1943
Huddie "Lead Belly" Ledbetter

Goodnight Irene

GOODNIGHT IRENE (auch GOOD NIGHT, IRENE) ist ein durch den Bluesmusiker Huddie “Lead Belly” Ledbetter bekannt gemachter Song, der zu einem Standard in der Popmusik der USA geworden ist.

I. Entstehungsgeschichte

GOODNIGHT IRENE ist ein Song unbekannter Herkunft, der aber kein Volkslied ist, wie oft behauptet, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem Umfeld der kommerziellen Tin-Pan-Alley-Produktionen im letzten Drittel des 19. Jahrhundert stammt (vgl. Wolfe/Lornell 1999). Der Bluesmusiker Huddie “Lead Belly” Ledbetter (1889-1949), der ihn während eines Gefängnisaufenthaltes 1933 den Volksliedforschern John und Alan Lomax auf Platte sang, will den Song bereits 1908 in seinem Repertoire aufgenommen, ihn seinerzeit aber von anderen gehört haben. Ein 1892 als Notendruck erschienener Song des afroamerikanischen Songschreibers Gussie L. Davis (1863-1899) mit dem Titel “Irene, Goodnight” nach einem Text von George Propheter, einem weißen Musikverleger in Cincinneti, weist eine Reihe von Ähnlichkeiten mit GOODNIGHT IRENE auf und könnte ebenso wie das sehr ähnliche “The Girls Won’t Do to Trust”, das sich im Repertoire des blinden afroamerikanischen Fiddlers Uriah Hagans (1851-unbekannt) befand und dort seit 1897 nachweisbar ist, zu den Ursprüngen des Liedes gehören, auch wenn selbst wieder auf Vorläufer zurückzuführen (vgl. ebd.: 65 ff.). Solche weitverzweigten Ursprünge sind nicht untypisch für Lieder in den USA. Auf jeden Fall hat Huddie Ledbetter eine in Text und Musik eigene Version des Liedes gesungen, die 1936 von den beiden Volksliedforschern Vater und Sohn Lomax transkribiert und veröffentlicht wurde. Dabei sicherte sich Vater John Lomax einen Teil der Rechte und damit der Tantiemen, die der Song in den folgenden Jahrzehnten generierte, indem er sich bei der Veröffentlichung als Ko-Autor eintrug.

Leadbelly, wie er sich seit 1935 auch schreiben ließ, nutzte den Song in den 1930er und 1940er Jahren als Erkennungsmelodie (Signature Tune) bei seinen Auftritten. Vermutlich 1943 nahm er das Lied unter den Titel “Irene” für den New Yorker Plattenproduzenten Moses Asch auf, der bis zu seinem Tod 1986 eine der umfangreichsten Sammlungen an traditioneller amerikanischer Musik für sein 1948 gegründetes Label Folkway Records aufgebaut hat. Das Label übernahm nach seinem Tod das Smithsonian Center for Folklife and Cultural Heritage und führt es seither als ein Nonprofit-Unternehmen weiter. Hier blieb das Lied in der Fassung von Huddie “Lead Belly” Ledbetter zugänglich und löste eine ganze Serie von Coverversionen aus, die bis heute anhält und dem Lied einen enormen Bekanntheitsgrad verschafft.

II. Kontext

GOODNIGHT IRENE gehört zu den Songs, die die beiden Volksliedforscher John A. and Allan Lomax 1933 für das Archive of American Folk Song (später Archive of Folk Culture) an der U.S. Library of Congress in Washington, D.C. aufgenommen haben. Die Aufnahme erfolgte auf Aluminium Disc, dem damals fortgeschrittensten Aufzeichnungsmedium. John A. Lomax hatte sich als Musikforscher schon frühzeitig um die Bewahrung des reichen volksmusikalischen Erbes der USA verdient gemacht. Er schlug 1932 dem New Yorker Verlag Macmillan eine Anthologie amerikanischer Balladen und Folksongs unter besonderer Berücksichtigung des Liedgutes der afroamerikanischen Bevölkerungsminderheit vor. Das Projekt fand die Unterstützung der Library of Congress, die mit dem 1928 gegründeten Archive of American Folk Songs eine Stätte für die Dokumentation und Aufbewahrung der Volksmusik als Bestandteil des Erbes der US-Kultur eingerichtet hatte. Lomax erhielt den Auftrag seine Forschungen um Tonaufnahmen des Liedgutes zu erweitern, den er mit seinem damals achtzehnjährigen Sohn Allan Lomax zwischen 1933 und 1936 realisierte. In der Annahme, dass die unverfälschten Wurzeln der Volksmusik dort zu finden seien, wo der korrumpierende Einfluss der Massenmedien und des kommerziellen Musikbetriebs nicht hinreichen konnte, suchten sie ihre Gewährsleute unter Langzeitgefangenen der US-Gefängnisse in den ländlichen Südstaaten der USA. Hier trafen sie 1933 in Louisianas Angola Prison Farm auf den 44-jährigen Huddie Ledbetter, der seit 1915 mit mehren kurzeitigen Unterbrechungen eine Gefägniskarriere hinter sich hatte und 1930 wegen Mordes an einem Weißen eine lebenslange Haftstrafe erhielt. Ledbetter, der sich selbst Lead Belly nannte, auf dem Tonträgermarkt allerdings als Leadbelly geführt wurde, war schon ab 1903 als Musiker unterwegs und insofern schon lange, bevor er auf Lomax traf, im kommerziellen und semikommerziellen Musikbetrieb involviert. Die Lieder, die er nur allzu gern den beiden Volksliedsammlern und -forschern ins Mikrofon sang, waren zumeist kommerzielle Standards vom Ende des 19. Jahrhunderts, die, wie auch GOODNIGHT IRENE, bestenfalls in die volksmusikalische Überlieferung eingegangenen waren. Das änderte freilich nichts daran, dass sie ihren Weg in das Volksliedarchiv der Library of Congress fanden und erst in jüngerer Vergangenheit von Musikforschern kritisch auf ihre Herkunft überprüft wurden. Lomax kehrte 1934 sogar noch einmal mit besserem Equipment zurück, um einen Teil der Aufnahmen für Veröffentlichungszwecke zu wiederholen. Ingesamt nahm er Hunderte von Songs mit Huddie Ledbetter auf und bemühte sich im gleichen Jahr angesichts des unbestreitbaren Talents von Ledbetter sogar erfolgreich um die Freilassung des Sängers per Gnadenerlass des Gouverneurs von Louisiana. Ledbetter wurde im September 1934 entlassen und arbeitete die ersten Monate nach seiner Freilassung zunächst als Fahrer für Lomax, bevor er Anfang 1935 mit Aufnahmen für die American Record Company (ARC) seine zweite Karriere als Musiker begann. Mit seinen Platten war ihm zu Lebzeiten kein Erfolg beschieden, aber in der in den 1940er Jahren insbesondere in New York entstehenden Folk Music-Szene wurde er zur Kulturfigur. Einer der zentralen Leitfiguren dieser Szene, Pete Seeger, war es dann auch, der GOODNIGHT IRENE zu Welterfolg verhalf.

III. Analyse

GOODNIGHT IRENE ist wie viele kommerzielle Standards aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in den USA nach dem spektakulären Erfolg des Wiener Walzers ein Walzerlied in 3/4-Takt (Druckversion) bzw. 6/4-Takt (gesungene Version) und moderatem Tempo. Leadbelly hat den Song in mehreren, leicht voneinander abweichenden Versionen aufgenommen. Die erste Aufnahme aus dem Jahr 1933 enthält nur zwei Strophen. Die 1934 entstandene Aufnahme enthält vier Strophen plus Refrain, während die 1936 erschienene Druckfassung sechs Strophen und einen ausgedehnten gesprochenen Teil enthält. Die am weitesten verbreitete Aufnahme ist die 1943 für Folkway Records entstandene. Hier beginnt der Song im 6/4-Takt nach einem viertaktigen Intro mit dem achttaktigen Chorus. Der Refrain (“Irene, Goodnight, Irene Goodnight”) ist der folgenden, ebenfalls achttaktigen Strophe also vorangestellt. Es folgen die drei Strophen im Wechsel mit dem Refrain, der am Schluss des Songs als Schlusspunkt noch einmal wiederholt wird. Die schlichte, in einfachen Tonstufen voranschreitende Melodie ist aus zweitaktigen Phrasen aufgebaut, die sich im Rahmen der Quinte der Grundtonart (G-Dur) bewegen. Die Harmonisierung basiert sich mit gelegentlichem Ausweichen in die Subdominant- und Tonikaparallele im Rahmen der klassischen authentischen Kadenz (I – V7 – I – IV – I). Begleitet ist der Song im Fingerpicking auf einer zwölfsaitigen Gitarre, die mit der unisono-Verdopplung der e-Saite des oberen Saitenpaares einen an das Akkordion erinnerenden Resonanzeffekt mit sich bringt und durch die eine Oktave tiefer gestimmte E-Saite des unteren Saitenpaares den mit einem auf den Daumen gesteckten Knochenplektrum gespielten Bass massiv verstärkt. Damit entsteht ein satter und intensiver Gitarrenklang, der sich mit einfachen Akkorden durch den Song hindurchzieht. Der Text erzählt die Geschichte eines Mannes, der verheiratet, geschieden und durchs Land getrieben ist (“Sometimes I live in the country / Sometimes I live in town”), und die Liebe von Irene, der er Gutenacht sagt und von der er träumt (“I’ll see you in my dreams”), nicht erhalten kann. Der Song endet mit der Aufforderung, dem unsteten Leben abzuschwören (“Stop ramblin’, stop your gamblin’ / Stop stayin’ out late at night / Go home to your wife and family / Stay there by your fireside bright”). Allein dieser moralisierende Schluss verweist auf die Herkunft des Liedes in der kommerziellen Musikproduktion im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts.

IV. Rezeption

GOODNIGHT IRENE blieb bei seinem Erscheinen 1943 nahezu unbeachtet. Als Signature Tune von Huddie Ledbetter, der bis zu seinem Tod 1949 als Live-Performer sehr aktiv war, wurde es weit mehr Hörern bekannt als die Platte. Auch Pete Seeger lernte den Song bei einem der Live-Auftritte von Huddie Ledbetter kennen und veröffentlichte 1950 mit seinen Weavers, einer Folk Music-Gruppe, eine Coverversion, die den Song zu Welterfolg führte. Die Aufnahme der Weavers erreichte im Juni 1950 die amerikanischen Billboard Charts, wo sie sich 25 Wochen lang mit der höchsten Notierung auf Platz 1 halten konnte. Angesichts dieses Erfolges folgten im gleichen Jahr eine ganze Reihe weiterer Coverversionen. Red Foley und Ernest Tubb hatten mit ihrem Sunshine Trio und der Countryversion des Songs einen Nummer-1-Hit. Ebenfalls eine sehr erfolgreiche Aufnahme im Country-Stil veröffentlichte Moon Mullican 1950. Von Paul Gayton & His Orchestra erschien im gleichen Jahr eine Rhythm & Blues-Version, die es auf Platz 6 der Charts brachte. Frank Sinatras Version aus dem Jahre 1950, nur einen Monat nach den Weavers veröffentlicht, hielt sich mit Platz 5 neun Wochen in den Billboard Charts. Sogar die eher seltene Ehre sowohl einer Parodie als auch eines Answer Songs sollte GOODNIGHT IRENE zuteil werden. Die Parodie von Ziggie Talent erschien 1950, der Answer Song, “Wake up, Irene” von Hank Thompson and His Brazos Valley Boys 1954 und war ein Nummer-1-Country-Hit. 1957 brachte Jerry Lee Lewis eine sehr erfolgreiche Rockabilly-Version heraus. Neben Little Richard, Johnny Cash und Rye Cooder findet sich auch Eric Clapton in der langen Reihe der Namen, die sich mit erfolgreichen Cover Versionen des Songs verbinden.

Ledbetters originale Version, die 1936 für die Library of Congress aufgenommen worden war, erhielt 2002 in den USA den Grammy Hall of Fame Award, mit dem die Recording Academy der USA historisch bedeutsame Aufnahmen würdigt.

 

PETER WICKE


Credits

Gesang: Huddie “Lead Belly” Ledbetter
Gitarre: Huddie “Lead Belly” Ledbetter
Label: Melodisc
Spieldauer: 2:25 min

Recordings

  • Huddie “Lead Belly” Ledbetter. “Good Night Irene”. On: Where Did You Sleep Last Night. Lead Belly Legacy, Vol. 1, 1996, Smithsonian Folkway Recordings, SFW40044, USA (CD/Complilation).

Covers

  • Gordon Jenkins and His Orchestra and The Weavers. “Tzena Tzena Tzena / Goodnight Irene”, 1950, Decca, 27077, USA (Shellac/10″).
  • Red Foley and Ernest Tubb with The Sunshine Trio. “Goodnight Irene / Hillbilly Fever #2”, 1950, Decca, 9-46255, USA (Vinyl/Single).
  • Moon Mullican. “Mona Lisa / Goodnight Irene”, 1950, King Records, 886, USA (Shellac/10″).
  • Paul Gayten & His Orchestra. “Goodnight Irene / Ooh La La”, 1950, Regal Records, 3281, USA (Shellac/10″).
  • Frank Sinatra. “Goodnight Irene / My Blue Heaven”, 1950, Columbia, 38892, USA (Shellac/10″).
  • Ziggy Talent with Orchestral Accompaniment. “Please Say Goodnight to the Guy, Irene / Lena, the Queen A’ the Uptown Arena”, 1950, RCA Victor, 47-3925, USA (Vinyl/Single).
  • Hank Thompson and His Brazos Valley Boys. “Wake Up, Irene / Go Cry Your Heart out”, 1954, Capitol Records, F2646, USA (Vinyl/Single).
  • Jerry Lee Lewis. “I Can’t Seem to Say Goodbye / Good Night Irene”, 1957, Sun Records, Si 1115, USA (Vinyl/Single).
  • Little Richard. “Whole Lotta Shakin’ Goin’ on / Goodnight Irene”, 1964, Vee Jay Records, VJ 612, USA (Vinyl/Single).
  • Johnny Cash. “Goodnight, Irene”. On: Original Sun Sound of Johnny Cash, 1964, Sun Record Company, LP 1275, USA (Vinyl/Album).
  • Ry Cooder. “Goodnight Irene / Chloe”, 1976, Reprise Records, 14473, BE (Vinyl/Single).
  • Pete Seeger. “Goodnight, Irene”. On: The Essential Pete Seeger, 2005, Columbia, 88691 98524 2, USA (CD/Compilation).
  • Eric Clapton. “Goodnight, Irene”. On: Old Sock, 2013, Bushbranch Records/Surfdog Records, 2-18015, USA (CD/Album).

References

  • Lomax, John A./Lomax, Alan: Negro Folk Songs as Sung by Lead Belly. Transcribed, Selected and Edited by John A. Lomax and Alan Lomax. Macmillan: New York 1936.
  • Oliver, Paul: Songsters and Saints: Vocal Traditions on Race Records. Cambridge Univ. Press: Cambridge 1984.
  • Wolfe, Charles K./Lornell, Kip: The Life and Legend of Leadbelly. Boston: Da Capo Press 1999.

About the Author

Prof. Dr. Peter Wicke is a retired professor of musicology. From 1992 to 2016 he held the chair for "Theory and History of Popular Music" at the Humboldt University Berlin.
All contributions by Peter Wicke

Citation

Peter Wicke: “Goodnight Irene (Huddie ‘Lead Belly’ Ledbetter)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/goodnightirene, 04/2017.

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