1964
Nina Simone

Mississippi Goddam

MISSISSIPPI GODDAM ist ein Protestsong von Nina Simone. Sie schrieb ihn, nachdem rassistische Anschläge mit Todesopfern in den USA verübt wurden.

 

I. Entstehungsgeschichte

MISSISSIPPI GODDAM befindet sich auf dem ersten Album In Concert, das nach Vertragsabschluss mit der Plattenfirma Philips 1964 veröffentlicht wurde. Nina Simone war bekannt für ihr Engagement gegen die Diskriminierung von People of Color in den in den USA. Bereits als Kind, geboren als Eunice Kathleen Waymon in North Carolina, war sie eine begabte Pianistin und bevorzugte klassische Musik. Bereits im Kindesalter wurde sie mit Diskriminierung aufgrund ihrer Hautfarbe konfrontiert (vgl. Dallach 2016). Später als Bürgerrechtsaktivistin nutzte sie die Musik, um ihren Gefühlen gegenüber dieser Realität Ausdruck zu verleihen. Auslöser für MISSISIPI GODDAM war das Attentat auf die Bürgerrechtsaktivisten Medgar Evers und Emmett Till in Jackson, Mississippi, und die Ermordung von vier Schwarzen Mädchen, Addie Mae Collins, Denise McNair, Carole Robertson und Cynthia Wesley, durch einen terroristischen Bombenanschlag auf die 16th Baptist Church in Birmingham, Alabama, im Jahr 1963 (vgl. Chandler 2015). Die Täter waren Mitglieder des Ku-Klux-Klans, welche erst Jahre später strafrechtlich verfolgt wurden. Im Gegensatz zu Martin Luther King, mit dem sie befreundet war, kommunizierte sie offen, dass Gewalt gegen Weiße eingesetzt werden sollte, wenn es notwendig sei. Einem Interview ist zu entnehmen: “I’m either going to take up arms, I’m going to buy a gun, or I’m going to write this song” (NPR 2022).

 

II. Kontext

Die Aufnahme geht auf einen Live-Auftritt in der Carnegie Hall in New York City zurück. Hier gelingt es Nina Simone, den klaren Protest gegen die Explosion rassistisch motivierter Gewalt, vor allem in den Südstaaten der USA, gegenüber einem fast ausschließlich weißen Konzertpublikum zu artikulieren. Ihr energisches Auftreten lässt den Applaus des Publikums eigentümlich wirken, zieht man die strukturellen Ungerechtigkeiten, denen sich Schwarze in den USA gegenübersahen, in Betracht.

Die Spezifik des Moments leitet sich davon ab, dass sie als Schwarze Pianistin oftmals von der weißen Kulturbranche abgelehnt wurde. In den 1960er Jahren lernte sie Martin Luther King, Malcolm X, James Baldwin und andere Bürgerrechtsaktivist:innen, etwa aus der der Black Panther Party, kennen. Das Maß an sozialer Ungleichheit führte schließlich dazu, dass sich Nina Simone von gecoverten Versionen ab- und selbstgeschriebenen politischen Songs zuwendete.

Uraufgeführt wurde MISSISSIPPI GODDAM in einer Bar in Greenwich Village, sechs Jahre nachdem sie nach New York City gezogen war und sich den Künstlernamen Nina Simone gegeben hatte; der Namensteil Simone ist eine Hommage an die französische Schauspielerin Simone Signoret. Ihre Mutter, eine Methodistenpredigerin, sollte nicht wissen, dass sie Blues und Jazz, vermeintlich sündhafte Musik, spielte (vgl. Roth Pierpont 2014).

 

III. Analyse

Die musikalische Herangehensweise von Nina Simone ist beeinflusst von ihrem musikalischen Werdegang in der klassischen Musik. Geprägt von Komponisten wie Johann Sebastian Bach, lehnte sie die Bezeichnung als Jazz-Musikerin angeblich ab, obgleich ihre Musik Anleihen an Jazz, Blues, Gospel, Folk und Pop aufweist. Sie bevorzugte die Kategorie Black Classical Music.

Nina Simone komponierte das Lied und schrieb den Text. Bei der Aufführung 1964 in der Carnegie Hall singt sie und spielt am Klavier in Begleitung eines Ensembles (an der Gitarre Rudy Stevenson, am Bass Lisle Atkinson und an den Drums Bobby Hamilton). Produziert wurde das Album von Hal Mooney.

Die auf der Aufnahme festgehaltenen Geräusche des Publikums (ausgelassener Applaus, Gelächter) lassen vermuten, dass ebendieses ein Unterhaltungsprogramm erwartete. Nichtsdestotrotz kündigt Nina Simone das Lied mit den Worten an: “I mean every word”. Hierdurch durchbricht sie in gewisser Weise den Unterhaltungsrahmen.

Musikalische Gestaltungsmittel wie Piano-Vamp, eine sich wiederholende Akkordfolge und Synkopen beeinflussen die potenzielle Wirkung des Musikstücks; es erhält fast schon eine kabarettistische Note.

Textlich liefert sie Einblicke in die Gefühlswelt des lyrischen Ichs, welches, wie die Entstehungsgeschichte des Songs nahelegt, ein Abbild ihrer selbst zu sein scheint: “Alabama’s gotten me so upset / Tennessee made me lose my rest / And everybody knows about Mississippi, goddam!”. Andere Textzeilen erwähnen “Sister Sadie”: “Yes, you lied to me all these years / You told me to wash and clean my ears / And talk real fine just like a lady / And you’d stop calling me Sister Sadie”. „Sister Sadie“ wurde bekannt durch das Lied von Horace Silver aus dem Jahr 1959 und ist eine Figur aus Mark Twains Adventures of Huckleberry Finn: die Frau eines Sklaven, die stellvertretend für Schwarze Frauen steht, die andere umsorgen, kochen und etwas dafür tun müssen, um Rechte und Anerkennung zu bekommen. Doch im Vergleich zu der fiktiven Figur Sister Sadie, haben ‘echte’ Frauen keine unerschöpfliche Ausdauer, sondern können wütend, frustriert und mutig sein, haben echte Krankheiten und leiden an tiefen Wunden (vgl. Sankofa 2019).

 

IV. Rezeption

MISSISSIPPI GODDAM wurde als Single ausgekoppelt und an verschiedene Radiosender geschickt. Verschiedenen Berichten zufolge kam es vor, dass Exemplare in zwei Hälften zerbrochen wieder zurückgeschickt wurden. In den Südstaaten der USA wurde das Lied verboten. Bei den Protestgängen von Selma nach Montgomery im Jahr 1965 sang Simone das Lied zusammen mit politisch engagierten Künstlern wie Sammy Davis Jr., James Baldwin und Harry Belafonte (vgl. Shapiro/Noah/Metah 2023).

MISSISSIPPI GODDAM wurde in den 500 Greatest Hits of All Time des Rolling Stone auf Platz 172 gewählt (Rolling Stone 2024). Der Mitschnitt des Songs auf dem sechsten Jazz à Juan-Festival im Jahr 1965 hat auf YouTube bereits über 5,6 Mio. Aufrufe (Stand: 14.05.2025). Dies hängt sicherlich auch damit zusammen, dass die besungene Thematik immer wieder in neue Kontexte gestellt werden kann und die Polizeigewalt gegenüber People of Color in den USA sowie Racial Profiling nach wie vor einen sozialen Missstand kennzeichnen. Letzteres verdeutlicht etwa die Black Lives Matter-Bewegung, die ausgelöst wurde durch den Freispruch eines Wachmanns, der für den Tod des 17-jährigen Schülers Trayvon Martin im Jahr 2012 verantwortlich ist.

Die kulturelle Bedeutung des Songs dokumentiert sich u. a. in der Aufnahme ins National Recording Registry durch die Library of Congress im Jahr 2019.

 

LISA SCHMID


Credits

Vocals: Nina Simone
Gitarre: Rudy Stevenson
Bass: Lisle Atkinson
Drums: Bobby Hamilton
Musik, Text: Nina Simone
Produzent:
Hal Mooney
Label: Philips Records
Aufnahme: 1964 live at Carnegie Hall
Veröffentlichung: 1964
Länge: 4:45 min (Albumversion), 6:65 min (Singleversion)

Recordings

  • Nina Simone. “Mississippi Goddam”, In Concert, 1964, Philips, PHM 200-135, USA (Vinyl/Album).

Covers

  • Andra Day. “Mississippi Goddam”, Mississippi Goddam, 2015, RCA Records (Single).
  • Blacker Face. “Mississippi Goddam”, Mississippi Goddam, 2017, Self-Released, USA (MP3/Album).
  • Choro Azul. “Mississippi Goddam”, Mississippi Goddam, 2003, Vinylsoyuz, ASTP-5015, Japan (Vinyl/Album).
  • Kelsey Waldon. “Mississippi Goddam”, They’ll Never Keep Us Down, 2021, Oh Boy Records, OBR-058, USA (Vinyl/Album).

References

Films

  • What happened, Miss Simone? Liz Garbus (Director; Screenplay). Netflix; Moxie Firecracker Films, 2015.

About the Author

Analysis written in a course of Prof. Dr. Fernand Hörner at the University of Applied Sciences Düsseldorf.
All contributions by Lisa Schmid

Citation

Lisa Schmid: “Mississippi Goddam (Nina Simone)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/mississippi-goddam, 05/2025.

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