1969
Serge Gainsbourg & Jane Birkin

Je t’aime … moi non plus

1969 löste der Song JE T’AIME … MOI NON PLUS, vorwiegend wegen seiner unmissverständlich sexuell zu deutenden Stöhnlaute, einen Skandal aus. Es blieb der einzige internationale Hit von Jane Birkin (geb. 1946) und Serge Gainsbourg (1928-1991). Bis heute ist der legendäre Song weithin bekannt und gilt vielen Menschen geradezu als Synonym für die Verkörperung des Erotischen in der Musik.

I. Entstehungsgeschichte

Bevor der Song JE T’AIME … MOI NON PLUS 1969 veröffentlicht wurde, lag bereits eine bewegte Vorgeschichte hinter ihm. Das musikalische Material ging auf ein Instrumentalstück zurück, das Gainsbourg 1967 für einen Film mit dem Titel Les cours verts komponiert hatte (vgl. Simmons 2007: 99). Ursprünglich war Brigitte Bardot die Interpretin an der Seite Gainsbourgs. Seit dem 14. Juli 1966 war sie mit Gunter Sachs (1932-2011) verheiratet, der aus einer wohlhabenden, deutschen Industriellenfamilie stammte und dem man aufgrund seiner Lebensweise das Etikett “Playboy” angeheftet hatte. Der Ehestand hinderte die Bardot nicht daran, sich im Herbst des Jahres 1967 auf eine leidenschaftliche Affäre mit Serge Gainsbourg einzulassen, die drei intensiv durchlebte Monate währen sollte. In dieser Zeit nahmen beide neben einigen anderen Titeln das Duett JE T’AIME … MOI NON PLUS auf. Das Arrangement stammte von Michel Colombier (1939-2004), der später als viel beschäftigter Filmmusikkomponist einigen Ruhm erwerben sollte. Doch dann verlangte Bardot, die Publikation der bereits gepressten Platten zu verhindern. Dies war nicht nur der Intervention ihres brüskierten Ehemanns Gunter Sachs geschuldet, sondern sie selbst fürchtete wohl auch, ihren Ruf in der Filmbranche durch die Veröffentlichung des pikanten Songs zu beschädigen (vgl. Simmons 2007: 83f.). Erst 1986 erteilte Brigitte Bardot ihre Einwilligung, die Aufnahme zu publizieren.

Bei den Dreharbeiten zu dem Film Slogan lernte Gainsbourg 1968 die englische Schauspielerin Jane Birkin kennen. Es entstand eine Liebesbeziehung, die viele Jahre überdauern sollte. In einem neuen Arrangement, das von dem Briten Arthur Greenslade (1923-2003) stammte, nahmen beide JE T’AIME … MOI NON PLUS nochmals auf. Als die Single 1969 erschien, war ein Hit geboren und konnte seinen Siegeszug um die Welt antreten.

II. Kontext

Ende der sechziger Jahre schwappte eine Sexwelle über Europa hinweg. Im Rahmen der “sexuellen Revolution” rebellierten vor allem junge Menschen gegen eine verkrustete bürgerliche Sexualmoral. Bald schon setzte eine Kommerzialisierung ein, die zu einer Omnipräsenz des Sexuellen in der Gesellschaft führte. Titelblätter von Illustrierten zeigten jede Menge nackter Haut. Zeitschriften versuchten mit Berichten zu sexuellen Themen ihre Auflage zu steigern. Erotikromane wie “Die Geschichte der O.” (deutsche Erstausgabe 1967) erschienen auf dem Buchmarkt. In die deutschen Kinos hielten sog. Aufklärungsfilme Einzug, z. B. Helga – Vom Werden des menschlichen Lebens (1967) oder Das Wunder der Liebe (1968), der Erstlingsfilm vom Oswalt Kolle. In diesen Kontext fügte sich der Song JE T’AIME … MOI NON PLUS trefflich ein.

III. Analyse

Birkins gehauchten Liebesschwur “Je t’aime” erwidert Gainsbourg lakonisch mit einem knarzigen “moi non plus”. Aus den klanglichen Zutaten des Stückes ragt “das orgastische Gestöhne einer Frau” (Simmons 2007: 101) fraglos heraus. Wegen dieses Stöhnens schlugen die Wellen der Empörung einst hoch. Gainsbourgs poetischer Text enthält einige Formulierungen, die recht unmissverständlich auf den Geschlechtsverkehr hindeuten. So heißt es z. B. “Je vais je vais et je riens, entre tes reins. Je vais et je viens, entre tes reins.” (“Komm ich und geh und komme, zwischen deine Hüften. Ich komme ich geh, in dich hinein”). Der Text endet mit den Worten “Non! Maintenant viens!” (“Nein jetzt, du, komm! “). Es findet sich aber auch die kryptische Zeile “L’amour physique est sans issue” (“Die physische Liebe ist ohne Ausweg”) (Gainsbourg 1989: 42-45). Sylvie Simmons berichtet, Gainsbourg habe behauptet, “seine Hymne an die sexuelle Befreiung sei in Wahrheit ein ‚Anti-Sex’-Lied, das von der Verzweiflung und naturgegebenen Unmöglichkeit der physischen Liebe handelt” (Simmons 2007: 106). Dies ist zum einen wiederum eine Provokation, die das geläufige Image des Songs willentlich konterkariert. Zum anderen dokumentieren Gainsbourgs Worte aber auch, wie groß der Interpretationsspielraum ist und wie viele unterschiedliche Lesarten ein literarischer Text (oder ein musikalisches Artefakt) zulässt. Außerhalb der frankophonen Länder jedoch sind diese Nuancen des Textes sicherlich kaum registriert worden. Hier wurde JE T’AIME in der Regel auf das – international verständliche – Stöhnen der Protagonistin reduziert.

Als Randnotiz sei vermerkt, dass im ersten Teil der Filmreihe Schulmädchenreport, der 1970 in die deutschen Kinos kam und dort sechs Millionen Zuschauer fand, die “lustvoll stöhnende Frau zum visuellen Symbol für Sex” (Kniep 2010: 235) wurde. Diese Allianz von Sexualität und Stöhnen war allerdings vorwiegend in Schnittauflagen der FSK (Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft) begründet, die eine konkretere Präsentation sexueller Handlungen aus der Bildebene verbannten (vgl. Kniep 201: 233-235). Dass Stöhnen, wie man es auch in JE T’AIME hört, nur auditiv wahrgenommen wird, galt der FSK offenbar als entschärfte Variante sexueller Darstellung.

Die Musik zu JE T’AIME … MOI NON PLUS ist zunächst einmal nicht sonderlich originell. Das Klangbild wird getragen von dem dominanten Sound einer Hammond-Orgel, einer rhythmisch bewegteren Bassstimme und Gitarrenakkorden. Das harmonische Material beschränkt sich auf die Haupt- und die Nebendreiklänge in C-Dur, die nur bisweilen um Zusatztöne erweitert werden. Vom musikalischen Grundcharakter her ähnelt JE T’AIME einem großen Hit des Sommers 1967, “A Whiter Shade of Pale” von Procol Harum (vgl. Erwe 2011: 127).

Unabhängig vom vokalen Anteil besitzt die Musik von JE T’AIME … MOI NON PLUS aber auch eine eigene Qualität. Dies erklärt, warum selbst Instrumentalfassungen dieses Chansons wie die unter dem Titel “Love At First Sight” aufgenommenen Versionen der Bands Sounds Nice (1969) und Hot Butter (1972) durchaus erfolgreich waren. Simmons hat versucht “die schwüle, quasi-klassische Melodie” (Simmons 2007: 99) von JE T’AIME zu beschreiben, hat von einer “trägen, beinahe überschönen, kitschigen Melodie” (ebd.: 100) gesprochen, sie bildhaft eine “schwüle Weichzeichner-Melodie” (ebd.: 101) genannt. In diesen Formulierungen wird zwar auch das Unvermögen der Sprache erkennbar, Musik hinreichend mit Worten zu erfassen. Es klingt aber auch an, dass die Faktur der Musik sich offenbar auf gelungene Weise mit dem erotischen Charakter des Textes vereint.

IV. Rezeption

JE T’AIME war ein Affront gegen tradierte Moralauffassungen. Die Stöhngeräusche machten unverhohlen Sexualität hörbar, sie vermochten zum Mindesten die erotische Fantasie der Hörer anzuregen. Diese Provokation des als Enfant terrible der französischen Künstler- und Intellektuellenszene geltenden Gainsbourg löste in weiten Kreisen Entrüstung aus. Große Radiosender wie die BBC oder die Radiotelevisione Italiana (RAI) boykottierten den Song, in einigen Ländern wie Spanien, Portugal oder Schweden wurde jede öffentliche Ausstrahlung verboten. In Italien, Spanien und einigen südamerikanischen Ländern wurde auch der Verkauf der Platte untersagt. In Deutschland war sie zwar im Handel, wurde aber im Rundfunk nicht gesendet bzw. bestenfalls vor der Stöhnpassage diskret ausgeblendet. Die päpstliche Hauspostille L’Osservatore Romano bescheinigte dem Song eine “beschämende Obszönität”, und im Giornale d’Italia war zu lesen, das schamlose Pärchen verströme “so viele Seufzer und Grunzer wie eine ganze Elefantenherde beim Kopulieren” (zit. n. Erwe 2011: 125f.). Dennoch verkaufte sich die Single weltweit mehr als sechs Millionen Mal (vgl. Simmons 2007: 99). Der Skandal, den JE T’AIME … MOI NON PLUS verursachte, trug maßgeblich zum Verkaufserfolg der Platte bei und machte Gainsbourg zu einer internationalen Berühmtheit.

Im Sommer 1976 kam der Film Je t’aime moi non plus in die Kinos, bei dem Serge Gainsbourg Regie geführt hatte. Der Titel des Films knüpfte – sicher mit Bedacht – an die erfolgreiche Schallplatte aus dem Jahre 1969 an. Liebe und Eifersucht, Homo- und Heterosexualität sind Themen des karg inszenierten Films, der eine zumeist beklemmende Atmosphäre vermittelt. Die Hauptfiguren sind ein schwuler Lastwagenfahrer und die androgyne Kellnerin eines heruntergekommenen Bistros, dargestellt von Jane Birkin. Das Leinwandgeschehen ist zum Teil brutal, die Dialoge sind oft vulgär, vor allem aber ist der Film mit Sexszenen gespickt. Wie bei dem Song war der Skandal damit vorprogrammiert. Unter Cineasten avancierte Je t’aime moi non plus aber bald schon zum Kultfilm.

Der konkrete Bezug zu dem gleichnamigen Song besteht darin, dass insgesamt viermal Instrumentalversionen des Stückes im Film erklingen, in unterschiedlichem Kontext, auch während einer von heftigem Stöhnen der Protagonistin begleiteten Koitusszene auf der Ladefläche eines LKWs; hier schließlich fallen mehrfach die Worte “Je t’aime”.

Weder die frühe Aufnahme mit Brigitte Bardot noch die zahlreichen späteren Coverversionen von JE T’AIME vermögen auch nur annähernd so viel knisternde Erotik zu versprühen wie die Originalversion mit Jane Birkin, deren naiver Charme unerreicht bleibt. Donna Summer – ihre Karriere hatte 1975 mit dem Stöhnsong “Love to Love You Baby” begonnen (vgl. Erwe 2011: 129f.) – nahm für den Film Thank God It’s Friday (1978) eine knapp 16minütige Fassung von JE T’AIME auf, in der sich Vokalepisoden und ausgedehnte Instrumentalpassagen abwechseln. Hier kommt eher Langeweile als erotische Spannung auf. Und die als Hommage an den verstorbenen Gainsbourg deklarierte, noch in dessen Todesjahr veröffentlichte deutschsprachige Version mit Heiner Lauterbach und Sabine von Maydell rangiert irgendwo zwischen Peinlichkeit und unfreiwilliger Komik. Diese beiden Adaptionen mögen als Beispiele für missratene Versuche, JE T’AIME in neuem musikalischen Gewand zu präsentieren, genügen. Einen umfassenden Überblick über die Fülle der Coverversionen findet man auf einschlägigen Internet-Seiten.

 

HANS-JOACHIM ERWE


Credits

Vocals: Serge Gainsbourg, Jane Birkin
Autor: Serge Gainsbourg
Arrangeur: Arthur Greenslade
Produzent: Jack Baverstock
Label: Fontana
Aufnahmedatum: 1968
Veröffentlichung: 1969
Länge: 4:22

Recordings

  • Serge Gainsbourg & Jane Birkin. “Je t’aime … moi non plus”, Jane Birkin – Serge Gainsbourg, 1969, Fontana, 885545, Frankreich (LP/Album).
  • Serge Gainsbourg & Jane Birkin. “Je t’aime … moi non plus”, Jane Birkin – Serge Gainsbourg, 2001, Fontana/ Mercury, 584428-2, Frankreich (CD/Re/Album).
  • Jane Birkin avec Serge Gainsbourg. “Je t’aime … moi non plus”, Je t’aime … moi non plus, 1969, Fontana, 2601196, Frankreich (7″/Single).
  • Jane Birkin avec Serge Gainsbourg. “Je t’aime … moi non plus”, Je t’aime … moi non plus, 1969, Fontana, TF 1042, UK (7″/Single).
  • Jane Birkin avec Serge Gainsbourg. “Je t’aime … moi non plus”, Je t’aime … moi non plus, 1969, Fontana, 1665, USA (7″/Single).
  • Je t’aime moi non plus. Regie/ Drehbuch: Serge Gainsbourg. Arthaus, 2009 (DVD/502536).

Covers

  • Donna Summer. “Je t’aime … moi non plus”, Thank God It’s Friday. The Original Motion Picture Soundtrack, 1978, Mercury Records, 314534606-2, USA (2xCD/RM/Comp).
  • Heiner Lauterbach. Sabine von Maydell “Je t’aime. Ich liebe dich”, Je t’aime. Ich liebe dich, 1991, Rough Trade, RTD 181.1169.7, Deutschland (7″/Single).

References

  • Erwe, Hans-Joachim: “Je t’aime” und andere Stöhnsongs – über Musik und Erotik. In: Thema Nr. 1. Sex und populäre Musik (= Beiträge zur Popularmusikforschung 37). Ed. by Dietrich Helms and Thomas Phleps. Bielefeld: transcript 2011, 125-134.
  • Gainsbourg, Serge: Je t‘aime. Liedertexte. Eine zweisprachige Auswahl in der Übersetzung von Barbara Höhfeld. Echternach: éditions phi 1989.
  • Kniep, Jürgen: “Keine Jugendfreigabe!” Filmzensur in Westdeutschland 1949–1990 (= Moderne Zeit. Neue Forschungen zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts XXI). Göttingen: Wallstein-Verlag 2010.
  • Simmons, Sylvie: Serge Gainsbourg. Für eine Hand voll Gitanes. Frankfurt am Main: JSV Jens Seeling Verlag 2007.

Links

  • Artist homepage: http://www.janebirkin.net/uk/ [25.01.2012], http://www.sergegainsbourg.com.fr/ [25.01.2012].

About the Author

Hans-Joachim Erwe (1956-2014) was a professor of music education at the University of Wuppertal.
All contributions by Hans-Joachim Erwe

Citation

Hans-Joachim Erwe: “Je t’aime … mon non plus (Serge Gainsbourg & Jane Birkin) “. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/jetaimemoinonplus, 12/2011 [revised 10/2013].

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