’Connors Interpretation von NOTHING COMPARES 2 U generiert im Zusammenspiel der Ebenen Text, Musik und Video ein kongruentes Stimmungsbild, dessen Tenor sich maßgeblich an den lyrischen Kernaussagen des Originalsongs orientiert.

Die Ballade thematisiert den Verlust einer geliebten Person aus der Perspektive eines trauernden lyrischen Ichs. Ein lyrisches Du als solches wird wiederholt adressiert, der Text gleicht allerdings generell einem subjektiven Erzählprozess, der den emotionalen Zustand des lyrischen Ichs beschreibt. Dessen Wahrnehmungsspektrum wird mit Beginn der ersten Strophe in medias res veranschaulicht: “It’s been seven hours and fifteen days, since U took your love away” (Liner Notes, LP Inlay I Do Not Want What I Haven’t Got). Das verlassene lyrische Ich empfindet eine zurückliegende Trennung als einschneidendes und bis dato emotional präsentes Erlebnis, das auch sein aktuelles Handeln bestimmt. Es versucht, dem Trennungsschmerz zu entkommen (“I go out every night and sleep all day”), jedoch scheitern jegliche Kompensationsbemühungen, die Erinnerungen an die geliebte Person zu verdrängen und sich abzulenken (“[…] I can do whatever I want. I can see whomever I choose. […] But nothing, I said nothing can take away these blues”). Konfrontiert mit seiner lähmenden Ohnmacht folgert das lyrische Ich im Refrain, dass keine andere zwischenmenschliche Beziehung oder weltliche Freude die geliebte Person, respektive die Gefühle des Ichs für diese Person, ersetzen kann (“Nothing compares 2 U”). Ferner werden mit Einsamkeit, Hemmung und Zweifeln zum eigenen Verschulden des Verlusts weitere grundlegende Gefühlserscheinungen aus dieser subjektiven Erfahrungswelt porträtiert. Eine Form von Perspektivwechsel findet sich lediglich in der Meinung eines weiteren Akteurs, einem aufgesuchten Arzt. Dieser sieht in emotionalem Schmerz kein Krankheitsäquivalent und verordnet Spaß und Leichtigkeit als Medizin: “He said, ‘Girl, you better try to have fun no matter what you do’, but he’s a fool”. Wie die abwehrende Reaktion und die Metapher verwelkter Blumen aber verdeutlicht (“All the flowers that you planted, mama, in the backyard, all died when you went away”), liegt die Medikation Lebensfreude außerhalb des möglichen Handlungsspektrums des Ichs, sodass es in seiner schmerzerfüllten Subjektiven verharrt. NOTHING COMPARES 2 U repräsentiert so verschiedene emotionale Facetten des Spannungsfeldes Liebe und Trennung in subjektiver Bedeutung und schafft damit einen gefühlsschweren Stimmungseindruck. Der Song zeichnet das Bild einer intensiven Gefühlserfahrung, die von vielen Menschen meist schon in jungen Jahren durchlaufen wird. Mittels der leicht verständlichen Wortwahl wie auch dem Gerüst einer lyrischen Ich-Du-Beziehung ist er auf textlicher Ebene zugänglich für eine alters- und geschlechterübergreifende Identifikation und damit auch für die Rezeption als populäres Musikprodukt.

Auch durch das Wechselspiel von Strophe (A-Teil) und Refrain (B-Teil) folgt NOTHING COMPARES 2 U formal dem Aufbau eines klassischen Popsongs. Die 05:10 Minuten lange Ballade strukturiert sich nach dem Formschema Intro A A’ B A”A”’ B” Interlude A’ B’B’B’ Outro im 4/4 Takt. Ein zweitaktiger Anklang in F-Dur (Intro) leitet den je achttaktige Akkordwechsel der ersten Strophe (A) ein (2x F│C│Dm│F C7sus4). Dieses Grundschema wird in den weiteren Strophen im vierten und achten Takt leicht variiert (Bsp.: A”:│F C7sus4│→ F C│; │Bb│), jedoch nur merklich hörbar, wenn die Strophe den Refrain einführt (Bsp. A”’: │F C7sus4│→│F C│; │A│). Eine ähnliche Variation findet sich im je viertaktigen Refrain, der in zweiter Version (B’) auch die Akkordfolge des instrumentalen Outros bestimmt (B: Eb Bb│Eb Bb│C│C; B’: Eb Bb│Dm C│C│C). Weiterhin zeichnet sich NOTHING COMPARES 2 U musikalisch besonders durch das mittlerweile ikonische, synthetisch erzeugte String-Arragement aus, das den Backingtrack von Beginn bis Ende grundiert (vgl. Buskin 2012: o. S.). In den ersten beiden Strophen wird dieser durch punktuelle Downbeat-Klavierakkorde (00:35) (vgl. ebd.) und fortlaufendes Schlagzeug-Spiel (00:55) abgerundet. Der Song wird ferner lediglich in einzelnen Sequenzen durch Streicher-Elemente ergänzt (A”’, Interlude). Generell schaffen die streicherlastige Instrumentierung, das gemächliche Tempo wie auch die Grundstimmung des Songs, eine Auskleidung in F-Dur und Molltönen, einen atmosphärischen Klangteppich, der unweigerlich an das Stimmungsbild der Lyrics anknüpft. Die darin dargelegten Parameter Trauer, Einsamkeit und Gefühlsschwere werden so über kulturell bedingte Kompositions- und Hörkonventionen auch ins Musikalische übersetzt. Als prägnantestes stimmungsbildendes Instrument fungiert allerdings Sinéad O’Connors expressiver Gesang. Ihre variable Stimme rhythmisiert und dramatisiert den stetigen Klanghintergrund durchweg mittels Intonation, Aussprache und Lautstärke, sodass der Songtext einen sinngemäßen klanglichen Ausdruck findet.

Daher erfährt die Anbindung an O’Connors Stimme auch in der visuellen Umsetzung besondere Aufmerksamkeit. Das Musikvideo zu NOTHING COMPARES 2 U konstituiert sich aus zwei alternierenden Bildebenen: Während O’Connor einerseits in einer Montage diverser Einstellungen allein im Pariser Parc de Saint-Cloud spaziert, zeigt die zweite und deutlich prägnantere Ebene eine Großaufnahme ihres Gesichtes als Performance-Video beim Singen. Dieses Wechselspiel wird direkt mit Beginn des Videos etabliert: Das zweitaktige Streicherintro erklingt; der Establishing Shot, eine Totale in leichter Aufsicht, zeigt einen von Laubbäumen gesäumten Parkweg, welcher von einer schwarzgekleideten Gestalt überquert wird. Mittels Überblendungen mündet das Bild zunächst in die Ansicht einer Wasseroberfläche, in der sich erneut die vorbeigehende Gestalt spiegelt, dann in die eines Kalksteinbrunnens am Rande des Wasserbeckens. Zwei darauf sitzende Tauben fliegen synchron zum Anklang des Strophenakkords in den Himmel (vgl. Gilbert 2015: o.S.). Mit dem Einsatz des Gesangs löst sich das Bild in einer langsamen Überblendung auf und gibt O’Connors Antlitz vor einem schwarzen Hintergrund vorsichtig zu erkennen (0:08). Singend hebt sich ihr nach unten gerichteter Blick und fokussiert die Kamera.

Sowohl durch diesen für Musikvideos oftmals typischen Bruch mit der vierten Wand, bei dem die Zuschauer*innen und Hörer*innen direkt adressiert und dem*der Interpret*in ein performativer Freiraum eingeräumt wird, als auch über die mimik-fokussierte Inszenierung des Gesangs beginnt mit der Großaufnahme-Sequenz ein unmittelbarer Kommunikationsprozess mit den Rezipient*innen. Dabei wird sich weiterhin am Stimmungsrepertoire der Lyrics bedient. O’Connor, wie gewohnt kahlgeschoren, trägt einen schwarzen Rollkragenpullover, sodass sich ihr Torso nur unmerklich vom Hintergrund absetzt (vgl. Gilbert 2015: o. S.). Obwohl das Bild nach der Überblendung substanziell an Dichte gewinnt, verbleibt ein Eindruck von Transparenz und Zerbrechlichkeit. O’Connors hell ausgeleuchtetes, blasses Gesicht verleiht ihr einen abwesenden, flüchtigen Anschein, der besonders durch den das Bild bestimmenden Schwarz-Weiß-Kontrast hervorgehoben wird. Dieser Eindruck wird weiterhin in Text und Mimik unterstützt: Mit den Worten “Since you took your love away” wandert ihr Blick wiederholt nach unten, als schwinde ein Teil von ihr mit der bedeuteten Liebesentbehrung (00:15; 00:31). Dass dieses wiederkehrende Dahinschwinden bewusster Teil des audiovisuellen Erzählprozesses ist, wird deutlich, als sich ihr Blinzeln mit dem Anschlag der Downbeat-Klavierakkorde synchronisiert und der Blick wieder zurück in die Kamera gerichtet wird (00:37). Auch im weiteren Verlauf bleibt dieses Blick-Spiel mit der Kamera ein grundlegendes Element der Performance. Zudem gewinnen O’Connors eingangs noch zarte Stimme wie auch scheue Mimik zunehmend an Intensität und Expressivität und transportieren so den Emotionsgehalt des Texts. Mit Einsatz des Schlagzeugs am Ende der zweiten Strophe steigert sich das lyrische Ich im textlichen Verlauf in seine Lage hinein: “I can eat my dinner in a fancy restaurant” (00:56). So auch O’Connor. Ihre Stimme erklingt lauter und aufgebrachter. Sie verzieht aggressiv den Mund, ohne den Blick von der Kamera abzuwenden. Erst beim Wechsel von Brust- zu Kopfstimme (“restaurant”) schließt sie empfindsam die Augen, um anschließend wieder mit voriger Dramatik den Refrain einzuleiten. Einem ähnlichen Steigerungsprinzip folgt ihre Performance in Strophe drei und vier. Analog zu den Aussagen des lyrischen Ichs oszilliert O’Connor zwischen empfindsamer Zerbrechlichkeit (“It’s been so lonely without you here”; 01:28) und verzweifeltem Schmerz (“Tell me Baby, where did I go wrong”, 01:54). Letzterer findet seinen expressiven Höhepunkt, als O’Connor in energisch wütender Manifestation den Ratschlag des Arztes an das lyrische Ich vertont (02:16) und den Refrain daraufhin mit selber emotionaler Intensität performt (02:31) (vgl. Gilbert 2015: o. S.).

Dementgegen prägt die andere Bildebene ein weitaus meditativerer Duktus. Beispielsweise findet sich während des Zwischenspiels das Prinzip Einsamkeit versinnbildlicht. Die Montagesequenz zeigt O’Connor allein und oft nur gestalthaft an einem sonnigen Wintertag im Parc de Saint-Cloud. In einen langen, schwarzen Mantel gehüllt sitzt sie nachdenklich an einem von Säulen gerahmten Steintreppenaufgang (20:41), passiert ein Steingeländer (02:44), verweilt mit abgeschweiftem Blick an einem solchen (02:52) oder wandert bedächtig Treppenstufen auf und ab (03:11). Weiterhin sind die Passagen mit Einstellungen angereichert, die die Objekte und Atmosphäre der Umgebung in Szene setzen. Motivisch steht hier die Materialität und damit der symbolische Charakter von Stein im Fokus. Neben den Treppen und Monumenten des Parks sind wiederholt die Ansichten von Steinstatuen, oftmals im Kontrast männlich und weiblich, arrangiert (02:46), sodass auch auf visueller Ebene metaphorisch ein textkonformer Eindruck evoziert wird: Die massiven, überdauernden und unvergänglichen Figuren erinnern an die Bedingungslosigkeit der Aussage “Nothing Compares 2 U” des lyrischen Ichs. Ferner finden sich im Bildgehalt des diegetischen Raums Park explizite Motive der im Song tradierten Stimmung: Vanitas-Motive wie kahle Bäume und zu Boden fallende Blätter (01:39) visualisieren das Moment des Verlusts, während O’Connor “Nothing can’t stop these lonely tears from falling” singt; das “Motiv der in die Hand gestützten Wange” (Kilbansky/Panofsky/Saxl 1990: 409), welches in Variationen am Ende des Videos gezeigt wird (04:25), gilt als kulturgeschichtlich determinierter Repräsentationsmodus des Phänomens Melancholie.

Auffällig ist, dass wiederholt Doppel- und Mehrfachbelichtungen statt reiner Überblendungen als Scharniere für den Wechsel zwischen den Ebenen der Großaufnahme O’Connors und der des Parks fungieren. Hierbei werden zwei oder mehrere photographische Ebenen in der Bildstruktur geschichtet, sodass sich auch deren Bedeutungsgehalt synthetisiert. Das Stilmittel dient sowohl im filmgeschichtlichen Kontext als auch im Beispiel NOTHING COMPARES 2 U der Funktion, subjektive Wahrnehmung zu visualisieren (vgl. Wulff 2012a; ebd. 2012b). Da die Großaufnahme wiederholt die Basis der Belichtungen bildet (00:47; 01:39), können der Spaziergang im Park und die dort aufzufindenden Objekte als metaphorisches Durchlaufen der Gedanken und der inneren Stimmung gelesen werden, während O’Connor deren konkreten Inhalt verbal und mimisch kommuniziert.

Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen zur Introspektion und der bedeutenden Rolle der Großaufnahme von O’Connors Gesicht kann das Video zu NOTHING COMPARES 2 U und dessen Wirkungspotenzial als gattungsspezifische Abwandlung einer “Szene der Empathie” (Plantinga 2004: 7) verstanden werden. Gemäß Carl Plantinga kann eine solche im fiktionalen Film “empathische Reaktionen bei den Zuschauern in Gang […] setzen” (ebd.), “[…] weil der Anblick des Gesichts mittels motorischer Nachahmung [motor mimicry], mimischem Feedback [facial feedback] und Gefühlsansteckung [emotional contagion] solche Reaktionen auslösen kann” (ebd.: 9). Neben der Präsentationsdauer und -intensität hängen diese davon ab, ob sich der Rezipient mit der Figur, dem Thema und der Stimmung des Gezeigten identifizieren kann respektive will (vgl. ebd.: 21ff). Wie oben ausgeführt offerieren Song und Musikvideo diese Möglichkeit auf ästhetischer Ebene: Die allgemeingültige Lebenserfahrung Verlust und Trennung finden sich sowohl thematisiert als auch von O’Connor exemplarisch verkörpert. Darüber hinaus entsteht im Zusammenspiel von bildlichen und musikalischen Konventionen ein kulturell bedingtes, atmosphärisch dichtes Stimmungsbild, das auch jenseits der subjektiven Erfahrungswelt lesbar ist. Für die emotionale Anteilnahme an einer Figur ist allerdings wesentlich, dass “[…] die Zuschauer von der Wahrhaftigkeit ihres Ausdrucks ausgehen können” (ebd.: 21). Im Gegensatz zum fiktionalen Film, dessen Prämissen von vornherein Illusionsbildung und Schauspiel sind, findet sich der Interpret, als performende Figur, im Musikvideo in einem hybriden Spannungsverhältnis von Authentizität und Inszenierung wieder.

Philip Auslander differenziert in seinen Gedanken zur Analyse populärmusikalischer Performanceakte drei Ebenen der Performance, die in direkter Verbindung zum Interpreten stehen und zeitgleich koexistieren können. Er unterscheidet zwischen der Real Person, der echten Person mit bürgerlicher Identität, der Performance Persona, dem Starimage und dessen Inszenierung, wie auch dem sogenannten Character, der Figur, die mittels des Songs porträtiert wird (vgl. Auslander 2004: 6). Da der*die Interpret*in von den Zwängen des musikalischen Gelingens entbunden ist, stellt ein Musikvideo, so Auslander, den idealen Nährboden zur Ausschmückung einer Performance Persona (vgl. ebd.: 12). In NOTHING COMPARES 2 U überlagern sich die drei Schichten, wobei eine Differenzierung im Verlauf der Performance komplexer wird. Auf Seiten des Characters verkörpert O’Connor kontinuierlich eine allgemeingültige Figur, die, am Songtext orientiert, verlassen wurde und ihre Trauer gebrochenen Herzens artikuliert. Die Grenze zwischen der Real Person und Performance Persona verschwimmt jedoch bedeutend, als O’Connor zu Tränen gerührt wird: Während ihr die Worte “All the flowers that you planted, mama, in the backyard” noch gefasst über die Lippen gehen (03:19), intoniert sie die darauffolgende Textzeile “I know that living with you, baby, was sometimes hard” mit verzweifelter, schmerzverzerrter Mimik und glasigen Augen (03:36). In schreiendem Gesang performt O’Connor den anschließend einsetzenden Refrain, wobei ihr nun deutlich erkennbare Tränen über die Wangen laufen (03:52) (vgl. Gilbert 2015: o. S.). In Hinblick auf Auslanders Schichtenmodell stellt die Sequenz einen Irritationsmoment dar, der Authentizität und Inszenierung in Frage stellt. Als Performance Persona zeigt das Video Sinéad O’Connor, die Interpretin, die bewusst ein Video zu ihrem Song dreht, für ihre Performance darin eine Großaufnahme, folglich größtmögliche Nähe zum Zuschauer, wählt und sich als emotionale Künstlerin inszeniert. Diese Performance Persona enthält zu einem gewissen Teil auch die Real Person Sinéad O’Connor, die sich für eine ebensolche Karriere als Musikerin entschieden hat. Da Tränen, als körperliche Manifestation von innerer Rührung, im nicht-fiktionalen Kontext gemeinhin als authentisch gelten, spielt O’Connor in ihrer Performance, bewusst oder unbewusst, mit der Trennschärfe dieser Personen. Ob ihr Weinen inszeniert oder authentisch ist, ist durch widersprüchliche Aussagen der Künstlerin strittig (vgl. Dimery 2010: 633). Allerdings gibt sie an, während des Videodrehs durch die Textpassage “All the flowers […]” an eine persönliche Verlusterfahrung, den Tod ihrer Mutter, erinnert und dadurch, als Real Person, emotional berührt worden zu sein (vgl. Gilbert 2015: o. S.; Buskin 2012: o. S.). In Anbetracht der “Wahrhaftigkeit ihres Ausdrucks” (Plantinga 2004: 21) könnte man annehmen, dass das Verschwimmen der Grenzen zwischen der Real Person und Performance Persona in der Rezeption zu einer Distanzierung statt Anteilnahme führt. Paradoxerweise erscheint im Fall von O’Connors Musikvideo, das insbesondere aufgrund der darin geweinten Tränen als populär gilt, diese Trennungs-Unschärfe als Resonanzraum des Zuschauerinteresses und womöglich auch -affekts. Sie räumt dem vermeintlich künstlich Performativen die Möglichkeit von Authentizität ein. Einen ähnlichen Ansatz spricht O’Connor ihrem künstlerischen Anliegen zu: “Acting isn’t pretending, it’s using your past experiences, summoning them up to tell a story that’s not a lie but the truth” (Dimery 2010: 633). NOTHING COMPARES 2 U erweist sich so als Beispiel für ein durch Emotion, Interpretation (vgl. Gilbert 2015: o. S.) und mögliche Identifikation geprägtes Verständnis von der Popularität eines Musikvideos.

 

IV. Rezeption

Als “[i]mmergültiger Beziehungsend-Schmachtfetzen” (Koch 2016: 54) stellt NOTHING COMPARES 2 U einen der bekanntesten Pop-Songs der 1990er Jahre dar. Das Rolling Stone Magazine zeichnete ihn im Ranking der 500 besten Songs aller Zeiten mit dem 165. Platz aus (vgl. Gilbert 2015: o. S.). Der Nummer 1-Hit wie auch das dazugehörige Album I Do Not Want What I Haven’t Got erhielten in mehreren Ländern Platin. Letzteres wurde 1991 mit einem Grammy in der Kategorie “Best Alternative Album” prämiert; aufgrund der kommerziellen Ausrichtung der Veranstaltung weigerte sich O’Connor allerdings, den Preis in Empfang zu nehmen (vgl. Buskin 2012: o. S.; Gaugner 2017: o. S.). MTV zeigte das Musikvideo nach der Veröffentlichung in heavy rotation. Als erste Frau gewann O’Connor damit die MTV Video Music Awards in der Kategorie “Video of the Year” (vgl. Dimery 2010: 633) wie auch in den Kategorien “Best Female Video” und “Best Post-Modern Video”. Das Video gilt bis heute als ikonisch und wurde von Gina Riley im Rahmen des australischen Fernsehformats Fast Forward parodiert. Insbesondere ist der Moment der Tränen “unrivaled in pop history when it comes to raw emotions” (Gilbert 2015: o. S.). Sinéad O’Connors Interpretation von NOTHING COMPARES 2 U ist per definitionem das einschlägigste Cover des Songs, das ihn erst weltweit bekannt machte. O’Connors Welthit zog zahlreiche weitere Coverversionen nach sich, unter anderem von Bands des Independent- und Rock-Genres wie Me First And The Gimme Gimmes, Stereophonics oder Hot Chip.

 

LEONIE ADELMANN


Credits

Music/Songwriting: Prince
Vocals: Sinéad O’Connor
Producer: Sinéad O’Connor, Nellee Hopper
Engineer: Chris Birkett
Mixed by: Chris Birkett, Fachtna O’Ceallaigh, Sinéad O’Connor
Photography: Juergen Teller (12″ single version), Dominique Le Rigoleur (Album)
Label: Chrysalis / Ensign Records
Recorded: 1989
Published: 1990
Length: 05:09 (12″ single version), 05:10 (album version)

Recordings

  • Sinéad O’Connor. The Lion and The Cobra, 1987, Chrysalis / Ensign Records, ccd 1612, UK (CD/Album).
  • Sinéad O’Connor. “Nothing Compares 2 U”. On: Nothing Compares 2 U/Jump in The River, 1990, Chrysalis/ Ensign Records, 613 006, Germany (Vinyl 12”/Maxi-Single).
  • Sinéad O’Connor. “Nothing Compares 2 U”. On: I Do Not Want What I Haven’t Got, 1990, Chrysalis/ Ensign Records, 210 547, Europe (Vinyl/LP/Album).
  • The Family. “Nothing Compares 2 U”. On: The Family, 1985, Paisley Park/Warner Bros, R25322, US (Cass/Album).

Covers

  • Big Daddy. “Nothing Compares 2 U”. On: Cutting Their Own Groove, 1991, Rhino Records, R2 70733, US (CD/Album).
  • Prince and The New Power Generation. “Nothing Compares 2 U”. On: The Hits 1, 1993, Paisley Park/Warner Bros. Records, 9362-45431-2, Europe (CD/Compliation).
  • Bob Belden. “Nothing Compares 2 U”. On: When Doves Cry. The Music of Prince, 1994, Metro Blue, CDP 7243 8 29515 2 0, US (CD/Album).
  • Enzo Pietropaoli. “Nothing Compares 2 U”. On: Stolen Songs, 1998, Splasc(H) Records, CDH 633.2, Italy (CD/Album).
  • The Stanford Mendicants. “Nothing Compares 2 U”. On: Beggars Can’t Be Choosers, 1996, self-released, RIBS 16 (CD/Album).
  • Dune. “Nothing Compares 2 U”. On: Nothing Compares 2 U, 1997, Orbit Records, 8 94130 2, Europe (CD/Maxi).
  • Jimmy Scott. “Nothing Compares 2 U”. On: Holding Back The Years, 1998, WEA, 3984-27577-2, Germany (CD/Album).
  • The Ukrainians. “Nothing Compares 2 U”. On: Nothing Compares To You, 1998, Cooking Vinyl, FRY CD 071, UK (CD/ Single).
  • Mambo Kurt. “Schnulzen Medley”. On: Back in Beige. The Return of Alleinunterhalter Vol. II, 2000, Virgin, 8499122, Germany (CD/Album).
  • Stereophonics. “Nothing Compares 2 U”. On: NME & Warchild Presents 1 Love, 2002, New Musical Express, 0927 49371 2, UK (CD/Album).
  • Vienna Boys’ Choir. “Nothing Compares 2 U”. On: Vienna Boys’ Choir Goes Pop, 2002, EMI Classics, 57367, US (CD/Album).
  • Beelzebubs. “Nothing Compares 2 U”. On: Code Red, 2003, self-released (CD/Album).
  • Me First and The Gimme Gimmes. “Nothing Compares 2 U”. On: Take A Break, 2003, Fat Wreck Chords, FAT650-2, US (CD/Album).
  • Amazing Transparent Man. “Nothing Compares To You”. On: Taking Back The Covers, 2003, Springman Records, SPMN 29, US (CD/EP).
  • George White Group. “Nothing Compares 2 U”. On: Jazz And ’80s. The Coolest And Sexiest Songbook Of The Eigthies, 2005, Music Brokers, 5101117632, Europe (CD/Compliation).
  • Dascha Semcov. “Nothing Compares 2 U”. On: Love Songs, 2006, Grundy, 82876 80610 2, Germany (CD/Album).
  • Texas Lightning. “Nothing Compares 2 U”. On: Meanwhile, Back At The Golden Ranch, 2006, X-cell Records, 88697023452, Germany (CD/Album).
  • Dan Kelly. “Nothing Compares 2 U”. On: No Man’s Woman, 2007, Dew Process, DEW90006, Australia (CD/Compilation).
  • Northern Kings. “Nothing Compares 2 U”. On: Rethroned, 2008, WEA, 5051865147725, Finland (CD/Album).
  • Niki Evans. “Nothing Compares”. On: By Request, 2009, Gotham Records, 50 6018 87624 5 4, UK (Digital).
  • Stanryck and Uni’verss. “Nothing Compares 2 U”. On: 80s Go Reggae, 2010, Afrojam (Digital).
  • Deanne Matley. “Nothing Compares 2 U”. On: Stealin’ Blue. Live at Cafe Koi, 2012, self-released (CD/Album).
  • Brian McFadden. “Nothing Compares 2 U”. On: The Irish Connection, 2013, Universal Music, 3717559, Australia (CD/Album).
  • Glennis Grace. “Nothing Compares 2 U”. On: Cover Story, 2014, ECM Music, 0182823, Europe (CD/Album).
  • Aretha Franklin. “Nothing Compares 2 U”. On: Sings The Great Diva Classics, 2014, RCA/Sony Music, 88875022512, Europe (CD/Album).
  • Manfred Mann. “Nothing Compares To You”. On: Lone Arranger, 2014, Creature Music, MMCD22X, UK/Europe (CD/Album).
  • Hot Chip. “Nothing Compares 2 U/In the Privacy of Our Love”. On: 89.3 The Current. Live Current. Cover to Cover, 2014, Minnesota Rebublic Radio, MPR 128, US (CD/Album).
  • Alan Frew. “Nothing Compares to You”. On: Nothing Compares To You, 2015, Black Box Recordings, Canada (CDr/Single).
  • Mike Massé feat. Scott Slusher. “Nothing Compares 2 U”. On: Covers Vol. 2, 2016, self-released (Digital).

References

  • Auslander, Philip: Performance Analysis and Popular Music. A Manifesto. In: Contemporary Theatre Review, 14/1 (2004), 1–13.
  • Dimery, Robert: In: 1001 Songs You Must Hear Before You Die. And 10.001 You Must Download. New York: Universe 2010.
  • Kilbansky, Raymond/Panofsky, Erwin/Saxl, Fritz: Saturn und Melancholie. Studien zur Geschichte der Naturphilosophie und Medizin, der Religion und der Kunst. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1990.
  • Koch, Albert: Sing meinen Song. Zehn Lieder, die Prince für andere schrieb. In: Musikexpress, Juni 2006, 54.
  • Plantinga, Carl: Die Szene der Empathie und das menschliche Gesicht im Film. In: montage a/v, 13/2 (2004), 7–27.
  • Buskin, Richard: “Sinéad O’Connor. Nothing Compares 2 U”. In: Sound on Sound, 2012. URL: http://www.soundonsound.com/people/sinead-oconnor-nothing-compares-2-u [08.01.2017].
  • Anonym: “Sinéad O’Connor”. In: Laut.de, o.J. URL: http://www.laut.de/Sinead-OConnor [12.01.2017].
  • Gilbert, Sophie: “How Nothing Compares 2 U Endured”. In: The Atlantic, 21.04.2015. URL: http://www.theatlantic.com/entertainment/archive/2015/04/how-nothing-compares-2-u-endured/391122/ [17.12.2016].
  • Hilburn, Robert: “Sinéad O’Connor’s ‘I Do Not Want What I Haven’t Got’ illustrates the artist’s immense talent”. In: Los Angeles Times, 29.04.2009. URL: http://www.sinead-oconnor.com/home/index.php/articles/280-i-do-not-want-what-i-havent-got-limited-edition-review-in-los-angeles-times [26.01.2017].
  • Offizielles Musikvideo: Nothing Compares 2 U, Sinéad O’Connor. Director:  John Maybury. In: YouTube, 10.07.2017. URL: https://www.youtube.com/watch?v=0-EF60neguk [29.04.2021].
  • Wulff, Hans J.: “Doppelbelichtung”. In: Lexikon der Filmbegriffe, 17.01.2012. URL: http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=1513 [07.01.2017].
  • Wulff, Hans J.: “Mehrfachbelichtung”. In: Lexikon der Filmbegriffe, 08.02.2012. URL: http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=1522 [07.01.2017].

About the Author

Analysis written in a course of Prof. Dr. Fernand Hörner at the University of Applied Sciences Düsseldorf.
All contributions by Leonie Adelmann

Citation

Leonie Adelmann: “Nothing Compares 2 U (Sinéad O’Connor)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, https://songlexikon.de/songs/nothing-compares-2-u/, 07/2021.

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