1984
Band Aid

Do They Know It’s Christmas?

DO THEY KNOW IT’S CHRISTMAS? stand im Zentrum eines überaus erfolgreichen Charity-Projektes, mit dem 48 überwiegend britische und irische Popstars angesichts der seit 1983 andauernden verheerenden Hungerkatastrophe in Äthiopien durch Honorarverzicht Geld für Hilfsprojekte aufbrachten.

I. Entstehungsgeschichte

Im Oktober 1984 führte die Ausstrahlung einer BBC-Fernsehdokumentation über eine Hungerkatastrophe geradezu biblischen Ausmaßes in Äthiopien bei dem Lead-Sänger der irischen Punk-Band Boomtown Rats, Bob Geldof (*1951), zu dem Entschluss, mit den Mitteln der Popmusik sowohl weltweite Aufmerksamkeit für das Problem zu generieren als auch mit der Produktion einer Charity-Single Geld zur Linderung der Not vor allem der Kinder in den betroffenen Regionen Afrikas zu sammeln. Für Geldof war es der erste Schritt in Richtung eines Engagements, das der Popmusik so etwas wie ein soziales Gewissen zu vermitteln suchte und aus ihm selbst einen der prominentesten politischen Aktivisten der Popmusik machte. Er verfasste den Text zu DO THEY KNOW IT’S CHRISTMAS? und wandte sich an Midge Ure (*1953), Frontmann der britischen New Wave-Band Ultravox, für die Musik. Gemeinsam gründeten sie die Supergruppe Band Aid, in der sich fast 50 Stars der Popmusik zusammenfanden, um etwas gegen die Hungersnot in Afrika zu tun. Ein Interview in einer populären Sendung des BBC-Programms Radio One, das Anfang November 1984 eigentlich zur Promotion des Boomtown Rats-Albums In the Long Grass (1984) geplant war, nutzte er, um seine Idee in die Öffentlichkeit zu tragen. Das löste einen Medien-Hype aus, in dessen Folge in nicht einmal zwei Wochen die Produktion der Single und ihre Pressung realisiert waren. Da Popstars in langfristige Projekte und Verträge eingebunden sind, war dies eine phänomenale organisatorische und logistische Leistung. Aufgenommen und abgemischt wurde der Song am 24. November 1984 in den Sarm West Studios des prominenten britischen Produzenten Trevor Horn (*1949), der die entsprechende Studiokapazität 24 Stunden kostenlos zur Verfügung stellte. Die Backing Tracks waren vor dem eigentlichen Aufnahmetermin im Studio von Midge Ure produziert worden. Die Führungsstimmen für die Vokalisten hatten Sting (*1951) und der Duran Duran-Sänger Simon Le Bon (*1958) in ihren Studios aufgenommen und Midge Ure, dem Produzenten der Single, zugeschickt. Beide nahmen ihre Parts aber gemeinsam mit allen anderen noch einmal auf. Trevor Horn, der selbst an der Produktion aus Termingründen nicht teilnehmen konnte, steuerte den 12-inch-Mix für die Maxi-Single bei. Die am 28. November 1984 erschienene Single mit “Feed the World” auf der Rückseite, die gerade rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft in die Geschäfte kam, mündete in ein Charity-Projekt, das in dem Doppelkonzert Live Aid im Sommer 1985 seinen Höhepunkt fand.

II. Kontext

Geldof selbst hatte erstmals 1981 bei einem Charity-Projekt mitgewirkt, The Secret Policeman’s Other Ball Show für die britische Sektion von Amnesty International, und dabei erfahren, welches karitative Potenzial in der Popmusik steckt. Die Idee, mit einer Charity-Single gegen die Hungerkatastrophe in Äthiopien etwas zu unternehmen, knüpfte an ein ähnlich gelagertes Projekt von Ex-Beatles-Gitarrist George Harrison (1943-2001) und dem indischen Sitar-Virtuosen Ravi Shankar (1920-2012) aus dem Jahr 1971 an, dem Concert for Bangladesh. Als George Harrison und Friends kamen Ex-Beatle Ringo Starr, Bob Dylan, Eric Clapton, Billy Preston, Leon Russell und die Band Badfinger auf der Bühne des New Yorker Madison Square Garden zusammen, um Geld für die Unabhängigkeitsbewegung der Bengali im Osten Pakistans einzuspielen. Das Konzert mit 40.000 Besuchern, der im Anschluss daran als Album veröffentlichte Live-Mitschnitt und die 1972 in die Kinos gekommene Film-Dokumentation des Konzerts brachten damals rund 12 Millionen US-Dollar auf. Obwohl Geldof weit bescheidenere Erwartungen hatte, übertraf er das historische Vorbild bei Weitem. Der Gesamterlös der Aktion lag bei über 150 Mill. £.

Die Sensibilisierung für gesellschaftspolitische Probleme und das damit verbundene politische Engagement auch in den Reihen der Popmusik waren in Großbritannien damals von einer großen Streikwelle befördert worden. Im Frühjahr 1984 wurde das Land durch einen monatelangen Streik der Bergarbeiter erschüttert, der eine breite Solidarisierungswelle in der britischen Öffentlichkeit auslöste. Auch eine große Zahl von Musikern und Bands unterstütze die Bergarbeitergewerkschaft mit Solidaritätskonzerten und Aktionen. Musiker wie Sting, Billy Bragg, die Punk-Band The Mekons und U2 widmeten dem Streik Songs und transportierten damit ein Bewusstsein für die soziale Verantwortung gerade auch derjenigen, die auf Grund ihrer Popularität ein gesellschaftspolitisches Anliegen wie das der streikenden Bergarbeiter massenwirksam unterstützen konnten. Überzeugend wurde damit demonstriert, dass sich politisches Engagement und Popmusik nicht ausschließen, die Popmusik ihre Anziehungskraft mitnichten verliert, wenn sie sich in den Dienst eines sozialen Anliegens stellt. Als im Oktober 1984 mit The Last Nightingale, ein Album der Avantgarde-Rockband Henry Cow und dem Sänger Robert Wyatt (*1945), Gründungsmitglied der legendären Rockband Soft Machine, erstmals eine Charity-Platte in England erschien, dessen Einnahmen den Familien der streikenden Bergarbeiter zugute kamen, hatte das Band Aid-Projekt einen unmittelbaren Vorläufer gefunden, an den Bob Geldof anknüpfen konnte.

III. Analyse

DO THEY KNOW IT’S CHRISTMAS? besteht aus fünf Teilen, die sich stufenweise aufbauen und deutlich gegeneinander abgesetzt sind. Teil I (“It’s Christmastime / there’s no need to be afraid!) besteht aus 16 Takten, denen ein kurzes viertaktiges Intro vorangesetzt ist. Er ist geprägt von der verhaltenen Offbeat-Akzentuierung auf dem vierten, statt dem im Viervierteltakt regulären fünften Achtel des Schlagzeugs, das vor dem Hintergrund sparsamer Keyboardflächen spannungsvoll mit den Gesangslinien korrespondiert. Der Text gibt hier den Grundtenor des Songs vor: Folge der Weihnachtsbotschaft und teile mit den Bedürftigen! Der sich unmittelbar anschließende Teil II (“But say a prayer to pray for the other ones”) basiert auf einer treibenden Achtel-Rhythmusunterlage, die die einsetzende Bassgitarre liefert, während das Schlagzeug nun Onbeat die Eins und Drei markiert. Dieser 24 Takte umfassende Teil erhält dadurch, passend zu dem appellativen Text dieses Teils, einen wesentlich bewegteren Charakter. Die Liedzeilen sind in diesen ersten beiden Teilen jeweils anderen Sänger zugeordnet, beginnend mit Paul Young, gefolgt von Boy George, George Michael, Simon Le Bon, Tony Hadley und noch einmal Simon Le Bon, dem sich dann schon im zweiten Teil Sting zugesellt, so dass aus dem einstimmigen Gesang des ersten Teils nun ein mehrstimmiger, zunächst zwei-, mit dem Hinzutreten von Bono zu Le Bon und Sting dann dreistimmiger Gesang wird. Der dritte, wieder 16taktige Teil (“And there won’t be snow in Africa this Christmastime”) ist chorisch, wobei unterschiedliche Stimmen in den Vordergund gemischt sind. Der Text lässt hier das Elend in Afrika anklingen. Der Teil endet mit der leicht abgewandelten Titelzeile (“Do they know it’s Christmastime at all”), die sich im weiteren Verlauf des Songs dann zu einem Bestandteil des Refrains entwickeln wird. Teil IV, sechzehntaktig, ist in sich noch einmal zweigeteilt und bildet die kontrastierende Bridge des Songs, mit kurzen melodischen Floskeln in den ersten acht Takten (“Here’s to you, raise a glass for ev’ryone”), die wieder auf unterschiedliche Sänger aufgeteilt sind (Paul Weller, Glenn Gregory, Marilyn) und erneut in das “Do they know it’s Christmastime at all” münden, bevor sie in einen ebenfalls achttaktigen Instrumentalteil übergehen. Hier laufen die Begleitstimmen unverändert und ohne melodische Zutat durch. Das markiert eine Zäsur, denn danach erhält der Song einen ausgeprägt hymnischen Charakter. Dieser letzte, wieder 24taktige Teil (“Feed the world”) basiert lediglich auf zwei refrainartig angeordneten und im Wechsel gesungenen Textzeilen – “Feed the world” und “Do they know it’s Christmastime at all”, das am Ende in “Let them know it’s Christmastime again” übergeht . Gesungen von allen Mitwirkenden im Chor bildet das den Höhepunkt des Songs, mit dem er auch ausklingt.

IV. Rezeption

DO THEY KNOW IT’S CHRISTMAS? wurde mit dreieinhalb Millionen verkauften Exemplaren in nur fünf Wochen zu einer der am schnellsten und am häufigsten verkauften Single, die je im Mutterland der Beatles erschienen ist, übertroffen nur von Elton Johns Prinzessin-Diana-Tribute “Candle in the Wind” (1997). Die Platte erreichte noch in der Woche ihres Erscheinens Platz 1 der britischen Single-Charts, wo sie sich 5 Wochen lang hielt. Mit dem Verkauf allein der Single wurden 5 Millionen £ an Spendengeldern aufgebracht. Als bekannt wurde, dass der britische Fiskus nicht bereit war, auf die Umsatzsteuer zu verzichten, kam es zu einem heftigen Disput zwischen Bob Geldof und der britischen Regierung, die angesichts des Drucks in der Öffentlichkeit dann aber doch einlenkte.

Geldof realisierte schon bald, dass mit Geld allein das Problem des Hungers in Afrika nicht zu lösen ist, da ein Zehnfaches der aufgebrachten Hilfsgelder aus den betroffenen Ländern zur Tilgung ihrer Schulden bei diversen westlichen Großbanken wieder herausfloss. Mit Live Aid, einem siebenstündigen Doppelkonzert, das sich an das Band Aid-Projekt anschloss und im Juli 1985 per Satellitenübertragung das Londoner Wembley Stadion und das John F. Kennedy Stadium in Philadelphia miteinander verband, wurde das Prinzip Charity durch Superstars nicht nur um eine beträchtliche Dimension erweitert, sondern mit aufklärerischen und aufrüttelnden Statements der Künstler verbunden, die die politischen Ursachen des Hungers in Afrika anprangerten. In den beiden Stadien versammelten sich 100.000 Zuschauer, die Fernsehübertragung erreichte fast zwei Milliarden Menschen.

Mit Band Aid II wurde der Song im Dezember 1989 noch einmal aufgenommen, um das Problem des Hungers in Afrika erneut ins öffentliche Bewusstsein zu heben. Die Produktion lag diesmal in den Händen von Pete Waterman (*1947) und wurde hauptsächlich mit Künstlern aus der Songschmiede des Pop-Triumvirats Stock-Aitken-Waterman wie Bananarama, Glen Goldsmith, Kylie Minogue, Jimmy Somerville oder Wet Wet Wet realisiert. Auch diese Version platzierte sich an der Spitze der britischen Single-Charts ebenso wie die 2004 dann wieder von Midge Ure produzierte dritte Version, Band Aid 20, die einen Teil der Künstler aus den beiden vorangegangenen Fassungen vereinigte. Insgesamt fließen in den zur Verwaltung der Einnahmen aus dem Song gegründeten Band Aid Trust noch immer jährlich etwa 2 Millionen £, denn der Song ist nach wie vor ein fester Bestandteil von Weihnachts-Kompilationen. Das Video zu DO THEY KNOW IT’S CHRISTMAS? erhielt 1986 eine Grammy-Nominierung als bestes Musikvideo. In den USA wurde die Aktion 1985 zum Vorbild für die Initiative USA for Africa und deren Song-Projekt “We Are the World “.

Auch wenn der Erfolg der mit dem Song verbundenen Charity-Aktion nicht in Frage steht, gab es auch Kritik, die einen grundsätzlichen Disput über die Legitimität solcher Charity-Aktionen im Kontext der Popmusik auslöste. So wurde darauf verwiesen, dass der Imagegewinn für die Künstler in keinem Verhältnis zu ihrem Honorarverzicht stehe. Kritisch vermerkt wurde auch, dass die Aktion de facto ein kostenloses globales Marketing für die beteiligten Plattenfirmen darstellte. Ferner ist der Vorwurf erhoben worden, dass der Kauf der Single eine Art modernen Ablasshandel darstelle, der zwar das Gewissen beruhige, an die Ursachen des Problems aber nicht heranreiche. Die Verteidiger machten demgegenüber geltend, dass die über das Medium Popmusik transportierten Botschaften mehr Menschen erreichen als jede andere Form der Kommunikation und es deshalb nicht nur legitim, sondern geboten sei, dieses Medium auch für gesellschaftspolitische Anliegen zu nutzen, um so mehr, wenn sich damit Geld für Hilfsprojekte aufbringen lässt, das ansonsten nicht zur Verfügung steht.

 

PETER WICKE


Credits

Komposition: Midge Ure
Text: Bob Geldof
Gesang: Adam Clayton (U2), Phil Collins (Genesis), Bob Geldof (The Boomtown Rats), Steve Norman (Spandau Ballet), Chris Cross (Ultravox), John Taylor (Duran Duran), Paul Young, Tony Hadley (Spandau Ballet), Glenn Gregory (Heaven 17), Simon Le Bon (Duran Duran), Simon Crowe (The Boomtown Rats), Marilyn Keren Woodward (Bananarama), Martin Kemp (Spandau Ballet), Jody Watley (Shalamar), Bono (U2), Paul Weller (The Style Council), James “J.T.” Taylor (Kool & the Gang), George Michael (Wham!), Midge Ure, (Ultravox), Martyn Ware (Heaven 17), John Keeble (Spandau Ballet), Gary Kemp (Spandau Ballet), Roger Taylor (Duran Duran), Sara Dallin (Bananarama), Siobhan Fahey (Bananarama), Pete Briquette (The Boomtown Rats), Francis Rossi (Status Quo), Robert ‘Kool’ Bell (Kool & the Gang), Dennis J. T. Thomas (Kool & the Gang), Andy Taylor (Duran Duran), Jon Moss (Culture Club), Sting (The Police), Rick Parfitt (Status Quo), Nick Rhodes (Duran Duran), Johnny Fingers (The Boomtown Rats), David Bowie, Paul Stanley (Kiss), Roger Daltrey (The Who), Steven Tyler (Aerosmith), Michael Jackson, Boy George (Culture Club), Holly Johnson (Frankie Goes to Hollywood), Paul McCartney, Stuart Adamson (Big Country), Bruce Watson (Big Country), Tony Butler (Big Country), Mark Brzezicki (Big Country)
Bass: John Taylor
Schlagzeug: Phil Collins
Keyboards: Midge Ure
Percussion/Bells: Jon Moss
Gitarre: Gary Kemp
Toningenieur: Steve Lipsom
Produzent: Midge Ure

Recordings

  • Band Aid. Do They Know It’s Christmas?, 1984, Phonogram, FEED 1, UK (Vinyl/ 7”-Single).
  • Band Aid. “Do They Know It’s Christmas?” (12″ Mix); “Do They Know It’s Christmas?” (Standard Mix), Do They Know It’s Christmas, 1984,Phonogram, FEED 112, UK (Vinyl/12”).
  • Band Aid II. “Do They Know It’s Christmas?”; “Do They Know It’s Christmas (Instrumental)”, Do They Know It’s Christmas?, 1989, PWL Records/Polydor, 873 646-2, UK (CD/Single).
  • Band Aid 20. “Do They Know It’s Christmas?”; “Do They Know It’s Christmas (Original)”; “Do They Know It’s Christmas?” (Performed At Live Aid, 1985), Do They Know It’s Christmas?, 2004, Mercury, 9869413, UK (CD/Single).

References

  • Rijven, Stan; Marcus, Greil; Straw, Will: Rock for Ethiopia: Papers from the Third International Conference on Popular Music Studies. Montreal: 07/1985, Montreal: IASPM 1986.
  • Ullestad, Neal: Rock and Rebellion: Subversive Effects of Live Aid and ‘Sun City’. In: Popular Music VI/01 (1987), 67-76.
  • Street, John: Rebel Rock. The Politics of Popular Music. Oxford: Basil Blackwell 1986.
  • Garofalo, Reebee: Understanding Mega-Events. If We Are the World, Then How Do We Change It?. In: Rockin’ the Boat. Mass Music & Mass Movement. Ed. by Reebee Garofalo. Boston: South End Press 1992, 15-36.
  • Ure, Midge: If I Was. The Autobiography. London: Virgin Books 2004.
  • Geldof, Bob: Is That It?. London: Macmillan 2013.

Films

  • Band Aid. Do They Know It’s Christmas? – The Story Of The Official Band Aid, 1984, Vestron Video, VA0995, US (VHS/NTSC).

About the Author

Prof. Dr. Peter Wicke is a retired professor of musicology. From 1992 to 2016 he held the chair for "Theory and History of Popular Music" at the Humboldt University Berlin.
All contributions by Peter Wicke

Citation

Peter Wicke: “Do They Know It’s Christmas? (Band Aid)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/dotheyknowitschristmas, 12/2013 [revised03/2014].

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