1962
The Beatles

Love Me Do

LOVE ME DO, die A-Seite ihrer ersten Single, war die erste reguläre Studioaufnahme der Beatles. Mit dem Song starteten sie 1962 ihre Tonträger-Karriere.

I. Entstehungsgeschichte

LOVE ME DO ist eines der ältesten Produkte der Songwriting-Partnerschaft von John Lennon (1940-1980) und Paul McCartney (*1942), den die Band, damals noch unter dem Namen The Quarrymen, bereits seit Ende der 1950er Jahre in ihrem Programm hatte. Allerdings beschränkte sich John Lennons Anteil nach eigenen Angaben auf den Mittelteil des Stücks.

LOVE ME DO ist in mehreren Versionen und mehreren Takes aufgenommen worden. Die erste Version entstand im Rahmen des Probevorspiels bei der EMI am 6. Juni 1962 mit Pete Best (*1941), dem ursprünglichen Drummer der Band, am Schlagzeug. Sie galt lange als verschollen und ist erst 1995 auf dem Sampler Beatles Anthology I veröffentlicht worden. Am 4. September 1962, der ersten regulären Aufnahmesession der Beatles, inzwischen mit Ringo Starr (*1940) am Schlagzeug, wurde der Song zunächst in siebzehn Takes eingespielt. Am 11. September 1962 ließ EMI-Produzent George Martin (*1926) eine weitere Version mit nochmals fünfzehn Takes einspielen, diesmal mit Andy White (*1930), einem professionellen Studiomusiker am Schlagzeug und Ringo Starr am Tambourin. Veröffentlicht wurde am 5. Oktober 1962 auf dem EMI-Label Parlophone dann aber doch die ursprüngliche Version, gekoppelt mit “P.S. I Love You” als B-Seite der Single. Für alle weiteren Veröffentlichungen, so auf dem ersten Album Please, Please Me (1963), der nachfolgenden EP The Beatles’ Hits (1963), verschiedenen Kompilationen und späteren Singles, ist dann aber die Aufnahme mit Andy White am Schlagzeug herangezogen worden. Da das Master der ursprünglichen Single-Version verloren gegangen ist, wurde 1988 für die Kompilation Past Masters von einer 45er-Single noch einmal ein technisches Remaster gezogen.

Die Beatles haben den Song mit Ringo Starr am Schlagzeug zwischen 1962 und 1963 noch mehrere Male für die BBC eingespielt. Eine dieser Aufnahmen – für die Radio-Show Pop Go the Beatles (1963) – ist 1994 in die Kompilation Live at the BBC integriert worden. Eine weitere Aufnahme, die als illegales Bootleg sowohl über das Yellow Dog Label wie über Purple Chick Records zirkuliert, enthält eine Fassung, die am Rande der Get Back-Sessions für den Dokumentarfilm Let It Be (1970) als Lockerungsübung zum Warmspielen entstand, aber nicht zur Veröffentlichung bestimmt war.

Die Aufnahmen von LOVE ME DO sind mono abgemischt, für spätere Stereo-Veröffentlichungen kam das sogenannte Duophonic-Verfahren zum Einsatz, ein von Capitol Records in den USA 1960 entwickeltes Verfahren der Pseudo-Stereofonie.

II. Kontext

Mit der Veröffentlichung des Songs zog erstmals ein ganz anderes Grundverständnis von populärer Musik in die Hitparaden ein, das die von den Rezensenten damals viel gelobte “Frische” der Beatles ausmachte. Bemerkenswert war an dieser Aufnahme, dass sie die bis dahin konsequent behaupteten professionellen Standards in der Musikproduktion hörbar durchbrach. Hier hatten Jugendliche im Studio gestanden, die mit ihrer naiven Unbekümmertheit und der enthusiastischen Unbedarftheit den Routiniers des musikalischen Unterhaltungsbetriebs Paroli boten. Das Material, das sie einspielten, war nicht mehr – wie damals üblich – von professionellen Songschreibern aus der Musikverlagsindustrie geliefert worden, sondern im Live-Betrieb vor dem jugendlichen Publikum entstanden. Der Gegensatz zum etablierten Musikbetrieb, der von Tanz-Orchester im streichergesättigten Swing-Sound und Schlager im romantischen Balladen-Stil dominiert war, konnte größer nicht sein. Zwar waren die Beatles weder die ersten noch die einzigen, die Zeugnis gaben von den Veränderungen auf dem Musikmarkt, auf dem sich eine jugendliche Käuferschicht mit ihrem Musikgeschmack unaufhaltsam behauptet. Aber sie waren die erfolgreichsten. LOVE ME DO ist der erste Song aus der als Mersey Beat bekannt gewordenen Amateurmusikbewegung jener Jahre, der dank der EMI als damals weltgrößtem Tonträgerkonzern eine überdurchschnittliche Medienpräsenz erhielt. So kaufte die EMI Sendezeit bei Radio Luxemburg und sorgte dafür, dass die Band die Single bei der BBC in sechs Radio Shows und bei insgesamt fünf Auftritten im britischen Fernsehen promoten konnte.

III. Analyse

LOVE ME DO basiert auf dem klassischen 32-Takte-Schema des traditionellen Popsongs mit der Abfolge A-A’-B-A, dem ein achttaktiges Intro voran- und ein achttaktiges Outro nachgestellt ist. Grundbestandteile sind eine zweitaktige Melodiephrase, abwechselnd von Gesang und Mundharmonika vorgetragen, eine knappe Rhythmusfloskel in den Begleitstimmen sowie das unablässig wiederkehrende “Love, love me do, I know, I love you” im Refrain des Textes. Die Bassgitarre, von einigen wenigen Durchgangstönen abgesehen, pendelt zwischen den Grundtönen der verwendeten drei Akkorde, während die Rhythmusgitarre die gleichmäßig durchgeschlagenen Dreiklänge dazu liefert und die Leadgitarre dem Gesang folgt. Darunter liegt eine die Zählzeiten markierende und den Back Beat betonte Schlagzeugfigur, in der Version mit Andy White am Schlagzeug durch ein Tambourin auf den Viertel-Zählzeiten ergänzt. Das Wechselspiel von Paul McCartneys Gesang, von Lennon chorisch unterstützt, und den Mundharmonikaeinschüben ist das tragende Element des Songs, für den Carl Perkins’ (1932-1998) schon etwas ältere Country-Ballade “Sure to Fall (In Love with You)” (1956) hörbar Pate gestanden hatte, während die Mundharmonikaeinschübe dem “Hey Baby” (1961) des amerikanischen Popsängers Bruce Channel (*1940) entlehnt waren. Bei dessen Liverpooler Konzert im Juni 1962 hatten die Beatles zusammen mit Howey Casey And The Seniors, The Big Three und The Four Jays – die Lokalmatadore des Liverpooler Mersey Beat in jenen Jahren – das Vorprogramm bestritten.

Dass hier nicht mehr ein einzelner Sänger, sondern die Gruppe als Ganzes den Identifikationsbezug für das Publikum abgab, durchbrach die der Popmusik traditionell zugrunde liegenden ästhetischen Kommunikationsmuster. Hinter dem “Love, love me do, I know, I love you…” verbarg sich nicht mehr das stilisierte Rollenspiel des schmachtenden Liebhabers; von mehreren gesungen, machte das keinen Sinn mehr. Der Song entbehrt damit jener Theatralik, die dem traditionellen Popsong aus seiner Verwurzelung in der musikalischen Bühnenunterhaltung – der Operette, der Music Hall, später dem Tonfilm – zugewachsen war. Das verschob zwangsläufig auch die ästhetischen Koordinaten der Musik, die nicht mehr als Chiffre individuellen Ausdrucks, der im Sänger personifizierten Emotionen genommen werden konnte. Hinter dem Song stand nicht mehr das romantisierte “Ich”, sondern nun ebenso sicht- wie hörbar ein kollektives “Wir”; und das hob die Musik aus einem Kommunikationsmuster heraus, in der sie als Klangzeichen individueller Emotionen aufgefasst war.

IV. Rezeption

LOVE ME DO gelangte eine Woche nach der Veröffentlichung auf Platz 49 der “Record Retailer Top 50 Singles (U.K.)” und erreichte bis zum 27.12.1962 Platz 17. In den “Music Week Top 20 Singles (U.K.)” wurde die Platte am 29.12.1962 ebenfalls mit Platz 17 gelistet. In den USA, wo der Song am 27.4.1964 auf dem Vee-Jay-Sublabel Tollie Records erschien, erreichte er am 30. Mai 1964 Platz 1 der “Billboard Hot 100”.

Angesichts des Umstandes, dass sich der Mainstream des britischen Musikgeschäfts Anfang der 1960er Jahre noch immer an den traditionellen Käuferschichten orientierte, war der schrittweise Aufstieg der Single über ein knappes Vierteljahr bis auf den siebzehnten Platz – die durchschnittliche Verweildauer einer Produktion in den Charts betrug damals drei Wochen – durchaus bemerkenswert, auch wenn das mit den späteren spektakulären Erfolgen der Beatles nicht mithalten kann. Eine aus Anlass des zwanzigjährigen Jubiläums der Erstveröffentlichung 1982 veröffentlichte Neupressung als Picture Disc erreichte im Oktober 1982 Platz 4 der britischen Single-Charts.

Der Song ist mehrfach gecovert worden, ohne dass eine dieser Versionen allerdings nennenswerte Aufmerksamkeit fand. Ringo Starr (*1940) nahm ihn für sein 1998 erschienenes elftes Studioalbum mit Unterstützung von George Harrison und Paul McCartney noch einmal neu auf, hielt sich dabei aber strikt an die ursprüngliche Version. Von der Cover-Version, die David Bowie auf seiner Ziggy Stardust Tour gespielt hat, gibt es keine Aufnahmen.

 

PETER WICKE


Credits

Komposition/Text: John Lennon/Paul McCartney
Harmonika / Backing Vocals: John Lennon
Bassgitarre / Lead Vocals: Paul McCartney
Akustik-Gitarre: George Harrison
Schlagzeug (ursprüngliche Single-Version) / Tambourin (zweite Version): Ringo Starr
Schlagzeug (zweite Version): Andy White
Produzent: George Martin
Aufnahmetechnik: Norman Smith, Geoff Emerick (Assistant Engineer)

Recordings

  • The Beatles. “Love Me Do”, Love Me Do / P.S. I Love You, Parlophone R 4949 (GB 1962).
  • The Beatles. “Love Me Do”, The Beatles Anthology 1, (Apple/EMI 7243 8 34445 2.6, UK 1995).
  • The Beatles. “Love Me Do”, Please, Please Me, (Parlophone 46435, UK 1963).
  • The Beatles. “Love Me Do”, Live at the BBC, (Apple 31796, UK 1994).
  • The Beatles. “Love Me Do”, Past Masters Vol. I, (Capitol Records C2-90043, US 1988).
  • Ringo Starr. “Love Me Do”, Vertical Man, (Mercury 558 598-2, US 1998).

References

  • Lewisohn, Mark: The Complete Beatles Recording Sessions. London: Harmony Books 1988.
  • Harry, Bill: The Ultimate Beatles Encyclopedia. London: Virgin Books 1992.
  • Kehew, Brian/ Ryan, Kevin: Recording the Beatles – The studio equipment and techniques used to create their classic albums. Houston TX: Curvebender Publishing 2008.

Films

  • Beatles Ultimate Experience – Songwriting & Recording Database. URL: http://www.beatlesinterviews.org/dba01please.html [19.12.2011].
  • Übersicht über Pressungen und Matrizen. URL: http://www.moptop.org/music/docs/beatles/cv/uksingle/r4949.htm [19.12.2011].
  • Artist homepage: http://www.thebeatles.com/ [07.11.2011].
  • Database: http://www.discogs.com/artist/Beatles%2C+The [07.11.2011].
  • Download: http://www.apple.com/the-beatles/ [07.11.2011].
  • Music video: http://www.dailymotion.com/video/x6szez_the-beatles-love-me-do-live-1964-hq_music [19.12.2011].
  • Lyrics: http://www.thebeatles.com/#/songs/Love_Me_Do2 [19.12.2011].

About the Author

Prof. Dr. Peter Wicke is a retired professor of musicology. From 1992 to 2016 he held the chair for "Theory and History of Popular Music" at the Humboldt University Berlin.
All contributions by Peter Wicke

Citation

Peter Wicke: “Love Me Do (The Beatles)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/lovemedo, 12/2011 [revised 10/2013].

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