2000
Radiohead

Everything in Its Right Place

EVERYTHING IN ITS RIGHT PLACE ist der Eröffnungstrack von Radioheads viertem Studioalbum Kid A und zählt zu den bekanntesten Werken der Band. Mit dem Song und seiner Abkehr von konventioneller Rockmusik vollzog sich ein klangästhetischer Wandel in der Bandgeschichte.

I. Entstehungsgeschichte

Zwischen Januar 1999 und April 2000 arbeiteten Radiohead an ihrem vierten Longplayer Kid A. Im Zuge dieser Arbeit entstand der Song EVERYTHING IN ITS RIGHT PLACE. Komponiert wurde der Titel vom Leadsänger der Band Thom Yorke: “I bought a piano for my house […]. And that was the first thing I wrote on it. And I’m such a shit piano player. I remember this Tom Waits quote from years ago, that what keeps him going as a songwriter is his complete ignorance of the instruments he’s using. So everything’s a novelty.” (Yorke in Fricke 2000). Dem zu dieser Zeit bei den Bandmitgliedern vorherrschenden Drang zur Neuerung blieb die Band bei der klanglichen Weiterverarbeitung von EVERYTHING IN ITS RIGHT PLACE treu. Besonders auffällig ist, dass beim Arrangement keine Gitarren zum Einsatz kamen, obwohl Radiohead zu diesem Zeitpunkt ihrer Karriere klar dem Gitarrenrock-Genre zugeschrieben wurden. Neben dem E-Piano und der durch Effekte manipulierten Stimme wurden bei EVERYTHING IN ITS RIGHT PLACE Synthesizer und Drumcomputer verwendet.

II. Kontext

Das Album Kid A, veröffentlicht im Jahr 2000, stellt einen Bruch in der klangästhetischen Ausrichtung der Band dar. Nach dem Erfolg von OK Computer und dem steigenden Druck fühlte sich Thom Yorke von der bisherigen künstlerischen Arbeitsweise eingeengt (vgl. ebd.). Der Fokus verschob sich auf die Aushebelung der gebräuchlichen popmusikalischen Parameter und auf das Experimentieren mit bisher wenig oder nicht verwendeten Instrumenten. Das Augenmerk verlagerte sich von melodischen und pop-formalen Strukturen auf rhythmische Patterns von verschwommenen und synthetischen Klangbildern. Dadurch rutschten die Gitarre und andere Konventionalitäten des Rockband-Instrumentariums in den Hintergrund. Stattdessen kamen Instrumente wie Synthesizer, Drumcomputer, Streich- und Blasinstrumente oder das Ondes Martenot (ein monophones elektronisches Musikinstrument) vermehrt zum Einsatz.

III. Analyse

Als Eröffnungstrack von Kid A offenbart EVERYTHING IN ITS RIGHT PLACE gleich von Beginn an den ästhetischen Paradigmenwechsel, der das musikalische Schaffen der Band von nun an bestimmen sollte. Der Song kann dabei als exemplarisch für das verstärkte Abrücken Radioheads vom klassisch etablierten Rockinstrumentarium und für die klangliche Erweiterung durch elektronisch generierte Klangerzeugung und Verfremdungseffekte betrachtet werden.

In formaler Hinsicht folgt der Song dabei weitgehend einem konventionellen Verse-Chorus-Schema, wenngleich er auf die wesentlich seltenere Variante mit beginnendem Chorus und darauffolgendem Verse zurückgreift. Darüber hinaus erweckt die formale Struktur von EVERYTHING IN ITS RIGHT PLACE mit seiner Abfolge von Intro – Chorus – Verse – Chorus – Verse – Coda ungeachtet seiner formalen Untergliederung jedoch den Eindruck einer einzigen durchgehenden musikalischen Passage mit nahtlos ineinander übergehenden Teilpassagen, was nicht zuletzt dem geringen klanglichen und harmonischen Kontrast zwischen den einzelnen Formteilen geschuldet ist.

Nicht nur aus formaler Sicht weicht der Eröffnungstrack von bestehenden Konventionen des Rockgenres ab, auch das dem Song zugrunde liegende Metrum spiegelt diesen Bruch in besonderer Weise wider. Ein 10/4 Takt bildet die metrische Grundlage, über die sich die drei harmonischen Motive (über die Grundtöne C-Des-Es, F-C-Des-Es und Des-C-Es) des E-Pianos in abwechselnder Aneinanderreihung erstrecken. Das perkussive Element des Songs übernimmt in diesem Zusammenhang jedoch keine wesentliche Gliederungsfunktion, sondern beschränkt sich auf den durchgehenden Viertel-Puls-Rhythmus einer elektronisch generierten Bassdrum, die sich in einem zeitlich ausgedehnten Intro unmerklich unter das harmonische Gerüst des dominierenden E-Pianos zu schieben beginnt.

Über diese musikalisch-rhythmische Basis erhebt sich in starker klanglicher Verfremdung das elektronische Stimmengemurmel Thom Yorkes. Dieses ästhetisch zentrale Songelement einer instrumental verwendeten Gesangsstimme beschreibt der Sänger mit folgenden Worten: “[I] got really into the idea of my voice being another one of the instruments, rather than this precious, focus thing all the time” (Hansen 2005: 124). Erst mit Beginn des Chorus wandelt sich Yorkes Stimme wieder in das gewohnt melodiehafte Gestaltungselement, während er in kurzen Abständen die Textzeile “Everything in its right place” zu repetieren beginnt. Mit dem erneut hinzukommenden elektronisch-instrumentalen Stimmklang beginnen die einzelnen vokalen Elemente schließlich zu einem ästhetischen Ganzen zu verschmelzen, das einem gesanglichen Mantra gleichkommt und sich harmonisch in den Gesamtklang einfügt, ohne Gefahr zu laufen, zu sehr in den Vordergrund zu treten. Abgelöst werden diese beiden Chorus-Passagen von den jeweils darauffolgenden Verse-Abschnitten, denen die Textzeilen “Yesterday I woke up sucking a lemon” und “There are two colors in my head. What was that you tried to say” zugrunde liegen. In einer mehr als einminütigen Coda erklingt schließlich eine motivisch wie klanglich abgewandelte Form des E-Piano-Patterns, während vereinzelt stark verzerrte vokale Elemente in der Weite des akustischen Raumes verschwimmen.

IV. Rezeption

Wenngleich Radioheads musikalischer Wandlungsprozess mit der Veröffentlichung von Kid A die Erwartungen mancher Fans und Musikkritiker enttäuscht haben mag, so lässt sich der grundlegende Tenor in der Rezeption des Albums als überwiegend positiv beschreiben. Zahlreiche Musikmagazine würdigten die künstlerische Relevanz der neuen Platte; nicht wenige, darunter auch einflussreiche Publikationen wie Spin, NME, Times, Pitchfork oder Wire, erklärten es gleichermaßen zu einem der besten Alben des Jahres 2000. Ungeachtet einiger weniger Stimmen, die dem Album einen Mangel an Eingängigkeit und Songhaftigkeit attestierten, eroberte Kid A die Spitzenposition unzähliger nationaler Charts, darunter auch jene in Großbritannien und den USA. Darüber hinaus sollte die musikalische Neuerfindung Radioheads auch mit international renommierten Preisen, unter ihnen eine Grammy Award Nominierung für das Album of the Year und ein Grammy Award für das Best Alternative Music Album, ausgezeichnet werden.

Neben Titeln wie “Idioteque” und “Motion Picture Soundtrack” ist EVERYTHING IN ITS RIGHT PLACE einer der am stärksten rezipierten Songs des Albums. Dies schlägt sich beispielsweise in der Verwendung des Titels als Soundtrack in Filmen wie Vanilla Sky, Veronika Decides to Die und in Serien wie Nip/Tuck, vor allem aber in den zahlreichen musikalischen Bearbeitungen, Coverversionen und Remixes des Songs nieder. Ein bemerkenswert hoher Anteil an musikalischen Bearbeitungen von EVERYTHING IN ITS RIGHT PLACE lässt sich dabei vor allem im Bereich des Jazz und der sogenannten Klassischen Musik verorten. Hier sind es insbesondere die charakteristischen Interpretationen Brad Mehldaus, Michael Wolfs und Christopher O’Rileys, die sich durch einen nennenswerten Bekanntheitsgrad auszeichnen. Aber auch Künstler wie Osunlade oder der englische Produzent elektronischer Musik SBTRKT arbeiteten sich an dem Titel mit eigenen Coverversionen und Remixes ab. Nicht zuletzt zollte mit Steve Reich auch einer der Hauptvertreter der amerikanischen Minimal Music dem Song Tribut, indem er ihn neben einem weiteren Song Radioheads (“Jigsaw Falling into Place”) zur kompositorischen Ausgangsbasis seines Werkes Radio Rewrite erklärte.

 

DANIEL HOCHREITER und DANIEL KRANAWITTER


Credits

Gesang, Keyboard, Synthesizer: Thom Yorke
Sampling, Programming: Jonny Greenwood
Programming: Phillip Selway
Produktion: Nigel Godrich, Radiohead
Veröffentlichung: 2. Oktober 2000
Länge: 4:11

Recordings

  • Radiohead. “Everything in Its Right Place”. On: Kid A, 2000, Parlophone, 7243 5 27753 2 3, Europe (CD/Album).
  • Radiohead. “Everything in Its Right Place”. On: The Best of, 2008, Parlophone, 50999 227588 2 8, Europe (2xCD/Compilation).
  • Radiohead. “Everything in Its Right Place”. On: Music from Vanilla Sky, 2001, Reprise Records, 9362-48109-2, Europe (CD/Compilation).

References

  • Fricke, David: People of the Year. Thom Yorke of Radiohead. In: Rolling Stone, 14 December 2000. URL: http://www.rollingstone.com/music/news/people-of-the-year-thom-yorke-of-radiohead-20001214 [04.04.2017].
  • Hansen, Mark B. N.: Deforming Rock: Radiohead’s Plunge into the Sonic Continuum. In: The Music and Art of Radiohead (= Ashgate Popular and Folk Music Series). Ed. by Joseph Tate. Farnham: Ashgate 2005, 118-138.
  • Randall, Mac: Exit Music – Die Radiohead Story. Berlin: Bosworth Music 2006.
  • Moore, Allan F.: Song Means – Analysing and Interpreting Recorded Popular Song. Farnham: Ashgate 2012.
  • Letts, Marianne Tatom: Radiohead and the Resistant Concept Album. How to Disappear Completely (= Profiles in Popular Music). Bloomington: University Press 2010.
  • Lin, Marvin: Radiohead’s Kid A (33 1/3). New York: Bloomsbury 2010.

Links

  • en.wikipedia.org/wiki/Kid_A [22.01.2016].
  • en.wikipedia.org/wiki/Everything_in_Its_Right_Place [22.01.2016].
  • en.wikipedia.org/wiki/Radiohead_discorgraphy [22.01.2016].
  • www.greenplastic.com/coldstorage/articles/edsdiary/index.php [22.01.2016].
  • www.popmatters.com/special/section/all-things-reconsidered-the-10th-anniversary-of-radioheads-kid-a/ [22.01.2016].
  • radiohead1.tripod.com/songs/album/everything [22.01.2016].

About the Authors

Analysis written in a course of Prof. Dr. Nils Grosch at the University of Salzburg.
All contributions by Daniel Hochreiter
Analysis written in a course of Prof. Dr. Nils Grosch at the University of Salzburg.
All contributions by Daniel Kranawitter

Citation

Daniel Hochreiter and Daniel Kranawitter: “Everything in Its Right Place (Radiohead)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/everythinginitsrightplace, 04/2017.

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