1973
Paul McCartney & Wings

Live and Let Die

LIVE AND LET DIE ist der Titelsong des gleichnamigen achten James-Bond-Films aus dem Jahr 1973 (deutsche Übersetzung: Leben und sterben lassen). Der Song entwickelte sich zu einem der ersten veritablen Hits von Paul McCartney nach Auflösung der Beatles.

I. Entstehungsgeschichte

Im Juni 1973 kam der Film Live and Let Die in die US-amerikanischen Kinos. Geschrieben wurde dessen Titelsong von Paul und Linda McCartney. Die Produktion übernahm George Martin, ehemals Beatles-Produzent. Die Aufnahme des Songs erfolgte während der Arbeit am zweiten Wings-Album Red Rose Speedway. Ursprünglich wurde von den verantwortlichen Filmproduzenten angedacht, Paul McCartney lediglich die Komposition beisteuern und diese dann – gemäß dem Sujet des Films (s.u.) – von einer afroamerikanischen Band interpretieren zu lassen. Doch willigte Paul McCartney in den Kontrakt nur unter der Bedingung ein, dass seine neue Band Wings den Song darbieten und eine entsprechende Nennung im Vorspann erfolgen würde – was letztlich auch geschah. Die offizielle Sprachregelung erwies sich jedoch als uneinheitlich und mag aus heutiger Perspektive als Zeichen für die zwischenzeitliche Unentschlossenheit gewertet werden, die Paul McCartney mit seiner Rolle als Ex-Beatle verband. Während Vorspann und Soundtrack “Paul McCartney & Wings” als Interpreten nennen, firmiert die Single-Auskopplung unter der Kurzform “Wings”.

II. Kontext

Obschon der Song als Single veröffentlicht wurde und somit in der öffentlichen Wahrnehmung als für sich stehendes Medienprodukt existierte, lässt sich seine Bedeutung als popkulturelles Artefakt nur unter Bezugnahme auf seine Funktionalität als Bond-Titelsong hinreichend ermessen. Diese Funktionalität ist dem Song nicht zuletzt durch seinen Titel (der dem englischsprachigen Originalfilmtitel entspricht) eingeschrieben. Gleichzeitig bedingt die funktionale Einbindung eine exponierte Stellung im dramaturgischen Gesamtgefüge des Films. Der Song fungiert als Prolog, der primär atmosphärisch, d.h. in klanglich-assoziativer Weise und mit Hilfe von Sprachbildern in die filmische Erzählwelt einführt. Unterstützt wird seine atmosphärische Wirkung durch die über Jahrzehnte hinweg zu einem eigenständigen ästhetischen Konzept geronnene Bildsprache der Vorspannsequenzen. Im vorliegenden Fall meint dies die Montage diverser Überblenden von unbekleideten attraktiven jungen Frauen (zum Teil mit Körperbemalung und in tänzerischer Pose) mit Nahaufnahmen von lodernden Fackeln sowie einer Glasfaserlampe. Der Plot dreht sich um die Figur des Dr. Kananga alias Mr. Big, Drogenbaron und Diktator einer Karibikinsel, der in industriellem Ausmaß Heroin herstellen lässt, um sich damit das Monopol auf dem nordamerikanischen Drogenmarkt zu sichern. James Bond (erstmalig gespielt von Roger Moore) versucht, diesem Treiben ein Ende zu setzen, was schließlich mit Hilfe von Solitaire, der vormaligen Gehilfin des schurkischen Dr. Kananga, gelingt. Doch zuvor muss Bond eine Vielzahl von gefährlichen Situationen (u.a. die Flucht aus einer Krokodilfarm und eine rasante Bootsjagd) durchleben. Für Paul McCartney erwies sich die Kooperation mit den Bond-Produzenten als wichtiger Schritt im Hinblick auf seine künstlerische Emanzipation von den Beatles. So avancierte der Song zu einer der kommerziell erfolgreichsten Single-Veröffentlichung seines Folgeprojekts mit den Wings.

III. Analyse

Der Song hat eine Dauer von 3:12 Minuten. Zu hören sind die in Paul McCartneys Band vertretenen Stimmen und Instrumente (Haupt- und Nebengesang, Gitarre(n), Keyboard/Piano, Bass und Schlagzeug) sowie ein Orchester. Den Hauptgesang steuert Paul McCartney bei. Der Songverlauf wird durch den klanglich-stilistischen Kontrast zwischen den einzelnen Formteilen bestimmt. Dabei reicht das Spektrum von der intimen Besetzung Gesang – Klavier über die ‚klassische’ Rockband bis hin zum simultanen Einsatz von Band und Orchester. Insgesamt können neun Abschnitte unterschieden werden, konkret in der Abfolge A B C D E C A’ B C. Es zeigt sich, dass der Song auf fünf verschiedenen Formteilen aufbaut, folglich wird das für Pop-Songs typische Strophe-Refrain-Prinzip gesprengt. Dies hat zur Folge, dass bis zu Minute 2:04 neues musikalisches Material eingeführt wird. Abschnitt A gründet auf der zweitaktigen Akkordfolge G Hm7 | Cmaj7 D7 Db9, welche zweimal wiederholt wird. Dem schließt sich ein einzelner Takt in Dm an, der in den nachfolgenden Abschnitt überleitet. Der Ausdruckscharakter ist insgesamt balladenhaft. Ausschlaggebend hierfür sind die fast schon lyrische Melodieführung im Gesang, das langsame Tempo von ca. 62 bpm sowie die intime Besetzung Gesang – Klavier. Diese kontemplative Klangwelt wird jäh durch die Tutti-Schläge von Orchester und Band zu Beginn des B-Teils durchbrochen. Das Tempo wird leicht auf 70 bpm erhöht, auf dem Liegeton G entspinnt sich die Akkordfolge G C/G | G0 G7 (2x). Jeder zweite Tutti-Schlag wird durch eine Synkope vorgezogen, wodurch das Ebenmaß des halbtaktigen harmonischen Rhythmus in Abschnitt A konterkariert wird. Durch die Schläge der Snare-Drum auf die Zählzeiten 2 und 4 wird die klassische Backbeat-Struktur in Rocksongs angedeutet. Insgesamt mutet dieser Abschnitt fanfarenartig an, allerdings werden durch den verminderten Dreiklang und dessen ‚Auflösung’ in einen Durseptakkord hinreichend harmonische Spannungen aufgebaut, so dass sich die Grandiosität dieser Passage weniger zeremoniell als bedrohlich und martialisch ausnimmt. Diese Wirkung wird durch die im Haupt- und Nebengesang vorgetragene Hookline “Live and let die” entsprechend unterstützt. Als Übergang zu Abschnitt C dient ein verkürzter Takt (3/8). Es liegt nun ein Double-Time-Beat vor, in dem das Tempo (150 bpm) abermals erhöht wird (bei einer ‚reinen’ Verdopplung hätte das Tempo 140 bpm betragen müssen). Wie im vorangegangenen Abschnitt, bestimmt der Bordun auf dem Grundton G das Klangbild. Darüber entfaltet sich eine von E-Gitarre, Streichern und Marimba unisono gespielte Melodielinie, die in drei- bzw. zweitönigen Kurzmotiven organisiert ist. Die Melodielinie beginnt jeweils mit den aufsteigenden Tonfolgen g, a, b und d, e, f, die sich aufgrund ihrer Intervallstruktur als zitierende Anspielung auf das E-Gitarren-Motiv des Bond-Themas von John Barry deuten lassen. Zwischen den Kurzmotiven erklingen kurze aufsteigende Flöten-Figurationen und Grundton-Bordune der Posaunen. Dies führt insgesamt dazu, dass der wenige Sekunden zuvor noch balladenhaft, dann gravitätisch anmutende Song nun in eine wild pulsierende ‚Wall of Sound’ übergegangen ist. In Abschnitt D bleiben Tempo und rhythmische Ordnung bestehen. Zunächst ist keinerlei melodische Kontur festzustellen, wodurch der Song temporär einem dumpfen Treiben gleichkommt. Nach vier Takten setzen schließlich die Flöten sowie das Marimba mit einer weiteren melodischen Figur ein. Deren tonale Grundlage ist ein Ganztoncluster bestehend aus den Tönen e, fis, gis und ais. Die Töne werden in versetzten Terzsprüngen (und synkopischem Rhythmus) abwärts gespielt. Gegen Ende des Abschnitts setzen zusätzlich die Blechbläser ein. Die Melodie verändert ihren dissonant-repetitiven Charakter in Richtung einer sich diatonisch auftürmenden Hinführung zum nächsten Abschnitt. Das Moment des Auftürmens mündet jedoch nicht, wie zu erwarten wäre, in einem furiosen Finale, sondern endet abrupt im Spiel der Band. Auf der Akkordfolge C | G | D7 | Em F5 | entspinnt sich, basierend auf Achtel-Offbeats im mäßigen Tempo (ca. 80 bpm), ein typischer Reggae-Groove. Als Übergang zum nächsten Abschnitt dient ein um die Terz bereinigter F-Klang. In ihm kommen der von Paul McCartney herausgeschriene Spitzenton c” und der abrupt einsetzende Orchesterapparat zusammen. Die folgenden Abschnitte stellen, wie oben erwähnt, eine Wiederholung der Abschnitte C, A, B und C dar. Der Song endet in einem ausklingenden Esm-Akkord.

In textlicher Hinsicht dominiert die gedankliche Auseinandersetzung des Sängers mit einer anderen, nicht weiter explizierten Person (“You”). Dabei wird sowohl eine erzählende Perspektive (“When you were young and your heart was an open book”) als auch eine informell-adressierende (“What does it matter to ya”) eingenommen. In dieser Konstellation nimmt der Sänger (bzw. die durch ihn verkörperte Song-Persona) die Rolle des Beraters ein. Die andere Person solle danach das versöhnliche Lebensmotto “Leben und leben lassen” durch das ungleich unerbittlichere und aggressivere “Leben und sterben lassen” ersetzen (“Say live and let die”).

IV. Rezeption

LIVE AND LET DIE entwickelte sich sowohl dies- als auch jenseits des Atlantiks zu einer veritablen Hitsingle. In den USA stieg der Song bis auf Position 2 der Charts, in Großbritannien bis auf Position 9. Somit erwies er sich für McCartney als wichtiger Schritt im Hinblick auf die künstlerische Emanzipation von den Beatles. Nur kurze Zeit später konnten McCartney und seine Band Wings diesen Erfolg mit dem Album Band on the Run (1973) bekräftigen. Das Album, die daraus ausgekoppelten Songs “Jet” und “Band on the Run” sowie der in Rede stehende Bond-Titelsong markieren noch heute neben der Hitsingle “Mull of Kintyre” aus dem Jahr 1977 die in kommerzieller und künstlerischer Hinsicht erfolgreichste Periode im gemeinsamen Wirken des Ex-Beatle mit seinem Bandprojekt. Die Rezeption von LIVE AND LET DIE innerhalb der Popkultur wird zudem durch eine Fülle an Coverversionen bestimmt. Zu den prominentesten Interpreten zählen Hank Marvin (ehemals The Shadows), Geri Halliwell (ehemals Spice Girls) und die Hardrocker von Guns N’ Roses. Letztgenannte Band koppelte den Song als zweite Single ihres Albums Use Your Illusion I (1991) aus. Die Veröffentlichung erwies sich als kommerzieller Erfolg (Top 20 und Top 10 in den USA bzw. in Großbritannien) und ist die gegenwärtig populärste Coverversion dieses Bond-Songs.

 

CHRISTOFER JOST


Credits

Gesang, Bass: Paul McCartney
Gesang, Keyboard: Linda McCartney
Nebengesang, Gitarre: Denny Lane
Gitarre: Henry McCullogh
Schlagzeug: Denny Seiwell
Autoren: Paul und Linda McCartney
Produzent: George Martin
Label: Apple
Spieldauer: 3:12

Recordings

  • Wings. “Live and Let Die”, Live and Let Die, 1973, Apple Records, R 5987, UK (Vinyl/Single).
  • Wings. “Live and Let Die”, Live and Let Die, 1973, Apple Records, 1863, USA (Vinyl/Single).
  • Wings. Red Rose Speedway, 1973, Apple Records, SMAL-3409, US (Vinyl/LP/Album).
  • Wings. Band on the Run, 1973, Apple Records,  SO-3415, US (Vinyl/LP/Album).

Covers

  • Guns N’ Roses. “Live and Let Die”, Live and Let Die, Geffen records, GED 21692, Europa (CD/Single).
  • Hank Marvin. “Live and Let Die”, Heartbeat, 1993, PolyGram TV, 521 232-2, UK (CD/Album).
  • Geri Halliwell. “Live and Let Die”, Lift Me Up, 1999, EMI, 7243 8 87945 0 3, UK (CD/Single).

References

  • Burlingname, John: The Music of James Bond. Oxford: Oxford University Press 2012.
  • Cherry, John: Paul McCartney’s Solo Music Career 1970-2010. Life, Love, and a Sense of Child-like Wonder: An In-Depth Examination of the Best (and Worst) Songs from the World’s Most Successful Singer/Songwriter. Sarasota: The Peppertree Press 2010.
  • Duncan, Paul: The James Bond Archives. Köln: Taschen 2012.

Links

  • www.paulmccartney.com/albums/songs/ [07.01.2013]

About the Author

PD Dr. Christofer Jost is research associate at the Zentrum für Populäre Kultur und Musik, University of Freiburg, and teaches media studies at the University of Basel.
All contributions by Christofer Jost

Citation

Christofer Jost: “Live and Let Die (Paul McCartney & Wings). In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/liveandletdie, 08/2013 [revised 03/2014].

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