1998
Die Ärzte

Ein Schwein namens Männer

EIN SCHWEIN NAMENS MÄNNER wurde auf dem Album 13 der Band Die Ärzte veröffentlicht, zudem war der Song die erste Singleauskopplung des Albums und der erste Nummer-1-Hit der Formation.

 

I. Entstehungsgeschichte

Die Aufnahmen des Albums 13 begannen im Januar 1998. Nach der Wiedervereinigung der Band, die von 1982 bis 1988 bestand und 1993 wieder zusammenfand, sollte es deren vierte Veröffentlichung im Albumformat sein. Erstmals aber wurde ein Album auf dem bandeigenen Label Hot Action Records veröffentlicht. Nach Schilderungen der Bandmitglieder zog dieser unternehmerische Schritt entscheidende Freiräume nach sich, da die Musiker nun selbst über Budgets und Zeitpläne bestimmen konnten (vgl. Üblacker 2016: 434). Der Song EIN SCHWEIN NAMENS MÄNNER stammt aus der Feder des Sängers und Gitarristen Farin Urlaub (bürgerlich Jan Vetter). Die anderen Bandmitglieder, Bela B. (Dirk Felsenheimer) und Rodrigo González, sollen schon beim Hören der Demoaufnahmen das Hitpotenzial des Songs erkannt haben, infolgedessen wurde EIN SCHWEIN NAMENS MÄNNER die erste Singleauskopplung des Albums (vgl. Karg 2001: 309). Farin Urlaub berichtet in der zweiten Autobiografie der Band, er habe den Song während einer Reise durch Botswana und Sambia geschrieben, der Songtext sei ursprünglich ein “Mantra über die Sonne” (zit. n. Üblacker 2016: 434 ff.) gewesen. Die vom Songschreiber aufgenommene Demoversion habe man im Laufe der Albumproduktion nur geringfügig modifiziert und den ursprünglichen Titel “Männer sind Schweine” schließlich in EIN SCHWEIN NAMENS MÄNNER geändert, um eine Reminiszenz zum Ärzte-Song “Ein Song namens Schunder” zu schaffen, der 1995 auf dem Album Planet Punk veröffentlicht wurde (vgl. Karg 2001: 314).

 

II. Kontext

EIN SCHWEIN NAMENS MÄNNER nimmt in der Karriere der Band eine Sonderstellung ein. Die Ärzte gründeten sich 1982 im Umfeld der Berliner Punkszene, die Gründungsmitglieder Farin Urlaub und Bela B. hatten zuvor bereits gemeinsam in der Deutschpunkband Soilent Grün gespielt. Die Band distanzierte sich jedoch alsbald vom linkspolitisch und nihilistisch ausgerichteten Punk. Stattdessen orientierte sie sich musikalisch und hinsichtlich ihrer medialen Präsentation zunehmend an zeitgenössischer Popmusik. Selbst Kooperationen mit der Teenagerzeitschrift Bravo fanden ab Mitte der 1980er-Jahre regelmäßig statt – ein Umstand, den die Band, die sich den Vorwürfen des kommerziellen Ausverkaufs freilich gewahr war, ironisch in ihrem Song “Bravopunks” kommentiert. Die Band galt infolgedessen bereits in den 1980er-Jahren als kommerziell ausgerichteter Ableger des Deutschpunk, schien sich musikalisch bewusst an den Konventionen des Mainstream zu orientieren und sich dessen marktökonomischen Gesetzmäßigkeiten bewusst anzupassen. Tatsächlich finden sich spätestens auf den Alben, die die Band ab den 1990er-Jahren veröffentlichte, etliche Songs, die sich stilistisch nicht mehr dem Punkrock zuordnen lassen.

Der Song EIN SCHWEIN NAMENS MÄNNER ist kaum mit gängigen Gestaltungsweisen des Punkrock, beispielsweise dem kontinuierlichen Spiel verzerrter Gitarrenakkorde und hohen Tempi zwischen üblicherweise 180 und 200 bpm, in Verbindung zu bringen. Vielmehr ließe sich das Klangbild des Songs, so Urheber Farin Urlaub, als “Motown Sound” (zit. n. Üblacker 2016: 434) bezeichnen. EIN SCHWEIN NAMENS MÄNNER wurde in den Wochen nach der Veröffentlichung derart erfolgreich, dass die Band, den eigenen Schilderungen zufolge, alsbald beschloss, den Song auf Konzerten nicht mehr live zu spielen und von ihm Abstand zu nehmen. Hierzu Farin Urlaub: “Ich habe bis heute ein ambivalentes Verhältnis zu Männer sind Schweine. Zwar bin ich dankbar dafür, dass uns das Lied so viel Aufmerksamkeit und neue Fans beschert hat […]. Aber auf der anderen Seite haben wir so viele bessere, innovativere, originellere und mutigere Lieder geschrieben, dass ich es gehasst habe, wenn man uns auf dieses eine reduziert hat” (zit. n. ebd.: 457). So habe man die Liveversion des Songs für das Album Wir wollen nur deine Seele noch gemeinsam mit den Bläsern der Skaband The Busters aufgenommen, wenig später jedoch auf dessen Aufführung verzichtet. Die Eigendarstellung der Band bewahrt infolgedessen durchaus zentrale Züge der nonkonformistischen Punkattitüde, indem sich die Ärzte vorgeblich vom zu großen Erfolg bei vermeintlich ‘falschen’ Publika distanzierten.

 

III. Analyse

EIN SCHWEIN NAMENS MÄNNER beginnt mit einem synthetisch produzierten Intro, das aufgrund der schnellen Rhythmuspatterns Bezüge zum Drum’n’Bass-Genre erkennen lässt. Der 4:17 min dauernde Song setzt sich aus den Formteilen Verse, Pre-Chorus und Chorus zusammen. Diese Abfolge wird einmal wiederholt, bevor ein sechstaktiges Zwischenspiel zu einer weiteren Wiederholung der genannten Formteile überleitet. Der Chorus, wie auch der Pre-Chorus, wird bei jeder Wiederholung textlich variiert. Die Akkorde G, Em, C und D werden im Verse ganztaktig gewechselt, im Pre-Chorus ist die Akkordfolge C | Bm | C | D zu hören. Der Chorus basiert auf dem zweitaktigen Wechsel von G, Em, Am sowie der ganztaktigen Abfolge C | D. Die Instrumentierung setzt sich grundlegend aus Schlagzeug, E-Bass, E-Gitarre und Klavier zusammen. Deren Patterns werden ohne auffällige Variationen durchgehend wiederholt, Bass und Klavier spielen im Wesentlichen die Grundtöne jener Akkorde, welche die Gitarre jeweils auf den ungeraden Zählzeiten, den Offbeats, akzentuiert. Im Chorus sind zudem Streicher- und Bläserarrangements zu hören.

Farin Urlaub ‘warnt’ in EIN SCHWEIN NAMENS MÄNNER vor dem vermeintlich rücksichtslosen und vom Sexualtrieb gesteuerten Verhalten des männlichen Geschlechts und bedient sich dabei allerlei stereotyper Männerbilder. Beispielsweise sei für ‘den Mann’ “Liebe gleich Samenverlust”, ‘Männer’ säßen meist bei Bier und Chips und unter Inkaufnahme massiver Gewichtszunahme vor dem Fernseher und seien, so das Credo im Chorus, allesamt Schweine, denen mit Vorsicht begegnet werden müsse. Es bedarf keines ausgeprägten Sinns für Ironie, um zu erkennen, dass es Farin Urlaub bei diesem Song um das bewusste Spiel mit wohlbekannten heteronormativen Klischees gegangen sein dürfte. Auf textlicher Ebene beinhaltet der Song zudem verschiedene Zitate. Während des letzten Chorus werden stark bearbeitete Gesangspassagen eingespielt, die Zeilen aus dem indizierten Song “Wir wollen keine Bullenschweine” (1980) der Punkband Slime zitieren. Im Zwischenspiel sind die Sätze “Männer? Diese schrecklichen haarigen Biester, die alles antatschen müssen. Und dabei wollen sie alle nur dasselbe von einem Mädchen” zu hören, die aus dem Film Manche mögen’s heiß (1959) übernommen wurden, in dem Marylin Monroe als Protagonistin zu sehen war.

Die Hauptrolle im Videoclip wird von einer virtuellen Figur gespielt, die im ausgehenden 20. Jahrhundert bisweilen zum Sinnbild ‘der starken Frau’ stilisiert wurde: die Computerspielheldin Lara Croft. Deren Eindringen in die von maskulinen Heroen dominierte Sphäre der Computerspiele ließe sich, so Elisa Giomi, durchaus “als Beitrag zur Emanzipation” (Giomi 2005: 44) werten. Die Ärzte selbst hätten sich für die Hauptrolle indes “eine weibliche Ikone der Jetztzeit” (Üblacker 2016: 443) gewünscht, “die aber unbedingt zu sexy […] für den vermeintlich feministischen Text des Liedes” (ebd.) sein sollte. Bassist Rodrigo González sei beim Testen neuer Computerspiele schließlich die entscheidende Idee gekommen (vgl. ebd.). Der Videoclip zeigt zunächst die Band bei der Aufführung des Songs in einer Fabrikhalle, wenig später werden die Musiker von Lara Croft mit Waffengewalt bedroht. Im weiteren Verlauf des Clips sind diverse Kampfszenen der Bandmitglieder mit der Protagonistin zu sehen, die Schuss- und Schlaggeräusche übertönen dabei häufig die Musik. Am Ende des Clips unterliegen die Musiker Lara Croft. Ende der 1990er-Jahre waren Animationsarbeiten, wie sie für einen solchen Videoclip mit einer virtuellen Hauptdarstellerin vonnöten waren, noch mit hohem Aufwand und enormen Kosten verbunden. Die Herstellung des Musikvideos habe “ungefähr sechs Mal so viel wie vergleichbare” (ebd.: 446) Produktionen gekostet und die Band großem finanziellem Druck ausgesetzt.

 

IV. Rezeption

EIN SCHWEIN NAMENS MÄNNER erreichte Platz 1 der deutschen Singlecharts und besetzte diese Position für acht Wochen (vgl. offiziellecharts.de). Die Resonanz des Songs reichte weit über das vermeintliche Zielpublikum der Band hinaus und wurde auf diversen Hit-Compilations veröffentlicht, beispielsweise auf Bravo Hits 21 (1998) und in einer Coverversion der Gruppe Der Letzte Schrei auf Volle Pulle Oktoberfest Vol.3 (1999).

 

BENJAMIN BURKHART


Credits

Gesang: Farin Urlaub, Barbro Kramer
Gitarre: Farin Urlaub
Bass: Rodrigo González
Schlagzeug: Bela B.
Trompete: Bob Lanese
Saxophon: Frank Delle
Posaune: Ulrich Plettendorf
Songwriting: Farin Urlaub
Produzent: Uwe Hoffmann
Label: Hot Action Records
Veröffentlichung: 1998
Länge: 4:17

Recordings

  • Die Ärzte. “Bravopunks”, 5, 6, 7, 8 – Bullenstaat!, 2001, Hot Action Records, Deutschland (CD/Album).
  • Die Ärzte. “Ein Schwein namens Männer”, 13, 1998, Hot Action Records, 557 413 – 2, Deutschland (CD/Album).
  • Die Ärzte. “Ein Schwein namens Männer”, Bravo Hits 21, 1998, WSM , 555 979-2, Electrola Media, 555 979-2, Virgin, 555 979-2, Polystar (3), 555 979-2, Deutschland (CD/Compilation).
  • Die Ärzte. “Ein Schwein namens Männer”, Ein Schwein namens Männer, 1998, Hot Action Records, 568 667-2 18, Deutschland (CD/Single).
  • Die Ärzte. “Ein Schwein namens Männer”, Wir wollen nur deine Seele, 1999, Hot Action Records, 547 974 – 2, Deutschland (2xCD + Mini-CD/Album).
  • Die Ärzte. “Schunder-Song”, Planet Punk, 1995, Metronome, 357533, Deutschland (CD/Album).
  • Slime. “Wir wollen keine Bullenschweine”, Wir wollen keine Bullenschweine, 1980, Moderne Musik Tonträger, Deutschland (7”/Single).

Covers

  • Der Letzte Schrei. “Ein Schwein namens Männer”, Volle Pulle Oktoberfest Vol.3, 1999, Sony Music Media, SMM 495399 2, Frankreich (2xCD/Compilation).

References

  • Die Ärzte. Ein Schwein namens Männer. In: Offizielle Deutsche Charts. URL: https://www.offiziellecharts.de/titel-details-3657 [12.04.2018].
  • Giomi, Elisa: Lara Croft: Ein neues Vorbild für Actionheldinnen und Frauen? In: tv diskurs 9/4 (2005), S. 44–49.
  • Karg, Markus: Die Ärzte. Ein überdimensionales Meerschwein frisst die Erde auf. Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf 2001.
  • Üblacker, Stefan: Das Buch ä. Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf 2016.

About the Author

Benjamin Burkhart is senior scientist at the Institute for Jazz Research at the University of Music and Performing Arts Graz.
All contributions by Benjamin Burkhart

Citation

Benjamin Burkhart: “Ein Schwein namens Männer (Die Ärzte)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/ein-schwein-namens-männer, 12/2022.

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