1977
Hoffmann & Hoffmann

Himbeereis zum Frühstück

Der erste große Hit der Gebrüder Hoffmann war die deutsche Version des in Deutschland relativ bekannten “Crossfire” der Bellamy Brothers. 1977 eröffnete dieses Lied eine ganze Palette von deutschen Schlagerliedern über Himbeereis und das, obwohl diese Eissorte als eher selten zu bezeichnen ist. Desweiteren reihten sie sich in eine andere Binnentradition des deutschen Liedguts ein, dem Frühstückssong.

I. Entstehungsgeschichte

Das Brüderpaar Michael und Günther Hoffmann war bekannt für durchaus anspruchsvolle Texte und setzte daher von Anfang an auf bekannte Melodien internationaler Hits, denen sie deutsche Texte hinzufügten, beispielsweise 1980 mit “Alles was ich brauche bist du” (ital. Original von Alan Sorrenti). 1983 nahmen sie für Deutschland am in München stattfindenden Grand Prix d’Eurovision de la Chanson teil und trugen dort das von Volker Lechtenbrink geschriebene “Rücksicht” vor, mit dem sie den fünften Platz erzielten. 1984 beging Günther Hoffmann Selbstmord; ihre Lieder blieben aber als Radio-Klassiker Teil des kulturellen Schlager-Gedächtnisses.

II. Kontext

Ende der 70er Jahre, mitten in der Hochzeit des deutschen Schlagers, hatte sich eine Sparte der deutschen Liedermacher etabliert, die durch die Kombination aus eher anspruchsvollen Texten und Schlagermusik auch kommerziell sehr erfolgreich wurden. Selbst wenn HIMBEEREIS ZUM FRÜHSTÜCK als Cover-Version vordergründig nicht das Paradebeispiel für diese Tradition ist, stellt doch der sentimentale Grundton des Liedes eine Anbindung an die amerikanischen Singer-Songwriter dar, denen sich Hoffmann & Hoffmann immer verpflichtet fühlten.

III. Analyse

Die geschilderte Sprechsituation eines monologischen Dialogs entspricht einer hoffnungslosen Liebe. Im Rückblick denkt ein Liebender an seine große Liebe, die aber einen anderen geheiratet hat. Der Tag der Hochzeit (“du trugst ein Hochzeitskleid”) wird für ihn zwar zum Anlass schmerzhafter Sentimentalität, aber er überwindet diese, indem er für einen Tag die Welt verkehrt. Er imaginiert sich die Entführung der Braut, eine bei ihm zu Hause stattfindende nie endende Liebesnacht (“ich brachte dich zu mir”) mit anschließendem exorbitantem Frühstück. Traum und Realität verschwimmen dabei insofern, als dass sowohl Anzeichen für die Irrealität (“es war ein Spiel”) als auch für die Realisierung (“doch dann bliebst du hier”) aufzufinden sind. Vermeintlich konnte der Liebende tatsächlich eine vorrangig der sexuellen Erfüllung dienende Beziehung zu der Frau aufbauen, die allerdings nach dem Abflauen der hormonellen Triebhaftigkeit in eine Krise geraten ist (“auch wenn ich dich nicht halten kann”). Um das alte Glück wiederherzustellen wird schließlich das bewährte Rezept versucht: Sie solle sich wieder als Braut verkleiden und damit die Ursituation der Liebe reaktivieren.

Die Strophe wird dabei von Günter Hoffmann alleine vorgetragen, im Refrain stimmt sein Bruder Michael, der Gitarre und Keyboard spielt, mit ein. Im 4/4-Takt gehalten wird in klassischer Schlagermanier repetitiv durch den Synthesizer einfache Schlagzeugbegleitung suggeriert. In den Pausen improvisiert die E-Gitarre.

Im Refrain wird das Himbeereis zum Adynaton, es wird als hoffnungslose Verrücktheit bezeichnet, als eine Absurdität, die nicht mehr zu überbieten ist, wenn dann nur durch “Rock’n’Roll im Fahrstuhl”. Das Außer-Sich-Sein im Zeichen totaler Verliebtheit, das Tag-und-Nacht-Vergessen und das die Umwelt-Ignorieren, das auf Gepflogenheiten-Pfeifen, haben in sich eine gewisse Logik. Dennoch bleibt zu fragen, warum gerade Himbeereis ausgewählt wurde, da es aus logischen und modischen Gründen auch Stracciatella hätte sein können, aus klanglichen und verstechnischen Gründe genauso gut Erdbeere oder Brombeere.

Betrachten wir den Text noch etwas näher: Das lyrische Ich adressiert sein Lied an seine Geliebte, die er dereinst einem anderen kurz vor der Hochzeit ausgespannt hatte, vermutlich durch seinen reizvollen Widerstand gegen die Norm, sein Rebellentum und das Versprechen von Abenteuern. Die eigentliche Absicht des Sprecher-Ichs war auch keine ernsthafte und auf eine langfristige Beziehung angelegte, sondern die eines sexuellen Abenteuers, eines One-Night-Stands, “doch dann bliebst du hier”. Der Rausch des Verliebtseins führt dann zum Konsum von Himbeereis, zu einem unorthodoxem Frühstück im Bett, das sich rauschhaft die ganze Phase der Verliebtheit fortsetzt. All die hier gebrauchten Vergleiche sind eindeutig sexuell besetzt: sowohl der Rock’n’Roll, der per se und in seinem Entstehungskontext Beischlafbewegungen und -geräusche imitiert, der Fahrstuhl und die Berg- und Talbahn, deren Auf und Ab einen beliebten volkstümlichen Vergleich im Sinne sexueller Anzüglichkeiten transportiert (vgl. das Schunkellied “Auf und Nieder, immer wieder”), als auch der Sommer selbst, der als Phase der Prokreation in keinem Liebesschlager fehlen darf, man denke an “Es war Sommer” von Peter Maffay, “Barfuß durch den Sommer” von Jürgen Drews, Lieder wie “Sommer in der Stadt” oder “Sommermelodie”. Dass die beiden Liebenden hoffnungslos verrückt genannt werden, dass sie sich ganz ihrer Liebe hingeben und gemeinsam ins Glück fahren, beschreibt einen permanenten Rausch bzw. Orgasmuszustand, der bereits im Himbeereis kulminiert´.

Das Schlecken von Eis hat eine ähnlich banal obszöne Symbolik, auch wenn dann meist von Eis am Stiel – man denke an den israelischen Klassiker des Softpornos – die Rede ist. Das Schmelzen des Eises hat ohne Zweifel eine erotische Komponente und ist zugleich ohnehin eine geläufige Metapher für das Sichnäherkommen. Dass diese Versatzstücke von Liebe und Eis schon in der antiken Liebesdichtung, insbesondere dadurch dann auch in der Folge im petrarkistischen Liebeskanon vorkommen, verwundert wenig. Die Himbeere, deren rötliche Farbe an Blut denken lässt, deren Konsistenz als Eis aber zusätzlich die Verschmelzung von Sperma und Blut andeuten könnte, bleibt jedoch hierbei eine, auf den ersten Blick auch hinsichtlich der literarischen Tradition, seltsame Wahl. Dass sie allerdings zum Repertoire sexueller Bildlichkeit gehört, bezeugt ein anderes, wenige Jahre danach entstandenes Lied mit dem Titel “Himbeereis” des Österreichers Franz Morak:

In typischer Morak-Geste, wie schon in seinem veritablen Austro-Pop-Hit “Schizo”, provoziert und schockiert das Lied absichtlich spießige Moralvorstellungen, erzählt recht wirr und “durchgeknallt” vom Drogenkonsum und schreit seinen Hass auf die bürgerliche Welt heraus. Der beschriebene pädophile Akt mit einer Lolita (noch keine 14 Jahre alt), deren sexuelle Begehrlichkeit durch ein mitgebrachtes Himbeereis ausgedrückt wird, ist in einem Auto angesiedelt (“Sie stieg einfach in den Wagen, in jeder Hand ein Himbeereis”), was der klassischen Vorstellung eines Quickies mit einer Anhalterin entspricht. Die Verführerin ist das junge Mädchen, das ihre Bereitschaft eben schon durch die Wahl der Eissorte signalisiert. Die beiden Kugeln, die sich der Hörer des Liedes imaginieren kann, könnten demzufolge auf ihre oder seine Geschlechtsteile verweisen; das Eis als solches auf die Aufforderung, zu schlecken, ja sogar sie zu entjungfern hindeuten. Die Nennung der Kugeln als Anspielung auf die primären Geschlechtsmerkmale der Frau und eventuell vielleicht sogar die optische Ähnlichkeit der Himbeere mit der Brustwarze wecken die entsprechenden Assoziationen. Der Kontrast zwischen dem kalten Eis und der heißen Affäre, die dem Sprecher schließlich sogar zu heiß erscheint, weil sie eben ein Delikt mit einer Minderjährigen darstellt (“und das Delikt war mir zu heiß”), ist wiederum ein Versatzstück klassischer Liebesmetaphorik. Das Eis entpuppt sich schließlich als ein vom Mädchen selbst eingesetztes Instrumentarium, um ihren Willen zu bekommen: sie lässt es dem fahrenden Sprecher in den Schoß fallen und muss es dementsprechend von dort wieder entfernen (“dann putzte sie mir Eis vom – na sie wissen schon”). Die Himbeereiswaffel ist damit zum Phallussymbol geworden, der Konsum des Eises entspricht einem Blowjob. Der Sprecher gibt sich diesbezüglich etwas prüde, belässt es bei Andeutungen und ergänzt noch, dass der Rest des Eises auch an seinem Kragen gelandet war, es also auch zum Küssen gekommen sein muss. Dass schließlich in doppelter ironischer Brechung die Erinnerung an das unerhörte Ereignis, das einer modernen Novelle im Sinne Boccaccios würdig erscheint, vorgeblich nur für die nach außen hin Moralapostel verewigt wird (“Ich sing das nur für die Philister”), unterstreicht die Satire, die im Falle Moraks vorliegt. Er macht sich lustig über die Doppelmoral derjenigen, die selbst in ihrer Midlifecrisis von Lolitas träumen und ansonsten gerade den Lebensstil eines Businessmans pflegen, den Morak grundsätzlich ablehnt und gegen den er konsequent ansingt.

Interessant für die Verwendung von Himbeereis im deutschsprachigen Lied ist hierbei, dass das Himbeereis eben Signal und Tatwerkzeug für den Sexualakt an sich darstellt. Es wird wilde, unmoralische, exzessive, ja sogar verbotene Sexualität symbolisiert. Nicht verwunderlich also, dass auch gerade ein Softporno der Neuen Jungen Welle aus dem Jahr 1978 mit Ferienprogramm-Star Benny und Eis-am-Stiel-Darsteller Zachi Noy den Titel “Popcorn und Himbeereis” trägt.

Wenn Hoffmann & Hoffmann nun zum Frühstück Himbeereis verzehren und im Fahrstuhl Rock’n Roll tanzen, so wird eine Liebe beschrieben, die vordergründig im ungestümen Ausleben der Sexualität besteht. Diese Liebe scheint nicht unbedingt für ein Leben zu halten und für die Ehe gemacht zu sein, diese Art der “Sommermelodie” besingt die sexuelle Befreiung und die Möglichkeiten des Sichauslebens. Jenseits von Normalität und Spießertum werden andere Konsumgewohnheiten denkbar, die eben nicht in den konventionellen Eissorten Erdbeer, Vanille und Schoko abbildbar sind. Auch die Tageszeit des Konsums verstößt gegen die üblichen Gepflogenheiten und setzt sich damit auch ab von denjenigen Liedern der deutschen Popmusik, die das Frühstück thematisieren: “Der Kaffee ist fertig” von Peter Cornelius, “Früh-Stück (Noch ein Toast…)” oder “Ein Frühstück im Bett” besingen eher die Wärme und Geborgenheit im Zeichen von Gemütlichkeit und Genuss, während Hoffmann & Hoffmann weniger diskret die sexuelle Komponente in den Mittelpunkt rücken und damit an “Ein Bett im Kornfeld”, “Es war Sommer” oder gar die Alba der Minnelyrik anknüpfen.

IV. Rezeption

HIMBEEREIS ZUM FRÜHSTÜCK schaffte es auf den vierzehnten Platz in den deutschen Hitparaden 1977. Das Lied wurde mehrfach gecovert (u.a. Mickie Krause) und erfuhr mehrere Reminszenzen in anderen deutschen Schlagern wie “Himbeereis im heißen Tee” von den Conditors.

 

CHRISTOPH OLIVER MAYER


Credits

Text, Musik, Gesang: Michael & Günther Hoffmann
Autoren (“Crossfire”): Dick Holler, Jerry Careaga
Veröffentlichung: 1977
Länge: 3:49 (Single)

Recordings

  • Hoffmann & Hoffmann. Himbeereis zum Frühstück (Crossfire), 1977, Atlantic, ATL 10939, Deutschland (7″/Single).
  • Hoffmann & Hoffmann. Alles, was ich brauche, bist du, 1979, Global Records, 0033219, Deutschland (7″/Single).
  • Hoffmann & Hoffmann. “Rücksicht”, Hoffmann & Hoffmann, 1983, Global Records, 205452365, Deutschland (LP).
  • Hoffmann & Hoffmann. “Ohne Dich”, Hoffmann & Hoffmann, 1983, Global Records, 205452365, Deutschland (LP).
  • Peter Maffay. “Und es war Sommer”, Und es war Sommer, 1976, Telefunken, 622602, Deutschland (LP).
  • Bellamy Brothers. Crossfire, 1977, Warner Bros., WB 16909, Deutschland (7″/Single).
  • Jürgen Drews, Barfuß durch den Sommer, 1977, Warner Bros., WB 16922, Deutschland (7″/Single).
  • Alan Sorrenti. Tu Sei L’unica Donna Per Me, 1979, Decca, 642559, Deutschland (7″/Single).
  • Morak. Schizo, 1980, Polydor, 2048272, Deutschland (7″/Single).
  • Peter Cornelius. “Der Kaffee ist fertig”, Der Kaffee ist fertig, 1980, Philips, 6305420, Deutschland (LP/Album).

Covers

  • Die Conditors. Himbeereis im heißen Tee (Die Reise nach Amerika), 1984, CBS, CBS A 4539, Deutschland (7″/Single).
  • Mickie Krause. “Himbeereis zum Frühstück”, Entscheidung auf Mallorca, 2010, EMI, EMM 9062462, Deutschland (CD/Album).

References

About the Author

PD Dr. Christoph Oliver Mayer teaches Romance Studies at the TU Dresden.
All contributions by Christoph Oliver Mayer

Citation

Christoph Oliver Mayer: “Himbeereis zum Frühstück (Hoffmann & Hoffmann)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/himbeereis, 05/2012 [revised 08/2015].

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