1961
Gus Backus

Der Mann im Mond

In Gus Backus’ Karriere als Musiker gab es sicherlich einige Meilensteine. Neben seinen Erfolgen mit seiner früheren Rhythm & Blues-Gruppe, den Del-Vikings, blieb er deutschen Fans mit Hits wie “Da sprach der alte Häuptling der Indianer” und DER MANN IM MOND im Gedächtnis.

I. Entstehungsgeschichte

DER MANN IM MOND erschien im Januar 1961 als Vinylsingle auf dem deutschen Musikmarkt. Die Melodie und der Text stammen von Charlie (bürgerlich Carl) Niessen, einem Polydortexter, der auch Songs für Billy Mo und Hildegard Knef produzierte (vgl. Wölfer 2000: 389). Eingespielt wurde das Lied vom Orchester Johannes Fehring, welches seinerzeit eine der bekanntesten österreichischen Bigbands darstellte. Gus Backus sang zwar auch die B-Seite der Single “Was ist los?”, dabei wurde er jedoch vom Orchester Werner Scharfenberger begleitet. Beide Titel wurden auch in Schlagerfilme eingebunden. Während man DER MANN IM MOND in Im schwarzen Rößl (Regie: Franz Antel) hören konnte, wurde “Was ist los?” in Drei weiße Birken (Regie: Hans Albin) eingebaut.

Gus (bürgerlich Donald Edgar) Backus war zum Erscheinungszeitpunkt der Single bereits fest in der deutschen Musik(er)landschaft verankert. Neben Peter Alexander und Peter Kraus gilt auch Backus als Entdeckung des Schlagerproduzenten Gerhard Mendelson, welcher nicht zuletzt für sein Wildwestfaible bekannt war (vgl. N.N. 1963: 101). Dies spiegelt sich auch teilweise in Backus’ Schlagerrepertoire wider. Mit Wildwest-Nummern wie “Da sprach der alte Häuptling der Indianer” und “Brauner Bär und weiße Taube” stand sein Repertoire im Kontrast zu seiner früheren Musikerkarriere mit der Rhythm & Blues-Gruppe The Del-Vikings, welchen er sich in seiner Zeit bei der amerikanischen Air Force anschloss. Die Songs “Come Go With me” und “Whispering Bells” bescherten ihm und seinen Bandkollegen bereits zwei Top-10-Erfolge in den USA. Im Hause Polydor hatte er dann jedoch unter den Fittichen Mendelsons einen neuen Stil zu verkörpern und auf Deutsch zu singen, was ihm relativ schwer fiel, weshalb er sich mit phonetischen Transkriptionen selbst zu behelfen hatte (vgl. Backus 2011: 43-49). Dies zahlte sich jedoch auch aus und so war er nach nur wenigen Veröffentlichungen kein unbekannter Name auf dem deutschen Musikmarkt mehr.

II. Kontext

Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen waren 1961 grundsätzlich noch vergleichbar mit denen der späten 1950er Jahre: der konservative Grundtenor war noch immer vorhanden und so war auch der biedermeierliche “Rückzug ins Private” (Mendivil 2008: 247) noch in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung gang und gäbe. Günther Mahal sah in diesem gesellschaftlichen Klima einen “Indikator […] [für den] weitreichenden Bankrot[t] bislang fürs ‘Seelenheil’ und für kollektive Leitbilder zuständiger Institutionen” (Mahal 1975: 78). Der Schlager mit seiner Vielfalt an Motiven und Blickwinkeln drängte in dieses Vakuum und bot dem Hörer Identifikationsmöglichkeiten an (vgl. Waldner 2011: 205), in einer Zeit, in der man sich seiner eigenen Position in der Welt, seiner Identität, nicht bewusst war und diese auszuloten versuchte (vgl. Faulstich 2003: 179).

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist auch in den Wettlauf zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion um die Eroberung des Weltraums eingebettet. Nachdem 1957 vom Raumfahrtprogramm der Sowjetunion bereits die ersten erdumkreisenden Satelliten Sputnik 1 und 2 ins All geschickt wurden, reagierten die Verantwortlichen in den USA schnell und schossen noch Ende Januar 1958 ihren eigenen Satelliten in den Weltraum. Bereits der Start der Satelliten wurde als neuer technologischer Maßstab angesetzt und mit Fortschritten, wie der ersten Kernspaltung oder der Entdeckung Amerikas verglichen (vgl. McCurdy 2011: 61-63, 71). Im April 1961 erreichte der Wettlauf einen neuen Höhepunkt, als erstmals ein Mensch ins All flog. Der erste Mann im Weltraum, Juri Gagarin, wurde auf internationaler Ebene jedoch nicht als politischer Sowjetheld wahrgenommen. Auf seinen Reisen nach beispielsweise Frankreich, Großbritannien oder Schweden wurde er vielmehr als Pop-Ikone gefeiert (vgl. Jenks 2012: 205-207). Aufgrund des politischen Bedarfs beider Nationen sich gegenseitig zu übertrumpfen kam es so zu rasanten Entwicklungen auf dem Gebiet der Raumfahrttechnik. 1961 gipfelte dies darin, dass der amerikanische Präsident John F. Kennedy bereits kurz nach seiner Amtseinführung die Landung auf dem Mond noch im selben Jahrzehnt zum essentiellen Ziel US-amerikanischer Politik erhob und so die Weichen für die Mondlandung im Jahr 1969 stellte (vgl. McCurdy 2011: 93). In der populären Musik blieben diese Entwicklungen nicht unkommentiert, wenn auch eine Rezeption primär aus dem amerikanischen Raum im Rahmen der Exotica-Welle stattfand. Hier versuchten Interpreten wie Juan García Esquivel mithilfe verschiedenster Effekte einen möglichst futuristischen Klang zu erzeugen.

III. Analyse

Obwohl sich einiger weniger Effekteinspielungen bedient wird, klingt der Sound von DER MANN IM MOND keineswegs futuristisch, vielmehr erinnert dieser an eine Country&Western-Nummer. “Five, four, three, two, one” ‒ mit der Imitation eines Raketenstart, begleitet von Orgelklängen und einigen verzerrten Effekten beginnt der in D-Dur stehende und im 4/4-Takt gehaltene rund 2:27 Minuten lange Schlager. Von dem angegebenen Orchester treten im Lied nicht alle Musiker in Erscheinung. Den Klang dominieren ein relativ schlichtes Bassspiel und das Spiel mehrerer Gitarren. Das im Hintergrund gehaltene Schlagzeug ist dabei kaum zu vernehmen, genauso wie das Glockenspiel. Zwar ist dieses in allen Teilen des Liedes fortwährend präsent, allerdings ist es nur in den Gesangspausen des Refrains deutlich zu hören. Der begleitende Chor taucht auch nur im Refrain auf, in dem er synchron zu Backus den Text vorträgt.

Die Grundstruktur der ersten Strophe ist mit D | D | A | D | D | A  A7 | D ein relativ simples Abwechseln von Grundakkord und Dominant(sept-)akkord. Die Basslinie, die sich durch das ganze Stück hindurch fädelt, basiert grob auf einem Wechselbassschema. Zu Beginn wird der Hörer direkt mit der Frage angesprochen “Hab’n Sie schon mal den Mann im Mond geseh’n?“. Der Mondbewohner wird dabei einem Menschen klar nachgezeichnet, da das Interesse an seiner Person auf seine Wohnsituation und seinen Beziehungsstatus gerichtet ist. Durch “Man“-Konstruktionen (“Man fragt sich, wohnt der Mann denn auf dem Mond auch schön?”) wird der Eindruck erweckt, als hätten die Klärung dieser Anliegen auch eine gewisse Relevanz für die Hörerschaft. Ein Interesse am Erdtrabanten war gewiss auch in der Öffentlichkeit vorhanden, wenngleich die gestellten Fragen an den Mond und seinen Bewohner doch eher ein humorvoller Umgang mit zeittypischen Erscheinungen der angehenden 1960er ist, die man auf die leere Oberfläche des Monds und in seine Ungewissheit projiziert.

Im Refrain stellt das Hin- und Herspringen von Grund- zu Dominant- und Subdominantakkord, dann in der sich einmalig wiederholenden viertaktigen Akkordfolge D G | G D | D A | A D | das grundlegende musikalische Schema dar. Textlich wird die Neugier der Erdbewohner am Leben des Mondmannes weiter thematisiert: “Der Mann im Mond er hat es schwer, denn man verschont ihn heut’ nicht mehr / Er schaut uns bang von oben zu, und fragt: wie lang’ hab ich noch Ruh’?”. Unbestreitbar ist dabei der Bezug auf die technischen Neuerungen, die dem Mond seine gefühlt unendliche Ferne nahmen und ihn näher an die Erde rückten. Anders als in anderen Schlagern, in denen das Fremde “Faszination und Unbehagen gleichermaßen aus[löst]” (Schulz 2012: 293), wird dem fernen, fremden Mond durch den humorvollen Umgang seine Ungewissheit und Bedrohlichkeit genommen. Durch das Behandeln und Auflösen von (potentiellen) Alltagssorgen kann man durchaus “im Schlager demnach sogar Sozialisationshilfe sehen” (Mahal 1975: 78).

In der zweiten Strophe wird das Aufwerfen von klamaukhaften Fragen zum Privatleben des Mondbewohners weitergeführt. Im Fokus steht diesmal seine Frau. In einer erneuten “Man“-Konstruktion wird ihre Frisur zum Thema gemacht und gefragt, ob ihr liebreizendes Auftreten wohl von ihrem Mann honoriert wird: “Man wüsste gern, wie sich die Frau im Mond frisiert. Wird ihre Schönheit mit ‘nem Kuss belohnt?”. Der Fall, dass er dies womöglich nicht tut, wird durch ein Wortspiel basierend auf der  Redewendung “in den Mond gucken” umgesetzt und unterstreicht die unterhaltsam, vergnügte Stimmung des Songs. Dabei wird bewusst mit Lebenswirklichkeiten und Leitbildern gespielt, wie sie in den 1950er Jahren propagiert und auch ins nächste Jahrzehnt hineingetragen wurden. Schönheit war im Kontext der blühenden Konsumlandschaft wieder zu einem zentralen Anliegen der Frau geworden und dies wurde über mediale Kanäle auch entsprechend verbreitet (vgl. Braun 2005: 215).

In der dritten und letzten Strophe wird thematisch das Prinzip der vorausgegangenen Strophen aufgegriffen. Diesmal stehen die angesagten Tänze auf dem Mond, die Kleidungsmoden und die Affinität zur Jukebox im Mittelpunkt des irdischen Interesses. Hier sticht die Relevanz der in der vorhergehenden Dekade gereiften Konsumlandschaft resp. -freude am deutlichsten hervor. Mit der Bestimmung der Eigenart des Manns im Mondes über seine Konsumgewohnheiten sowie der Selbstverwirklichung in einer (zweigeschlechtlichen) Liebesbeziehung werden insgesamt die sozialen Maßstäbe des Jahres 1961 angelegt. Wer jemand ist, wofür sie oder er steht, das erfährt man über ihre oder seine Gewohnheiten und Lebensumstände, besonders über Musik, Kleidung, Tanz und Familie. Direkt auf die Strophe folgt ein letztes Mal der Refrain, bevor das Lied zu den stilisierten Geräuschen einer abhebenden Rakete ausklingt.

Das Singlecover ist eine Montage, in der Backus neben einer startenden Rakete steht. Dabei handelt es sich um die Juno 1 Trägerrakete, die am 31. Januar 1958 den amerikanischen Satelliten Explorer 1 ins All schoss. Backus posiert gelassen neben dieser, mit über die Schulter geworfenem Jackett; dabei winkt er mit einem Lächeln. Dem Liedinhalt gleich werden hier, durch das begrüßende Winken, das wohl an den Mann im Mond adressiert ist, die rasanten Entwicklungen in der Raumfahrt und die dadurch gewonnene Nähe zum Mond aufgegriffen.

IV. Rezeption

DER MANN IM MOND stellt, gemessen an der Hitparadennotierung, den größten musikalischen Erfolg von Gus Backus als Solointerpret dar. In den 25 Wochen ‒ 17 davon in den Top 10 ‒, in denen der Schlager sich unter den Top 50 Hits befand, erreichte er sogar deren Spitze, an welcher er zwei Wochen ausharrte. Zwar konnte Backus mehrere Top 10-Hits verzeichnen, jedoch blieb das Lied über den Mann im Mond dabei sein einziger Nummer 1-Hit (vgl. Ehnert 1990: 20, 360). Ähnlich erfolgreich schnitt der Schlager in den Jahrescharts der BRAVO ab. Hier erreichte DER MANN IM MOND den fünften Platz unter den 1961 erschienenen Songs (vgl. N.N. 2010).

An diesen Erfolg versuchten auch andere Interpreten und Texter anzuknüpfen und so entstanden mehrere (fremdsprachige) Coverversionen des Songs. Auch Gus Backus versuchte sein Glück ein zweites und ein drittes Mal. Doch weder die englische Neuauflage “Queen of the Stars” (getextet von Fred Jay, bürgerlich Friedrich Alex Jacobson), noch seine deutsche Neuauflage nach der Mondlandung 1969 mit geändertem Text konnten an den Erfolg des Originals anknüpfen.

 

PATRICK POLLMER


Credits

Gesang: Gus Backus
Orchesterleitung: Johannes Fehring
Songwriting/Text: Carl “Charlie” Niessen
Aufnahmejahr: 1961
Länge: 2:27

Recordings

  • The Del Vikings. “Come Go With Me”, Come Go With Me / How Can I Find True Love, 1956, Fee Bee Records, FB-205, US (Vinyl/Single).
  • The Del Vikings. “Whispering Bells”, Whispering Bells / Don’t Be A Fool, 1957,  Fee Bee Records, FB-214, US (Vinyl/Single).
  • Gus Backus. “Brauner Bär und Weiße Taube”, Brauner Bär und Weiße Taube / Blue Boy?, 1960, Polydor, 24 250, Germany (Vinyl/Single).
  • Gus Backus. “Da sprach der alte Häuptling der Indianer”, Wooden Heart/ Da sprach der alte Häuptling der Indianer, 1960, Polydor, 24 403, Germany (Vinyl 7″/Single).
  • Gus Backus. “Der Mann im Mond”, Der Mann im Mond / Was ist los?, 1961, Polydor, 24 564, Germany (Vinyl/Single).
  • Gus Backus. “Queen of the Stars”, Queen of the Stars / Priscilla, 1962, Fono-Graf, FG-1238, US (Vinyl/ Single).

References

  • Braun, Annegret: Frauenalltag und Emanzipation. Der Frauenfunk des Bayerischen Rundfunks in kulturwissenschaftlicher Perspektive (1945 – 1968). Münster [u.a.]: Waxmann 2005.
  • Ehnert, Günter: Hit Bilanz. Deutsche Chart Singles 1956 – 1980. Norderstedt: TaurusPress 1990.
  • Faulstich, Werner: Deutsche Schlager und deutsche Fernsehstars – Wertekontinuität im Medienwandel. In: Die Kultur der sechziger Jahre. Ed. by Werner Faulstich. München: Wilhelm Fink Verlag 2003, 177-193.
  • Jenks, Andrew L.: The cosmonaut who couldn’t stop smiling. The Life of Yuri Gagarin. Dekalb: Northern Illinois University Press 2012.
  • Mahal, Günther: Der Wundertraum vom Liebesglück. Vorläufiges zum deutschen Schlager nach 1945. In: Zeitschrift für Volkskunde 71 (1975), 64-78.
  • McCurdy, Howard E.: Space and the American Imagination. Baltimore: The John Hopkins University Press 2011.
  • Mendívil, Julio: Ein musikalisches Stückchen Heimat. Ethnologische Beobachtungen zum deutschen Schlager. Bielefeld: transcript 2008.
  • N.N.: BRAVO Jahrescharts – 1961. Auf: BRAVO [2000]. URL: http://www.bravo.de/bravo-jahrescharts-1961-246937.html [22.09.2014].
  • N.N.: Wer ist “tu”? In: Der Spiegel 40 (1963), 95-110.
  • Schulz, Daniela: Wenn die Musik spielt… Der deutsche Schlagerfilm der 1950er bis 1970er Jahre. Bielefeld: transcript 2012.
  • Wölfer, Jürgen: Das große Lexikon der Unterhaltungs-Musik. Die populäre Musik vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart – vom Wiener Walzer bis zu Swing, Latin Music und Easy Listening. Berlin: Lexikon-Imprint 2000.

Films

  • Drei weiße Birken. Regie: Hans Albin. Drehbuch: Hans Fitz. Astra-Filmkunst GmbH  1961.
  • Im schwarzen Rößl. Regie: Franz Antel. Drehbuch: Karl Farkas, Kurt Nachmann. Constantin Film, 1961.

About the Author

Analysis written in a course of Dr. Manuel Trummer at the Universität Regensburg.
All contributions by Patrick Pollmer

Citation

Patrick Pollmer: “Der Mann im Mond (Gus Backus)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost. http://www.songlexikon.de/songs/dermannimmond, 03/2015 [revised 09/2015].

Print