2005
Madonna

Hung Up

HUNG UP, der Eröffnungstrack von Madonnas zehntem Studioalbum Confessions on a Dance Floor (2005), ist einer ihrer erfolgreichsten und zugleich einer der meistverkauften Songs der Popmusikgeschichte.

I. Entstehungsgeschichte

Mit der Aufnahme ihres zehnten Studioalbums nahm Madonna nach dem Vorgänger American Life, das von ernsthaften Tönen und kritischen Anspielungen auf die politische Situation in den USA geprägt war, eine radikale Richtungsänderung vor und knüpfte wieder an ihre Anfänge in den Clubs an. Sie begann die Produktion mit dem Electronica-Artisten Mirwais Ahmadzaï (*1960), ehemaliges Mitglied der französischen New Wave Band Taxi Girl, der auch das Vorgänger-Album produziert hatte. Nach zwei Tracks, zu denen auch HUNG UP gehörte, entschied sie sich dann aber für einen Neustart und die Zusammenarbeit mit dem jungen House-Musiker und -Produzenten Stuart Price (*1977), seit dem Ende der 1990 unter dem Projektnamen Les Rythmes Digitales bekannt. Das vorhandene Material wurde bis auf die Sequenzerprogrammierung von Ahmadzaï verworfen. Abgemischt hat die Aufnahme Mark “Spike” Stent (*1965), einer der meistgefragten Audioingenieure der Welt, in den Record Plant Studios in Los Angeles. Gemastert, also mit dem klanglichen Finish für die verschiedenen Medienformate versehen, wurde die Aufnahme von Brian “Big Bass” Gardner (*1955), ein mehrfach mit Grammy-Awards ausgezeichneter Mastering-Ingenieur der Bernie Grundman Mastering in Hollywood. Beide haben an der Erfolgsgeschichte von HUNG UP einen entscheidenden Anteil, denn der Titel steht genau genommen nicht für einen einzelnen Song, sondern für dreiundzwanzig verschiedene Instanzen des Songs, die unterschiedlich abgemischt und gemastert wurden und sich sowohl im Klang-Design, im Grad der Kompression wie in der Länge voneinander unterscheiden. Dabei handelt es sich um

  • die Fassung auf dem Album Confessions on a Dance Floor (5:38);
  • vier verschiedene Radio-Versionen (Standard Version, 3:23; Version mit einem Vocal Ending, 3:26; Version mit einem Instrumental Ending, 3:20; als gesondert gemixte Promo Version, 3:23);
  • zwei separat veröffentlichte Album-Versionen (ungeachtet der Bezeichnung nicht identisch mit der Version auf dem Album, beide 5:36, eine jedoch mit ausgefadetem Ending);
  • ein Extended Vocal Mix (7:57);
  • ein Extended Dub Mix (7:56);
  • eine Extended Dub Club Version (7:56);
  • ein Dance Mix (8:59);
  • die Digital Download Version (5:10);
  • die Shockwave Flash Version (0:30);
  • die Soundtrack-Version für einen Motorola-Werbespot (0:50);
  • eine Klingelton-Version (2:30);
  • die Video Version (5:27);
  • und die DVD Version (5:25).

Hinzu kommen zwei sehr unterschiedliche Live-Versionen:

  • The Confessions Tour (neu abgemischt, 9:50);
  • Sticky & Sweet Tour (live gespielt – drei Gitarren, Keyboards und Schlagzeug –, 6:06);

vier offizielle Remixe, die für die 3-track- und 6-track-Single-Veröffentlichung entstanden sind:

  • Tracy Young, Get Up And Dance Groove Edit (4:15),
  • Tracy Young, Get Up And Dance Groove Mix (9:03),
  • Bill Hamel, Hung Up Remix (6:58),
  • Chus & Ceballos, Hung Up Remix (10:21);

und die verschieden gemasterten Versionen für die unterschiedlichen Medienformate (Vinyl, CD, MP3) sowie die diversen technischen Radio-Normen (EU, US, JP etc.).

HUNG UP hatte nicht als Single, sondern im September 2005 als Soundtrack zu einem Werbespot für ein Motorola-Handy im US-Fernsehen Premiere. Der Song selbst ist am 17. Oktober 2005 auf dem in Los Angeles beheimateten Radio-Sender KIIS-FM in der “On Air With Ryan Seacrest”-Show der Öffentlichkeit vorgestellt worden. An diesem Tag erschien auch die Single, gefolgt von den Mehrtrack-Single-Kompilationen der verschiedenen Versionen. Das Album erschien einen knappen Monat nach der Single am 15. November 2005.

II. Kontext

HUNG UP ist, wie viele Pop-Produktionen der Gegenwart “gebranded”, also Bestandteil eines Markenkonzepts (Branding), das mit einem Siebziger/Achtziger-Jahre-Retro-Feeling im Hightech-Sound des 21. Jahrhunderts dem Album Confessions on a Dance Floor zugrunde liegt und jedes Detail einem verbindenden Markendesign unterwirft. Obwohl das Copyright des Songs auf Madonna eingetragen ist, gibt es bei Industrieprodukten dieser Art keinen Autor im traditionellen Sinne mehr. Das Klangmaterial ist mittels Softwaresequenzern maschinengeneriert, die Klanggestalt das Ergebnis des Zusammenwirkens eines kreativen Apparates, der eine Vielzahl von Leuten umfasst und seinen Ausgangspunkt in einem juristischen Vertragswerk besitzt. HUNG UP ist als ein Bündel von Rechten konzipiert worden, Rechten der Mitwirkung an der Produktion und Rechten an der Partizipation der generierten Geldströme. Die das Projekt tragende juristische Konstruktion geht auf Alan Grubman (*1943) von der renommierten Musikkanzlei Grubman Indursky zurück, der einer der einfluss- und erfolgreichsten Architekten komplexer kreativer Prozesse im Musikgeschäft der letzten Jahrzehnte ist. Das Markenkonzept hat einer der führenden Markendesigner der Popkultur, Giovanni Bianco (*1965), entworfen, der mit seinem 60köpfigen New Yorker Designer-Team Studio 65 damit auch für das visuelle Erscheinungsbild, vom Artwork über das Outfit der Sängerin bis zum Bühnendesign der Live-Show, verantwortlich zeichnete. Die visualisierten Versionen des Songs lagen in den Händen der schwedischen Videoregisseure Johan Renck (*1966), von dem das Video zu HUNG UP stammt, und Jonas Åkerlund (*1965), der mit seinem Team die DVD-Version produziert hat.

III. Analyse

HUNG UP scheint aus der Wiederholung nur weniger Grundbestandteile zu bestehen und doch ist die Songarchitektur nicht ohne Raffinesse. Das Grundgerüst, das allen Instanzen von HUNG UP zugrunde liegt, besteht aus einem achttaktigen Refrain (“Ev’ry little thing that you say or do…”), der zwei sechzehntaktigen Strophen umrahmt, die ihrerseits aus zwei achttaktigen Teilen zusammengesetzt sind. Der zweite dieser beiden Teile besteht aus vier Zweitaktgruppen mit wiederholtem Text (1. Strophe “Time goes by so slowly…”; 2. Strophe “I’m fed up, I’m tired of waiting on you”), die innerhalb der Strophen wie ein Refrain fungieren. Diese Zweitaktphrase bildet in sechsmaliger Wiederholung auch das mit einem Ticken der Uhr eingeleitete sechzehntaktige Intro. Der insgesamt fünfmal wiederholte Refrain des Songs folgt den Strophen nicht nur, wie in der Standard-Strophenliedform, sondern ist den beiden Strophen auch vorangestellt. Diese verschachtelte Struktur (BABBCBB) mit den musikalisch wie textlich zur Strophe gehörigen, mehrfach wiederholten refrainartigen Zweitaktphrasen (Strophenaufbau: abcccc′) ergibt eine sowohl in den Strophen wie um die Strophen kreisende Redundanz, die dem musikalischen Ablauf mit seinen übereinander geschichteten ein- und zweitaktigen Loops korrespondiert. Seine Basis bildet die aus den elektronisch generierten Sounds von Bassdrum, Hi-Hat, Becken und Percussion bestehende Rhythmusschicht, der eine geloopte bewegliche Bassline unterlegt ist. Über dieser liegt eine Ebene mit zweitaktigen Keyboardschleifen, darüber eine Ebene mit wechselnden Synthesizer-Sequenzen, die eine zweitaktig und flächig, die andere eine punktierte Tonrepetition im stacatto jeweils auf dem Grundton der Akkordfolge. Harmonisch bewegt sich der Song im Wesentlichen zwischen den drei Grundakkorden (I-IV-V) mit immer wieder eingeschobener Dur-Parallele zu dem in d-Moll stehendem Stück. Auch die Melodik folgt diesem Minimalismus und kommt mit zwei Halbtakt-Motiven aus, die unterschiedlich kombiniert werden und nur durch die notwendige Anpassung an die Zahl der Textsilben leicht variieren.

Für HUNG UP haben ABBA ebenso Pate gestanden wie der in den 1970er und 1980er Jahren mit Disco-Produktionen sehr erfolgreiche Südtiroler Produzent Giorgio Moroder. Der ABBA-Hit “Gimme! Gimme! Gimme! (A Man After Midnight)” (1979) liefert mit einem 24-taktigen Sample aus dem Anfang des Titels die Basis für HUNG UP. Das Sample ist den geloopten Synthesitzer-Riffs unterlegt und durch Auf- und Abblenden sowie dem Herausfiltern und wieder Zumischen der Höhen klanglich mal in nebelhafte Ferne, und dann wieder ganz in den Vordergrund gerückt. Die streicherartigen Synthesizer-Overlays sind dem Disco-Sound der frühen 1980er Jahre nachempfunden, mit dem sich Moroder seinerzeit einen Namen gemacht hat.

Das Klang-Design des Stücks ist um den Vokalpart Madonnas herum aufgebaut. Ihrer Stimme ist in den innerstrophischen Refrains ein starkes Echo unterlegt, in den Refrains selbst ist ihr die eigene elektronische Vervielfachung zugemischt, sodass die Stimme in immer wieder wechselnder Färbung erscheint. Während die Singstimme die klangliche Mitte besetzt, sind die Ebenen, auf denen die Loops ablaufen, durch Betonung der Höhen oder Tiefen scheinbar um diese klangliche Mitte herum gruppiert, was den Fokus auf die Singstimme noch verstärkt. Entscheidend für den Song ist jedoch die klangliche Textur, die sich aus rhythmisierten klanglichen Veränderungen der sich in den Loops scheinbar nur wiederholenden Elemente durch die Zumischung von Hall, Filterung, unterschiedlichen Graden der Kompression und wechselnder Verortung im Stereofeld ergibt. Im Resultat entsteht ein mitreißender Flow, der das eigentliche Charakteristikum dieses Titels ist.

Das Video zu HUNG UP von dem schwedischen Regisseur Johan Renck (*1966) greift diesen Aspekt auf und setzt ihn in einem fulminanten Parkour um, eine Reminiszenz an die in Frankreich entstandene sportliche Jugendkultur dieses Namens, deren Anhänger sich in rasanter immerwährender Bewegung im urbanen Raum einen Wettlauf im Überwinden von baulichen Hindernissen liefern. Auch die choreografierte Bühnenversion für die Confessions-Tour ist diesem Motiv verpflichtet.

IV. Rezeption

HUNG UP wurde von Fans wie Kritikern ausgesprochen positiv aufgenommen, nachdem der Stern von Madonna bereits am Sinken schien. Neben der einschlägigen Fachpresse (Billboard, Rolling Stone) war die Veröffentlichung u. a. auch der New York Times, dem Time Magazine und dem britischen Guardian eine Würdigung wert. Der Song erreichte kurz nach Erscheinen sowohl die Spitzenposition der amerikanischen “Billboard Hot 100” wie auch der “Hot Digital Song Chart”. Mit dem Chart-Spitzenplatz in insgesamt 41 Ländern brachte er es 2008 ins “Guinness Book of World Records” als Song mit den Chart-Top-Positionen in den meisten Ländern. HUNG UP gehört damit zu den erfolgreichsten Songs in der Geschichte der Popmusik und war einer der ersten, der für mehr als eine Millionen Downloads mit Platin zertifiziert wurde. Die aggregierten Verkäufe der veröffentlichten Einzelversionen überstiegen am Ende der Dekade die 10-Millionen-Marke, das 2007 mit einem Grammy-Award in der Kategorie “Best Dance/Electronic Album” bedachte Album lag zu diesem Zeitpunkt weltweit bei 12 Millionen verkauften Einheiten.

 

PETER WICKE


Credits

Lead Vocals, Backing Vocals, Gitarre: Madonna
Keyboards, Synthesizers, Vocoders, Sequencing, Sampling: Stuart Price
Programming: Mirwais Ahmadzaï
Produzent: Stuart Price
Assistant engineers: Alex Dromgoole, David Emery, Antony Kilhoffer
Mixing: Mark “Spike” Stent
Mastering: Brian “Big Bass” Gardner (Bernie Grundman Mastering)

Recordings

(pdf)

References

  • Paoletta, Michael: Dancing Queen. In: Billboard 12 (2005), 46.

Links

  • http://www.billboard.com/#/news/madonna-confesses-1001434975.story [19.12.2011].
  • Artist Homepage: http://www.madonna.com [19.12.2011].
  • Database: http://www.discogs.com/artist/Madonna [19.12.2011].
  • Download: http://www.musicload.de/madonna/hung-up/musik/maxi/3275458_2 [19.12.2011].
  • Music Video: http://www.myvideo.de/watch/5633060/Madonna_Hung_Up [19.12.2011].
  • Lyrics: http://www.magistrix.de/lyrics/Madonna/Hung-Up-56155.html [19.12.2011].

About the Author

Prof. Dr. Peter Wicke is a retired professor of musicology. From 1992 to 2016 he held the chair for "Theory and History of Popular Music" at the Humboldt University Berlin.
All contributions by Peter Wicke

Citation

Peter Wicke: “Hung Up (Madonna)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/hungup, 12/2011 [revised 10/2013].

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