1987
U2

I Still Haven’t Found What I’m Looking For

Der Song I STILL HAVEN’T FOUND WHAT I’M LOOKING FOR zählt zu den zahlreichen Hits der irischen Superstars U2. Zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung trug er dazu bei, dass die aufstrebende Post-Punk Band U2 zu Superstars des Pop-Mainstreams avancierte.

I. Entstehungsgeschichte

I STILL HAVEN’T FOUND WHAT I’M LOOKING FOR ist der zweite Track auf The Joshua Tree, dem fünften Studioalbum der irischen Rockband U2, erschienen am 9. März 1987. Im Mai des gleichen Jahres wurde der Song als Single ausgekoppelt (mit den B-Sides “Spanish Eyes” und “Deep in the Heart”). Für Musik und Text zeichnete die gesamte Band verantwortlich. Die Aufnahmesessions gestalteten sich zunächst schwierig, da lange Zeit Unklarheit darüber herrschte, in welche Richtung sich der Song stilistisch entwickeln sollte. Einzig der unkonventionelle, mit diversen Tom-Schlägen durchsetzte Drumpart von Larry Mullen Jr. schien reizvoll und einen Ausblick auf das spätere Klangbild des Songs zu geben. Die entscheidende Wendung brachte die Zeile “I still haven’t found what I’m looking for”, die Gitarrist The Edge einst ohne bestimmten Verwendungszweck in seinem Notizblock festgehalten hatte. Hinter dieser Zeile verbarg sich das spirituelle Motiv des Suchens und Zweifelns, welches Sänger Bono alsdann in Form einer gospelartigen Gesangsdarbietung aufgriff – die stilistische Grundrichtung war somit vorgegeben.

II. Kontext

Mit dem Album The Joshua Tree (1987) erfolgte die entscheidende Wandlung von U2 zu Superstars. Das Album stieg in den britischen und US-amerikanischen Charts bis auf Platz eins und hielt sich dort mehrere Wochen. Von der Musikpresse wurde das Album wohlwollend bis enthusiastisch kommentiert. Beim Albumtitel handelt es sich um eine im Englischen gebräuchliche Bezeichnung für eine baumartige Pflanze, die unter wüstenhaften Witterungsbedingungen wächst. Die Referenz auf die USA, die U2 mit dem Album anstrebten, wird allerdings hierdurch nicht zwangsläufig ersichtlich. Erst mit Blick auf die Covergestaltung verdichtet sich der Eindruck, dass auf The Joshua Tree die USA, ihre Geschichte und Kultur den thematischen Rahmen bilden. Das Front-Cover zeigt eine Schwarzweiß-Fotografie der Band, aufgenommen in einer Wüstenlandschaft, wie man sie aus Filmen des Western-Genres kennt. Die Bandmitglieder, mit ernsthafter Miene und vornehmlich in Schwarz gekleidet, sind in naher Einstellungsgröße leicht verschwommen abgelichtet. Das Foto offenbart einen visuellen Purismus, der Strategien der Naturalisierung (Wüste, Cowboy- bzw. Vagabunden-Image) umfasst und wenig mit den verspielten, affirmativ-subversiven Kleidungscodes des (Post-)Punk, den artifiziell-futuristischen Selbstdarstellungen des New Wave oder den damals vorherrschenden opulent-bunten Clipwelten auf MTV gemein hat. Es scheint, als wollten U2 mit aller Nachdrücklichkeit die Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit ihres künstlerischen Anliegens kommunizieren. Eine ähnliche Form ernsthaft-puristischer Covergestaltung kann in Bezug auf die frühen Alben Boy (1980) und War (1983) festgestellt werden. Der entscheidende Unterschied zu ebenjenen besteht jedoch darin, dass nunmehr die Band, genauer, die vier Personen, die die Band bilden, optisch zentral gesetzt werden.

III. Analyse

Der Song hat eine Dauer von 4:37 Minuten. In ihm kommen Gesang, Nebengesang, Gitarre (diverse), Bass und Schlagzeug zum Einsatz. Sein tonales Zentrum ist Cis-Dur, welches über die Herabsetzung der Gitarrenstimmung um einen Halbton erreicht wird (ein Kennzeichen von diversen U2-Songs). Der Formverlauf stellt sich wie folgt dar: Intro (–0:28) | 1. Strophe (–1:08) | Refrain (–1:26) | 2. Strophe (–2:04) | Refrain (–2:23) | Zwischenspiel (–2:47) | 3. Strophe (–3:25) | Refrain (2x) (–4:03) | Outro (–4:37). Mit Blick auf die Konfigurationslogik des Songs fällt vor allem die harmonische Grundstruktur auf. Diese besteht aus den Hauptfunktionen Tonika, Subdominante und Dominante, die in einer Variation bzw. Erweiterung des zwölftaktigen Bluesschemas organisiert sind. Im Einzelnen heißt dies: Die ersten acht Takte sowie die viertaktige Schlusswendung mit dem charakteristischen plagalen Schritt von der fünften auf die vierte Stufe werden wiederholt. Unstrittig ist, dass das Bluesschema in der populären Musik eine lange Tradition besitzt. Es ist eines jener musikalischen Gestaltungsprinzipien, die eindeutig der afroamerikanischen Musikkultur zugeordnet werden können. In den Sparten des Rhythm & Blues und des Rock ‘n’ Roll erwies es sich als gleichermaßen formgebend und stilprägend. Schon seit geraumer Zeit ist das Bluesschema nicht mehr von einer Breitenwirkung wie in den 1950er- und 1960er Jahren. In aktuellen Hits wird tendenziell ein offenerer, im weitesten Sinne modaler Umgang mit harmonischen Verläufen gepflegt. Der entscheidende Punkt ist somit auch, dass das Bluesschema bereits in den 1980er Jahren, also im Zeitraum der Veröffentlichung von The Joshua Tree, eine Kulturobjektivation darstellte, die potenziell ein Gefühl von Tradition und Ursprünglichkeit vermittelte. Für U2s Anliegen einer um musikalischen Purismus bemühten Albumproduktion ist die traditionsstiftende Qualität des Bluesschemas entsprechend förderlich. Einen ähnlichen Effekt erzielt die auf der Aufnahme wiedergegebene vokale Performanz von Bono. Anhand des Einstiegs in die erste Strophe lässt sich dies verdeutlichen: Es liegt eine Reihung von drei kurzen, synkopisch geprägten Vokalmotiven (bestehend aus zwei bzw. drei Tönen) und ihren Variationen vor; die Melodieführung der ersten Strophe sowie in den übrigen Strophen baut auf diesem Materialpool auf. Bezeichnend für die vokale Ausgestaltung ist die performatorische bzw. improvisatorische Verarbeitung der Motive. Das bedeutet: Töne werden gedehnt, verkürzt, gestreckt, Nebennoten werden eingefügt, der rhythmische Akzent wird leicht verschoben. Diese Form der variierten Reihung von synkopisch strukturierten Kleinstmotiven weist eine stilistische Nähe zu den originär afroamerikanischen Spielarten der (populären) Musik wie Gospel, Blues und Soul auf. Sicherlich ist zu ergänzen, dass das Gros der Vokaldarbietungen der populären Musik nach diesem Prinzip funktioniert. Folgerichtig gilt es die angeführte Einsicht dahingehend zu konkretisieren, dass vor allem die Akkuratheit auffällt, mit der die Umsetzung ebenjenes Reihungs- bzw. Variationsprinzips verfolgt wird. Hierdurch fügt sich der Gesangspart in die reduziert-puristische harmonische Struktur und Formbildung des Songs ein. Es zeigt sich, dass der Sinnträger Stimme mit Verweisen auf die afroamerikanische Musikkultur arbeitet, eine Musikkultur, die im kulturellen Bewusstsein mit Vorstellungen von einer tief empfundenen, ins Spirituelle hineinreichenden Expressivität belegt ist. Auf textlicher Ebene wird dies untermauert durch das Motiv des Suchens und Zweifelns (siehe oben), welches sich darin manifestiert, dass durch einen Ich-Erzähler mannigfache Erfahrungswerte geschildert werden (z.B. “I have climbed highest mountain”, “I have kissed honey lips”), die sodann eine narrative Auflösung in der Hookline des Refrains (“But I still haven’t found what I’m looking for”) erfahren.

Wendet man den Blick auf das Gitarren-Arrangement, so ergibt sich ein sehr viel differenzierteres Bild. Hiernach kommt zum Vorschein, dass die gospel- bzw. bluesartigen Gesangsdarbietungen über einer komplexen Klangtextur zur Entfaltung gebracht werden. Anhand des Intros lässt sich belegen, wie ein Mehr an Gitarrenspuren zu einem Klangganzen verschmilzt. Beginnend mit einem Ein-Ton-Motiv, das in Palm-Mute-Technik gespielt wird und mit Panning- und Reverb-Effekt unterlegt ist, kommen sukzessive (und in dieser Reihenfolge) eine mit Delay-Effekt bearbeitete, eine sehr leise abgemischte und stark verhallte sowie eine stark verzerrte (Fuzz-Effekt) Gitarrenspur hinzu. Die benannten Spuren werden über weite Strecken des Songs durchgehalten, allerdings in unterschiedlichen Abmischungsverhältnissen. Darüber hinaus erklingen noch eine Westerngitarre (ab der 2. Strophe) und eine E-Gitarre mit Tremolo-Effekt in Sechzehntel-Einstellung (ebenso ab der 2. Strophe). Aus Sicht des Analysierenden lässt sich anführen, dass ein lückenloser (skripturaler) Nachvollzug der Gitarrenspuren nahezu unmöglich scheint. Einem “durchschnittlichen” Hörer wird es vermutlich ähnlich ergehen – wahrscheinlich wird er erst gar nicht zu der Erkenntnis gelangen, dass die genannte Anzahl an Gitarren tatsächlich zum Einsatz kommt. Es soll an dieser Stelle auch nicht darum gehen, das instrumentale Arrangement bis ins Letzte zu rekonstruieren. Die entscheidende Einsicht besteht vielmehr darin, dass durch das Gitarren-Overdubbing ein breiter Klangteppich erzeugt wird, der sich zu keinem Zeitpunkt in seiner vollständigen Zusammensetzung zu erkennen gibt, d.h. die Gitarrenspuren sind als solche nicht vorstellbar. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der puristischen Ästhetik, die in der Gesangsdarbietung, dem Formverlauf und der harmonischen Grundstruktur zum Vorschein kommt, ein ausgefeiltes Klangdesign zur Seite gestellt wird, das die Klangbearbeitungstechnologien des Tonstudios ausreizt. Somit erweist sich I STILL HAVEN’T FOUND WHAT I’M LOOKING FOR in letzter Konsequenz als High-End-Produktion mit “natürlichem Antlitz”.

IV. Rezeption

I STILL HAVEN’T FOUND WHAT I’M LOOKING FOR ist eine kommerziell äußerst erfolgreiche Single von U2. In den US-amerikanischen Billboard Hot 100 stieg bis auf Platz eins. Seinerzeit von der Musikpresse überwiegend mit Lob bedacht, steht der Song heutzutage in einer Reihe mit “Klassikern” der Band wie “Pride (In the Name of Love)”, “Where the Streets Have No Name”, “One” oder “Beautiful Day“. Seine anhaltende Popularität drückt sich sowohl in der wiederholten Einbindung in Film- und Fernsehproduktionen (u.a. Blown Away (1994) und Runaway Bride (1997)) als auch in Form von relativ hohen Platzierungen in listenförmigen Pop-Kanonisierungen wie den “500 Greatest Songs of All Time” (Rolling Stone Magazine, Platz 93) aus. Nicht minder groß ist die Anerkennung für das Album The Joshua Tree (Platz 27 unter den “500 Greatest Albums of All Time”, herausgegeben durch das Rolling Stone Magazine). Eine alternative Live-Version des Songs mit Gospel-Chor ist auf Rattle and Hum (1988) enthalten.

 

CHRISTOFER JOST


Credits

Hauptgesang: Bono Vox
E-Gitarre, Nebengesang: The Edge
E-Bass: Adam Clayton
Schlagzeug: Larry Mullen Jr.
Autor: U2
Produzenten: Brian Eno, Daniel Lanois
Veröffentlichung: 9. März 1987
Länge: 4:37

Recordings

  • U2. “I Still Haven’t Found What I’m Looking For”, I Still Haven’t Found What I’m Looking For, 1987, Island Records, 659 152, Europa (CD/Single).
  • U2. “I Still Haven’t Found What I’m Looking For”, The Joshua Tree, 1987, Island Records, 258 219, CID U26, Europa (CD/Album).
  • U2. “I Still Haven’t Found What I’m Looking For”, The Joshua Tree, 1987, Island Records/Columbia House, I2 42298, USA (CD/Album).
  • U2. “I Still Haven’t Found What I’m Looking For”, Rattle and Hum, 1988, Island Records, 353 400, Europa (CD/Album).
  • U2. “I Still Haven’t Found What I’m Looking For”, Rattle and Hum, 1988, Island Records, A2 91003, USA (CD/Album).

References

  • Chatterton, Mark: U2. The Ultimate Encyclopedia. London: Firefly 2004.
  • Cogan, Višnja: U2. An Irish Phenomenon. New York: Pegasus Books 2008.
  • Harris, Paul: “U2’s Compositional Process: Sketching Achtung Baby in Sound”. In: MusikTheorie. Zeitschrift für Musikwissenschaft 24/2 (2009), 137-162.
  • Flanagan, Bill: U2 at the End of the World. New York: Random House Publishing Group 1996.
  • Jost, Christofer: Musik, Medien und Verkörperung. Transdisziplinäre Analyse populärer Musik. (= Short Cuts | Cross Media 5). Baden-Baden: Nomos 2012.
  • Rolling Stone (Ed.): Rolling Stone’s 500 Greatest Albums of All Time. London: Turnaround 32006.
  • “The 500 Greatest Songs of All Time”. In: Rolling Stone Magazine 963 (2004).

Links

  • Band-Homepage: http://www.u2.com/ [05.08.2012].
  • Lyrics: http://www.u2.com/discography/lyrics/ [05.08.2012].

About the Author

PD Dr. Christofer Jost is research associate at the Zentrum für Populäre Kultur und Musik, University of Freiburg, and teaches media studies at the University of Basel.
All contributions by Christofer Jost

Citation

Christofer Jost: “I Still Haven’t Found What I’m Looking For (U2)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/istillhavent, 08/2012 [revised 10/2013].

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