1998
Aerosmith

I Don’t Want to Miss a Thing

I DON’T WANT TO MISS A THING ist bis heute der erfolgreichste Song der US-Rockband Aerosmith. Von Diane Warren geschrieben und als Titelsong für den Film Armageddon aufgenommen, ist er der einzige Song des Soundtracks, der in die US-Billboard-Hot-100-Charts eingestiegen ist und ebenso Charterfolge in zahlreichen anderen Ländern feierte. I DON’T WANT TO MISS A THING zählt heute zu den großen Hits von Aerosmith.

I. Entstehungsgeschichte

I DON’T WANT TO MISS A THING wurde im Jahr 1998 aufgenommen und neben drei weiteren Songs von Aerosmith – den eigenen Titeln “What Kind of Love Are You on” und “Sweet Emotion” sowie dem von der Band interpretierten “Come Together” – für den Soundtrack des Touchstone-Filmes Armageddon verwendet (vgl. www.imdb.com).

Ursprünglich hatte Diane Warren den Song für Celine Dion geschrieben (vgl. www.songfacts.com). Für den Soundtrack sollte er dann von U2 interpretiert werden, bis durch die Besetzung mit Liv Tyler, der Tochter des Aerosmith-Sängers Steven Tyler, die eine der Hauptrollen spielt (vgl. Ehrlacher/Haaß 2002), die Idee aufkam, das Lied von Aerosmith interpretieren zu lassen (vgl. www.songfacts.com).

Der effektreiche Science-Fiction-Thriller Armageddon handelt davon, dass ein riesiger Asteroid von der Größe Texas’ auf die Erde zurast. Der Chef der Raumfahrtbehörde NASA will die Katastrophe rechtzeitig verhindern, indem er eine Crew ins All schickt, die ein Loch in den Asteroiden treibt und ihn nuklear in kleine Einzelteile sprengen soll, die dann an der Erde vorbeifliegen. Als Leiter der Mission wird Harry S. Stamper (Bruce Willis) bestimmt, der vorher auf einer Bohrinsel gearbeitet hat. Unter seinen besten Arbeitern, die er auf die Mission mitnimmt, ist auch A. J. Frost (Ben Affleck), zu dem er ein eher angespanntes Verhältnis pflegt – umso mehr, nachdem er ihn in flagranti mit seiner Tochter Grace Stamper (Liv Tyler) erwischt hat. Doch die gemeinsame Herausforderung verbindet die beiden Männer bald. Das Team, das sich mit den beiden Raumschiffen “Freedom” und “Independence” auf den Weg macht, durchläuft diverse Strapazen, wobei bei einem Unfall des letztgenannten Shuttles Grace auch den Tod ihres Geliebten und frisch Verlobten A. J. befürchten muss, der jedoch überlebt. Für die Sprengung, die entgegen der Planung nur noch unter Aufopferung des eigenen Lebens ausgelöst werden kann, wird per Zufallsentscheid A. J. bestimmt. Harry jedoch opfert sich, indem er A. J. austrickst und an dessen Stelle tritt. In den letzten Momenten, bevor er auf den Auslöser drückt, verabschiedet er sich über Funkkontakt von seiner Tochter Grace, die sich im Mission Control Center befindet. Die Mission gelingt und die Katastrophe kann letztendlich verhindert werden. Die Überlebenden der Crew kehren als Helden zurück und Grace und A. J. heiraten (vgl. Ehrlacher/Haaß 2002).

I DON’T WANT TO MISS A THING wurde aufgenommen, als Aerosmith bereits auf ihrer über zwei Jahre dauernden Nine-Lives-Tour waren. Die Band hatte sich den Film Armageddon und die Sequenzen zeigen lassen, für die der Song angedacht war, und sagte zu (vgl. CBS Local 2011). Die Aufnahmen in den Studios der Hit Factory in New York, für die Aerosmith ihre Tour unterbrachen, fanden an drei darauffolgenden Tagen statt. Die Leitung für den Orchesterpart übernahm Suzie Katayama (vgl. The Facts 1998), Produzent war Matt Serletic (vgl. Wikipedia-Eintrag zu “I Don’t Want to Miss a Thing”).

Erstmals veröffentlicht wurde I DON’T WANT TO MISS A THING als Teil des Soundtracks von Armageddon am 23. Juni 1998 sowie durch den Filmstart in den USA am 1. Juli 1998. Der Filmstart in den ersten europäischen Staaten folgte ca. eine Woche später (vgl. Ehrlacher/Haaß 2002). Die Veröffentlichung des Songs als Single in den USA folgte am 18. August 1998. Der Tonträger beinhaltet außerdem einen Rock-Mix des Songs “Taste of India” vom Aerosmith-Album Nine Lives sowie den Track “Animal Crackers”, welcher die Audio-Spur der bereits erwähnten Filmsequenz ist, in der Grace und A. J. ihren vorerst letzten gemeinsamen Nachmittag verbringen (inklusive des Dialogs der betreffenden Szene). Außerdem wurden auch Versionen veröffentlicht, die neben dem Titelsong die Aerosmith-eigenen Songs “Pink” oder “Crash” beinhalten. Neben der normalen Single gab es zudem eine Promo-Version, die nur I DON’T WANT TO MISS A THING beinhaltet (teilweise als Radio Edit ohne die Orchester-Einleitung des Originals; vgl. musicbrainz.org). Der Song erschien u. a. auf einem Re-Release von Nine Lives (LP) in Europa, außerdem auf der japanischen Version des Albums Just Push Play. Ferner wurde der Track 2011 mit den wichtigsten Balladen der Band auf dem Album Tough Love – Best of the Ballads erneut veröffentlicht.

Das Musikvideo zum Song wurde 1998 im Minneapolis Armory (Minnesota) unter der Regie von Francis Lawrence gedreht.

II. Kontext

Aerosmith gründeten sich 1970 und erlangten noch im Verlauf des Jahrzehnts mit ihrem Blues-basierten Hardrock große internationale Bekanntheit. Nach einem längeren Tief ab 1978, das insbesondere von Drogenproblemen ihrer Mitglieder und von vorübergehenden Bandaustritten sowohl von Joe Perry als auch Brad Whitford geprägt war (vgl. Shmoop 2008), konnten sich die sogenannten “Bad Boys from Boston” noch einmal zusammenraufen. 1984 wiedervereint (und nicht mehr drogenabhängig), legten sie, Stück für Stück, einen für viele Kritiker überraschenden Neustart hin (vgl. Shmoop 2008, Smith 2013: 6). Ab 1987 und bis in die 2000er nutzten Aerosmith zunehmend die Unterstützung von anderen Songschreibern, nicht zuletzt auch, um ihre Musik Mainstream-kompatibler zu machen (vgl. Smith 2013: 5).

Als I DON’T WANT TO MISS A THING als Single veröffentlicht wurde, dauerte die Nine-Lives-Tour, welche durch diverse Zwischenfälle erschwert wurde, noch an (vgl. ebd.: 7). Obwohl der Song eher fernab des originären Genres der Band anzusiedeln ist, wurde er ihr größter Charterfolg und wird als wichtiger Meilenstein in ihrer neuen Schaffensphase betrachtet. Hatten Aerosmith auch zuvor einige balladeske Songs interpretiert (so 1973 “Dream on”, 1975 “You See Me Crying”, oder 1976 “Home Tonight”), so ist doch erst ihre Schaffensphase in den 1990er Jahren von einer beachtlichen Anzahl von Powerballaden geprägt, von denen viele erfolgreich in die Charts eingegangen sind (vgl. auch Shmoop 2008). Als Powerballaden werden Songformen in der Rockmusik bezeichnet, die textlich oft romantische oder philosophische Themen bearbeiten. Titel des Genres, das sein Hoch in den 70er und 80er Jahren hatte, zeichnen sich durch ein langsames Grundtempo aus und steigern sich in ihrem Verlauf i. d. R. von einer lyrisch-melodischen Darbietung hin zu einem stärker von Schlagzeug und raueren Gitarrenriffs gestützten Part (i. d. R. im Chorus), in dem der Gesang häufig durch Backing Vocals ergänzt wird (vgl. Wikipedia-Eintrag zu “Sentimental ballads” sowie Shmoop 2008). Die Balladenphase von Aerosmith wird auch unter dem Gesichtspunkt einer Identitätsveränderung der Bandmitglieder betrachtet, die sich von den “Bad Boys” zu gereiften, cleanen Familienvätern entwickelt hatten und nun auch musikalisch softere Töne anklingen ließen (vgl. ebd.).

In den späteren Alben der Band wie etwa dem Blues-lastigen Honkin’ on Bobo (2004) oder Music from Another Dimension(2012) nehmen Balladen wieder eine geringeren Raum ein. Mit der Produktion von Powerballaden konnte die Band ihr spezifisches künstlerisches Profil stärken und sich gegen Kritiker durchsetzen, die Aerosmith zuvor nur als schlechtere Rolling-Stones-Kopie beurteilt hatten (vgl. Shmoop 2008).

Diesbezüglich ist für den Song besonders die Verknüpfung der Musik mit dem Film und dem Musikvideo kennzeichnend. Auch wenn grundsätzlich die Hörgewohnheit eines jeden Hörers verschieden ist und damit auch die Bedeutungen, die der Hörer einem Song zuschreibt (vgl. Moore 2012: 272), lässt sich annehmen, dass es hier aufgrund der Perzeptionserfahrung des Filmes Armageddon, durch den viele den Song kennengelernt haben, bei den Hörern zu einer partiellen Kontextvereinheitlichung kommt.

Da das Motiv des Songs I DON’T WANT TO MISS A THING analog zu seinen Lyrics in den romantischen Szenen des Filmes verwendet wird – einmal in der Verlobungs-Szene und erneut am Ende des Filmes bei der Hochzeit –, kann das Lied beim Hörer mit Vorstellungen davon verknüpft werden, dass die Liebe und Treue, die sich zwei Personen versprechen, schlimmste Ereignisse (hier: den Tod von Graces Vater bzw. sogar den drohenden Weltuntergang) überdauern können und “ewig” halten – wie es die Lyrics des Songs versprechen.

Aufgrund der beiden Beziehungen zwischen Grace und A. J. (Liebesbeziehung) sowie Harry und Grace (Vater-Tochter-Beziehung), mit denen das Lied in Verbindung steht, tritt durch den Song I DON’T WANT TO MISS A THING sowie die Verknüpfung mit dem Videoclip zudem die reale Vater-Tochter-Beziehung von Steven und Liv Tyler als Assoziationsfeld hinzu. Dieser Umstand schlägt aus dem Fiktionalen eine Brücke zur “realen Welt” des Hörers und kann dessen Identifikation mit dem Musiktitel intensivieren.

III. Analyse

Der Text von I DON’T WANT TO MISS A THING hat einen Ich-Erzähler, besteht in einer Ansprache an eine zweite Person und spricht in der Gegenwart. Das imaginäre Setting, das der Song erschafft, besteht darin, dass der Erzähler/das lyrische Ich neben einer geliebten Person liegt, die gerade schläft, und er äußert, wie groß seine Zuneigung zu dieser Person sei und dass er den Wunsch hat, für “immer” mit ihr vereint zu sein.

In der ersten Strophe (“I could stay awake just to hear you breathing …”) erzählt der Sänger, dass er seinem Gegenüber die ganze Zeit einfach beim Schlafen zusehen könnte, und dass er für immer in diesem Moment verweilen könnte (“I could stay lost in this moment forever”), denn (Überleitung) jeder Augenblick, den er gemeinsam mit der Person verbringt, ist ihm viel wert.

Der Chorus des Liedes ist namensgebend für den Titel des Liedes. Hier wird von dem Verb “to miss” Gebrauch gemacht, was zu Deutsch einerseits “vermissen”, andererseits “verpassen/sich entgehen lassen” bedeuten kann. Der Erzähler äußert, dass er nicht die Augen schließen und einschlafen möchte, denn dann würde er die geliebte Person vermissen, doch er möchte nichts (von ihr) verpassen (“Because I’d miss you, baby, and I don’t wanna miss a thing”). Die zweite Strophe hat einen ähnlichen Charakter, der Erzähler schwärmt, wie er neben der angesprochenen Person liegt und ihren Herzschlag hört, Gott dankt, dass er mit ihr zusammen ist, und, wiederum, sich wünscht, ewig mit ihr in diesem Moment zu verweilen (“I just want to stay with you in this moment forever, forever and ever”). In der Bridge spezifiziert der Erzähler lediglich, dass er nicht ein einziges Lächeln oder einen einzigen Kuss der/des Geliebten verpassen will.

Generell ist festzustellen, dass es sich bei den Lyrics von I DON’T WANT TO MISS A THING um ein recht allgemein gehaltenes Bekenntnis romantischer Zuneigung handelt, in dem viele verabsolutierende Ausdrücke wie “every moment”, “forever”, “never” oder “sweetest dream” benutzt werden.

I DON’T WANT TO MISS A THING ist in einem eher mäßigen Tempo gehalten. Das Lied beginnt mit einem Streicher-dominierten, harmonisch schwebenden Orchester-Intro, welches sich über 4 Takte erstreckt. Daran schließt sich unmittelbar die erste Strophe mit dem Gesangsauftakt “I could stay awake” an, die aus zwei harmonisch gleichen Parts von jeweils 8 Takten besteht. Den Übergang zum Chorus bildet eine 4 Takte lange Überleitung “’cause every moment spent with you is a moment I treasure”. Es schließt sich mit “I don’t want to close my eyes” der (wie die erste Strophe aus zweimal 8 Takten bestehende) Chorus an. Ein Zwischenspiel von Streichinstrumenten und Gitarre (3 Takte + 1 Takt Pause) leitet über zur zweiten Strophe. Diese entspricht im Aufbau zunächst der ersten Strophe, ist jedoch auf 12 Takte verkürzt und mündet dann direkt in die Überleitung (4 Takte) “I just want to stay with you in this moment forever”. Da der Chorus am intensivsten die Kernbotschaft vermittelt, kann die Verkürzung der zweiten Strophe zugunsten des früheren Chorus-Beginns dem Hörer den Eindruck starker Sehnsucht vermitteln, ja, dass das lyrische Ich es kaum erwarten kann, der geliebten Person seine Zuneigung zu gestehen. Auf den Chorus folgt die Bridge/der Mittelteil des Songs “I don’t want to miss one smile, I don’t want to miss one kiss”, welche aus 16 Takten und 2 Takten Überleitung besteht. Zum Ende des Liedes wird der Chorus noch zweieinhalb Mal mit Gesang wiederholt sowie ein letztes Mal lediglich instrumental und mit Backing-Chor, welches in ein Fade-Out mündet. Zusammengefasst ergibt sich somit der Aufbau Intro–A–B–A–B–C–BBB.

Das Orchester-Intro des Songs ist in schwebendem E-Dur gehalten. Es erklingt zunächst ein hoher Streicher-Bordun in A-H-E, während die Bassinstrumente H-Cis-E spielen.

Die Strophen des Songs haben die Akkordfolge D–A–Bm–G–D–Em (bzw. – A zum Ende des zweiten Parts). Die Harmoniefolge im Chorus ist D–A–Em. Die Bridge, die auf den zweiten Chorus folgt, ist in der Harmoniefolge D – A/Cis – Esus4 geschrieben, sodass sich die Strophe, in der A-Dur-Sphäre beginnend, wieder reibungslos anschließt. In den Wiederholungen des Chorus kommen kleine harmonische Variationen vor, die dem Hörer ein Gefühl der Steigerung vermitteln, was letztlich dazu beiträgt, Aufmerksamkeit und Spannung hoch zu halten.

Die erste Strophe des Songs hat einen sanften, fast andächtigen Ausdruck, wird lediglich vom Orchester sowie von einem Piano-Pattern in mittlerer Tonhöhe begleitet und verleiht dem Song gleich zu Anfang seinen balladenhaften Charakter. Beim Übergang zum Chorus leitet das Schlagzeug mit einem Break – erst nur die ganzen Taktschläge, dann steigernd auch die Halben und die Viertel akzentuierend – den vollen Einsatz der Band ein. Die zweite Strophe kehrt zurück zu dem ruhigen Charakter, wobei das Schlagzeug hier weiterspielt. Von seinem Einsatz an betont es im ganzen Song vor allem “straight” die ganzen Taktschläge (mit einem dezenten Offbeat auf der Hi-Hat), wobei die Bass Drum meist auf die Eins kommt. Lediglich beim Übergang zur zweiten Strophe steigt das Schlagzeug kurz ganz aus und unterstützt damit die andächtige Atmosphäre der Strophe. Jeweils zum Chorus hin intensiviert sich dagegen der klangliche Ausdruck durch einen Schlagzeug-Break in der Überleitung, sowie auch durch eine höhere Klangdichte mittels der vollen Orchesterbesetzung und einer steigenden Dynamik von Gesang und allen Instrumenten. Zusätzlich wird diese Empfindung in der Bridge, die zudem durch eine stufenweise Steigerung in der Tonhöhe der Gesangsmelodie gekennzeichnet ist, durch einen Schlagzeug-Break in der Mitte des Parts gefördert. Bassgitarre (mit dem Ostinato in D-Cis-H zum Chorus) sowie Lead- und Rhythmusgitarre nehmen zugunsten des Orchesters in dem gesamten Titel eine eher hintergründige, unterstützende Rolle ein.

Die Gesangslinie von I DON’T WANT TO MISS A THING arbeitet mit vielen vorgezogenen Synkopen. Die Strophe ist in einer mittleren Stimmlage gehalten und hat an sich einen relativ geringen Stimmumfang (im Wesentlichen innerhalb einer Quinte), steigt jedoch in der Überleitung zum Chorus in der Tonhöhe an. Bei der Überleitung zum zweiten Chorus wird durch die Wiederholung der Phrase “forever … forever and ever” der Eindruck einer Steigerung unterstützt. Der Chorus ist in einer höheren Tonlage geschrieben, außerdem ist die Textverteilung “enger”, was ihm zusammen mit der verdichteten Instrumentierung einen im Vergleich zur Strophe energiegeladenen, nach vorne drängenden Ausdruck verleiht und im Einklang mit den Willensbekundungen (“I don’t want …”) der Lyrics steht.

Tyler singt in einem eher rauen, rockigen Timbre und gestaltet die Gesangslinie insbesondere in der Strophe äußerst expressiv. So geht er am Ende von manchen Wörtern (z. B. “breathin” oder “surrender”), wenn der Ton schon fast beendet ist, in der Stimme hoch. Außerdem verstärkt er den Eindruck von Nähe und Intimität, den die Lyrics suggerieren, indem er vor der Textstelle “forever” hörbar durch die Zähne einatmet. In der Bridge und in den Chorus-Wiederholungen steigert Tyler vielfach die Tonhöhe und schreit, wie man es von dem “Demon of Screamin'”(Wikipedia-Eintrag zu “Steven Tyler”) aus rockigeren Titeln gewohnt ist, die Passagen geradezu heraus. Trotz der schwärmend-liebevollen Lyrics, die ohne jegliche “Ecken und Kanten” daherkommen, und der eingängigen Harmonik und Rhythmik schafft es Tyler sich den Hörern auf authentische Art und Weise nahezubringen.

Teilweise wird im Lied mit höherem Stimm-Doubling gearbeitet – so erstmals bei Steigerung und Übergang der ersten Strophe zum Chorus, auf der Textstelle “I treasure …”. Im Chorus wird dieser Effekt jeweils in der ersten und letzten Zeile der beiden Parts eingesetzt, so bei “I don’t want to close my eyes” und “And I don’t want to miss a thing”. Beim zweiten Part wiederholen (echoing) Backing-Vocals Tylers “Even when I dream of you” sphärisch in einer höheren Tonlage, während dieser bereits den Hauptgesang fortsetzt. In der zweiten Strophe wird auf den Passagen “your heart beating” und “you’re seeing” bereits Doubling eingesetzt, dafür wird der Übergang zum Chorus nur von der Melodiestimme gesungen. Die Doubling-Effekte im zweiten Chorus sind identisch und tragen zu einem dichten Klangbild bei. Bei der Bridge werden sie nur auf einzelnen Passagen eingesetzt, verdichten sich jedoch hin zum dritten Chorus, in welchem der Gesang wiederum stärker als im ersten oder zweiten Chorus durch Doubling ‘unterfüttert’ ist.

Insgesamt ist bei I DON’T WANT TO MISS A THING ein Aufbau festzustellen, der mittels vieler Steigerungen, einerseits in der Tonhöhe des Hauptgesangs, andererseits durch Verdichtung des Klanges durch das Orchester und Doubling der Gesangsstimme, die starke Willenskraft und die Zuneigung des lyrischen Ichs vermittelt.

Der Videoclip zu I DON’T WANT TO MISS A THING zeigt die Band, die das Lied performt, vermischt mit Filmszenen aus Armageddon, er verwendet somit eine Mischung aus performativen und narrativen Elementen, die ineinander verflochten sind. Am Tag vor dem Dreh hatte Steven Tyler sich eine Knieverletzung zugezogen und war deshalb in seinen Bewegungen eingeschränkt, weshalb der Clip von vielen Nahaufnahmen geprägt ist (vgl. www.songfacts.com).

Das Video beginnt während des Orchester-Intros mit einem Fokus auf den Mond, dann vorbei an einigen Meteoriten auf die Erde, bevor schnell hineingezoomt wird in einen Close-up des singenden Steven Tyler. Bei der Überleitung zum Chorus unterstützt auch der Videoclip die Empfindung einer Steigerung, indem gezeigt wird, wie eine Person die Lautstärkeregler eines Mischpults hochschiebt und Bühnenscheinwerfer aufblenden. Im Chorus wird die das Lied spielende Band gezeigt, vor einem Bühnenbild mit großen Stoffbahnen, die das Logo der Raumfahrtmission aus dem Film zeigen, im Wechsel mit dem Mission Control Center aus dem Film, dessen Personal jedoch über die Monitore die Band sieht. In der zweiten Strophe wird ab dem Part “feeling your heart beating” jene Szene aus dem Film eingeblendet, in der Grace und A. J. auf der Wiese liegen und sich küssen, zwischendurch wird immer wieder zur Bandperformance übergeblendet. Bei der Überleitung zum Chorus “I just want to stay with you in this moment forever” wird die Abschiedsszene der beiden Filmcharaktere gezeigt (vor Abflug der Raumfahrtmission). Parallel zur Textstelle “forever and ever” wird wieder auf das Bühnenbild geblendet, dessen Stoffbanner nun fallen und zu den Seiten der Arena eine Vielzahl von Streichern enthüllen, sowie im Hintergrund das Raumschiff “Freedom”, das sich kurz vor seinem Start ins Weltall befindet. In der sich steigernden Bridge des Liedes werden rasch aufeinanderfolgend Filmszenen aus diesem Part des Plots gezeigt (die Crew kurz vor dem Aufbruch, Berichterstattung, frenetisch applaudierendes Publikum, wobei zwischendurch immer wieder auf den mit dramatischem Gesichtsausdruck und Gestik singenden Tyler geblendet wird). Bei der musikalisch größten Steigerung in der Gesangslinie (“for all the rest of time … yeah, yeah, yeeeah”) hin zum Chorus startet schließlich das Spaceshuttle von der Startplattform mit großen Rauchschwaden. Die in Rauch gehüllte Band performt weiter und es werden in den letzten Chorus-Wiederholungen dramatische Szenen aus dem Film schnell zwischengeblendet, darunter Crewmitglieder in brenzligen Situationen sowie das Zerbersten des Raumschiffes. Beim Ausklingen der instrumentalen Wiederholung des Refrains wird Grace in der Abschiedsszene vor den Monitoren des Mission Control gezeigt. Statt wie im Film von Harry Abschied zu nehmen, ist auf den Monitoren ihr realer Vater Steven Tyler mit Band zu sehen. Während des Fade-outs wird dessen Gesichtsausdruck lebloser, bis der Funkkontakt völlig abbricht und, wie im Film, nur noch ein Rauschen auf dem Bildschirm erscheint, auf den Grace verzweifelt ihre Hand hält.

IV. Rezeption

Armageddon war der umsatzstärkste US-Film im Jahr 1998 (vgl. Wikipedia-Eintrag zu Armageddon), sein Erfolg wirkte sich immens auf die Bekanntheit des Titelsongs I DON’T WANT TO MISS A THING aus (vgl. www.songfacts.com). Doch hat auch der Videoclip erheblich zum Erfolg des Liedes beigetragen. Er verzeichnete sehr gute Zuschauerquoten auf MTV und war im Jahr 1998 in den USA der zweitbeliebteste Pop-Clip (vgl. Wikipedia-Eintrag zu “I Don’t Want to Miss a Thing”). Man kann, nicht zuletzt durch die Einflechtung der Filmszenen im Musikclip und das gemeinsame Vermarktungsdesign, von einer starken, gegenseitig verkaufsfördernden Wirkung zwischen Musik und Film ausgehen. Die guten Verkaufszahlen der Single reichten in den USA sowie in vielen weiteren Staaten (darunter auch Deutschland) für eine Platin-Auszeichnung.

Auch bei medienwirksamen Events präsentierten Aerosmith den Song live, so in Teilen bei der Halbzeit-Show des Super Bowl 2001, bevor die Band gemeinsam mit Britney Spears, Nelly und anderen Stars zur Präsentation des Aerosmith-Titels “Walk This Way” überging.

Vielfach wird I DON’T WANT TO MISS A THING zugeschrieben, Aerosmith ein neues Publikum, ja eine neue Fan-Generation, erschlossen zu haben (vgl. Shmoop 2008; Mallernee 2009). Diese These unterstreicht etwa der US-amerikanische Nickelodeon Teen Choice Award für das Liebeslied des Jahres, den der Song 1999 gewann (vgl. www.songfacts.com). Auch Simon Cowell von der Talentshow American Idol pries den Titel als “one of the great songs of all time” (Telegraph 2009).

I DON’T WANT TO MISS A THING brachte der Band große Medienpräsenz und kommerziellen Erfolg ein (vgl. Smith 2013: 7). Der Song hielt sich ab dem 5. September vier Wochen lang auf Platz 1 der Billboard-Hot-100-Charts in den USA, ähnlich erfolgreich war er in Deutschland. Das Stück konnte auch in Australien, Irland, Italien, den Niederlanden, Norwegen, Österreich, den Philippinen und der Schweiz die Spitzenposition erreichen (vgl. Shmoop 2008; Smith 2013: 336). Im Vereinigten Königreich erreichte der Song immerhin Platz 4 der Charts (vgl. Smith 2013: 336).

I DON’T WANT TO MISS A THING ist einer der wenigen Songs, die gleichzeitig für den Academy Award für den besten Originaltitel und die Goldene Himbeere für den schlechtesten Originalsong nominiert wurden. I DON’T WANT TO MISS A THING wurde 1999 der MTV Movie Award in der Kategorie “Best Song from a Movie” verliehen.

Der Song ist häufig gecovert worden, insbesondere von männlichen Interpreten in den Vereinigten Staaten und im Vereinigten Königreich. Eine frühe, ausgesprochen erfolgreiche Cover-Version wurde bereits 1998 durch den Country-Sänger Mark Chesnutt aufgenommen und im Februar des Folgejahres veröffentlicht. Dieser im Vergleich zur Originalversion softere Track war für zwei Wochen die Nr. 1 in den Billboard Hot Country Singles & Tracks (heute: Hot Country Songs) und erreichte in den Billboard Hot 100 Charts Platz 17.

Des Weiteren gab es bereits frühzeitig Adaptionen in den Genres der elektronischen Tanzmusik (z. B. Déjà Vu feat. Tasmin, 1999). Weitere Coverversionen reichen von den Genres Schlager/Pop (Richard Clayderman, 2005, Howard Carpendale, 2008) über House (Pippa, 2003) bis zur Punkrock-Interpretation von New Found Glory im Jahr 2000. Der Chorus von I DON’T WANT TO MISS A THING ist zudem als Sample in dem Song “Sin Ti (I Don’t Want to Miss a Thing)” des puertorikanischen Reggaeton-Duos Dyland & Lenny feat. Pitbull verwendet worden, in welchem er von der Sängerin Beatriz Luengo interpretiert wird.

Der Song “We’ll Be Coming Back” (2012) von Calvin Harris and Example leiht sich einen Teil der Melodielinie des Chorus für den Part “We didn’t want to call it too early …”. Der Titel I DON’T WANT TO MISS A THING wurde außerdem in dem Videospiel Saints Row IV verwendet.

 

JUDITH ANTKOWIAK


Credits

Vocals: Steven Tyler
Lead guitar: Joe Perry
Rhythm guitar: Brad Whitford
Bass: Tom Hamilton
Drums: Joey Kramer
Conducting: Suzie Katayama
Composer/Lyricist: Diane Warren
Producer: Matt Serletic
Assistant engineer: Alex Dejonge (engineer) and Rob Murphy
Engineer: David Thoener
Mixer: David Thoener
Recorded and mixed at: The Hit Factory in Manhattan, New York, New York, United States
Labels: Columbia, Hollywood, Epic
Recorded: April 1998
Release: 18 August 1998
Duration: 04:58

Recordings

  • Aerosmith. “I Don’t Want to Miss a Thing”. On: ArmageddonThe Album, 1998, Columbia, CK 69440, USA (CD/Album Soundtrack).
  • Aerosmith. “I Don’t Want to Miss a Thing”. 1998, Columbia, COL 666032 2, USA (CD/Single).
  • Aerosmith. “I Don’t Want to Miss a Thing”. On: I Don’t Want to Miss a Thing, 1998, Sony Music Soundtrax, 38K 78952, USA (CD/Single).
  • Aerosmith. “I Don’t Want to Miss a Thing”. On: Aerosmith. Nine Lives, 1998 Columbia, COL 485020 1, Europe (Doppel-LP).
  • Aerosmith. “I Don’t Want to Miss a Thing (Bonus Track)”. On: Just Push Play, 2004, Columbia, MHCP 332, Japan (CD).
  • Aerosmith. “I Don’t Want to Miss a Thing”. On: Aerosmith. Rockin’ The Joint, 2005, Columbia, CN 97738, USA (Hybrid, DualDisc, Album, NTSC, Target Exclusive).
  • Aerosmith. “I Don’t Want to Miss a Thing”. On: Aerosmith – Tough Love: Best Of The Ballads, 2011, Geffen Records, B0015499-02, USA (CD/Compilation).

Covers

  • Mark Chesnutt. “I Don’t Want to Miss a Thing”. On: Mark Chesnutt: I Don’t Want to Miss a Thing, 1999, Decca, DRND-70035, USA (CD, HDCD/Album).
  • Déjà Vu feat. Tasmin. “I Don’t Want to Miss a Thing”. On: Déjà Vu feat. Tasmin – I Don’t Want to Miss a Thing, 1999, Almighty Records, CDALMY134, UK (CD/Single).
  • New Found Glory. “I Don’t Want to Miss a Thing”. On: New Found Glory – From The Screen To Your Stereo, 2000, Drive-Thru Records, 06076-83604-2, USA (CD/EP).
  • Pippa: “I Don’t Want to Miss a Thing”. On: Pippa – I Don’t Want to Miss a Thing, 2003, Serious Records, 980 009-5, UK (CD/Maxi-Single).
  • Richard Clayderman. “I Don’t Want to Miss a Thing”. On: Richard Clayderman – The Solid Gold Collection, 2005, Union Square Music, SGDCD2018, UK (Doppel-CD/Compilation).
  • Howard Carpendale. “I Don’t Want to Miss a Thing”. On: Howard Carpendale – 20 Uhr 10 (Live), 2008, Koch Universal, 06025 177 348 3, Europa (Doppel-CD/Album).
  • Pomplamoose. “I Don’t Wanna Miss a Thing”. On: Pomplamoose – Tribute to Famous People, 2010, ShadowTree Music, , US (10xFile, FLAC/Album).

References

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  • “Aerosmith – I Don’t Want to Miss a Thing”. In: Coverinfo. URL: http://www.coverinfo.de/start.php [29.03.15].
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About the Author

Analysis written in a course of Prof. Dr. Martin Pfleiderer at the University of Music FRANZ LISZT Weimar.
All contributions by Judith Antkowiak

Citation

Judith Antkowiak: “I Don’t Want to Miss a Thing (Aerosmith)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/idontwanttomissathing, 06/2017.

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