1980
DAF

Kebabträume

KEBABTRÄUME ist ein Song des Duos Deutsch-Amerikanische Freundschaft (DAF), das in den 1980er Jahren im Zuge der Neuen Deutschen Welle zu einiger Popularität gelangte.

I. Entstehungsgeschichte

Der Song KEBABTRÄUME der Deutsch-Amerikanischen Freundschaft (DAF) existiert in verschiedenen Versionen. Der Song ist eigentlich der Band Mittagspause zuzuschreiben. Auf deren Debüt-Doppel-EP (1979) wird das Stück unter dem Titel “Militürk” erstmals veröffentlicht. Der Verfasser des Textes ist Delgado-Lopez, der später Sänger bei DAF wird und den Song mitnimmt, wo er unter dem  Titel “Kebabträume” mit kleineren Textänderungen erneut eingespielt wird.

II. Kontext

Die Band DAF kann als charakteristisch für die NDW wahrgenommen werden: Die Beteiligten kommen aus unterschiedlichen kulturellen und sozialen Zusammenhängen; musikalische Dilettanten und erfahrene Musiker treffen aufeinander und suchen gemeinsam nach einer neuen Form von Popmusik. Die Beteiligten sind fasziniert vom englischen Punk, nutzen diesen aber vor allem als inspirierenden Ausgangspunkt für eigene Ideen. Personelle Überschneidungen zu anderen NDW-Bands wie im Fall Michael Kemner (Fehlfarben) oder Chrislo Haas (Minus Delta t, Liaisons Dangereuses) sind charakteristisch für die Szenen der NDW, die deutlich kleiner sind, als die Anzahl der Bands zunächst vermuten lässt. Die meisten Musiker spielen in mehreren Bands oder wechseln häufiger.

Auf der anderen Seite stellt DAF eine Ausnahmeerscheinung innerhalb der NDW dar. Die Band spitzt ihr Konzept radikaler zu als die meisten anderen NDW-Gruppen, indem sie die technische Ausstattung konsequent zu einem Zentrum ihrer Musik macht. Der von Synthesizern und Sequenzern geprägte Sound findet sein inszenatorisches Äquivalent in monumentalen Techniktürmen bei Auftritten. Diese Maschinenästhetik steht einerseits in der modernistischen Tradition von Kraftwerk, hat  andererseits aber auch dystopische Züge. Das Duo Robert Görl und Gabi (Gabriel) Delgado-Lopez, die nach diversen Wechseln die letztendliche Besetzung darstellen, inszeniert sich zudem mehr als andere NDW-Musiker als Stars – ein deutlicher Bruch zu Punk und zur NDW der frühen Jahre. Zugleich entwickeln sie aber dessen Provokationsstrategien weiter. DAF kokettiert – hier sei an Sid Vicious und sein Hakenkreuz erinnert – auf vielen Ebenen mit tendenziell faschistischen Zeichen, bleibt dabei aber bewusst uneindeutig. “Nee, wir wollen ja mehr das Image haben, dass wir alles sind, zur gleichen Zeit. Unser Image ist eigentlich, dass wir uns nicht festlegen wollen – vom Anarcho-Skin bis zum Disco-Nazi, ja?” (Delgado-Lopez, in: SOUNDS 3/1981: 29). Görl und Delgado-Lopez posieren häufig in einer Kluft aus schwarzem Leder, kombiniert mit nackten, mitunter verschwitzten Oberkörpern. Im Zusammenspiel mit ihren kurzgeschorenen Haaren und einer kraftbetonten Körperhaltung (z.B. verschränkte Arme, breitbeiniger Stand) vermittelt dies einen militärisch-martialischen Charakter, vermag aber zugleich – und nur scheinbar dazu im Widerspruch – an die schwarzen “Leather”-Outfits zu erinnern, die in der Homosexuellen-Szene zum Teil getragen werden.

Auch die Texte arbeiten immer wieder mit Provokationen, so dass DAF insgesamt zu einer höchst umstrittenen Band wird. Ihre Verbindung von industrieller Härte, paramilitärischem Machismo und Pop, aber auch ihr radikales und provokantes Spiel mit faschistischen Zeichen ist in Deutschland völlig neu und wird bis zum Auftauchen von Rammstein (“Herzeleid”, 1995) einzigartig bleiben.

III. Analyse

In der Aufnahme von DAF weist der Song kaum noch Elemente des Deutschpunk auf, welche die Fassung von Mittagspause dominieren. In deren Version ist “Militürk” ein typisches Punkstück: dominiert von einem aggressiven Beat, akkordisch durchgespielter Gitarre und schreiendem, gehetztem Gesang. Vor allem in der Live-Version (auf: Punk macht dicken Arsch. Live in Wuppertal – 1979, 1981) kommen diese charakteristischen Punk-Elemente zur Geltung. Harmonisch kommt der Song im Wesentlichen mit zwei Gitarrenakkorden aus. Der Beat wechselt mitunter unvermittelt – und man kann den Eindruck gewinnen, nicht immer absichtlich. Der Gesang wirkt unkontrolliert emotional und zeigt sich außerdem ostentativ als unmusikalisch “daneben”. Zudem ist der Sound undifferenziert, Instrumente wie etwa Bass und Gitarre sind kaum noch unterscheidbar. Dies alles führt dazu, dass der musikalische Aufbau des Songs, der schon in der Originalfassung vom Strophe-Refrain-Schema und damit von der üblichen Konstruktion der Punksongs abweicht, kaum noch erkennbar ist.

Die Version von DAF unterscheidet sich von dieser Vorlage erheblich, und zwar nicht nur durch den geänderten Titel. Bereits hier zeigen sich DAF als spätere Elektronik-Pioniere. Zwar sind sie zu diesem Zeitpunkt noch zu viert und bilden mit Gitarre, Bass, Schlagzeug und Gesang eine typische Rock- oder Punkband-Besetzung. Der Sound allerdings ist untypisch für Punk. Es dominieren die elektronischen Klänge: Nicht die Gitarre, sondern der Synthesizer ist das tonangebende Instrument, das allerdings vom Schlagzeug wesentlich unterstützt wird. Selbst der Gesang und damit der Text treten in den Hintergrund. Zentrum des Songs ist eine pulsierende, beatbetonte Soundstruktur, die sich aus dem Schlagzeug und den mit dem Synthesizer erzeugten rhythmisch-melodischen Riffs zusammensetzt. Diese beiden Instrumente bilden als eine Einheit die Basis des Songs.

Das Stück beginnt kraftvoll, fast wuchtig mit dem Einsatz von Synthesizer und Bassdrum auf Schlag Eins. Der Synthesizer beginnt mit zwei parallelen Tonspuren im Achtelbeat. Die beiden rhythmisch identischen Spuren bestehen aus einem repetitiven Pattern, welches sich über nur einen Takt, also über acht Achtel, erstreckt, und fortlaufend wiederholt wird. Nach vier Takten kommt, ebenfalls auf der Zählzeit 1, die Hi-Hat hinzu, die ab Takt Acht zusätzlich die 3 spielt. Im ersten Textteil wird das Schlagzeugspiel vervollständigt, die Bassdrum spielt nun auf 1 und 3, die Snare auf 2 und 4. Die Hi-Hat ergänzt dieses Grundmuster durch Achtel, wobei sie jeweils die 1 und die 3 auslässt. Dabei wird der Sound variiert: Die Zählzeiten 1und, 2, 3und und 4 werden auf der geschlossenen, die Zählzeiten 2und und 4und auf der offenen Hi-Hat gespielt. So wird mit der Hi-Hat zum einen durch die Auslassung der Zählzeiten 1 und 3 ein Offbeat-Charakter erzeugt, zum anderen wird der Beat durch die Sound-Variation lebhafter und interessanter gestaltet. Die durchlaufende Achtelbewegung von Hi-Hat und Synthesizer bildet das Zentrum des Songs. Klang- und Tonveränderungen verhindert, dass diese ständige Wiederholung zu gleichförmig wird. Die erste Spur, die dauerhaft auf dem Grundton c verharrt, erreicht dies durch Modulationen im Sound. Der hier verwendete Synthesizerton ähnelt dem einer Maultrommel und übernimmt vor allem deren klangliche Eigentümlichkeit, dass nämlich durch die Spielweise jeder neue Ton einen anderen Klangverlauf erhält. Der immergleiche Ton c wirkt dadurch vielfältig, das rhythmische Muster erscheint nicht monoton, sondern bewegt. Die zweite Synthesizerspur geht ebenfalls von c aus, verharrt aber nicht auf diesem Ton, sondern bewegt sich melodisch in kleinen Variationen, hauptsächlich im Intervallbereich einer Quinte. Diese Variationen können sowohl innerhalb eines Patterns erfolgen als auch zwischen den Patterns, wobei sie den harmonischen Veränderungen des Stücks folgen. Durch die Klang- und Tonveränderungen werden die Pattern-Einheiten, die zunächst weitgehend identisch zu sein scheinen, vielfach variiert. Die durchlaufende Bewegung der beiden Synthesizer-Spuren wird durch das Schlagzeug unterstützt und verstärkt. Die Drums setzen deutliche Betonungen auf den unterschiedlichen Zählzeiten. Sie machen aus der monotonen Achtelfolge ein rhythmisches Grundmuster.

Auch der Songaufbau unterscheidet KEBABTRÄUME von einem Punksong. Dieser ist trotz des identischen Textes anders als bei Mittagspause. Zwar weicht auch deren Fassung vom üblichen Strophe-Refrain-Schema ab, doch Gesang und Text bleiben das Zentrum des Songs. Anders bei DAF: Die Basis dieser Version ist der Beat, dem sich alles andere unterordnet. Der Aufbau des Songs gibt den instrumentalen Teilen weit größeren Raum als dem Gesang. Auf das 12taktige Intro folgen 8 Takte Text, vier Takte instrumentaler Zwischenteil und wieder 8 Takte Text. Daran schließt sich ein ungewöhnlich langer Instrumentalteil von 28 Takten an. Danach wiederholen sich im gleichen Aufbau Text, Instrumentalteil und Text; und schließlich kommt der insgesamt 24taktige Schluss mit der Textzeile: “deutschland, deutschland, alles ist vorbei”. Der letzte Vers “wir sind die türken von morgen” wird in das Fade Out des Songs hinein geflüstert. Er wirkt wie ein Nachsatz, als gehöre er gar nicht mehr dazu – und wird so besonders hervorgehoben.

Auch bei DAF bleibt der Gesang wesentliches stilistisches Element, hier zeigt sich, gerade im Vergleich zu Mittagspause, aber deutlich, wie weit sich DAF von Punk entfernt hat. Nicht atonales Brüllen oder halbmelodisches Schreien, sondern kontrollierter Sprechgesang herrscht hier vor. Der Sprechduktus ist sowohl rhythmisch als auch im Ausdruck artikuliert, vermittelt beherrschte Disziplin und nimmt so teilweise die machohafte Attitüde der späteren DAF-Phase vorweg. Delgado-Lopez’ Gesang ist nicht nur sehr genau, sondern beinahe maschinell artikuliert. Er singt bzw. spricht staccato, die Silben sind, unabhängig vom zugrundeliegenden Metrum, immer kurz. Das bedeutet zum Beispiel, dass Delgado-Lopez am Ende der ersten Zeile das Wort “mauerstadt” nicht, dem Rhythmus folgend, mit zwei kurzen und einer langen Silbe spricht, “mau-er-staaadt”, sondern mit drei kurzen Silben und einer Pause dazwischen, “mau-er- […] – stadt”. Ebenso ist es bei “stacheldraht”. Die Worte werden ohne ein Zeichen innerer Teilnahme einfach präzise ausgestoßen. Die Zäsur mitten im Wort lässt den Sprachduktus noch abgehackter und damit roboterhaft wirken. So passt sich der Gesang der elektronisch-rhythmischen Basis des Songs an. Weder erscheint er dominant noch wird er in den Hintergrund gedrängt. Vielmehr geht er mit der Maschine und mit Görls exaktem Schlagzeugspiel eine Symbiose ein, die das Stück jenseits von Melodien und Harmoniefolgen zusammenhält.

In diesem fast maschinellen Vortragsstil bleibt durchaus Raum für Variationen. Der Songtext wird – bis auf die letzte Zeile – zweimal gesungen, wobei sich die beiden Durchgänge unterscheiden. Das erste Mal präsentiert Delgado-Lopez den Text stark rhythmisiert, aber in verhaltener Lautstärke. Die Stimmlage ist eher hoch, an einigen Stellen (z. B.: “atatürk der neue herr”) scheint seine Stimme sogar wie im Stimmbruch umzukippen. Dadurch wirkt die Stimme in diesem ersten Teil fast androgyn, vor allem aber sehr jugendlich. In der zweiten Hälfte dieses ersten Durchgangs wechselt der Sänger noch deutlicher in den Sprechgesang, die abgehackte Artikulation lässt an Maschinen oder Militär denken. In der Wiederholung ändert sich die Diktion nur wenig. Die Silben sind, wenn möglich, noch kürzer. Allerdings singt Delgado-Lopez hier kräftiger, so dass derselbe Vortrag, obwohl in der Tonhöhe nicht verändert, tiefer und entschlossener wirkt. Dadurch bekommt der Gesang einen antreibenden, agitierenden Charakter. Bei der vorletzten Zeile “deutschland, deutschland, alles ist vorbei” scheint sich die Stimme leicht zu überschlagen, der Vortrag wird plötzlich und für einen Moment emotional. Das Maschinell-Beherrschte gleitet in Hysterie ab. Dies steigert die Bedeutung und den Ausdruck dieser zentralen Zeile. Für einen Augenblick kann hinter dem Roboterhaften das Menschliche zum Vorschein treten, mit Gefühlen wie Angst oder Panik. Dieser Gefühlsausbruch, der einzig in der Stimme stattfindet, ist allerdings extrem kurz, beschränkt sich auf diesen einen Moment. Die letzte Zeile wird geflüstert, behält aber ebenfalls die Staccato-Diktion bei.

“kebabträume in der mauerstadt
türk-kültür hinter stacheldraht
neu-izmir in der ddr
atatürk der neue herr
miliyet für die sowjetunion
in jeder imbißstube ein spion
im zk agent aus türkei
deutschland, deutschland, alles ist vorbei
wir sind die türken von morgen”

Der Text ist mit neun Zeilen kompakt, eine schlichte Aneinanderreihung von vier Paarreimen, die ohne jede Einteilung in Strophen und Refrain auskommen. Die letzte Zeile steht für sich und nimmt die Funktion eines Fazits oder Kommentars ein. KEBABTRÄUME zeigt sich ähnlich verschlüsselt und rätselhaft wie auch andere Songs der frühen NDW (z.B. Mittagspause: “Herrenreiter”, oder Abwärts: “Maschinenland”). Es werden Sätze aneinandergereiht, deren inhaltlicher Zusammenhang nicht sofort ersichtlich wird. Die einzelnen Versatzstücke wirken fast zufällig, der Text erscheint fragmentarisch. Seine Brüchigkeit entspricht einem (Alb-)Traum und macht so eine Referenz zum Titel. Die syntaktische Struktur bildet dazu einen Gegensatz: Die mit Kommata abgeteilten Halbsätze sind eigenständige Einheiten. Sie sind sehr kurz und fallen syntaktisch und semantisch mit dem jeweiligen Vers zusammen: pro Zeile eine Aussage. Dieser Eindruck knapper Sprache wird noch deutlich verstärkt durch das Fehlen jeglicher Verben – erst die beiden Schlusszeilen sind grammatikalisch vollständig – und Personalpronomina. Die Sätze wirken wie Slogans oder Schlagzeilen, sie bündeln Information auf kleinstem Raum: “im zk agent aus türkei”; “kebabträume in der mauerstadt”; “in jeder imbißstube ein spion”. Dieser verkürzt-sachliche Sprachstil hinterlässt einen Eindruck von Verwirrung. Weder erzählt der Song eine Geschichte noch zeigt er ein konkretes Bild oder vermittelt eine identifizierbare Botschaft. Die Aussage von KEBABTRÄUME bleibt unscharf, der Text wirft sehr viel mehr Fragen auf als er Erklärungen anbietet. Damit entfernt sich DAF weit von den programmatischen, deutlichen Texten des Punk. Drastische Klarheit und Deutlichkeit, beim Punk noch erste Tugend, wird hier durch semantische Offenheit ersetzt. Die Textbotschaft verliert an Bedeutung zugunsten eines formensprachlichen Gesamteindrucks.

Durch die formensprachliche Brüchigkeit ist der Bedeutung des Textes nur näherungsweise auf die Spur zu kommen. Er vermittelt eher eine Atmosphäre als etwas Konkretes. In diesem Fragmentarischen und Diffusen steckt aber zugleich ein Teil der Botschaft. Denn die einzelnen Versatzstücke des Textes haben fast alle etwas Beunruhigendes, Verstörendes. Dies beginnt schon mit dem Ort. Bei der “Mauerstadt” handelt es sich um das geteilte Berlin, das in seinem Inselstatus sowohl eine Enklave als auch ein Zentrum westdeutscher Jugendkultur darstellt. Berlin, das einerseits Freiheit symbolisiert, andererseits in seiner isolierten Stellung auch eine Art Gefängnis darstellt, steht wie keine andere deutsche Stadt für historische Narben und ungelöste politische Konflikte. Die im Songtext skizzierten Bilder und Begriffe entwerfen ein Szenario, das von Misstrauen, wenn nicht gar Feindseligkeit geprägt ist. Dieses Misstrauen kreist einerseits um die türkischen Migranten, die besonders in Berlin-Kreuzberg zahlreich vertreten sind, und andererseits, gewissermaßen traditionell, um den kommunistischen Ost-Block.

Die “Kebabträume” in der ersten Zeile lassen sich verstehen als Wohlstandsträume, auf deren Verwirklichung die Einwanderer in der deutschen Großstadt hoffen. Doch schon in der zweiten Zeile wird die türkische Kultur, hier den Sprachduktus der Einwanderer nachahmend als “türk-kültür” tituliert, hinter Stacheldraht verbannt, der Zeichen für die Ausgrenzung und Ghettoisierung ethnischer Minderheiten ist. Ab hier werden die Bilder mit ihren Anspielungen auf Geheimdienst und Spionage zunehmend beunruhigender. Wenn “atatürk der neue herr” ist, beschreibt dies auch einen türkischen Imperialismus, der – “mili¬yet für sowjetunion”, “im zk agent aus türkei” – nicht einmal vor Grenze der politischen Blöcke haltmacht. Ob dies allerdings allgemein als irrationale Schreckensvision oder als Drohkulisse für den Osten zu verstehen ist, lässt sich kaum sagen. Die Kombination von Türken, DDR und Sowjetunion jedenfalls erscheint zunächst wenig einleuchtend. Denn in der DDR waren kaum türkische Einwanderer zu finden und im ZK gab es sicher mehr amerikanische und englische als türkische Agenten. Im Sinne einer Komplizierungs- und Verwirrungstaktik allerdings ergeben diese Andeutungen durchaus Sinn. Denn die mangelnde Logik des Textes verbalisiert in treffender Weise die Irrationalität der Angst vor dem Fremden, dem Draußen, welches als gleichbedeutend mit dem Feind angesehen wird, egal, ob dieser innerhalb oder außerhalb der Mauer steht, ob er türkisch oder russisch ist. Der Text formuliert zahlreiche und diffuse Angstvorstellungen einer Gesellschaft, die sich vor dem Unbekannten und Fremden auf geradezu paranoide Art und Weise fürchtet. Denn die Fremden sind nicht nur störend in ihrer Andersartigkeit, nein, ihnen wird gezielte Subversion unterstellt. Die Imbissbuden sind voller Spione, von denen nicht einmal die DDR und Sowjetunion verschont bleiben: Schon liest man in der UdSSR die türkische Staatszeitung “Milliyet”, im Zentralkomitee tummeln sich türkische Agenten. Sind die “Kebabträume” also doch nicht die harmlosen kleine Aufstiegsphantasien armer Einwanderer, sondern Großmachtbestrebungen und Übernahmeträume eines heimtückischen fremden Volkes? “Deutschland, deutschland, alles ist vorbei” erscheint dann als geradezu natürliche Folgerung – der Staat wird unterwandert und von Osten und Südosten bedroht, der Volkskörper geschädigt, die deutsche Identität massiv gefährdet. KEBABTRÄUME – das ist eine bizarre Vision von totaler Überfremdung, eine auf die Spitze getriebene Angstvorstellung.

In der DAF-Interpretation wird die Zeile “deutschland, deutschland, alles ist vorbei” besonders betont. Gerade hier geht der knappe, paramilitärische Sprechgesang Delgado-Lopez’ mit dem Text eine eindringliche Verbindung ein. Die ohnehin schon bizarr gezeichnete Fremdenparanoia wird auf die Spitze getrieben und nochmals zusätzlich mit deutschnationalem Kontext aufgeladen. Aus den einst willkommenen Gästen sind nun Unterwanderer und Agenten geworden. Aus dem Osten, aber auch von innen droht eine feindliche Übernahme. Der Verlust des deutschen Vaterlandes scheint nicht weit, am Ende steht das Exil bzw. die globalhierarchische Degradierung: “wir sind die Türken von morgen”.  Es ist die Horrorvision einer Fremdbestimmung, einer verlorenen nationalen Identität. Die Bedeutung dieser Zeile wird noch erhöht, indem sie im Vortrag vom Rest des Textes separiert ist. Während der Text bis dahin laut und deutlich artikuliert und eng mit der Musik verbunden wird, erscheint diese letzte Zeile, die im Text als einzige allein steht, in der Ausblendung des Songs. Sie wird fast geflüstert, was sie von dem Rest des Textes hervorhebt. Das Flüstern lässt sie noch bedeutsamer erscheinen, es unterstreicht ihren kassandra-artigen, fast unheimlichen Charakter. Mit dem tonal eng gefassten Synthesizer und dem kontrollierten Gesangsstil entsteht zudem ein Eindruck des Maschinellen und Roboterhaften, als sei die Stadt oder sogar ganz Deutschland eine riesige Fabrik, eine düstere, verhängnisvolle Metropolis. Mit dieser musikalischen Umsetzung erhält die Paranoia des Textes Dynamik und Tiefe. Vor allem aber wird durch die Musik die Angst vor der Überfremdung mit der Entfremdung des hochindustrialisierten Lebens in Zusammenhang gebracht.

Von der Deutung dieser letzten Zeile hängen die Bedeutung und die Einordnung des Songs ab. Bedient DAF hier – möglicherweise zustimmend – deutschnationale Stimmungen und Ängste vor “Überfremdung”? Die Irrationalität des Textes und die paranoide Übertreibung machen eine solch allzu schlichte Zuordnung zum “Nazi-Rock” eher unwahrscheinlich, gerade im Vergleich zu den simplen und viel direkteren Zeilen, die Bands wie Flakhelfer, Die Hitlers oder Breslau in jener Zeit abliefern. Vielmehr kann die Schlusszeile auch im Sinne eines Kommentars verstanden werden, als Antithese zu den vorherigen Zeilen. Mit einer solchen Deutung aber kehrt sich die Interpretation um. Denn wird die letzte Zeile als Antithese aufgefasst, macht sich der Text nur noch scheinbar die Argumente einer nationalkonservativen Denkart zueigen, um sie dann durch Überzeichnung einerseits und die Einführung eines Gegenblickwinkels andererseits als letztlich falsch zu entlarven. Dies wirft auf den ganzen Text, besonders aber auf den vorletzten Vers noch einmal ein anderes Licht. “deutschland, deutschland, alles ist vorbei” wäre dann nicht mehr die einverständige Fortsetzung einer dem Stammtisch entlehnten paranoiden Tirade, sondern im Gegenteil ihre Kritik. Was der Text bis dahin als “deutschen Albtraum” aufgebaut hat, wird mit dem letzten Vers gekippt und moralisch neu bewertet.

Im Text von KEBABTRÄUME wird etwa eine Redeweise verwendet, die man mit Diederichsen (1993: 41ff.) als “Geheimdienstmetaphorik” bezeichnen kann. Der “Agent im ZK” ist demzufolge nicht einfach nur zufälliges Personal, sondern eine Figur, die selbst Rollentausch, Scheinaffirmation und subversives Handeln in sich vereint. Verstecktes Agieren, Verschleierung und Irritation sind Strategien des Spions, aber auch Strategien einer ästhetischen Subversion, wie sie der Song betreibt. Der Songtext vermittelt einen Eindruck von Konfusion und Zusammenbruch. Gerade das Brüchige und Fragmentarische des Textes entspricht aber der Brüchigkeit und Zersplitterung der Gesellschaft und dem nebulösen Charakter ihrer Angstphantasien. DAF verzichtet auf Erklärungen und rationale Argumentationen. Die Artikulation des Nichteinverstandenseins mit gesellschaftlichen Zuständen wird nicht agitativ, sondern ironisch-scheinaffirmativ gestaltet. Es gibt keinen klaren Appell, der Aufforderungscharakter des Songs wird in seiner Form nicht mehr sichtbar, sondern liegt in der Herausforderung für den Rezipienten, den Verschlüsselungen des Textes nachzugehen und sich in dem darin aufgemachten Diskurs zu positionieren.

IV. Rezeption

Nicht nur DAF nimmt KEBAPTRÄUME ins Repertoire auf, der Song gehört zu den “Hits” der frühen NDW, er war “ein Volkslied, das mindestens vierzigmal gecovert wurde und dessen prophetische Zeile ‘Wir sind die Türken von morgen’ an jeder Straßenecke gesungen und gepfiffen an die Vergänglichkeit irdischen Ruhmes gemahnte” (Koch 1987, S. 123). Auch von DAF selbst existieren zwei verschiedene Versionen des Songs, einmal die hier analysierte von 1980 und eine spätere Aufnahme, die auf einem 1988 erschienenen Best-of-Sampler veröffentlicht wird. Die spätere Fassung weist bereits deutlich in die Zukunft der elektronischen Musikstile. Aufgrund seiner Geschichte und seiner radikalen Formensprache handelt es sich um einen zentralen Song der NDW.

 

BARBARA HORNBERGER


Credits

Lyrics: Gabi Deldago-Lopz
Musik: Robert Görl
Produktion: D.A.F., Bob Giddens
Gesang: Gabi Delgado-Lopez
Gitarre: Wolfgang Spelmanns
Synthesizer: Chrislo Haas
Bass: Michael Kemner
Schlagzeug: Robert Görl

Recordings

  • DAF. “Kebabträume”/”Gewalt”, 1980, Mute Records, MUTE 005 , UK (7”-Single/Vinyl).
  • Mittagspause.”Militürk”, Punk macht dicken Arsch. Live in Wuppertal-1979, 1981, Rondo, Flot 2,  Ger (Vinyl/LP/Album).

References

  • Koch, Albrecht: Angriff auf’s Schlaraffenland. 20 Jahre deutschsprachige Popmusik. Frankfurt/Main; Berlin: Ullstein 1987.
  • Diederichsen, Diedrich: Freiheit macht arm. Das Leben nach Rock’n’Roll 1990-93. Köln: Kiepenheuer und Witsch 1993.

About the Author

Barbara Hornberger is professor for popular music education at the University of Applied Science Osnabrück.
All contributions by Barbara Hornberger

Citation

Barbara Hornberger: “Kebabträume (DAF)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost. http://www.songlexikon.de/songs/kebabtraeume 07/2016 [revised 03/2017].

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