1980
Joy Division

Love Will Tear Us Apart

LOVE WILL TEAR US APART ist der erfolgreichste Song der Post-Punk-Band Joy Division. Einen Monat nach der Erstveröffentlichung am 27. Juni 1980 nahm sich Ian Curtis, der Sänger und Texter der Band, das Leben.

I. Entstehungsgeschichte

LOVE WILL TEAR US APART wurde im August 1979 geschrieben und nimmt textlich Bezug auf die Eheprobleme von Ian und Deborah Curtis. Nach Aussage des Bassisten der Band, Peter Hook, dauerte es nur drei Stunden, bis der Song fertig war. Die erste Aufnahme des Songs fand im November 1979 für eine Session des BBC-Moderators John Peel statt, der ein großer Fan von Joy Division war. Die der Öffentlichkeit vertraute Version wurde im März 1980 in den Strawberry Studios, Stockport, aufgenommen und am 27. Juni 1980 als 7″-Single veröffentlicht; sie kletterte bis auf Platz 13 der UK-Single-Charts und war der erste Charterfolg von Joy Division.

Im August desselben Jahres folgte eine Alternativversion auf einer 12″-Pressung, aufgenommen in den Pennine Sound Studios in Oldham.

II. Kontext

Bereits mit Veröffentlichung des ersten Studioalbums Unknown Pleasures im Juni 1979 begann sich eine Art Kult um Joy Division zu entspinnen. Prestigeträchtige Auftritte wie auf dem Leigh Folk Festival oder dem Futurama Festival im selben Jahr verstärkten diesen Kult resp. die Bekanntheit der Band enorm. Auch wenn die Charterfolge bis dahin ausgeblieben waren, wurden die Bandmitglieder der Vorzeichen eines großen Erfolgs gewahr, sodass sie sich mit voller Begeisterung in die Arbeit an der Band stürzten. Parallel dazu wurden die Leiden von Ian Curtis immer stärker. Seine epileptischen Anfälle kamen nun immer häufiger und wurden intensiver; auch auf der Bühne sollten sie ihn nicht verschonen. Die Medikamente gegen die Epilepsie verstärkten seine Depressionen. Von einem Arzt dazu angehalten, ein ruhiges Leben ohne Drogen, Alkohol und den stressigen Touralltag zu führen, um seinem sich verschlechternden Zustand entgegenzuwirken, sah sich Curtis in einen Zustand der Zerrissenheit geworfen. Denn der Kult um Joy Division war ohne Ian Curtis als Frontmann kaum denkbar. Curtis sorgte sich um seine Gesundheit, aber auch um seine Bandmitglieder, die er mit seinem Zustand in ihrem Schaffen auszubremsen glaubte. Diese Gedanken äußerte er jedoch nur gegenüber ihm nahestehenden Personen, niemals im Angesicht seiner Bandmitglieder oder seines Produzenten. Ebenfalls in dieser Zeit zerfiel auch die in sehr jungen Jahren geschlossene Ehe mit Deborah Curtis. Der Beginn der Eheprobleme fällt etwa mit der Geburt von Natalie Curtis am 16. April 1979 zusammen. Ian Curtis selbst hatte immer wieder Affären, wenn er auf Tour war. Mit der belgischen Journalistin Annik Honoré etwa, die Joy Division auf der Tour mit den Buzzcocks 1979 begleitete, entstand eine intensive Beziehung. Während der Europa-Tournee Anfang 1980 kam ihm Deborah auf die Schliche, in der Ehe begann es zu kriseln.

Nach den Aufnahmen zu Joy Divisions zweitem Album Closer stand trotz der stärker werdenden gesundheitlichen Probleme des Sängers die erste Amerika-Tour der Band an. Am 17. Mai 1980 war Ian Curtis zu seiner Frau nach Macclesfield gefahren, um sie von der ihrerseits eingereichten Scheidung abzubringen. Seine Versuche blieben jedoch erfolglos und er verbrachte die Nacht auf eigenen Wunsch allein ohne seine Frau. Diese sollte erst nach Curtis’ geplanter Abreise nach Manchester am nächsten Tag wiederkommen. Als Deborah dann die Wohnung betrat, fand sie Ian Curtis tot vor. Er wurde 23 Jahre alt.

III. Analyse

Drei Aspekte sind in Bezug auf Wahrnehmung und Wirkung von LOVE WILL TEAR US APART in besonderem Maße zu beachten: erstens die Geschichte des Sängers Ian Curtis, zweitens die spezielle Aufnahmetechnik von Martin Hannet und drittens die Lead-Melodie gespielt auf dem ARP Omni.

Was den Bandmitgliedern aufgrund mangelnder Kommunikation zu Zeiten von Joy Division entging, wird dem Hörer im Wissen um die Beziehungsprobleme und um den Selbstmord umso deutlicher: Curtis singt von sich selbst, teilt seinen Schmerz mit und verbalisiert sein inneres Leiden bezüglich der zerbrechenden Ehe mit Deborah Curtis. In der ersten Strophe bleibt Curtis noch eher allgemein (“When routine bites hard and ambitions are low”), singt aber bereits von einem Wir und einem gegenseitigen Entfremden (“And we’re changing our ways, taking different roads”). In den folgenden beiden Strophen rückt Curtis von diesem Wir ab und beginnt das lyrische Ich mittels (selbst)kritischer Fragen in den Fokus der Beziehungsprobleme zu stellen (“Why is the bedroom so cold?”, “Is my timing that flawed?”, “Do you cry out in your sleep?”). Dem gegenüber stehen in den Strophen 2 und 3 die guten Seiten der Beziehung (“Yet there’s still this appeal that we’ve kept through our lives”, “And is it something so good just can’t function no more?”). Dadurch wird die Schuldzuweisung noch extremer, da das lyrische Ich durch sein Handeln etwas zerstört, das sehr schön ist bzw. war. Beide aufgeführten Verse stehen am Ende einer Strophe und münden in den Refrain. Im Fall der zweiten Strophe liegt eine konzessive Satzverbindung vor (“Yet there’s still this appeal that we’ve kept through our lives / But love, love will tear us apart”), in der dritten Strophe ein Konditionalsatz (“And is it something so good just can’t function no more? / When love, love will tear us apart”). In beiden Fällen ist es die Liebe selbst, an der die Beteiligten scheitern werden bzw. schon gescheitert sind. Es geht nicht darum, die Liebe wiederzufinden oder wiederzubeleben, da sie selbst der Grund für die gescheiterte Beziehung ist. Das lyrische Ich ist also ein Aktant, der sich selbst die Schuld an einer gescheiterten Beziehung gibt, gleichzeitig aber nichts dafür kann. Es ist, als höre man die traurige Geschichte des Sängers und erweitere sie gedanklich um dessen tatsächliches Ende und jenes seiner Band Joy Division. Insofern intensiviert die Lebensgeschichte des Ian Curtis retrospektiv die Wirkung von LOVE WILL TEAR US APART. Der spezielle, kalte, dunkle und unheimliche Sound von Joy Division ist nicht nur auf die vier Bandmitglieder Ian Curtis, Peter Hook, Bernard Sumner und Stephen Morris zurückzuführen, sondern auch auf den Produzenten Martin Hannet (1948–1991). Morris betonte, ohne Hannet hätte Unknown Pleasures nicht seinen besonderen “winterlichen” Klang gehabt. Hannet intensivierte gewissermaßen die unheimliche Atmosphäre der Musik von Joy Division. Er galt als Synästhet, der sehr begabt im Bereich des “Ambient Control” war. Sein “Lieblingsspielzeug” war die AMS Digital Delay Line, die für den Song “Digital” sogar namensgebend war. Hannet nutzte das Gerät, um sonische Räume zu erschaffen, die in ihren Dimensionen (bzw. Aufschichtungen) und Klangreflexionen sehr echt wirkten. War Punk noch davon geprägt, dass alle Instrumente gleichzeitig in einer Session aufgenommen wurden, so wandte sich Hannet älteren Produktionsstilen zu und nahm jedes Instrument einzeln auf, um die verschiedenen Spuren frequenztechnisch so gut wie möglich voneinander trennen und um jedem einen eigenen klanglichen Raum zuteilen zu können. Morris musste jeden Part seines Drum-Kits einzeln einspielen, was ihn zum Teil vor große Probleme stellte. Mittels Micro-Second-Delay auf den Drums erschuf Hannet auf diese Weise einen Klang, der einem Mausoleum hätte entspringen können.

Hannet kreiert mit seiner akribischen Hingabe zum “Ambient Control” auch bei LOVE WILL TEAR US APART erstaunliche sonische Räume. Zum einen öffnet er insbesondere über das Schlagzeug und das Micro-Second-Delay den Raum und vergrößert ihn zu einer kleinen Halle, in der man sich Joy Division kaum ohne großes Publikum vorstellen mag. Zum anderen stellt er den Gesang von Ian Curtis in ein soundästhetisch sehr steriles Zentrum. Hier ist der Sänger alleine, wie in einem Glaskasten stehend, mit seinen Leiden, die er dem Hörer ins Ohr singt, womit er an den Gesangs- und Aufnahmestil des Crooning erinnert. Dieser verstärkt den Eindruck, den man auf der lyrischen Ebene von dem Sänger bekommen hat und intensiviert die ambivalente bzw. gebrochene Person des Ian Curtis.

Es gibt allerdings ein Element bei LOVE WILL TEAR US APART, das die dunkle und kalte Atmosphäre von Joy Division konterkariert und dem als gebrochen stilisierten Charakter des lyrischen Ichs entgegenwirkt: die Lead-Melodie gespielt auf dem ARP-Omni und dem Bass. Während der drei Strophen werden auf dem Keyboard die Akkorde des Songs gespielt, sie haben eine “füllende” Funktion, erzeugen eine Art Klangteppich. Mit Einsetzen des Refrains setzen diese Akkorde vorerst aus und das Keyboard spielt ausschließlich die Lead-Melodie, die der des Gesangs von Ian Curtis entspricht. Das Ausbleiben der Akkorde rückt die Melodie, den Gesang und den in hohen Lagen sehr offensiven Klang des Keyboards klar in den Vordergrund. Diese drei Elemente – die Melodie und die jeweiligen Klangfarben von Curtis und dem ARP-Omni – verschmelzen zu einer klangästhetischen Einheit, die so den traurigen Aspekt des Songs gekonnt intensiviert.

Wie bereits dargelegt, lässt sich die traurige Botschaft kaum ohne den Realitätsbezug zu der Geschichte von Ian Curtis lesen. Und so erfährt auch die von vielen als gespalten wahrgenommene Persönlichkeit des Ian Curtis hier eine weitere Dimension, gespalten insofern, als er privat und auf der Bühne zwei verschiedenen Menschen glich. Privat eher zurückgezogen, ruhig und verschlossen, blühte er auf der Bühne richtig auf, war extrovertiert, begeisternd und vital (eindringlich dargestellt von Sam Riley in dem Biopic Control von Anton Corbijn, der 2007 in die Kinos kam). Sein Leiden fand auf der Bühne innerhalb der Texte statt, doch im Privaten fand es keinen verbalen Ausdruck, was dazu führte, dass er sich innerlich zurückzog.

IV. Rezeption

LOVE WILL TEAR US APART war der erste Charterfolg von Joy Division. Der Song kletterte auf Platz 13 der UK-Single-Charts in 1980, ein Jahr später erreichte er in Neuseeland Platz 1. Nach dem Tod von Ian Curtis wurde der Song mitunter als “suicide note” betrachtet, Deborah Curtis veranlasste, dass die Worte “Love Will Tear Us Apart” als Inschrift auf das Grab des Joy-Division-Sängers gesetzt wurden. In 2002 krönte der NME LOVE WILL TEAR US APART als beste Single aller Zeiten, in der aktuellen Rolling-Stone-Liste der 500 Greatest Songs of All Time taucht er auf Platz 181 auf.

 

CHRISTIAN KINKEL


Credits

Gesang: Ian Curtis
Bass: Peter Hook
Gitarre: Bernard Sumner
Keyboard: Bernard Sumner
Schlagzeug: Stephen Morris
Text: Ian Curtis
Musik: Joy Division
Produzent: Martin Hannet
Label: Factory
Veröffentlichung: April 1980
Länge: 3:28

Recordings

  • Joy Division. “Love Will Tear Us Apart”. On: Love Will Tear Us Apart / These Days, 1980, Factory, FAC 23, UK (7“/Single).
  • Joy Division. “Love Will Tear Us Apart”. On: Substance, 1988, Factory, FAC 250, UK (LP).
  • Joy Division. “Love Will Tear Us Apart”. On: Love Will Tear Us Apart / Transmission, 2009, Cleopatra, CLP 3673, US (7“/Single).

References

  • Control. Director: Anton Corbijn. Capelight Pictures, 2008 (DVD).
  • Joy Division. Director: Grant Gee. Hudson Production, 2009 (DVD).
  • Reynolds, Simon: Rip It Up and Start Again. Post-punk 1978–84, London: Faber 2005.
  • “The 500 Greatest Songs of All Time”. In: Rolling Stone, https://www.rollingstone.com/music/music-lists/500-greatest-songs-of-all-time-151127/ [13.11.2018].

About the Author

Analysis written in a course of Prof. Dr. Thomas Krettenauer at the University of Paderborn.
All contributions by Christian Kinkel

Citation

Christian Kinkel: “Love Will Tear Us Apart (Joy Division)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/lovewilltearusapart, 11/2018.

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