DEUTSCHLAND ist ein Song der Neue-Deutsche-Härte-Band Rammstein von ihrem siebten Studioalbum, erschienen 2019 ohne Titel, üblicherweise aber unter dem Namen der Band geführt.
I. Entstehungsgeschichte
DEUTSCHLAND ist in Text und Musik ein Gemeinschaftswerk von Rammstein. Zur Entstehung erklärte Schlagzeuger Christoph Schneider der Zeitschrift Rolling Stone im Juni 2019: „Ein bestimmter Song machte während der langen, langen Arbeit am Album schon früh energisch auf sich aufmerksam: ein eher mittelschneller, tanztauglicher Wellenbrecher, classic Rammstein, dabei auf seltsame Art tiefenmelancholisch. ‚Mutter!‘ hatte Richard Z. Kruspe in der ersten Demoversion dazu gesungen; er hatte beim Schreiben über seine Familie nachgedacht. Das hätte man so nehmen können. Problem: Einen Song namens ‚Mutter‘ gibt es bei Rammstein schon, seit 2001 … Irgendwann kam dann einer auf die Idee: Lass uns doch ‚Deutschland‘ singen und einen Deutschland-Song daraus machen.“ (Hentschel 2019: 43)
Aufgenommen wurde DEUTSCHLAND im Sommer und Frühherbst 2018 im Rahmen der Produktion des siebten Studioalbums der Band in den La Fabrique Studios im südfranzösischen Saint Rémy de Provence vom Berliner Produzenten, Mixing-Ingenieur und Songschreiber Olsen Involtini (*1985), assistiert vom Inhouse-Ingenieur des Studios Daniel Cayotte. Aufnahme und Produktion der Gitarren besorgte der deutsche Toningenieur und Produzent Sky van Hoff (*1986), der schon am Nebenprojekt von Rammstein-Gitarrist Richard Kruspe (*1967), die Bandformation Emigrate, als Produzent beteiligt war. Für die Logic- und Protools-Programmierung war Florian Ammon (*1978) zuständig, mit dem die Band seit ihrem dritten Album zusammenarbeitet. Mitgewirkt an der Produktion hat ferner die deutsche Musikerin, Journalistin und Autorin Meral Al-Mer (*1981), deren Stimme dem letzten Chorus des Songs als Background Vocal hinzugemischt ist. Das Mastering lag in den Händen des finnischen Toningenieurs Svante Forsbäck (*1971), der bereits für die 2015 als Rammstein XXI erschienene Kompilation den gesamten Rammstein-Katalog in HD-Sound remastert hatte.
DEUTSCHLAND erschien als digitale Veröffentlichung zusammen mit einem von Richard Kruspe realisierten Remix des Songs als Vorab-Release zum Album am 28. März 2019 auf verschiedenen Streaming-Plattformen und am 12. April 2019 als Vorab-Auskopplung aus dem Album sowohl als CD- als auch als 7’’-Vinyl-Single, begleitet von einem auf YouTube spektakulär in Szene gesetzten neunminütigen Video, das der Berliner Regisseur und Grafikdesigner Eric „Specter“ Remberg (*1975) produziert hatte. Das Album erschien schließlich am 17. Mai 2019 beim Vertigo/Capitol-Label der Berliner Universal Music Domestic Division.
II. Kontext
Mit DEUTSCHLAND meldete sich Rammstein nach zehnjähriger Studio-Abstinenz, die sich die Band nach Veröffentlichung ihres sechsten Albums Liebe ist für alle da (2009) gewährt hatte, erstmals wieder mit einer Studioproduktion zurück. Angesichts der langen Pause hatte es inzwischen schon Auflösungsgerüchte gegeben. An diesen war zwar nichts dran, auch wenn es durchaus Verschleißerscheinungen im Bandgefüge gab. Schon in den Jahren 2005 bis 2009, zwischen den Alben Rosenrot (2004) und Liebe ist für alle da, hatte es eine längere Pause gegeben, nachdem die Band seit ihrer Gründung 1995 neben ihrer Arbeit im Studio im Jahresrhythmus auf ausgedehnten Tourneen in Deutschland, Europa, Nord- und Südamerika faktisch ununterbrochen unterwegs gewesen war. In dieser Zeit, 2005, begann Gitarrist Richard Kruspe sein Nebenprojekt Emigrate, eine multinationale Metal-Band. Nach Fertigstellung des sechsten Rammstein-Albums 2009 begann eine weitere Phase intensiven Tourneebetriebs mit 118 Shows in 40 Ländern auf fünf Kontinenten (Europa, Südamerika, Nordamerika, Ozeanien, Afrika), die 2013 unterbrochen wurde. Danach begann Sänger Till Lindenmann eine Zusammenarbeit mit dem schwedischen Gitarristen Peter Tägtgren (*1970), die 2015 in das Album Skills of Pills mündete, mit dem das unter der Bezeichnung Lindemann firmierende Duo auf Tournee ging. Obwohl es damit so aussah, als habe sich ein Teil der Bandmitglieder selbständig gemacht – denn auch Kruspe legte in der Zwischenzeit zwei weitere Alben mit Emigrate vor und war mit dieser Band auf Tournee –, nahm Rammstein 2016 den Tourneebetrieb mit 47 Shows in 23 Ländern auf drei Kontinenten (Europa, Nord- und Südamerika) wieder auf und trat damit überzeugend allen Auflösungsgerüchten entgegen. Allerdings brauchte es inzwischen dringend neue Songs, um die bei den Fans so überaus beliebten, aufwendig inszenierten Rammstein-Shows erfolgreich fortzusetzten. Die 2015 in einer limitierten Auflage von weltweit 14.000 Stück als Rammstein XXI veröffentlichte Kompilation mit allen bis dahin erschienenen Rammstein-Alben in einer remasterten Version plus Raritäten erschien da eher wie eine Verlegenheitslösung, zumal ab 2017 die in der Kompilation enthaltenen Alben auch noch einmal einzeln auf den Markt gebracht wurden. Mit dem unbetitelten Studioalbum von 2019 erschienen schließlich wieder elf neue Rammstein-Songs, darunter DEUTSCHLAND.
III. Analyse
DEUTSCHLAND besteht aus einer stark modifizierten klassischen Songform, die die beiden Textstrophen und den mehrfach, allerdings nicht wortgleich wiederholten Refrain so in den vierteiligen Aufbau eines AABA-Modells unterbringt, dass der Text mit seinen vielschichtigen Ambivalenzen deutlich im Fokus bleibt, ohne dabei mit der gitarrendominierten Stilistik der Band in Konflikt zu geraten. Dabei ist der Song wie alle Rammstein-Songs vom Sound her konzipiert und wird zunächst in einer mit 35 Takten ungewöhnlich langen Einleitung entfaltet. Der Song beginnt mit einer hektisch pulsierenden Keyboard-Figur, die nach vier Takten durch den stählernen Sound der tiefenbetonten E-Gitarren über dem dröhnenden Schlagzeug eingerahmt wird. Die Strophen des Liedes, die einen besonderen Reiz aus den echoartigen Einschüben erhalten („Du [Du hast, du hast, du hast, du hast] / Hast viel geweint [Geweint, geweint, geweint, geweint] …“) erstrecken sich über jeweils 24 Takte und bilden mit dem 16-taktigen Refrain („Deutschland, mein Herz in Flammen / Will Dich Lieben und verdammen …“) eine Formeinheit, den Teil A der Songarchitektur. Der besteht damit aus zwei vor allem melodisch deutlich voneinander abgesetzten Segmenten, die erst im weiteren Verlauf des Songs ihre Einheit zu erkennen geben. Sie sind einerseits der Textstrophe (a), andererseits als Chorus dem Refrain (b) zugeordnet. Musikalisch wird dieser Teil A nun in einer modifizierten Form mit der zweiten Strophe, in der die Perspektive vom „Du“ zum „Ich“ wechselt, wiederholt. Die Modifikation erfolgt im Chorus. Im ersten Teil des Songs wird er nach fünf Takten nach den ersten Zeilen des Refrains mit der Einleitungsfigur instrumental aufgefüllt. Das Aufgreifen der Einleitung unterstreicht die Zäsur und betont die Wiederholung, die mit Beginn der zweiten Strophe einsetzt. Ihr folgt der Refrain statt mit vier mit acht Textzeilen ohne instrumentale Auffüllung. Aber auch hier schließt sich ein Abschnitt an, der die Einleitung mit ihrer charakteristischen Keyboardfigur wiederholt. Doch jetzt leitet er in die 32-taktige Bridge des Songs (Teil B) über, deren erste Hälfte instrumental mit dem Material der Einleitung bestritten wird. Das kommt auch in der ebenfalls wieder zweiteiligen Coda zur Anwendung, bevor der Song im zweiten Teil der Coda mit einer achttaktigen Klavierfigur buchstäblich verhallt. Insgesamt ergibt die Architektur des Songs das folgende Bild:
Formteile: In – A(a b[In]) – A‘(a b) – B[In] – A’’(b) – Out
Länge (Takte) 35 24 16 24 16 16+16 16 16
Der Text ist eine kunstvolle Hommage an Deutschland, die die Zerrissenheit und Ambivalenz im Verhältnis zu diesem Land und seiner Geschichte sowie mit einer unüberhörbaren Deutlichkeit die Haltung der Band dazu zum Ausdruck bringt. Es sind die ausdrucksstarken Wortbilder („Deutschland! Dein Atem kalt / so jung und doch so alt“) und das Spiel mit dem Präfix „über“ („Überheblich, überlegen / Übernehmen, übergeben / Überraschen, überfallen“), die dem Text seine Eindringlichkeit verleihen. Letzteres kulminiert in eine Referenz an die ersten Strophen des „Liedes der Deutschen“ von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, die sich auf so fatale Weise mit Deutschlands Geschichte verbindet, fungierte sie doch während der Nazi-Zeit als Nationalhymne. Während es bei Hoffmann von Fallersleben „Deutschland, Deutschland über alles / Über alles in der Welt“ heißt, mündet bei Rammstein die Wortreihung von „überheblich“ bis „überfallen“ in die Formulierung „Deutschland, Deutschland über allen“. Der eine Buchstabe, der aus dem „alles“ ein „allen“ macht, bewirkt einen gewaltigen Unterschied, erfordert aber ein genaues Hinhören. Auch wenn der Reim hier nur das „über allen“ zulässt, vom Sinnzusammenhang im Text ganz abgesehen, liegt die Provokation eben darin, dass genau hingehört werden muss. Das entspricht ganz der Tradition von Rammstein, die die beabsichtigten Wirkungen ihrer Songs immer durch Provokation und provozierende Ambivalenzen zu erzielen suchen.
Das von Eric „Specter“ Remberg zum Song produzierte Video stattet diesen nach einem deutlich verlängerten Intro und einem hinzugefügten Klavier-Outro von Clemens Pötzsch (*1985), der bereits das Klavier-Album mit Rammstein-Songs, Rammstein – XXI Klavier (2015) erstellt hatte, auf der Basis des Rammstein-Songs „Sonne“ mit einer opulenten Bilderfülle aus 2000 Jahre deutscher Gewaltgeschichte aus – von den Schlachten in Germaniens Vorzeit über die Raubzüge der Kreuzritter, die Nazi-Vergangenheit, den Terror der Roten-Armee-Fraktion, das Angst-Regime der Stasi bis hin zu den obligaten Gewaltexzessen auf vielen heutigen Demonstrationen. Angefüllt ist dies mit einer Vielzahl von Spielfilmzitaten.
IV. Rezeption
DEUTSCHLAND erreichte nach der Single-Veröffentlichung am 12. April 2019 auf Anhieb Platz eins und hielt sich dort 22 Wochen. Noch im Veröffentlichungsjahr erzielte der Song mit Single-Verkäufen und zertifiziertem Streaming mehr als 400.000 verkaufte Einheiten in Deutschland und erhielt damit Platin-Status. Er gelangte in 27 Ländern, darunter USA, Neuseeland und ein großer Teil der EU, in die Charts, allerdings nur in der Schweiz ähnlich wie in Deutschland sofort auf Platz eins.
Eine große Rolle für den immensen Erfolg des Songs spielte das außergewöhnliche Video, das mit einer Countdown-Funktion schon einige Tage vor Veröffentlichungstermin des Albums am 28. März 2019, 18:00 Uhr MEZ, im Internet freigeschaltet wurde. Die damit angezettelte Hysterie um das neue Rammstein-Produkt erfuhr noch eine erhebliche Steigerung, als zwei Tage zuvor ein 35-sekündiger Teaser mit einer kurzen Szene aus dem Video auf dem Youtube-Kanal der Band erschien, der die Bandmitglieder in KZ-Häftlingskleidung am Galgen zeigte. Diese Szene entfachte einen medialen Hurrikan der Entrüstung, zumal BILD diverse Vertreter der politischen Öffentlichkeit um Stellungnahme bat, die ihrer Empörung in dem Boulevard-Blatt freien Lauf ließen. Im Video offenbarte sich dann, dass die Szene für das Gegenteil dessen steht, was von allen jenen hineingelesen worden war, die sich zu Kommentaren hatten verleiten lassen. Die auch als „honeypot“ bezeichnet Falle war zugeschnappt und erreichte, was sie erreichen sollte. DEUTSCHLAND brach mit dem Musikvideo alle Rekorde des Internets und überschritt schon zwei Stunden nach Freischaltung die Millionenmarken an Zugriffen.
Mit dem Album, dem der Song vorausgeschickt worden war, erzielte die Band ihr zehntes Nummer-eins-Album in Deutschland. Mit über 260.000 verkauften Einheiten schon in der ersten Woche ist es das erfolgreichste Album, mit dem eine Band seit Jahrtausendbeginn in den Charts an den Start ging.
PETER WICKE
Credits
Music: Rammstein
Text: Till Lindemann
Vocals: Till Lindemann
Backing vocals: Meral Al-Mer
Lead guitar, Gesang: Richard Z. Kruspe-Bernstein
Rhythm guitar, vocals: Paul Landers
Bass guitar, vocals: Oliver Riedel
Keyboards: Christian Lorenz
Drums: Christoph Schneider
Producer: Olsen Involtini, Rammstein, Sky van Hoff
Engineer: Olsen Involtini, Tom Dalgety, Sky van Hoff
Protools & Logic engineering: Florian Ammon
Mixing: Olsen Involtini
Mastering: Svante Forsbäck
Label: Universal Music
Published: 2019
Length (album version): 5:23
Recordings
- „Deutschland“/„Deutschland (Remix By Richard Z. Kruspe)“, 2019, Universal Music 761888, EU, (7’’/Single); Universal Music, 755345, EU, (CD/Single).
- „Deutschland“. On: Untitled, 2019, Universal Music, 0602577493980, EU (CD/Album).
References
- Hentschel, Joachim: Rammstein: Vorsicht, Brandgefahr! Besuch bei Deutschlands erfolgreichster und umstrittenster Band. Was wollen sie, was treibt sie an – und was bereuen sie? In: Rolling Stone 5 (2019), 29.5.2019, 40ff.
- Wicke, Peter: 100 Seiten Rammstein. Stuttgart: Reclam 2019.
Links
- Rammstein – Deutschland (Official Video). URL: https://www.youtube.com/watch?v=NeQM1c-XCDc [06.03.2022].
About the Author
All contributions by Peter Wicke
Citation
Peter Wicke: „Deutschland (Rammstein)“. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, https://www.songlexikon.de/songs/deutschland, 04/2025.
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