DON’T LOOK BACK IN ANGER ist einer der größten Hits der britischen Band Oasis und gilt vielen als “Hymne” der Britpop-Ära.
I. Entstehungsgeschichte
DON’T LOOK BACK IN ANGER ist der vierte Track auf (What’s the Story) Morning Glory?, dem zweiten Studioalbum von Oasis (erschienen am 5.10. 1995). Der Song wurde außerdem als fünfte Single ausgekoppelt (mit den B-Sides “Step Out”, “Underneath the Sky” und “Cum On Feel the Noize”; Release: 19.2.1996). Für Musik und Text zeichnet Noel Gallagher, Gitarrist und kreativer Kopf der Band, verantwortlich. Nach ihrem kommerziell erfolgreichen Debütalbum Definitely Maybe (1994) begannen Oasis im Frühjahr 1995 mit der Arbeit am Nachfolgealbum. Bereits früh kristallisierte sich heraus, dass Songwriter Noel Gallagher den Sound der Band verändern wollte. Der Weg führte weg von den schroffen, rocklastigen Arrangements, die noch auf Definitely Maybe dominierten, hin zu balladenhaften und hymnisch-epischen Klängen. Die ersten kompositorischen Skizzen zu DON’T LOOK BACK IN ANGER entstanden auf einer akustischen Gitarre. In dieser Ur-Fassung präsentierte Noel Gallagher den Song auf einem Konzert in Sheffield im Frühjahr 1995. Diese intime Form der Darbietung sollte sich jedoch nicht als richtungsweisend für das finale Arrangement erweisen. Vielmehr wurde ein üppiges Klangbild angestrebt, das neben mehreren Gitarrenspuren, Haupt- und Nebengesang, Bass und Schlagzeug noch einen Pianopart und eine Keyboardspur (aufgenommen mit einem Mellotron) einschließt.
II. Kontext
Oasis sind Teil einer musikalischen Strömung in den 1990er Jahren, für deren sprachliche Kennzeichnung sich im Laufe der Zeit der Ausdruck “Britpop” durchgesetzt hat. Die Künstler, die dieser Strömung zugerechnet wurden – es handelte sich vornehmlich um Bands –, entstammten dem gegenkulturellen Umfeld des Indie-Rock. Der Ausdruck “Britpop” rekurriert zum einen auf den Tatbestand, dass in musikalischer Hinsicht eine Anknüpfung an die erfolgreichen britischen Rockgruppen der 1960er und 1970er Jahre, wie z.B. The Beatles, The Kinks oder The Who, sowie an die Bands der sogenannten Madchester-Szene (v.a. The Stone Roses, The Happy Mondays und Inspiral Carpets) gesucht wurde. Zum anderen wurde über Themen gesungen, die die Lebenswelt der Menschen in Großbritannien betraf. Der Britpop stellte zudem eine Antwort auf den globalen Siegeszug von US-amerikanischen Grunge-Bands zu Beginn der 1990er Jahre dar. In den Augen vieler Musiker und Fans repräsentierte Grunge nur unzureichend die Identität der britischen Jugend. Ausdruck des mit dem Briptpop einhergehenden Nationalbewusstseins war die häufige Verwendung des Union Jack in Bereichen wie Artwork, Mode, (Musik-)Journalismus und Merchandising. Die Hochphase des Britpop lag in der Mitte der 1990er Jahre, sein Ende fällt zusammen mit dem Beginn der 2000er Dekade. Zu seinen prominentesten Vertreter gehören neben Oasis die Bands Blur, Pulp und Suede. Die Verengung auf Themen und Ausdrucksweisen, die als originär britisch empfunden wurden, kann letztlich auch als Erklärung für den nicht erfolgten Durchbruch von Britpop-Bands in den USA herangezogen werden.
III. Analyse
Der Song dauert sowohl in der Album- als auch in der Singleversion 4:47 Minuten. In ihm kommen Hauptgesang, Nebengesang, E-Gitarre (I und II), E-Bass, Klavier, Mellotron und Schlagzeug zum Einsatz. Sein tonales Zentrum ist C-Dur. Auffällig ist die Stimmung der Instrumente, die mit 455 Hz (Kammerton a’) deutlich über der Normfrequenz von 440 Hz liegt. Der Formverlauf bewegt sich in dem für Pop- und Rocksongs typischen Spektrum und konstituiert sich konkret in den Abschnitten Intro, 1. Strophe, Bridge, Refrain, Zwischenspiel, 2. Strophe, Bridge, Refrain, Gitarrensolo, Refrain (2x) und Outro. Im Hinblick auf die Harmonien fällt auf, dass Strophe und Refrain auf der gleichen Akkordfolge basieren, konkret: C G | Am E7 | F G | C Am G – komplettiert wird das harmonische Konzept des Songs in der Bridge durch die Akkordfolge F Fm | C | F Fm | C | F Fm | C | G | Gis0 | Am G | F | G | G.
Die Differenz zwischen Strophe und Refrain wird vor allem auf den Ebenen Songtext und Melodieführung (Gesang) markiert. Während in den Strophen ein erzählender Stil in Ich-Perspektive vorherrscht und in mittlerer Lage gesungen wird, strebt der Gesang im Refrain in deutlich höhere Lagen (mit dem Spitzenton g”), die Erzählperspektive wechselt zeitweise in die dritte Person. Auf Instrumentenebene zeigt sich der Unterschied zwischen beiden Formteilen am deutlichsten durch das lediglich im Refrain eingesetzte Tamburin. Eine weitere hervorstechende Eigenschaft von DON’T LOOK BACK IN ANGER ist der Zitat-Charakter des Intros. Historischer Bezugspunkt ist das markante Klavier-Intro des John-Lennon-Klassikers “Imagine” aus dem Jahr 1971. Übernommen wird die in einer Achtel-Pendelbewegung vollzogene partielle Brechung von Dreiklängen (C-Dur und F-Dur) in eine Oberterz und einen verbleibenden unteren Einzelton. Dabei wird C-Dur in der Grundstellung und F-Dur in der zweiten Umkehrung gespielt. Ergänzt wird dieses Pattern durch Gitarren-Licks, wodurch der Zitat-Charakter jedoch nur leicht abgeschwächt wird. Bemerkenswert an dem Song ist auch sein hymnischer Gestus, der vor allem im Refrain zum Tragen kommt. Grundlage hierfür ist die Melodie des Gesangsparts, die sich ausschließlich in diatonischen Schritten (Achtelketten) vom lang gehaltenen Spitzenton g” (halbe Note) zum Grundton c” abwärts bewegt. In Bezug auf den Gesangspart ist zudem festzuhalten, dass er von Noel Gallagher und nicht, wie in der überwiegenden Mehrzahl der Oasis-Songs, von Frontmann Liam Gallagher übernommen wird – ein Umstand, der letztlich die überaus große Identifikation des Songwriters mit “seinem” Song herausstellt.
Der Songtext wird durch die gedankliche Auseinandersetzung des singenden (männlichen) Ich-Erzählers mit einem fiktiven Gegenüber, im Refrain als Sally ausgewiesen, bestimmt. Die Auseinandersetzung findet in einem Spektrum von Ratschlägen (“Don’t you know you might find a better place to play”), Wünschen (“Take me to the place where you go”, “Please don’t put your life in the hands of a rock ‘n’ roll band”) und Beschwörungen (“You ain’t never gonna burn my heart out”) statt. Aufklärung über den Charakter der geschilderten Beziehung verschafft die direkte Rede im Refrain, hier heißt es: “‘But don’t look back in anger’, I heard you say”. Sonach scheint es, als sei die Liebesbeziehung zwischen Ich-Erzähler und besagter Sally zu einem Ende gekommen. Der Songtext nimmt sich demnach als eine “Abrechnung” mit einer verflossenen Liebhaberin aus. Das hierbei wiedergegebene Gefühlsspektrum umfasst Wut, Sehnsucht (siehe oben) und Wehmut (“My soul slides away”). Wie das Instrumental-Arrangement enthält auch der Songtext eine Referenz auf John Lennon. So nimmt die Eröffnung der zweiten Strophe (“So I’ll start a revolution from my bed”) Bezug auf die sogenannten Bed-Ins, mit denen John Lennon und seine Ehefrau Yoko Ono im Jahr 1969 gegen den Vietnam-Krieg protestierten. Die Referenz steht in keinem direkten Zusammenhang mit dem Erzählmotiv, vielmehr scheint ihre eigentliche Funktion darin zu bestehen, das Moment der Huldigung – an John Lennon und die britische Popkultur allgemein (siehe II. Kontext) – zu festigen.
IV. Rezeption
DON’T LOOK BACK IN ANGER kann insgesamt als künstlerischer und kommerzieller Erfolg der Band bewertet werden. Der Song stieg in den britischen und irischen Charts bis auf Platz eins und wurde von der Musikpresse wohlwollend bis euphorisch besprochen. Die anhaltende Popularität des Songs drückt sich nicht zuletzt in Form von hohen Platzierungen in listenförmigen Pop-Kanonisierungen wie den “100 Greatest Songs Ever” (Q Magazine, Platz 20) aus. Offizielle Konzertmitschnitte sind auf den Live-DVDs Familiar to Millions (2000) und Live in London at the Electric Proms (2008) enthalten. Das Musikvideo zum Song unterstützte seinerseits dessen Rezeption als Inbegriff britischer Popkultur. Eine tragende Rolle kam dabei dem Schauspieler Patrick Macnee zu, der in den 1960er Jahren weltweiten Ruhm durch die britische Erfolgsserie Mit Schirm, Charme und Melone (im Original: The Avengers) erlangte und im Video gewissermaßen die Britishness dieser Serie verkörperte. Seit dem Ausscheiden von Noel Gallagher aus Oasis im Jahr 2009 wird der Song von ihm und seiner Band Noel Gallagher’s High Flying Birds live dargeboten.
CHRISTOFER JOST
Credits
Hauptgesang, E-Gitarre, Mellotron: Noel Gallagher
Nebengesang, Percussion: Liam Gallagher
E-Gitarre, Piano, Mellotron: Paul Arthurs
E-Bass: Paul McGuigan
Schlagzeug: Alan White
Autor: Noel Gallagher
Produzent: Owen Morris, Noel Gallagher
Veröffentlichung: 19. Februar 1996 (Konzert Sheffield Arena 22. April 1995)
Länge: 4:47
Recordings
- Oasis. “Don’t Look Back in Anger”, Don’t Look Back in Anger, 1996, Creation Records, CRESCD 221, UK (CD/Single).
- Oasis. “Don’t Look Back in Anger”, Don’t Look Back in Anger, 1996, Epic, ESK 8024, USA (CD/Single).
- Oasis. “Don’t Look Back in Anger”, (What’s the Story) Morning Glory?, 1995, Helter Skelter, HES 481020 2, Europa (CD/Album).
- Oasis. “Don’t Look Back in Anger”, Familiar to Millions, Sony, 2000, DVD 201272 9, Europa (DVD).
References
- Büsser Martin: Gimmie Dat Old Time Religion. In: “alles so schön bunt hier”. Die Geschichte der Popkultur von den Fünfzigern bis heute. Ed. by Peter Kemper, Thomas Langhoff and Ulrich Sonnenschein. Leipzig: Reclam 2002, 38-48.
- Harris, John: Britpop! Cool Britannia and the Spectacular Demise of English Rock. Boston: Da Capo Press 2004.
- Hewitt, Paolo: Oasis. Die Arroganz der Gosse. St. Andrä-Wördern: Hannibal 1997.
- Holert, Tom/ Terkessidis, Mark: Einführung in den Mainstream der Minderheiten. In: Mainstream der Minderheiten. Pop in der Kontrollgesellschaft. Ed. by Tom Holert und Mark Terkessidis. Berlin: Edition ID-Archiv 1996, 5-19.
- 100 Greatest Songs Ever. In: Q Magazine 243 (2006).
Links
- Band homepage: http://www.oasisinet.com/ [05.08.2012].
- Lyrics: http://www.oasisinet.de/lyrics/oasis/ [05.08.2012].
About the Author
All contributions by Christofer Jost
Citation
Christofer Jost: “Don’t Look Back in Anger (Oasis)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/dontlookback, 08/2012 [revised 05/2014].
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