1963
The Kingsmen

Louie Louie

LOUIE LOUIE (1963), bekannt geworden in einer Aufnahme mit den Kingsmen, gehört mit inzwischen mehr als eineinhalbtausend Versionen zu den am häufigsten gecoverten Songs in der Geschichte der populären Musik.

I. Entstehungsgeschichte

Der afroamerikanische Doo-Wop-Sänger und Songschreiber Richard Berry (1935-1997) schrieb LOUIE LOUIE 1955 am Beginn seiner Karriere, angeregt durch den von dem kubanischen Bandleader Rosendo Ruiz Quevedo (1885-1983) geschriebenen Titel “Amarren al Loco”, der in den USA in einer von René Touzet y Monte (1916-2003) arrangierten Fassung als “El Loco Cha Cha” (1948) bekannt war. Berry kam mit dem Titel in einer Calypso-Version von Ricky Rillera and the Rhythm Rockers in Kontakt, mit denen er Mitte der 1950er Jahre als Background-Sänger auftrat. Die Urversion des Songs wurde im April 1957 von den Pharaohs, einer Rhythm & Blues-Band aus Los Angeles, mit Berry als Lead-Sänger aufgenommen. Sie erschien noch im gleichen Monat als B-Seite zu einer Rhythm & Blues-Fassung des Country-Standards “You are My Sunshine”. Die Platte war mit ihrer A-Seite in Los Angeles zwar ein lokaler Hit, Berrys LOUIE LOUIE hinterließ aber kaum Spuren. 1960 fiel die Single in die Hände von “Rockin'” Robin Roberts (1940-1967) aus Seattle (Washington), der den Song mit seiner Band The Wailers erneut aufnahm. Die 1961 auf dem lokalen Label Etikette Records erschienene Aufnahme wurde im Nordwesten der USA zu einem Hit und gehörte zum Standard-Repertoire der ähnlich den britischen Beatgruppen damals überall aus dem Boden schießenden Schülerbands. Auch die Kingsmen, die in der Region hauptsächlich mit nachgespielten afroamerikanischen Rhythm & Blues-Songs unterwegs waren, hatte als Schülerband begonnen. Legendär war ihre vom Publikum als besondere Attraktion gefeierte 90-Minuten-Marathonversion von LOUIE LOUIE. Die Kurzfassung wählten sie für ihre zweite Single aus, die am 6. April 1963 im Studio der Northwestern, Inc., Motion Pictures and Recording in Portland aufgenommen wurde. Als Produzent agierte Ken Chase (*1932), Clubeigentümer und Radio-DJ in Portland; an den Reglern saß der Eigentümer des Studios, Robert Lindahl (*1927). Es war nicht die einzige Aufnahme von LOUIE LOUIE, die damals entstand, denn der Song hatte sich aufgrund seiner Tanzbarkeit als ein Party-Phänomen etabliert. Eine der bekannteren Versionen war die von Paul Revere & the Raiders, die 1962 sogar im gleichen Studio in Portland produziert worden ist. Doch es war die Produktion der Kingsmen, die im Jahr darauf den legendären Ruf des Songs begründete. Die Veröffentlichung erfolgte im Mai 1963 auf dem Label Jerden Records in Seattle. Dessen Eigentümer, Jerry Dennon (*1932), ließ sich im Gegenzug dafür als Mit-Produzent registrieren. Der Start der Single war allerdings alles andere als vielversprechend. Erst als die Aufnahme im Oktober 1963 zu Wand Records in New York transferiert worden war – ebenfalls ein gerade gestartetes Mini-Label, aber damals mit den Isley Brothers erfolgreich – kam der Durchbruch.

II. Kontext

Anfang der 1960er Jahre führten eine Reihe von Veränderungen im Mediensystem der USA zu einer deutlichen Zunahme des Stellenwertes regionaler Musikformen, die vor allem Bands und Musikern zugute kamen, die fernab von New York und Los Angeles, den Zentren der Musikindustrie, tätig waren. Das betraf zum einen die rasch ansteigende Zahl von kommerziellen UKW-Stationen ab Ende der 1950er Jahre, womit sich die Zahl der Sendeminuten und damit der Musikbedarf potenzierte. Vor allem aber hatte der Gesetzgeber in der Folge von massiven kommerziell gesteuerten Einflussnahmen auf die Programminhalte sowohl im Rundfunk wie im Fernsehen Regeln erlassen, die zu einschneidenden Strukturveränderungen in den US-Medien führten.

1958 erschütterte der sogenannte “Quiz Show Skandal” mit dem Bekanntwerden von Manipulationen an den beliebten TV-Rate-Shows die amerikanische Öffentlichkeit, mit der Konsequenz, dass die Finanzierung von kompletten Sendungen durch einen einzigen Sponsor ersetzt wurde durch eine vom Programm abgekoppelte Finanzierung mittels Werbespots unterschiedlicher Anbieter. Das wiederum öffnete die Fernsehstudios auch für das jeweilige lokale und regionale Musikgeschehen, denn damit nahm die Ausstrahlung von zentral produzierten Sendungen durch Programm-Übernahmen (Content Syndication) dramatisch ab. So erhielten auch die Kingsmen eine Chance bei den Lokalsendern. Die damals entstandenen Fernsehaufnahmen kursieren noch heute im Netz.
1959 löste die Payola-Affaire (payola = pay for airplay), die Bestechung von Radio-DJs durch die Promoter der großen Plattenfirmen, eine ähnliche Veränderung auf dem Radio-Sektor aus. Die Sender waren fortan gezwungen, die Programmgestaltung eigens dafür eingesetzten Programm-Direktoren zu überlassenen, um den Einfluss der Plattenfirmen auf die Präsentation ihrer Produktionen im Radio zu unterbinden.

Insgesamt eröffnete sich so um die Wende zu den 1960er Jahren auf der lokalen und regionalen Ebene eine Vielzahl von neuen Zugängen zu den Medien. Und damit stieg auch im Publikum die Akzeptanz für die kulturelle Vielfalt dessen, was noch im Jahrzehnt zuvor als “Hillbilly” (wörtlich “Hügelwilly”, soviel wie “Landei”) abgewertet war.
Ohne diese Veränderungen hätte die Produktion einer gerade der Schule entwachsenen Band auf einem Label aus Portland, damals tiefste Provinz, kaum ihren Weg nach New York und von dort bis in den letzten Winkel des Landes gefunden. LOUIE LOUIE ist in den USA deshalb bis heute so etwas wie ein Symbol für die Einheit in der kulturellen Vielfalt des Landes und umgekehrt.

III. Analyse

Die Grundlage des Songs ist ein Riff, der auf dem Latin-Rhythmus von “El Loco Cha Cha” basiert. Er zieht sich in Gitarre, Bass und Keyboard, unterstützt vom Schlagzeug, stereotyp durch den gesamten Titel hindurch, der nach dem klassischen AABA-Schema aufgebaut ist. Die A-Teile sind jeweils 32 Takte lang und zweigeteilt, 16 Takte Refrain, 16 Takte Strophe, wobei sie sich trotz unterschiedlicher Melodiegestaltung infolge des durchlaufenden Riffs im Charakter kaum voneinander unterscheiden. Kontrastierend angelegt ist lediglich der als Bridge fungierende und ebenfalls 32 Takte lange B-Teil, der von einem Gitarrensolo geprägt ist, das den auch hier durchlaufenden Riff umspielt. Von dieser minimalistischen Gesamtanlage geht etwas ausgesprochen Zwingendes aus, was wohl der Grund dafür ist, dass dieser Song als ideale Tanznummer zum Party-Hit werden konnte. Außerdem lässt er sich beliebig verlängern, ohne dass sich der ohnehin durch Wiederholungen geprägte Charakter der Musik verändern würde – für die Live-Aufführung bei Tanzveranstaltung ein nicht unwesentlicher Gesichtspunkt.

Bemerkenswert ist der Gesangsstil, der die Punk-Ästhetik vorwegnimmt, die ein gutes Jahrzehnt später die Entwicklung der Popmusik tiefgreifend verändern sollte. Der Gesang ist ähnlich grölend wie bei den britischen Punk-Bands der 1970er Jahre; der Text – der Bericht eines Seemanns, der in der Ich-Perspektive von seinem Mädchen erzählt – nahezu unverständlich. Mag der insgesamt trashige Charakter des Titels auch den Low-Budget-Produktionsbedingungen geschuldet sein, er war nicht untypisch für die Schülerbands aus der US-Provinz in den 1960er Jahre und hat schon damals die Bezeichnung “Punk” für diese eigentlich als “Garage Rock” firmierende Spielart der Rockmusik aufkommen lassen, auch wenn die noch völlig frei von den Konnotation war, die der Begriff dann ein reichliches Jahrzehnt später erhielt.

IV. Rezeption

LOUIE LOUIE erreichte Mitte Dezember 1963 Platz 2 der US Single Charts und hielt sich dann für insgesamt 16 Wochen unter den Top Ten. Allerdings standen die Single-Verkäufe in keinem Verhältnis zu der alles übertreffenden Popularität des Songs. Dennoch spielte er Millionen ein, von denen die Kingsmen, die sich bereits 1964 wieder aufgelöst hatten, ihren Anteil jedoch erst 35 Jahre später nach einer langen gerichtlichen Auseinandersetzung mit den Rechtsnachfolgern von Wand Records zugebilligt bekamen.

Die Single gelangte 1966 noch einmal in die Charts, denn das Lied war inzwischen zu einem Dauerbrenner auf Teenager-Parties geworden. Eine nicht unbeträchtliche Rolle für den anhaltenden Erfolg des Titels dürfte allerdings auch die Tatsache gespielt haben, dass über den kaum verständlichen Text das Gerücht kursierte, er enthalte sexuell explizite Passagen. Immer wieder tauchten Textversionen auf, die den vermeintlich “wirklichen” Wortlaut enthüllten. Angeblich ließe sich dieser ohnehin nur entziffern, wenn die Platte mit halber Geschwindigkeit abgespielt würde. Selbst das FBI startete 1964 eine dreißigmonatige Untersuchung mit Bezug auf das Law Against Interstate Transportation of Obscene Material, das die Verbreitung von Pornografie bekämpfte. In den inzwischen öffentlich zugänglichen FBI-Akten – mittlerweile sogar von einem Fan kopiert, gebunden und über das Internet vertrieben – finden sich nicht nur zahlreiche der damals zirkulierenden Textversionen, sondern auch die abschließende Feststellung, dass trotz sorgfältigster Prüfung keinerlei verborgene Obszönitäten ausgemacht werden konnten.

Insbesondere in den USA, wo der 11. April als International Louie Louie Day begangen wird, in Peoria (lll.) seit den 1980er Jahren eine jährliche Louie Louie Parade stattfindet und in vielen Orten vor allem im Nordwesten Louie Louie-Feste begangen werden, treibt die nun schon über 50 Jahre anhaltende Begeisterung für den Song merkwürdige Blüten. 2003 spielten 754 Gitarristen den Song aus Anlass seines 40jährigen Veröffentlichungsjubiläums in einem Stadium in Tacoma (Wash.) während des dortigen Louie Louie-Festes.
Vor allem aber gibt es in den USA kaum einen Pop-Star, der sich nicht mit einer eigenen LOUIE LOUIE –Version verewigt hat oder dem Titel doch zumindest im Tournee-Programm Tribut gezollt hätte, angefangen bei Otis Redding (1941-1967) oder den Beach Boys, über MC5, Bruce Springsteen (*1949) und Iggy Pop (*1947) bis hin zu den Smashing Pumpkins. Immer wieder erscheinen damit auch LOUIE LOUIE-Kompilationen, die erste 1983 als The Best of Louie, Louie auf Rhino Records mit 10 denkwürdigen Versionen des Songs, die Ur-Version von Richard Berry eingeschlossen.
Der Song wurde u.a. 1995 als einer der 500 Songs, die Geschichte machten, in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen, 1999 von der Recording Industry Association of America (RIAA) zu einem der 100 einflussreichsten Songs des 20. Jahrhunderts gekürt, 2004 von dem Musikmagazin Rolling Stone Magazine zu einem der 500 Greatest Songs of All Time und 2007 zu einem der 40 Songs That Changed The World erklärt.

 

PETER WICKE


Credits

Komposition/Text: Richard Berry
Vocals: Jack Ely
Schlagzeug: Lynn Easton
Gitarre: Mike Mitchell
Bassgitarre: Bob Nordby
Keyboards: Don Gallucci
Produzent: Ken Chase, Jerry Dennon

Recordings

[Auswahl]

  • Richard Berry. You Are My Sunshine / Louie Louie, 1957, Flip Records, 321, US (Vinyl/7”).
  • Rockin Robin Roberts. Louie Louie / Maryann, 1961, Etikette Records, ET-1, US (Vinyl/7”-Single).
  • Paul Revere and The Raiders. Louie Louie / Night Train, 1963, Columbia Records, 4-42814, USA (Vinyl/7”-Single).
  • The Kingsmen. Louie Louie / Haunted Castle, 1963, Jerden Records, 712, US (Vinyl/7”).
  • The Kingsmen. Louie Louie / Haunted Castle, 1963, Wand Records, 143, US (Vinyl/7”/Reissue).
  • The Beach Boys. “Louie Louie”, Shut Down – Volume 2, 1964, Capitol Records, T2027, US (Vinyl/LP/Album).
  • The Kinks. “Louie Louie”, Kinks-Size, 1965, Reprise Records, RS 6158, US (Vinyl/LP/Album).
  • Frank Zappa/The Mothers of Invention. “Louie Louie” (at the Royal Albert Hall in London), Uncle Meat, 1968, Bizarre / Reprise Records, 2MS2024, US (LP/Album).
  • Otis Redding. “Louie Louie”, The Otis Redding Story, 1972, ATCO Records, 60 013[1-2], US (Vinyl/LP).
  • MC5. “Louie Louie”, Kick Copenhagen, 1972, Lawnmower Records, MOW 11, US (Vinyl/LP).
  • Toots and The Maytals. “Louie Louie”, Funky Kingston, 1976, Island ‎Records, 9101 686, UK (Vinyl/LP).
  • Motörhead. Louie Louie / Tear Ya Down, 1978, Bronze Records, BRO 60, UK (Vinyl/7”-Single).
  • Patti Smith. “Sort of Louie Louie”, Teenage Perversity & Ships In The Night, 1976, Ze Anonym Plattenspieler / Worlds Records, ZAP 7854, US (Vinyl/LP/Album).
  • Barry White. “Louie Louie”, Beware, 1981, Unlimited Gold Records, FZ 37176, US (Vinyl/LP/Album).
  • Bruce Springsteen. “Louie Louie”, Rockin Days, 1983, Amazing Pig Records, TAP 009, US (Vinyl/LP).
  • Various. Best of Louie Louie, 1983, Rheno Records RNEP, US (CD/Compilation)
  • Ike and Tine Turner. “Louie Louie” (rec. 1968), Ike and Tine Turner’s Greatest Hits, Vol. 2, 1988, Saja Records, 912224-2, US.
  • Fat Boys, “Louie Louie”, Coming Back Hard Again, 1988, Mercury Records, 835809-2, US (Vinyl/LP/Album).
  • Iggy Pop. Louie Louie / Hate, 1993, Virgin Records, 7243 8 92117 2 6, FR (CD/Single).

References

  • Marsh, Dave: Louie Louie. Ann Arbor: The University of Michigan Press 2004.

Links

  • https://www.youtube.com/watch?v=ihpGNoCreyg [19.06.2014].
  • https://www.youtube.com/watch?v=IWYlYzQMlc0 [19.06.2014].
  • https://www.youtube.com/watch?v=7Vae_AkLb4Q [19.06.2014].
  • https://www.youtube.com/watch?v=ZhSFV_M1Hv8 [19.06.2014].
  • http://www.louielouie.net [19.06.2014].
  • http://www.louielouie.org/ [19.06.2014].

About the Author

Prof. Dr. Peter Wicke is a retired professor of musicology. From 1992 to 2016 he held the chair for "Theory and History of Popular Music" at the Humboldt University Berlin.
All contributions by Peter Wicke

Citation

Peter Wicke: “Louie Louie (The Kingsmen)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/louielouiekingsmen, 12/2013 [revised 08/2014].

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