2003
Molotov

Frijolero

Single und Musikvideo FRIJOLERO der Band Molotov thematisieren auf sarkastisch, humorvolle Art Migration und Diskriminierung der mexikanischen Migranten in den Borderlands an der Grenze zwischen Mexiko und den USA.

I. Entstehungsgeschichte

Molotov wurde 1995 in Mexiko-Stadt gegründet und besteht aus vier Mitgliedern, den drei Mexikanern Paco Ayala (Rapper/ Bassist/ Co-Writer), Tito Fuentes (Rapper/ Co-Writer), Micky Huidobro (Rapper/ Bassist) und dem Amerikaner Randy Ebright, genannt “El Gringo Loco” (Rapper/ Drummer/ Co-Writer). Molotov ist eine der bekanntesten Cross-Over-Bands Mexikos, die in ihrer Anfangszeit immer wieder in Konflikt mit der mexikanischen Zensur geriet. Musikalisch ist sie der afroamerikanischen HipHop-Kultur verpflichtet, mischt ihre harten Metal-HipHop-Beats aber mit volkstümlichen Melodien, um ein breiteres latinoamerikanisches Publikum ansprechen zu können. Durch das Album ¿Dónde Jugarán Las Niñas?, insbesondere den Song “Gimme tha Power”, der für die linke globalisierungskritische Gegenkultur zu einer Art Hymne wurde, erreichte Molotov internationalen Erfolg. Seit Ende der 1990er Jahre tritt die Band weltweit live auf. FRIJOLERO wurde auf dem Album Dance and Dense Denso (2003) veröffentlicht, das Musikvideo wurde im gleichen Jahr von Paul Beck und Jason Archer in Austin (Texas) produziert. Den eintägigen Filmaufnahmen folgte eine einmonatige Bearbeitungszeit, bei der die Aufnahmen im Rotoskopverfahren verfremdet und mit traumhaften Einlagen versehen wurden.

II. Kontext

Storytelling ist neben den verschiedenen Formen des Verbal Duelling (vgl. Sokol 2004) die zentrale Ausdruckform des Rap im Allgemeinen. Anhand von I-Stories wird vor allem Identität her- und dargestellt, aber es werden auch hegemoniale Diskurse kommentiert, in Frage gestellt oder deren Fokalisierungen bzw. Ausblendungen sichtbar gemacht (vgl. Kimminich 2004), sodass die Möglichkeiten jenseits einer Machtstruktur in den Blickpunkt rücken. Mit FRIJOLERO kontrastiert Molotov Fremd- und Eigenwahrnehmung der Mexikaner, spielt die verschiedenen rassistischen Zuschreibungen und Stereotypen ebenso gegeneinander aus wie die jeweiligen territorialen Ansprüche. Obwohl die Konstruktivität nationaler Identität und deren jeweilige historische Legitimität in Frage gestellt werden, bleibt der Musikclip jedoch der Diskurstradition des mexikanischen Kulturnationalismus verhaftet (vgl. Thies 2006).

III. Analyse

Der zweisprachige Song umfasst neun Strophen, sechs in spanischer, drei in englischer Sprache sowie einen zweiteiligen zweisprachigen Refrain. Gerappt wird zu einer musikalischen Mischung mit Referenzen auf die música norteña, eine populäre mexikanische Musik. Dabei wird gezielt mit Codeswitching (Wechsel zwischen englischen und spanischen Versen und Codemixing (Sprachwechsel innerhalb eines Satzes/ Verses) gearbeitet. Die Wahl der Sprache und vor allem der Aussprache (Spanisch mit amerikanischem Akzent bzw. Englisch mit spanischem Akzent sowie akzentfreies Englisch) ist für die jeweiligen Aussagen der Strophen bzw. des Refrains relevant.

Die im Video durch Rotoscoping veränderten Filmaufnahmen illustrieren die in den Strophen erzählte Story. Durch diese Verfahren entsteht ein Zwischenraum, in dem sich Realität und Imagination vermischen. Auf diese Weise können Stereotypisierungen aufgebrochen und nicht nur die realen politischen, sondern auch die diskursiven und symbolischen Grenzen überschritten werden. Dazu wird auch mit sexistischen Elementen der HipHop-Kultur gespielt, die sich bereits durch um die Story rahmenden Intro bzw. Outro ankündigen. Zu Beginn des Clips ist eine dem Betrachter zublinzelnde junge Frau in Tank-Top zu sehen, die ihre Jeans herablässt. Auf ihrem Gesäß wird ein Tattoo sichtbar. Es zeigt die zusammen im Bett liegenden Bandmitglieder, die mit Einsetzen des Songs erwachen. Es handelt sich hier keineswegs nur um eine misogyne Ausdrucksform der männlich dominierten HipHop-Kultur, sondern um einen symbolischen Einstieg in die Thematisierung der Grenzüberschreitung und Auflehnung des Subjekts. Die Haut gehört, wie Sebastian Thies ausführt, zu den zentralen metaphorischen Bedeutungsträgern postkolonialer Imaginarien. Als Grenze zwischen Subjekt und Umwelt sind ihr die Spuren der Herrschaft eingeschrieben: “Der weibliche Körper als Projektionsfläche und Bühne eröffnet den zum Leben erwachten Bandmitgliedern nun die Möglichkeit, die subalterne Erfahrungswelt der illegalen Migration performativ zu erschließen und dabei eine Grenzüberschreitung von der Comic-Kunstwelt in den mit sozialer Realität konnotierten Grenzraum zu vollziehen.” (Thies 2006: 267).

Der Plot lässt sich folgendermaßen zusammenfassen. Die als Bandmitglieder zu erkennenden Comicfiguren fahren per Anhalter mit einem Pickup-Truck durch die Borderlands. Durch ihre Kritik an der US-amerikanischen Hegemonie und deren Legitimation geraten sie in Konflikt mit einem Offizier der Grenzpatrouille. Dieser erwidert ihren Rap seinerseits mit einem rassistischen Refrain. Sie ergreifen die Flucht. Nach einer kurzen Verfolgungsjagd werden die Bandmitglieder von der Grenzpolizei gestellt und abgefahren. Es folgen traumhafte Filmkollagen in karnevaleskem Stil. Vor einem Loch im Grenzzaun feiern die Bandmitglieder mit Can Can-Tänzerinnen die Grenzüberschreitung als eine Aufhebung der US-amerikanischen Machtstrukturen.

Song und Clip inszenieren also den Kulturkonflikt zwischen Staatsmacht und “Illegalen”, d.h. zwischen Gringos und Latinos, die mit dem Schimpfwort “frijolero” (Bohnenfresser) – gleichzeitig Titel des Songs – bezeichnet werden. Dieser ihnen hegemonial zugewiesenen negativen Identität wird auf ironische Weise ein performatives Identitätskonzept (vgl. Thies 2006: 265) entgegengesetzt, dass diese Konstruktion entlarvt, indem die traditionell nationale Semantik durchbrochen wird. So erhalten die zunächst nur umrisshaften, mit den mexikanischen Nationalfarben überblendeten und somit anonymen Figuren, erst mit Einsetzen des ersten Sprechgesangs die individuellen Züge der Bandmitglieder. Die drei Rapper fahren also stellvertretend zu den illegalen Arbeitsplätzen in den Norden. Sie sind Medien der eigenen und fremden Lebenswelt und verhandeln die jeweiligen Identitätsmuster und Stereotypen. Gleich der Sänger der ersten Strophe verwehrt sich auf Spanisch mit starkem “Gringo-Akzent” dagegen, dass ihm ein Sombrero aufgesetzt und er als “frijolero” bezeichnet wird. Dann werden politische Zusammenhänge zwischen der Rückzahlung der Auslandsschulden, den Erdöllieferungen und dem Irakkrieg hergestellt: “Te pagamos con petroleo, le intereses nuestra deuda, mientras tanto no sabemos, quién se queda con la feria.” Der Clip veranschaulicht diese Zusammenhänge allegorisch: zu sehen sind Dollar-Bomben, Erdölfässer und Scherzpistolen mit US-Fahnen, die auf die Grenzgebiete herabregnen, sowie Karikaturen des mexikanischen Präsidenten Vicente Fox, der mit George W. Bush und dem ehemaligen Vizepräsidenten Dick Cheney Geschäfte macht.

Der Grenzpolizist reagiert mit einem in Englisch und aggressivem Tonfall gesungen Refrain: “Don’t call me Gringo, you fucking beaner! Stay on your side of that goddamn’ river”. Er stellt also die Grenzüberschreitung als eine Verletzung der symbolischen Sphäre der Macht heraus und macht seinerseits die territorialen Ansprüche der USA geltend. Dieser sprachlichen und auch gestischen Inszenierung der Staatsgewalt halten die Bandmitglieder in der nächsten Strophe im Stil des verbal duelling, einem für die HipHop-Kultur typischen Beschimpfungsritual, entgegen. In Kombination mit einem phallischen Gestus wird die Drohgebärde des Grenzpolizisten außer Kraft gesetzt, “No me digas frijolero, pinche gringo puñetero”, und in kulturnationalistischer Manier die Legitimität des territorialen Anspruchs der USA in Frage gestellt: “If not for Santa Anna, just to let you know that where your feet are planted would be Mexico. Correcto!”

IV. Rezeption

Die Single FRIJOLERO wurde erstmals im Januar 2003 in Mexiko im Radio übertragen und umgehend zum Hit. Im Februar war der Song bereits so populär, dass er bei der Konzerttour, mit der die Band für ihr neues Album Dance and Dense Denso warb, von den Fans reklamiert wurde. Song und CD erreichten Platz 10 in der Latin Pop Album Chart und waren elf Wochen lang unter den Top 20. Auch der Video-Clip hatte großen Erfolg, er stand auf Platz 1 unter den, auf dem lateinamerikanischen MTV gesendeten, Clip-Hits. FRIJOLERO wurde sowohl in Lateinamerika als auch in den USA äußerst erfolgreich vermarktet und erhielt 2003 bereits einen Grammy für das beste Musikvideo.

 

EVA KIMMINICH


Credits

Song: Juan Francisco Ayala, Miguel Huidrobo, Randy Wideman
Gesang, Gitarre: Tito Fuentes
Bass, Gesang: Mickey “Huidos” Huidobro
Bass, Gesang: Paco Ayala
Schlagzeug, Gesang: Randy “El Gringo Loco” Ebright
Produzenten: Gustavo Santaolalla, Anibal Kerpel
Veröffentlichung: 2002
Länge: 3:30 (Albumversion)
3:00 (MusikcVideo)

Recordings

  • Molotov. “Frijolero”, Dance and Dense Denso, 2002, Surco Records, 066661-2, UK (CD/Album).
  • Molotov. “Frijolero”, Frijolero, 2002, Surco Records, MOLOCDP1, Europa (CD/Single).
  • Molotov. ¿Dónde Jugarán Las Niñas?, 1997, Surco Records, MCADN 75031, Mexiko (CD/Album).

References

  • Kimminich, Eva: (Hi)story, Rapstory und “possible worlds” Erzählstrategien und Körperkommunikation im französischen und senegalesischen Rap. In: Rap More Than Words (= Welt – Körper – Sprache. Perspektiven kultureller Wahrnehmungs- und Darstellungsformen 4). Ed. by Eva Kimminich. Frankfurt a.M./Berlin/Bern/New York /Paris/Wien: Peter Lang, 233-267.
  • Sokol, Monika: Verbal Duelling: Ein universeller Sprachspieltypus und seine Metamorphosen im US-amerikanischen, französischen und deutschen Rap. In: Rap More Than Words (= Welt – Körper – Sprache. Perspektiven kultureller Wahrnehmungs- und Darstellungsformen 4). Ed. by Eva Kimminich. Frankfurt a.M./Berlin/Bern/New York /Paris/Wien: Peter Lang, 113-160.
  • Thies, Sebastian: Imaginarien des (Trans-)Nationalen in den Amerikas. Zur Akkommodation des Nationalen in der transnationalen Kulturindustrie. Transnationale Integrationsprozesse in den Amerikas. In: Peripherie 104 (2006). Münster: Westfälisches Dampfboot, S. 456-477. Als PDF verfügbar unter: www.zeitschrift-peripherie.de/Thies_Imaginarien.pdf [17. Februar 2012].

Links

  • Band Homepage: http://www.molotovoficial.com.mx/ [17.02.2012].

About the Author

Eva Kimminich (Prof. Dr.) teaches Romance Studies at the University of Potsdam.
All contributions by Eva Kimminich

Citation

Eva Kiminich: “Frijolero (Molotov)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/frijolero, 12/2011 [revised 10/2013].

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