2005
Shakira feat. Alejandro Sanz

La Tortura

LA TORTURA ist der erste weltweit erfolgreiche spanischsprachige Latin-Pop-Song von Shakira (*1977). Im Duett mit Alejandro Sanz (*1968) stürmte sie damit im Jahr 2005 vor allem die europäischen und amerikanischen Charts. Der Song verkaufte sich weltweit über 4 Millionen Mal und wurde mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht.

I. Entstehungsgeschichte

Für die im kolumbianischen Barranquilla geborene Shakira und den aus Madrid stammenden Alejandro Sanz ist es die erste Zusammenarbeit. Nach LA TORTURA folgten noch weitere gemeinsame Duette (etwa “Te Lo Agradezco, Pero No”), die aber den großen Erfolg ihres ersten Songs nicht mehr überbieten konnten. Der Text des Songs wurde hauptsächlich von Shakira selbst verfasst und durch Einwürfe, sogenannte “letras pregones” (dt. “Ausrufe”), von Alejandro Sanz ergänzt. Das Lied war die erste Veröffentlichung aus dem rein spanischsprachigen Album Fijación Oral Vol. 1 (März 2005), das sich durch synthetische Dance-Klänge, lateinamerikanische Einflüsse und Akustikgitarren charakterisiert. Noch im selben Jahr kam eine zweite, englischsprachige Version des Albums auf den Markt: Oral Fixation Vol. 2, auf dem sich als Bonustrack eine englische Version von LA TORTURA findet.

II. Kontext

Das Lied kann dem Genre des Latin Pop zugeordnet werden. Das Besondere sind die Elemente des Reggaetons, einer aus Zentralamerika stammenden Musikrichtung, die sich in den 1990er Jahren aus Reggae und Dancehall entwickelt hat. Für beide Künstler ist der Reggaeton ein neues musikalisches Element. Alejandro Sanz war zu der Zeit vor allem in Spanien sehr bekannt und hatte bereits fünf Alben veröffentlicht, die von andalusischen Einflüssen, insbesondere des Flamencos geprägt sind. Der gemeinsame Song spiegelt eine musikalische wie biographische Um- und Weiterentwicklung um das Jahr 2003 wider. Shakira, die ihre Karriere erfolgreich mit spanischen Songs begonnen hatte, schrieb gemeinsam mit Gloria Estefan an englischen Songs, und ihr gelang im Jahre 2001 mit ihrem ersten vorwiegend englischsprachigen Album Laundry Service der große internationale Durchbruch, woran 2005 die Erfolge mit dem spanischen Album Fijación Oral Vol. 1 und dem englischen Oral Fixation Vol. 2 anknüpften. Ihre Musik zeichnete sich bis dahin durch Pop-, Rock-, Latin und orientalische Elemente aus.

LA TORTURA (dt. “Qual”, “Folter”) behandelt die Themenfelder Liebe/Hass, Untreue/Vergebung und Machismo (Shakira wiederholt in Interviews, sie wolle zum Nachdenken über den lateinamerikanischen Machismo anregen). Es geht um eine am Fremdgehen des Mannes gescheiterte Beziehung, die die Frau nach großem seelischen Leid und einer Trauerphase verarbeitet hat. Obwohl der Mann bereits eine neue Partnerin hat, möchte er seine vorige Partnerin zurückhaben und bereut die Trennung. Angeblich hat er begriffen, dass er ihr allein sein Herz schenken möchte, während das Lied aber damit endet, dass die Frau beschließt keine Tränen mehr seinetwegen zu vergießen (“Yo no voy a llorar por ti”).

III. Analyse

Der Song greift klassische Themen wie Liebe, Eifersucht und Untreue auf, die aber innovativ durch neue Musikrhythmen und aus dem Blickwinkel einer emanzipierten Frau gestaltet werden. So stellt das Duett, das in die Tradition des mittelalterlichen “tenso” einzuordnen ist, des Liebesstreits, eine Aktualisierung des Machtkampfs zwischen Mann und Frau dar.

Behandelt wird mit der Brüchigkeit von Beziehungen ein überzeitliches Thema vor dem Hintergrund aktueller, durch die Lockerung fester Bindungskonventionen veränderter sozialer Konstellationen. Realisiert wird das Thema in einer diesbezüglich kongenialen Art der Präsentation.

Zunächst klagt sie, die Protagonistin, ihr Leid über die gescheiterte Beziehung, und er, der Protagonist, macht deutlich, dass für ihn die Beziehung noch nicht gescheitert ist, obwohl er bereits eine neue Frau hat. Angesprochen werden damit der Umgang mit einer gescheiterten Beziehung bzw. Untreue und das jeweilige Rollenverhalten von Männern und Frauen. Im Lied wird eine Frau von einem Mann verletzt und bringt dies auch zum Ausdruck (“Ay amor me duele tanto”). Trotz seines Flehens und Bettelns und seiner neuen Versprechungen und Komplimente bleibt die Frau selbstbewusst und unnachgiebig, weiß genau, was sie will bzw. nicht will und kommuniziert dies auch. Hier wird also nicht das typische Resultat des Machismo dargestellt, insofern als nicht mehr der Mann die Oberhand in der Situation behält, sondern die Frau die Grenzen setzt. Dennoch finden sich vor allem im Solopart des Mannes klassische Versatzstücke des Machismo wieder: Es wird mit gängigen Klischees gespielt, zudem folgen typische Floskeln und banale Vergleiche, mit denen er reuevoll die Trennung als Fehler bezeichnet. Ohne sie könne er in der großen Welt nicht glücklich sein: “Porque allá fuera sin ti no tengo paz. Yo sólo soy un hombre muy arrepentido”. Der unausgesprochene Kampf zwischen Machismo und Emanzipation bricht jedoch mit den herkömmlichen Stereotypen. Die Frau stellt sich über den Mann, indem sie nicht nachgibt und nicht auf ihn hereinzufallen scheint. Sie hat aus der Vergangenheit gelernt, während er auf das topische “Liebe macht blind” vertraut.

Die beiden Sänger Alejandro Sanz und Shakira singen nicht miteinander, sondern im Wechsel. Der Song ist somit dialogartig und wie ein Streitgespräch aufgebaut, gibt doch jeder der beiden in Gesang und Gegengesang seinen jeweiligen Standpunkt ab. Das Lied hat zwei von Shakira gesungene Strophen, wobei das musikalische Arrangement eher dezent gehalten ist. Der Refrain (“Ay amor, me duele tanto…”) kennt ein spannungsförderndes Crescendo. Zunächst immer noch im eher langsamen Singtempo, erfolgt nach dem dramatischen “perderte” (dt. “dich zu verlieren”) ein kurzes Break. Daraufhin wird die Musik deutlich schneller und die Elemente des Reggaetons treten in den Vordergrund.

Alejandro Sanz setzt nach dem Break wieder mit seinem Gesang ein und hat am Ende des Liedes zudem eine größere Textpassage, die eine Art Bridge darstellt, welche besonders vom Reggaeton-Rhythmus geprägt ist. Der Reggaeton symbolisiert eher profane Themen wie Liebe, Tanz und Sex, womit dem Mann die Rolle des schlichten Frauenlobs zufällt, das überdies musikalisch, stimmlich wie rhetorisch mit einem gewissen Aggressionspotential realisiert wird. Damit flankiert und rivalisiert der Reggaeton als schnelles rhythmisches Stilelement den einfachen, aber markanten tanzbaren Rhythmus, für den Shakira Pate steht.

Der Textpart des Mannes weist klischeehafte Floskeln auf: man könne aus seinen Fehlern lernen (“Sólo de errores se aprende”), der Mann bekäme die Situation wieder in den Griff (“Lo puedo arreglar, amor”). Die jeweilige Anrede “ay amor” schafft oberflächliche Vertraulichkeit ohne Respekt und besondere Wertschätzung. Wenig aufwändige Vergleiche vom Vogel, der zu seinem Nest zurückkehrt (“Soy como el ave que vuelve a su nido”) oder phraseologische Redewendungen wie “das Unmögliche wollen” (“Pedir peras al olmo”) unterstreichen diese Einfachheit von Gemüt und Intellekt, heben aber auch hervor, dass das Liebesthema ein eben immer gleiches, wiederkehrendes ist, das sich in bestimmten überlieferten und damit zum Alltagswortschatz gehörenden Bildern am besten ausdrücken lässt.

Shakiras Textpassagen zeigen die Frau als selbstbewusst und bestimmt. Sie verdeutlicht ihm, dass die Beziehung keinen Sinn mehr mache, er Fehler begangen habe, sie ihm nicht mehr vertraue und es so keine gemeinsame Zukunft gebe (“Mejor te guardas todo eso a otro perro con ese hueso y nos decimos adiós”, “Si lloras con los ojos secos y hablando de ella”). Seine Sprechhaltung hingegen ist (vor allem im Solopart) flehend, er zeigt (vermeintlich) Einsicht und weiß, dass er nicht immer alles richtig gemacht hat (“Yo sé que no he sido un santo”). Gerade dadurch, dass ihm keine ganze Strophe zur Verfügung steht, sondern er nur Refrain und Bridge singt, unterstützt dies den Eindruck der Redundanz, untermalt dies das Flehen derart, dass es nur noch als Bestandteil einer wohl kalkulierten stereotypen Rollenlyrik zu verstehen ist. Der Kontrast zur Rolle der Frau wird dann insbesondere in der zweiten Strophe deutlich, die den weiblichen Part als intelligent, realistisch und weitblickend zeichnet. Sie hat verstanden, dass die beiden Rollenkonzepte nicht zusammenpassen, weiß, dass sie nichts Unmögliches fordern kann, schränkt aber ihre emanzipatorische Überhebung insofern ein, als sie ihn darauf hinweist, auch er könne nichts Unmögliches von ihr erwarten.

Hinsichtlich des Refrains fällt auf, dass dieser bei der ersten Realisierung von Shakira, im zweiten Fall von Alejandro begonnen wird und textlich nicht identisch ist. Beim ersten Mal beschreibt sie ihr Leiden und ihre Qual, weil er sie einfach verlassen habe, ohne zu sagen wohin er geht (“que te fueras sin decir a dónde”). Darauf eingehend klagt er über verloren gegangenes Vertrauen (“que no creas más en mis promesas”). Die jeweiligen Textpassagen im Dialog werden im Allgemeinen immer abwechselnd als ganze Sätze realisiert, mit Ausnahme einer dreiteiligen programmatischen Stichomythie, in der sich ihre Aussagen gegenseitig ergänzen: Auf Shakiras “ay amor” folgt Alejandros “es una tortura”, bevor sie wiederum den Satz mit “perderte” abschließt. Als sie jedoch den gleichen Satz alleine singt, verwendet sie die Vergangenheit (“fue una tortura perderte”) und unterstreicht damit, dass sie über die Leidensphase hinweg ist, auch wenn die Erinnerung noch schmerzt (“me duele tanto”) und sie das negative Erlebnis bereut. Symptomatisch ist dabei auch, dass Shakira das letzte Wort hat (“yo no voy a llorar por tí”) und damit gleichsam mit der machistischen Gesellschaft bricht.

Am Ende versucht es der Mann mit einem spitzfindigen Angebot, nämlich von Montag bis Freitag ihr treu zu sein, am Samstag aber Zeit für das Feiern zu bekommen. Er übergeht also ihre Einwände, indem er schon Forderungen aufstellt, obwohl sie überhaupt nicht bereit ist, sich wieder auf ihn einzulassen: “No pido que todos los viernes sean de fiesta” bzw. “De lunes a viernes tienes mi amor / Déjame el sábado a mi que es mejor.” Der Protagonist stellt sich somit selbst als das unter dem Verlust leidende Opfer dar (“no me castigues más”), während sie zur Täterin und Schuldigen an seiner Seelenunruhe stilisiert wird (“me duele tanto”, “sin ti no tengo paz”, “sólo soy un hombre arrepentido”).

Das Musikvideo illustriert diesen Geschlechterdialog umso mehr, als der Protagonist von einem Fenster aus seine attraktive Ex-Partnerin beobachtet, wie sie sich aufreizend in einer schwarzen öligen Masse wälzt. Die Kamera setzt dabei ihre Körperlichkeit und insbesondere die Brustpartie üppig in Szene. Anscheinend versucht sie damit den immer noch an ihr interessierten Ex-Partner, der gegenüber mit einer neuen Freundin lebt, durch Gesten zu reizen und insofern zu täuschen, als dieser das sexuell aufgeladene Räkeln wie auch ihre Tränen als Akt des Nachtrauerns deuten soll, während sie in der Tat nur Zwiebeln schneidet. Abschließend tauschen die beiden relativ vertraute und intime Blicke, die von ihrer Seite aus einer Position der Stärke heraus, von seiner Seite als resignatives Lächeln ausgesendet werden.

IV. Rezeption

LA TORTURA war 2006 25 Wochen auf Platz 1 in den amerikanischen Latin-Charts und hielt damit den Weltrekord für die beste spanische Single aller Zeiten. In den USA wurden insgesamt mehr als eine Million Singles verkauft und somit gilt der Song als bis dato erfolgreichstes spanischsprachiges Lied. LA TORTURA wurde zudem ausgezeichnet mit den Billboard Music Awards 2005 (Latin Song of the Year), den BMI Music Awards 2007 (Best Song), den International Dance Music Awards 2006 (Best Latin Dance Track), mehrere Billboard Latin Awards 2006 (Song of the Year, Song of the Year [Vocal Duet], Latin Ringtone of the Year), Latin Grammy Awards 2006 (Song of the Year), den Lo Nuestro Awards 2006 (Song of the Year), den MTV Video Music Awards Latinoamérica 2005 (Video of the Year) und den NRJ Music Awards 2006 (International Song of the Year).

International konnte sich der Song vor allem in Spanien und Mexiko (Platz 1 der Verkaufscharts), aber auch in Westeuropa in den vordersten Rängen der Musikcharts platzieren.

 

VIVIAN LINDEMANN und CHRISTOPH OLIVER MAYER


Credits

Text: Shakira, Alejandro Sanz
Musik/Komposition: Shakira, Luis F. Ochoa

Recordings

Shakira feat. Alejandro Sanz. “La Tortura”. On: Fijación Oral Vol. 1, 2005, EPIC, EK 93700, US (CD/Album).

References

  • Fuchs-Gamböck, M./Schatz, Thorsten: Shakira. Die Biografie. Höfen: Hannibal 2009.
  • Siler, Shanda: “Alejandro Sanz”. In: Encyclopaedia Britannica. URL: http://www.britannica.com/biography/Alejandro-Sanz [05.10.2015].
  • “History of Reggaeton”. In: Reggaeton in Cuba. URL: http://www.reggaeton-in-cuba.com/en/history.htm [15.05.2017].

Links

  • Artist homepage Alejandro Sanz: http://www.alejandrosanz.com/es_ES (15.05.2017).
  • Shakira biography: http://www.biography.com/people/shakira-189151 (15.05.2017).

About the Authors

Analysis written in course of PD Dr. Christoph Oliver Mayer at the TU Dresden.
All contributions by Vivian Lindemann
PD Dr. Christoph Oliver Mayer teaches Romance Studies at the TU Dresden.
All contributions by Christoph Oliver Mayer

Citation

Vivian Lindemann and Christoph Oliver Mayer: “La Tortura (Shakira feat. Alejandro Sanz)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/latortura, 06/2017.

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