1981
Ideal

Monotonie

MONOTONIE ist ein Song der deutschen Band Ideal, der in der kommerziellen Hochphase der Neuen Deutschen Welle veröffentlicht wurde.

 

I. Entstehungsgeschichte

Der Titel „Monotonie“ erscheint 1981 bei WEA auf der zweiten LP der Band, Der Ernst des Lebens, und wird im Mai 1982 von WEA als Single ausgekoppelt. Den Text schrieb Annette Humpe, die Musik stammt von allen vier Bandmitgliedern (Annette Humpe, Frank Jürgen Krüger, Ernst Ulrich Deuker und Hans-Joachim Behrendt), die Produktion der Platte lag bei Conny Plank und der Band.

 

II. Kontext

Die NDW zitiert in ihren Songs aus der gesamten jüngeren Unterhaltungs- und Kulturgeschichte, aber eine Epoche macht sie zu einer besonders häufig und nachdrücklich genutzten Quelle: die 1950er Jahre. Generell kommt in Deutschland, Großbritannien und den USA in den 1980er Jahren eine Wiederentdeckung und Neuverarbeitung der „Fünfziger“ in Mode. Erstmals wird offensiv auf die Designs und Unterhaltungsprodukte einer vergangenen Epoche zurückgegriffen. Die Popkultur feiert ihre erste Nostalgiewelle, ihr erstes Revival.

Der Rückbezug auf die 1950er Jahre umfasst Musik, Mode und Design. Musikalisch ist dies in Deutschland u. a. hörbar durch das Aufgreifen des Rockabilly durch z. B. die Ace Cats (das deutsche Pendant zu den US-amerikanischen Stray Cats) und – erfolgreicher – durch die Münchener Spider Murphy Gang, so benannt nach dem fiktiven Gangster Spider Murphy aus Elvis Presleys Song „Jailhouse Rock“. Auch in der äußeren Erscheinung wird der Retro-Trend deutlich: Die NDW pflegt einen Kleidungsstil, der sich an dem der 1950er Jahre orientiert – und zwar weniger an den modischen Insignien der ersten Teenager-Rebellion wie Jeans und rotem Lederblouson, als vor allem an den konventionellen, offiziellen Bekleidungscodes jener Zeit. Erstmals seit Anfang der 1960er Jahre trägt man die Haare wieder kurz, Bart und Koteletten verschwinden. Die Hosen sind eng, dazu trägt man Hemden, am liebsten mit schmalen schwarzen Krawatten. Anzüge, vor kurzem noch Inbegriff hoffnungslosen Spießertums, sind wieder in, ebenso Hüte, seien es Kapitänsmützen oder klassische Herrenhüte. Mit diesen modischen Insignien verwandelt sich der Rocker, konzipiert als mehr oder weniger wildes Gegenbild zum ordentlichen Bürger, in eine Mischung aus Pfadfinder und elegantem Dandy. Bei den Frauen äußert sich dieser Trend ebenfalls, wenn auch weniger konsequent. Der Trend geht zu weiten Röcken und einer Betonung der Taille, eine Adaption und Neuinterpretation von Diors „New Look“. Auf die Teenager-Mode der späteren Fünfziger rekurrieren Capri-Hosen und Ballerinas sowie tiefe Rückenausschnitte. Die Haare bleiben auch bei den Frauen kurz. Im Erscheinungsbild also wirkt manche NDW-Band, auch Ideal, wie um 25 Jahre zurückversetzt.

Die NDW belässt es allerdings nicht beim bloßen Beschwören und Zitieren der Epoche der 1950er Jahre. Die Reise ins Wirtschaftswunder der BRD bleibt nicht im Dekorativen stecken. Im Mittelpunkt stehen vielmehr das Bearbeiten und die Neuverwertung ihrer stilistischen Insignien und der Themen, welche die 1950er Jahre prägen: Mobilität, Heimat, Fernweh und Exotik. Das Sujet des Fernwehs wird in der NDW mehrfach adaptiert und bearbeitet. Eine der bekanntesten Bearbeitungen des Fernweh-Themas liefert Ideal mit dem Song MONOTONIE (1981). Er bearbeitet das Thema Exotik und Südseeromantik im Sinne des Zeitgeistes und mit den Mitteln der NDW und schafft so eine besonders gelungene Verknüpfung der 1950er mit den frühen 1980er Jahren.

 

III. Analyse

Der Song von Ideal überrascht mit seinem Titel bzw. mit dem Kontrast, den der Begriff „Monotonie“ zu den zahlreichen Urlaubs- und Reisebildern herstellt. Monotonie verbindet man gerade nicht mit dem Urlaub, sondern mit Alltag. Besonders im Kontext der NDW erwartet man unter diesem Titel einen Song über Betonstädte, Langeweile, Autobahnen oder ähnliches. Stattdessen geht es hier um Südsee, Inseln, alkoholische Getränke, alles also, was man sich unter einem schönen Leben gemeinhin vorstellt. Die Widersprüche zum Titel sind offenkundig.

Ideal zitiert mit MONOTONIE auf vielfältige Weise das Genre des Fernwehschlagers, das auf eine lange Tradition zurückblicken kann von den 1920er Jahren über die „Caprifischer“ der 1950er bis zu den Mittelmeer- und Karibikschlagern der 1970er Jahre. Dadurch wird auf der einen Seite schlicht auf Vertrautes verwiesen und Nostalgie hergestellt, auf der anderen Seite aber auch mit dem Genre ironisch gespielt. Denn die genannten Reiseziele, Hawaii, Tel Aviv, Eschnapur und Babylon entsprechen keineswegs den beliebtesten Ur­laubs­orten der Deutschen, sondern formulieren einen eher eigentümlichen Welthorizont. Mögen Hawaii und Tel Aviv noch den Endreimen der Antwortzeilen geschuldet sein – und hier könnte man immerhin noch auf Hawaii als Inbegriff der Traum­in­sel und auf die politische Bedeutung Israels für die Bundesrepublik verwe­­i­sen –, so sind doch Eschnapur und Babylon so exotisch, ungewöhnlich und speziell in ihrem Bedeutungspotential, dass ihre Wahl kaum zufällig scheint. Der kontextuelle Bedeutungsraum, den gerade diese beiden Begriffe aufmachen, ist enorm.

Eschnapur verweist – der Antwort-Chorus „dem Tiger auf der Spur“ gibt darauf einen klaren Hinweis – auf den deutschen Film „Der Tiger von Eschnapur“ (1938 und 1958). Hiermit ordnet sich der Song erneut ein in eine Geschichte populärer Kultur. Der Ort selbst ist eine Erfindung, ein Fantasiefürstentum in Indien, das als Ausgangspunkt für eine exotische Abenteuererzählung dient. Erfunden wird dieser Ort bereits in den 1920er Jahren von der Drehbuchautorin Thea Harbou und ihrem Mann, dem Filmregisseur Fritz Lang. Das Monumentalepos wird erstmals 1938 verfilmt (Regie: Joe May), die bekanntere Fassung ist aber das Remake aus dem Jahr 1958, das Lang selbst inszenierte. Eschnapur als Reiseziel, so beliebig dies im Kontext des Songtexts auf den ersten Blick erscheinen mag, eröffnet mehrere Deutungsmöglichkeiten: Der Name verweist auf etwas unspezifisch Exotisches, etwa so, wie der für einen 50er-Jahre-Schlager eigens erfundene Ort „Adano“ („Im Hafen von Adano“, 1950) eine Projektionsfläche für alle Mittelmeerfantasien darstellt. Mit dieser Vorgehensweise wird implizit auf das Klischeehafte des Schlagers verwiesen, auf seine „Unwahrhaftigkeit“ und seine Realitätsfluchten. Da Fritz Langs Fassung von „Der Tiger von Eschnapur“ aus dem Jahr 1958 die weitaus bekanntere ist, wird hier außerdem die Kultur der 1950er Jahre mitsamt ihren Fernweh- und Exotikthemen in den Bedeutungshorizont eingebracht. Dass Eschnapur – wie der Song sagt – jetzt als Pauschalreise zu buchen ist, zeigt auch, dass es das wirklich Exotische und Abenteuerliche nicht mehr gibt. Es existiert nur noch als Vorstellung, als Nostalgie. Das moderne Abenteuer besteht in der Langeweile und Monotonie des Wohlstandslebens. „Eschnapur“ verweist zugleich auf die deutsche Unterhaltungs- und Kinogeschichte; wie überhaupt der ganze Song – ähnlich wie Trios „Energie“ – durch seinen Zitatcharakter nicht nur vieldeutig wird, sondern mit seiner Bricolagetechnik im Umgang mit Zeichen und Bedeutungen ein Verfahren etabliert, das weit über Schlagerhaftes hinausgeht. Das Publikum wird im Unklaren gelassen, was eigentlich oder uneigentlich, was Ironie oder ernst gemeint ist.

Noch vielfältiger ist das Bedeutungspotential, das „Babylon“ mitbringt. Das historische Babylon ist eine der ersten Metropolen des Altertums, eine große antike Stadt mit gewaltigen Bauwerken, die von dem bekannten Geschichtsschreiber Herodot (ca. 484 v. Chr. bis 425 v. Chr.) beschrieben wurde und mit den hängenden Gärten von Semiramis und ihren Stadtmauern immerhin eines der sieben Weltwunder der Antike besaß. Unter dem König Nebukadnezar wurden Tausende von Juden in die Stadt verschleppt, im Alten Testament beschrieben als „babylonische Gefangenschaft“ (AT, 2. Könige, 24, 1-17 und Psalm 137, 1-4). Das Neue Testament nimmt in der Offenbarung des Johannes diese negative Bedeutung auf und verstärkt sie. Es schildert Babylon – hier als Chiffre für Rom zu lesen – als Hort von Sünde und Dekadenz, die dem wahren und einzigen Gott untreu, eine Hure, geworden sei (NT, Off. 14, 18; Off. 17, 5 und 18, 2). Noch Martin Luther nutzte das Wort von der „Hure Babylon“, wenn es um das von ihm verachtete Papsttum ging. Am bekanntesten ist aber sicher die biblische Geschichte vom Turmbau zu Babel (AT, 1. Mose 11, 1-9), eine Parabel über menschlichen Größenwahn und Hochmut, die mit hochfliegenden Plänen, sich über einen gewaltigen Turm dem Himmel und Gott zu nähern, beginnt und mit Gottes Strafe, der „babylonischen Sprachverwirrung“, endet. Bis heute gilt Babylon als Symbol für Exil und Versklavung, für das Sündige und Böse und für menschliche Hybris. Mit all diesen Bedeutungen spielt es auch in der Musikgeschichte immer wieder eine Rolle. In der populären Musik, vor allem im Reggae, wird der Begriff Babylon häufig auch als kritische Analogie zum kapitalistischen System verwendet.

Babylon ist also ebenso wenig wie Eschnapur ein reales Reiseziel, im Gegenteil: Betrachtet man die Bedeutung, die es in der abendländischen Kultur hat, ist es keineswegs ein Ort, an dem man Urlaub machen und – „Hotel mit Vollpension“ – bei bestem Service entspannen will. Das Urlaubsthema wird im Songtext also nicht nur durch den Songtitel selbst konterkariert, sondern auch durch die Wahl der Reiseziele. Sie halten nicht, was ihre exotischen Namen und das mit ihnen verbundene weltläufige Flair versprechen; keine Abenteuer, kein Sündenbabel, lediglich Drinks und „Monotonie bei dreißig Grad“. In einem sonst eher schlichten, leicht verständlichen Text stechen also diese beiden Orte mit ihrer Fülle an Bedeutungspotentialen besonders hervor. Sie funktionieren wie Prismen, in denen sich der Inhalt des Songs – und gewissermaßen die Aussage der ganzen NDW – noch einmal spiegelt, vom Zitat der 1950er Jahre bis zur Systemkritik.

Der Rest des Textes zeigt eine Südseefantasie, die einerseits hedonistisch und andererseits kleinbürgerlich erscheint. Das dekadente Insel-Hopping – „Sylvester auf Tahiti, Heiligabend auf Hawaii“ steht stellvertretend für das Jetset-Leben der Reichen und Schönen, das in den Boulevardblätter beschrieben wird – ist nicht etwa aufregend, sondern langweilig, was durch die musikalische Gleichsetzung von „Monotonie“ mit „Ich flieg nach Hawaii“ betont wird. Damit folgt der Song auch einem typischen Erzählmuster des Boulevards, das besonders gern auf die Leere und das Unglück der Privilegierten verweist, ganz nach der Devise: Geld allein macht auch nicht glücklich. Zugleich sind die großen Träume auf Prospektgröße zusammengeschrumpft. Der Pauschal-Massentourismus („wir sind auch dabei“) mit Vollpension zum Minimaltarif kann nicht halten, was die Sehnsucht sich vorher erhofft hat. In beiden Fällen endet die Fantasie mit Melancholie. Was als Wunscherfüllung einzigartig und außergewöhnlich sein soll, erweist sich als austauschbar und öde. Das Reisen ist von der langersehnten Weltentdeckung zur Pflichtübung und zum Freizeitstress geworden, und bleibt dennoch, ebenso wie ein Vierteljahrhundert vorher, ein Statussymbol.

Die im Songtext angelegte Gegenläufigkeit von Urlaub und Monotonie wird in der Musik konsequent unterstützt. Das Thema „Südsee“ wird illustriert durch einen reduzierten Calypso. Der punktierte Beat, eine prägnante, durchlaufende Basslinie, ein synthesizergeneriertes Grillen- bzw. Zikadenzirpen im Hintergrund und ein dominantes Orgelmotiv in den Zwischenteilen schaffen die für den karibischen Musikstil charakteristische, entspannte Atmosphäre. Dazu erinnert der vom Keyboard gespielte Off-Beat an Reggae. Schon in den Schlagern der 1950er Jahre dienten exotische Rhythmen und ein fremdartiger Sound zum Herstellen von Südsee-Feeling. Hier allerdings wird dieses musikalische Vorgehen nur zitiert bzw. persifliert, denn der statt der typischen karibischen Steeldrums eingesetzte Orgelton weist die exotischen Klänge als hergestellte, als künstliche, aus. Die „Monotonie“ wiederum spiegelt sich im harmonischen und strukturellen Aufbau des Songs wieder. Ohne Intro beginnt der Song unvermittelt mit dem Gesang und zwar auftaktig mit dem Titelwort „Monotonie“. Erst mit der letzten Silbe dieses Wortes setzt die Band ein. In der Strophe und im Refrain wechselt die Gitarre lediglich zwischen den beiden Akkorden Es-Dur und f-Moll, also den Stufen I und II. Weitere Harmoniestufen wie die Dominante (Stufe V) tauchen vor allem über die Basslinie und die Orgel auf. Im viertaktigen Zwischenteil nach dem 1. und dem 2. Teil gibt es eine durchgängige harmonische Erweiterung über die Subdominante mit As-Dur, g-Moll und B-Dur. Weil aber die Hauptharmonien des Stücks, Es-Dur und f-Moll, nur einen Ganzton auseinander liegen, entsteht kaum harmonische Abwechslung. Auch in der Rhythmusgruppe aus Schlagzeug und Bass wiederholen sich – vom Zwischenteil abgesehen – immer die gleichen zwei Takte. Die Melodieführung mit ihrem engen Tonambitus ist monoton und zeigt kaum Bewegung. Bis auf einen Sextsprung besteht sie vor allem aus Prim-, Sekund- und wenigen Terzschritten. Auch aus diesem Grund wirkt die Vortragsweise von Annette Humpe eher wie gelangweiltes Sprechen und weniger wie Gesang.

Bei den vier Text-Teilen ist kaum klar zu unterscheiden, was als Refrain und was als Strophe bezeichnet werden kann. Die Teile 2 und 4 sind textgleich, bei den Teilen 1 und 3 ist der Text bis auf kleine Variationen derselbe. Sie beginnen mit den beiden Zeilen „Monotonie in der Südsee / Melancholie bei dreißig Grad“, sind also titelgebend, was man wie Longerich (1989: 145) als „refrain-haft“ auffassen könnte. Die Teile 2 und 4 wiederum sind nach dem Frage-Antwort-Prinzip aufgebaut und enthalten einen Chorus, was ebenfalls Refraincharakter hat. Vor allem aber ist die harmonische Grundlage der vier Teile exakt gleich und sogar in der Melodie weisen sie große Ähnlichkeiten auf: „Ich flieg nach Hawaii“ wird (auftaktig) auf denselben Tönen und mit ganz ähnlicher Phrasierung gesungen wie „Mo-no-to-nie“ – über die musikalische Gleichsetzung entsteht so auch eine inhaltliche. Der Titel „Monotonie“ wird durch diese weitgehende Einheitlichkeit und die harmonische Begrenzung musikalisch umgesetzt.

Gerade die harmonische und melodische Beschränkung und das Wiederholen des zweitaktigen Grundschemas illustriert auf der einen Seite das Thema Langeweile und antizipiert auf der anderen Seite scheinaffirmativ den kulturkritischen Vorwurf an den Schlager, er sei ästhetisch banal und standardisiert. Ideal zeigt ein reflexives Spiel mit den Schlagerkonventionen: Es gibt immer wieder illustrierend-atmosphärische Klänge, die das Urlaubsthema verstärken, z. B. der Steeldrum-Sound oder ein Synthesizer-Geräusch, das an das Zirpen von Grillen bzw. Zikaden erinnert. Zwischen dem 3. und dem 4. Teil spricht Humpe einen italienischen Textteil; er hat, da er für das deutsche Publikum kaum verständlich ist, eher eine lautmalerische als eine inhaltliche Funktion und schließt so an die Italiensehnsucht der 1950er Jahre, aber auch an die ausländischen Schlagerstars der Epoche an. So gelingt es Ideal, in der engen Verbindung von Text und Musik das Thema Fernweh ebenso ironisch zu verhandeln wie das Thema Schlager und dabei außerdem auf den gemeinsamen historischen Hintergrund beider Themen, die 1950er Jahre, zu verweisen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Background-Harmoniegesang, der einerseits den Konventionen des Schlagers folgt, diese andererseits persifliert und außerdem den Schwebezustand des Songs zwischen Schlager und Kritik zeigt. DennIdeal folgt der Konvention des Background-Gesangs, bricht sie aber zugleich: Beim Schlager sind es üblicherweise Frauen, die den Sänger (oder auch die Sängerin) chorisch begleiten, hier sind es die männlichen Bandmitglieder, die den Backgroundgesang übernehmen. Im Videoclip wird dies dadurch betont, dass Humpe bei den Strophen allein zu sehen ist und die Männer vor allem bei ihrem Backing-Gesang – und dann als Gruppe – ins Bild kommen. Während beim normalen Background-Gesang Teile des Refrains oder der Endreim verstärkt werden oder einfach mehrstimmig gesungene Vokale (aahhh, uuhhh), häufig auch über mehrere Takte, den Sound füllen und nur als musikalische Verstärkung fungieren, hat der Background-Gesang der Männer hier zwei Funktionen: Nach dem Steeldrum-Motiv der Orgel werfen sie ein kurzes „aahuga“ ein. Dies hat eine illustrierende wie persiflierende Wirkung. Zunächst wird dadurch der Eindruck des Exotischen, vorbereitet durch den angedeuteten Klang des fremden Karibik-Instruments, verstärkt. Zugleich wird aber sowohl das „inhaltsleere“ Vokalsingen des Backgrounds als auch die Klischeevorstellung vom „Wilden“ karikiert. Damit schließt der Song würdigend und zugleich ironisierend an bekannte Vorbilder an, zum Beispiel an die lautmalerischen „Strophen“ („Wimoweh“) des Pop-Klassikers „The Lion Sleeps Tonight“ (der im Jahr 1982 ebenfalls in den deutschen Charts ist). In den Teilen 2 und 4 („Flieg nach Hawaii …“) singen die Männer die ergänzenden Halbsätze, die aber für die Bedeutung des Songs entscheidend sind. Was im ersten, von Annette Humpe gesungenen Teil des Satzes aufregend und luxuriös klingt, vervollständigen sie in einer entlarvenden Art und Weise. Ihre Halbsätze demaskieren die kleinbürgerlichen Träume: Hawaii im Massentourismus, Israel zum Schnäppchenpreis, Babylon – immerhin historisches Symbol für Ehrgeiz und Entbehrung gleichermaßen – genießt man mit der Rundum-Bequemlichkeit der Vollpension und im exotischen Eschnapur jagt man längst vergangenen Chimären nach. Zugespitzt könnte man sagen, der erste Halbsatz („Ich flieg nach Tel Aviv“) bildet den illusionistischen Schlager ab, der im Background gesungene zweite Halbsatz („zum Minimaltarif“) antwortet mit der realistisch-nüchternen NDW.

Auch das Arrangement leistet seinen Beitrag zu dieser Doppelbödigkeit: Das mehrmalige „Bikini“ im 3. Teil z. B. bedient zunächst einfach das Urlaubsthema ebenso wie es auf die 1950er Jahre verweist. Allerdings sind im Hintergrund explosionsartige Geräusche zu hören. Die historische Bedeutung, die bei der Bezeichnung des Kleidungsstücks mitschwingt – nämlich die Atomtests auf den Bikini-Inseln von 1946 bis 1958, die  Louis Réard zu seinem zweiteiligen Badeanzug inspirierten – wird also durch die klangliche Gestaltung mit eingebaut.

Es ist unschwer zu erkennen, dass es sich bei „Monotonie“ um einen Song handelt, der kritisch mit dem Thema Tourismus umgeht. Allerdings belassen es die meisten Autor:innen (Longerich 1989; Giessen 1992) auch bei dieser eher schlichten Erkenntnis. Sie begnügen sich damit, dass sie einen kritischen NDW-Schlager gefunden haben und verstärken in ihrer Analyse die Botschaft ins Überdeutliche: „… so nahm ein moderner Schlager der achtziger Jahre wie z. B. ‚Monotonie‘ unmittelbaren Bezug auf die Realität, verklärte und beschönigte nichts, sondern zeichnete – teilweise mit subtiler Ironie – das Bild einiger Zeitgenossen, für die Wohlstand und Luxus so selbstverständlich geworden sind, dass sie in Bezug auf ihren Lebensstandard immer anspruchsvoller und maßloser werden, gegenüber inneren Werten jedoch abstumpfen. Die Folge ist Oberflächlichkeit, Kontaktarmut und Isolation. ‚Monotonie‘ ist ein kritischer Schlager, der die zweifelhaften Wertvorstellungen der Wohlstandsgesellschaft bewusst machen will und dessen Grundgedanke auf jede Alltagssituation übertragbar ist: Monotonie macht melancholisch“ (Longerich 1989: 143). Eine solche Erklärung sagt allerdings mehr über den Autor und seinen Wertekanon als über die Qualität des Songs. Interessanter als das bloße Feststellen einer Kritik an Luxus und Oberflächlichkeit ist die Analyse der eingesetzten Mittel. Erst hier wird deutlich, dass der Song mehr ist als eine in modernen Sound verpackte, konsumkritische Moralpredigt. Die Musik ist nicht nur ein Vehikel zum Transport einer Botschaft, sondern gleichberechtigter Teil in einem raffinierten Zusammenspiel. Die gezielten Setzungen von Text und Musik zeigen, dass es sich bei MONOTONIE um einen Song handelt, der seine Mittel zielsicher einsetzt. Moderne und sachliche Begrifflichkeiten stehen neben „Klischeebildern“ und 50er-Jahre-Zitaten. Die Träume von der Ferne werden als Kitschbilder entlarvt, die Coolness des Vortrags von Humpe hingegen macht diesen „Kitsch“ sofort wieder wirkungslos und gibt auf diese Weise auch wieder Raum für individuelle Sehnsuchtsgefühle. Der Song changiert zwischen den 1950er und den 1980er Jahren, zwischen Tradition und aktueller Jugendkultur, zwischen Kitsch und Coolness, zwischen Schlager („Südsee“) und NDW („Monotonie“). Dies gelingt vor allem, weil die wenigen Mittel gut gewählt und eingesetzt sind. Der Song wirkt eben nicht simpel, sondern durchsichtig und leicht und unterstützt so bei aller strukturellen Eintönigkeit das Urlaubsthema. Gleichzeitig verhindern die künstlichen Töne, die zwar kühle, aber auch akzentuierte Interpretation Humpes und die enge Verbindung von Musik und Text, dass das Stück oberflächlich und schlagerhaft wirkt.

 

IV. Rezeption

Im Jahr 1982 boomte die NDW. Daher hatte der Song große Konkurrenz ‚aus den eigenen Reihen‘. Obwohl er sicher einer der bekanntesten der Band ist, erreichte „Monotonie“ nur die Platzierung 21 in den deutschen Single-Charts; das Album, Der Ernst des Lebens, stieg bis auf Platz 13. Zu dem Song wurde ein Musikvideo produziert. Es existiert eine Coverversion der Berliner Band Beatsteaks aus dem Jahr 2020.

 

BARBARA HORNBERGER


Credits

Lyrics: Annette Humpe
Musik: Hans-Joachim Behrendt, Ernst Ulrich Deuker, Annette Humpe, Frank Jürgen Krüger
Produktion: Conny Plank, Ideal, Gesang und Keyboard: Annette Humpe
Gitarre und Gesang: Frank Jürgen Krüger
Bass und Gesang: Ernst Ulrich Deuker
Schlagzeug und Gesang: Hans-Joachim Behrendt

References

  • Giessen, Hans W.: Zeitgeist populär – seine Darstellung in deutschsprachigen postmodernen Songtexten (bis 1989). St. Ingbert: Werner J. Röhrig 1992.
  • Longerich, Winfried: „Da Da Da“. Zur Standortbestimmung der Neuen Deutschen Welle. Pfaffenweiler: Centaurus 1989.

About the Author

Barbara Hornberger is professor of musicology at the University of Wuppertal.
All contributions by Barbara Hornberger

Citation

Barbara Hornberger: „Monotonie (Ideal)“. Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, https://www.songlexikon.de/songs/monotonie, 05/2025.

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